Der im Ostfronteinsatz gestählte Elitesoldat ist heute (wieder) der Trendsetter. Unter dem Kommando des neoliberal-brutalisierten Kapitalismus, der den Überlebenskampf auf dem freien Markt als ewigen Grundzustand allen Seins erklärt hat, können Militärartikel ohnehin niemals Ladenhüter werden. Allemal nicht, seit der Krieg mit Waffen wieder zunehmend die Verhältnisse auf der Welt dominiert.
In den 1990er-Jahren, nach dem Kollaps des Systemkonkurrenten, spätestens seit dem 11. September 2001, als »echte Soldaten in Tarnuniform vor der New Yorker Wertpapierbörse Stellung bezogen«, sei der »Vater aller Dinge« auch wieder »zum Hoffnungsträger einer lahmenden US-Ökonomie aufgebaut« worden – »unter der Wall Street liegt das Kriegsgebiet«, heißt es in der bemerkenswerten Studie »Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert«, die Tom Holert und Mark Terkessidis ein Jahr nach dem Anschlag auf die Twin Towers veröffentlicht hatten. In den Zentren des Westens würden die bisher an der Peripherie ausgetragenen Kriege durch kulturindustriell produzierten »Glamour« vermittelt. Dessen »Grammatik schafft den Anschluss an das Leben in den Konsumwelten«, so Holert und Terkessidis weiter. Wenn der Krieg, wie es derzeit mit dem eskalierten Ukraine-Konflikt geschieht, ante portas des Imperiums rückt, kommt ihm als besondere Konsumsphäre, die er im Kapitalismus auch immer ist, eine größere Bedeutung zu – die Palette der Waren für die von diesem gezüchteten falschen Bedürfnisse der Massen, die der Befriedigung ihrer objektiven Interessen diametral entgegenstehen, wird auf perverse Weise verändert und erweitert.
Dafür herrschen im hoch entwickelten, sich totalitär entfaltenden Kapitalismus, in dem es praktisch keine werbefreien Räume mehr gibt, perfekte Bedingungen:
»Schein wird für den Vollzug des Kaufakts so wichtig – und faktisch wichtiger – als Sein. Was nur etwas ist, aber nicht nach ›Sein‹ aussieht, wird nicht gekauft. Was etwas zu sein scheint, wird wohl gekauft«, ist in Wolfgang Fritz Haugs »Kritik der Warenästhetik« von 1971 zu lesen, die er 2009 für den »Hightech-Kapitalismus« aktualisiert hat. Die »Gebrauchswertkonkurrenz« wird zunehmend durch »Eindruckskonkurrenz« ersetzt. Durch die Ästhetisierung der Ware wird ein »Scheinreich« errichtet, in dem eine spezifische Ausprägung des Fetischcharakters der Ware triumphiert: In der Lebenswelt des »schönen Scheins« sind die fundamentalen Widersprüche der Klassengesellschaft durch scheinbare Lösungen verschleiert, werden die Wahrnehmungen der Subjekte so deformiert und kanalisiert, dass die Menschen fürs bedingungslose Mitmachen konditionierbar und für Glücksversprechen empfänglich sind, deren Einlösung angeblich nur durch den Konsum bestimmter Waren realisiert werden kann.
Außerdem bildet der Irrationalismus, der Matrixbestandteil des Kapitalismus ist, zunehmend zerstörerische Züge aus. Die Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft neigen zu unkalkulierbaren bis aberwitzigen Handlungen – und fänden sich immer häufiger »in der Lage des Hexenmeisters, der die Geister, die er rief, nicht mehr zu bändigen vermag. Die Gefahr globaler Katastrophen ist deshalb heute so real wie nie zuvor in der Geschichte«, hielt Thomas Metscher 2016 in seinem Aufsatz »Ideologie und Kultur« fest. In Zeiten, wie der gegenwärtigen, in denen das Irrationale zum Vollzug der Selbstvernichtung treibt, wirkt Warenästhetik als ideologische Supermacht bei der Aufrüstung der Sinne und Emotionen, volksgemeinschaftlicher Integration und Zurichtung der Subjekte zu Rekruten: nicht nur für den Heimatschutz gegen Antiimperialismus, Pazifismus, Defätismus und wehrkraftzersetzende Friedenskultur, sondern auch für kollektive Kamikaze-Operationen.
Dafür veranstalten die Propagandisten – vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk über die Konzernmedien bis zum »gedienten« Influencer auf seinem Military Channel – rund um die Uhr Führungen zu den Leistungsschaufenstern der Waffenindustrie. Deren Reklame bildet die blankgeputzten Lockheed Martin F-35 »Lightning II«, HIMARS-Artilleriesysteme, Abrams-Panzer oder Snipex-Alligator-Gewehre stets in strahlender Sonne, vor einem Sonnenuntergang oder glühenden Abendrot ab – auch sie bedient sich der »ästhetischen Sprache des Liebeswerbens der Menschen«, einer Strategie, die Wolfgang Fritz Haug der gesamten Warengattung im Spätkapitalismus bescheinigte. Was schon für Parfüm oder Pralinen gilt, mit denen um Zuneigung Angebeteter geworben wird, gilt erst recht für Instrumente, die alles Lebenswerte, wie die Liebe, ja das Leben selbst, zunichtemachen: Der Käufer ist am effizientesten mit der vertrauten Überredungskunst der von ihm ersehnten romantischen Liebe zu überzeugen. Ebenso die Bevölkerung, deren Zustimmung erheischt wird für Rüstungskäufe – obwohl nichts ihren vitalen Interessen mehr widerspricht als das –, die stets längst beschlossene Sache sind, denn die Herrschenden denken nicht im Traum daran, jene, die Waffen teuer bezahlen müssen, um Erlaubnis zu fragen.
Seit die Gebrauchswertbegriffe weitgehend durch den Warennamen ersetzt werden, dürfen in der Werbung auch die Namen der Hersteller der Mordutensilien nicht fehlen – zumal diese ohnehin nur für die Herren des imperialistischen Krieges einen Gebrauchswert haben. »Die Staatsmacht hat selbst den Schein der Unabhängigkeit vom partikularen Profitinteresse aufgegeben und stellt sich wie stets schon real, nun auch ideologisch in dessen Dienst«, heißt es in Adornos berühmten Aphorismus »Weit vom Schuss« aus den 1940er-Jahren. »Jede lobende Erwähnung der Hauptfirma in der Städtezerstörung hilft ihr den guten Namen machen, um dessentwillen ihr dann die besten Aufträge beim Wiederaufbau zufallen.«
Galt der Markenfetischismus im Zweiten Weltkrieg vorwiegend für Panzer, Flugzeuge, Kanonen und anderes schweres Gerät – in der »Zeitenwende«, die uns gefährlich nah an die Schusslinie katapultiert hat, werden die Namen der Militärausrüster direkt an den Mann gebracht. Natürlich auch und vor allem an abenteuerhungrige Zivilisten zu Hause. Die Zielgruppe bildet weniger der Heimatkundelehrer in Rinteln als der modebewusste, vom konventionellen Konsum übersättigte Hipster in Berlin-Friedrichshain. Der Krieg dient »dem Neobourgeois auf der Suche nach Existenzbeweisen, die jenseits von Einrichtungskatalogen und Club-Méditerranée-Urlaub vermutet werden, als Ressource der ›Lebenssteigerung‹, oder besser: des ›gesteigerten Lifestyles‹«, so Holert und Terkessidis. Zum Thor-Bart, zur Undercut-Frisur und Regenjacke von The North Face passen prima Warrior Sniper Pants und Combat Boots von Militärausstattern wie Sturm, Archon, Helikon-Tex, Zentauron – und, seit Hitler wieder ein Exportschlager und der Dritte-Reich-Style modemarktführend im Stellvertreterkriegsgebiet sind, auch der ukrainische Shootingstar M-Tac – Hauptsache, die Markennamen klingen irgendwie nach Stuka-Geschwader, griechischem Götterhimmel, Wagner-Oper oder Science-Fiction. Denn im Krieg gegen die russischen »Orks« werden nicht Menschen, sondern »Junge Adler«, Titanen, Siegfriede und Cyborgs gebraucht. Und wo »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit« für unbestimmte Zeit abgesagt ist, verbindet Militärmode – wie der Konsum kommerzieller Kriegsfilme – alle zu »Brothers in Arms« und produziert damit wenigstens den Schein der klassenlosen Gesellschaft. »Das atomistische Nebeneinander mit lauernder Konkurrenz und Angst sowie der verhüllte Klassenkonflikt werden illusionistisch bereinigt«, heißt es in Wolfgang Fritz Haugs Warenästhetik-Kritik. »So herrscht unter den ›Guten‹ Zusammenarbeit, als Gemeinschaft und Kameradschaft gefühlsmäßig erotisiert.«
Auch die Kids werden zu Kadetten des militärisch-kulturindustriellen NATO-Komplexes und Kundschaft seiner verlockenden Sonderangebote gedrillt. In einer Gesellschaft, in der Marketingstrategen dafür sorgen, dass jedes Kind im Durchschnitt täglich 40 Werbespots ausgesetzt ist, wird es für den Ernstfall zum »Markenzombie formatiert«, wie Werner Seppmann es in seinen Vorüberlegungen »Zur Theorie ideologischer Herrschaftsproduktion« über den »Griff nach dem Unbewussten« ausdrückte. Das Kapital beutet die bereits im Alter von drei Jahren entwickelte Fähigkeit der Kinder, Markenlogos zu identifizieren, schamlos aus. Zehnjährige könnten sogar zwischen bis zu 400 Markenprodukten unterscheiden, so Seppmann weiter. Das »Imaginäre der Marken und deren ästhetische Präsentationsweisen« seien spätestens dann schon nahezu differenzlos, »ins Unbewusste abgesunken und wichtige Determinanten des Realitätsverständnisses geworden«.
Dazu gehört, den imperialistischen Krieg als »Naturgewalt« und notwendiges Durchsetzungsmittel anzuerkennen. Und so halten Labels wie Brandit schon lange Flecktarn-T-Shirts und -Hosen in XXS – einige Hersteller auch moderne Gefechtshelme und Handgranaten aus Kunststoff – für die Kindersoldaten bereit, deren Schlachtfeld vorerst noch das Wohn- und Spielzimmer ist. Die Firma Mil-Tec bietet sogar »passende Tarnbekleidung für den Teddy« an, »mit Stiefeln bestehend aus Feldbluse mit Abzeichen, Feldhose und Feldmütze«, wie es auf der Homepage eines Bundeswehr-Onlineshops heißt.
Die ganz Kleinen, deren Wahrnehmung noch nicht von der Äquivalentform deformiert und vom Militant Chic und schillernden Glanz der Kriegskonsumgüter geblendet sind, werden von der auf Weltenbrand getrimmten kapitalistischen Wirtschaft mit der Realität eines möglicherweise finalen großen Knalls sinnlich und hautnah vertraut gemacht: Ein ukrainischer Spielzeughersteller hat eine »patriotische Produktlinie« mit Javelin- und Stinger-Raketen, sogar Leopard-Panzer, aus Plüsch auf den Markt gebracht (ein Teil der erzielten Gewinne geht ans Militär). Kuscheln mit Hightech-Waffensystemen – und zum ersten Geburtstag vielleicht ein Phosphorgranatenregen aus geschmolzenen Kinder-Schoko-Bons? Der Einberufungsbefehl des Kapitals wird bereits im Kreißsaal zugestellt. Die Babykrippe fungiert als Bootcamp, trainiert wird die Verdinglichung des Bewusstseins für die Abwehrschlacht gegen lebendige Erfahrungen, Mitgefühl und andere menschliche Regungen.
Der Beitrag erschien im Newsletter von https://www.melodieundrhythmus.com und wird mit freundlicher Genehmigung des Verlag 8. Mai GmbH / Tageszeitung »junge Welt« junge Welt – die linke Tageszeitung / Kulturmagazin »Melodie & Rhythmus« hier gespiegelt. Bild: BW-Shop