„Ihren konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen, ihren Sorgen und Nöten, wird keine Beachtung geschenkt“

Rechte Umtriebe werden auch in Betrieben und Gewerkschaften sichtbar. Darauf macht Dieter Sauer im Interview mit den NachDenkSeiten aufmerksam. Sauer, der am Münchner Institut für Sozialwissenschaft forscht, hat sich in einer Untersuchung unter anderem damit auseinandergesetzt, wie sich der Einfluss von rechts in der Arbeitswelt bemerkbar macht und er wollte wissen, was die Ursachen für die Attraktivität rechten Gedankenguts in den Betrieben sind. Im Interview sagt Sauer, dass die Enttäuschung der Arbeitnehmer über die Politik „als ein Einfallstor für den Rechtspopulismus gesehen werden“ muss. Ein Interview von Marcus Klöckner.

Herr Sauer, was haben Gewerkschaften mit rechten Aufrührern zu tun?

Ganz einfach: Sie werden damit konfrontiert in den Betrieben, bei den aktuellen Betriebsratswahlen und in der eigenen Organisation. Allerdings sind „rechte Aufrührer“ nicht das große Problem, denn davon gibt es bislang nur wenige und dagegen vorzugehen, ist relativ einfach – vor allem dann, wenn sie als Gegner der Gewerkschaften auftreten. Schwieriger ist es, mit Rechten umzugehen, die sich nicht extrem äußern, die als Gewerkschafter agieren, schwer als Rechte zu erkennen sind und oft „unter der Decke der betrieblichen Öffentlichkeit“ aktiv werden.

Wie zeigt sich das denn konkret? Was haben Sie herausgefunden?

Während der Rechtspopulismus auf der politischen Bühne organisiert und lautstark auftritt, kommt er im Betrieb eher auf leisen Sohlen daher. Er hat nicht den Charakter einer offensiven Propaganda oder einer organisierten Bewegung. Nicht spektakuläre Aktionen, sondern eher ein verdecktes und subversives Vorgehen sind für den Auftritt des Rechtspopulismus in den Betrieben gegenwärtig kennzeichnend.

Sie haben mehrmals den Begriff „Rechtspopulismus“ verwendet und er ist auch im Titel Ihres Buches zu finden. Albrecht Müller, der Herausgeber der NachDenkSeiten, hat sich kritisch mit dem Begriff auseinandergesetzt und hat folgenden Vorschlag:

„Streichen wir das Wort Populismus aus unserem Sprachgebrauch. Es ist zu ungenau. Es dient vor allem der Diffamierung und im Umkehrschluss der Reinwaschung.“

Der Begriff bringt durchaus seine Probleme mit sich. Wie sehen Sie das?

Gegen die Kennzeichnung der neuen Rechten als »rechtspopulistisch« gibt es verschiedene Einwände. Da wir aber keine Untersuchung der rechten Parteienlandschaft und auch keine präzise Sezierung der AfD vornehmen, sondern das breite Spektrum von rechten Orientierungen in den Betrieben erfassen wollten, schien uns der Rechtspopulismusbegriff als bewusst breiter und unscharfer Begriff geeignet. Wir orientieren uns an dem von Alexander Häusler formulierten Begriff. Dieser betont den programmatisch oft noch nicht festen Zustand der Neuen Rechten.

Wodurch kennzeichnet sich denn die Neue Rechte?

Wir erkennen, dass sie einen Alleinvertretungsanspruch eines ethnisch homogen angesehenen „Volkes“ geltend macht, das es so aber nicht gibt. Sie zeigt aber auch eine harsche Establishmentkritik. Diese ist vornehmlich in Richtung der „politischen Klasse“ gerichtet. In diesem Sinne hilft der Begriff des Rechtspopulismus zur Beschreibung und zum Verständnis verbindender Merkmale und Wirkungen unterschiedlicher rechter Parteien und Strömungen.

Aber noch mal zu Ihrer Feststellung, wonach in den Betrieben im Zusammenhang mit rechten Umtrieben ein verdecktes und subversives Vorgehen zu beobachten sei. Was heißt das?

Die von uns Befragten berichten von einem breiten Spektrum, in dem der Rechtspopulismus im Betrieb sichtbar wird. Es reicht von der vorsichtigen Äußerung von Befürchtungen und Ängsten gegenüber Geflüchteten, über deutlich fremdenfeindliche und rassistische Statements im Betrieb oder in den sozialen Medien bis zu offenen AfD-Aktivitäten und zur Infiltration der betrieblichen Interessenvertretung. Der interne Austausch rechten Gedankengutes zwischen den sympathisierenden Followern in den sozialen Medien hat den Effekt, dass das Ausmaß und die Verbreitung rechter Orientierungen im Betrieb eher unterschätzt werden. Fast alle berichten von einer „Klimaveränderung“ in den Betrieben, die mit der Fluchtbewegung 2015 einsetzt. Beobachtet wird eine Enttabuisierung rechter Meinungsäußerungen. Was an rechter Orientierung, an Alltagsrassismus vermutlich schon immer vorhanden war, wird jetzt offener gezeigt und ausgesprochen. Die Devise lautet dabei häufig: „die Geflüchteten nehmen uns was weg“.

Was macht die AfD?

Die AfD als Organisation macht in den Betrieben gar nichts. Aber als Projektionsfläche für die Unzufriedenheit der Beschäftigten spielt sie eine zentrale Rolle. Wir fanden viele Hinweise auf Kollegen, die AfD gewählt haben oder wählen wollen. In den meisten Fällen ist von Protestwählern die Rede: Sie wählen AfD nicht, weil sie sie gut finden, sondern als Protest gegen die anderen politischen Parteien. „Wir wählen jetzt die AfD, ob rechts oder nicht – Hauptsache, es ändert sich was“. Manche Kollegen äußern Verständnis für diese „Protestwähler“, die manchmal auch Wechselwähler zwischen links und rechts sind. Andererseits gibt es auch Hinweise, dass es inhaltliche Gründe für die Wahl der AfD gibt bzw. gab, die vor allem mit der Politik gegenüber Geflüchteten zu tun haben. Bekenntnisse zur Wahl der AfD verbinden sich häufig mit einer Relativierung der Hemmschwellen.

Wie meinen Sie das?

Zum Beispiel heißt es: AfD, Pegida etc. sind doch keine Nazis…Die AfD ist nicht so schlimm. Und es bleibt vielfach offen, wieweit die Sympathien und Beziehungen gehen. Die Wahlerfolge der AfD in den Jahren 2016/17 verstärken diesen Prozess der „Entdiabolisierung“ des Rechtspopulismus. Das von PEGIDA bekannte „man wird ja wohl noch mal sagen dürfen“ wird ergänzt durch die Rechtfertigung: „Die AfD ist eine normale Partei – die dürft ihr [Gewerkschaften] nicht ausgrenzen.“

Welche Folgen ergeben sich aus der Entwicklung?

Es ist zu befürchten, dass zumindest Teile der AfD ihr Potenzial in den Betrieben entdecken und ihre Mobilisierungsansätze auch zu Erfolgen führen. Diese Gefahr wird umso größer, je mehr diese Teile der Neuen Rechten auch eine programmatische Transformation vollziehen, die soziale Frage stärker aufgreifen, „als Kümmerer der kleinen Leute“ auftreten und so ein größeres Protestpotenzial erschließen können. Chancen hätten sie, ein arbeitsweltlicher Nährboden ist vorhanden.

Wie kommt es zu dieser Entwicklung? In Ihrer Untersuchung sprechen Sie von einer „Zuspitzung arbeitsweltlicher Problemlagen“. Was ist damit gemeint?

Die These einer Zuspitzung arbeitsweltlicher Problemlagen auch oberhalb der Zonen der Prekarität ist ein zentraler Befund unserer Studie. Er steht entgegengesetzt zu den Meldungen aus Politik und Medien, die das Bild einer Erfolgsökonomie zeichnen, in der Wachstum auf Dauer gestellt sei und ein Facharbeitermangel aufgrund leergefegter Arbeitsmärkte die zentrale Entwicklungsbremse darstelle. Die Erzählungen unserer Befragten sprechen eine deutlich andere Sprache.

Was haben die Befragten denn gesagt?

In den Schilderungen ihrer Arbeitssituation ist oft von einer Verschlechterung die Rede. Diese wird in der Kontinuität eines schon länger andauernden Krisenprozesses gesehen. Als verursachender Hintergrund wird auf die beständige Restrukturierung der Abläufe im Betrieb verwiesen: Aufspaltungen, Verlagerungen, Standortkonkurrenz, Kostensenkungsprogramme, usw.

Die Dimensionen dieser arbeitsweltlichen Zuspitzung und die damit ausgelösten Ängste sind vielfältig: sie reichen von der weiterhin zentralen Angst um die Sicherheit des Arbeitsplatzes, der ständigen Unruhe in der Belegschaft durch die permanente Verflüssigung organisatorischer Strukturen, den ständigen Gefühlen der Überforderung, des „Nicht-mehr-Mitkommens“ im Zeichen der Digitalisierung bis hin zu der sich weiter verschärfenden externen und internen Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen, die wesentlich zur sozialen Verunsicherung und Zukunftsängsten beitragen. Diese und andere Gefährdungen finden sich – wenn auch mit unterschiedlichem Gewicht – in allen einbezogenen Untersuchungsfeldern. Dies gilt noch mehr für den steigenden Leistungsdruck, der fast durchgängig immer an vorderster Stelle steht.

Aber das ist doch eine ziemlich weitreichende Erkenntnis. Auf der einen Seite hören wir immer wieder: „Uns (wer immer damit dann auch gemeint ist) geht es doch gut“, während auf der anderen Seite eine Realität zu sehen ist, die das genaue Gegenteil der ewigen Jubelmeldungen zeigt.

Auch wenn wir schon in früheren Untersuchungen auf diese Abwärtsspirale in der Entwicklung der konkreten Arbeitsbedingungen gestoßen sind, war diese erneute Zuspitzung der betrieblichen Zustände auch für uns einigermaßen überraschend. In der Öffentlichkeit erfährt man davon leider wenig: Es sind immer nur einzelne Fälle, die öffentliches Interesse erzeugen wie jetzt zum Beispiel die skandalösen Bedingungen für eine Entfristung von Beschäftigten bei der Post. Ansonsten bestimmen oft relativ abgehobene Debatten über die möglichen Risiken und Chancen der Digitalisierung die politische und mediale Sicht auf die Arbeitswelt. Und die aktuellen ökonomischen Erfolgsmeldungen zum Zustand der deutschen Wirtschaft geben offensichtlich keinen Anlass, den Blick auf die realen alltäglichen Zustände in den Betrieben zu werfen. Die von uns befragten Beschäftigten beklagen das auch: Ihren konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen, ihren Sorgen und Nöten, wird keine Beachtung geschenkt und das verstärkt ihre Unzufriedenheit und auch ihre durchaus vorhandene Wut.

Der Nährboden für das rechte Klima innerhalb der Arbeitswelt bildet sich also auch von innen?

Ja, das ist unser Eindruck: Aus der Erfahrung einer zunehmenden Verschlechterung erwächst auch subjektiv eine gesteigerte Unzufriedenheit, die vielfach in Wut oder Resignation mündet. Zu einem Nährboden des Rechtspopulismus wird dies, weil die arbeitsweltlichen Zuspitzungen in Anerkennungs-, Kontroll- und Perspektivverluste münden. Dass die geleistete Arbeit nicht mehr wertgeschätzt wird, ist ein Tenor aller Interviews (nur das Ergebnis, nur noch nackte Zahlen zählen). (Finanz-)marktgetriebene Unternehmenssteuerung hebelt das Bedürfnis nach selbstbestimmter Gestaltung der eigenen Biografie aus; mit Kontrollverlusten in der Gegenwart gehen Zukunftsperspektiven hinsichtlich Aufstiegs- und Sicherheitsversprechen verloren.

Aber warum entstehen daraus rechte und nicht linke Orientierungen?

Natürlich gibt es keinen Automatismus, der das Pendel zwangsläufig nach rechts ausschlagen lässt. Es kommt immer noch darauf an, wie Menschen ihre betrieblichen Erfahrungen verarbeiten und insbesondere welche Ressourcen ihnen bei der Bewältigung von Belastungen und Risiken zur Verfügung stehen. Nach den Berichten der in der Studie Befragten verlieren jedoch nicht nur Anerkennung und Wertschätzung an Bedeutung, sondern auch die Kollektivressource Solidarität. Eine wirksame Gegenmacht gegen die Zumutungen des globalisierten Marktes durch einen kollektiven Zusammenschluss wird von vielen Befragten kaum mehr als erreichbar erachtet. Die Verschlechterung der betrieblichen Zustände ist die eine Seite des Nährbodens für den Rechtspopulismus, die Schwächung von politischen Gegenmachtressourcen die andere. Die neue Rechte greift Protest gegen Abstiegs- und Zukunftsängste auf und kann die Unzufriedenheit und Wut in Teilen für sich mobilisieren.

Wie wird denn die Rolle der politischen Parteien von den Beschäftigten gesehen?

Die Befragten sehen ihre Interessen – fast durchgängig – von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten: sie fühlen sich mit ihren Sorgen allein gelassen.

Sie erwähnen das Wort: „fühlen“. Fühlen die Menschen sich nur mit ihren Sorgen allein gelassen oder sind sie es tatsächlich?

Beides ist richtig und wichtig. Die Menschen werden tatsächlich mit ihren Sorgen allein gelassen und sie nehmen dies auch so wahr, das heißt, es bestimmt ihr Bewusstsein und löst Ängste, Zorn und Wut auf die politischen Repräsentanten, insbesondere auf die Sozialdemokratie aus, die sie besonders enttäuschen. Also für uns Sozialwissenschaftler ist es wichtig, beides herauszufinden: die tatsächlichen objektiven Verhältnisse und die Wahrnehmung durch die betroffenen Menschen. Beides kann zu Einsichten führen, Gefühle auslösen und konkrete Handlungen anregen.

Die schon in früheren Studien von uns festgestellte Entfremdung gegenüber Politik und Staat ist der Resonanzboden für eine Anti-Establishment-Haltung, durch die ein „wir hier unten“ – der einfache, hart arbeitende Mann – gegen „die da oben“ – die Eliten, die Politiker, die Medien („Lügenpresse“) oder schlicht „das System“ – ausgedrückt wird. Die Verselbständigung der politischen Klasse ist bei vielen Gesprächsteilnehmern ein Thema: „Die machen sowieso, was sie wollen“. Dazu gehört auch der Verdacht, die Politik stehe unter dem Einfluss von Partikularinteressen, sie sei nur mehr Spielball von mächtigen Unternehmensinteressen.

Dieser Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen.

Richtig. Die Bankenkrise und die Rolle, die die Politik dabei spielte, werden dazu immer als Beispiel angeführt: Merkel & Co. hätten mit großer Selbstverständlichkeit die Banken gerettet, aber die einfachen Leute aus dem Blick verloren. Die Entfremdung gegenüber Politik und Staat trifft alle schon länger vorhandenen politischen Parteien – auch die LINKE. Hinzu kommt, dass man von der Linken auf dem von uns untersuchten Feld nicht viel erwartet – die Arbeitswelt wird mit ihr kaum in Verbindung gebracht. Und als Protestpartei, die das überlieferte politische System der Volksvertretung aufbricht, wird sie auch nicht wahrgenommen. Unsere Gesprächspartner berichten, dass es für die AfD „ein Leichtes“ sei, sich zum Sprachrohr dieser enttäuschten und wütenden Kollegen zu machen. Die Enttäuschung über die Politik muss also als ein Einfallstor für den Rechtspopulismus gesehen werden.

Wie gehen die Gewerkschaften denn mit diesen Problemen in den Betrieben um? Was sind Ihre Erfahrungen?

Trotz klarer „Beschlusslage“ (klare Kante, Aufklärung und offene Tür) zeichnet sich eine durchgängig geteilte und in der gewerkschaftlichen Praxis gemeinsam verfolgte „Marschrichtung“ gegenüber dem Rechtspopulismus nicht ab.

Welche Probleme sehen Sie?

Ein erstes Problem ist der Umgang mit AfD-Mitgliedern, vor allem mit AfD-Betriebsräten: Wo hört das populistische Ressentiment auf und wo fängt „Hetze“ an? Anders als bei der NPD findet sich in der Mitgliedschaft der AfD ein breiter Bogen von elitekritischen und national orientierten Positionen, nach wie vor neoliberalen Auffassungen bis hin zu rechtextremen Denkweisen – und die Übergänge sind im Zweifelsfall fließend.

Ein zweites Problem: Widerstand gegen die Verhältnisse in den Betrieben kann nach rechts ausschlagen, auch wenn er teilweise gewerkschaftlich verankert ist.

Was heißt das?

Rechter Protest und gewerkschaftliches Engagement schließen sich nicht zwangsläufig aus. So hat man es manchmal mit Kollegen zu tun, die sich in der gewerkschaftlich-betrieblichen Interessenvertretung ebenso engagieren wie in der politischen Auseinandersetzung auf rechtsextremer Seite („Die IG Metall ist ein toller Haufen, aber die NPD gefällt mir mindestens genauso gut.“). Dies sprengt die Logik eines interessenpolitischen Entweder-Oder. Wo Rechtspopulismus oder -extremismus in die Betriebe drängt und nicht sogleich mit einer antigewerkschaftlichen Einstellung daherkommt, wird er zu einem internen organisationspolitischen Problem

Es gibt Fälle, in denen Gewerkschaftsmitglieder ihren Austritt erklären, weil die Gewerkschaft Geflüchtete unterstützt und gegen die Rechten mobilisiert. Es sind Einzelne, aber auch Gruppen, so zum Beispiel in der IG-Metall-Geschäftsstelle Passau, wo im letzten Quartal 2015 und im 1. Quartal 2016 zusammen 200 Mitglieder ausgetreten sind. Die Austritte wurden damit begründet, dass die IG Metall sich um die Kernthemen kümmern sollte – der Rest sei nicht gewerkschaftliches Aufgabengebiet. Die Austritte hatten Konsequenzen für den Umgang mit den Rechten: Geht man noch mit Gewerkschaftsfahnen zu Anti-AfD-Demonstrationen? Soll man auf Betriebsversammlungen über Geflüchtete und AfD reden? Man ist vorsichtiger geworden – so wird berichtet.

Wenn Ihre Befunde richtig sind, dann sind die Gewerkschaften in besonderer Weise gefordert. Welche strategischen Herausforderungen sehen Sie?

Wenn unsere Befunde auch nur ansatzweise richtig sein sollten, dann geht es in der Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus neben seiner zivilgesellschaftlichen Bekämpfung auch um die Beseitigung der Ursachen, die in den betrieblichen Zuständen liegen. Und die Gewerkschaften sind die einzige Organisation, die auf betriebliche Verhältnisse unmittelbaren Einfluss hat. Das macht ihre unverzichtbare Bedeutung in der Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus und -extremismus aus. Deswegen sind die Gewerkschaften in doppelter Weise gefordert: Stärkung von Organisationsmacht und politischem Mandat auf der einen Seite und eine arbeitspolitische Neuausrichtung, die an den Defiziten der gegenwärtigen Reformpolitik ansetzt. Die Gewerkschaften können zwar im Unterschied zu den sehr viel stärker diskreditierten politischen Parteien noch einen gewissen Kredit und eine interessenspolitische Legitimation für sich beanspruchen. Doch auch ihr Kreditspielraum scheint geringer zu werden.

Die institutionellen Strukturen der Interessenvertretung in den Betrieben und in der Tarifpolitik sind zwar noch vorhanden, aber sie können die Beschäftigten vor den Zumutungen des Marktes aufgrund marktzentrierter Unternehmenssteuerung, Globalisierung u.a. deutlich weniger wirksam schützen, als das noch früher der Fall war. Weder auf die Sicherheit des Arbeitsplatzes noch auf die Leistungsbedingungen eines Großteils der Beschäftigten haben die Gewerkschaften einen nachhaltigen Einfluss. Das traditionelle gewerkschaftliche Instrumentarium kommt nicht mehr hinreichend an die Abstiegsprozesse, Kontrollverluste und Zukunftsängste größer gewordener Teile der abhängig Beschäftigten heran. Aber auf Abstiegs- und Zukunftsängste müssen Antworten gegeben werden, die letztlich auch vor Systemschranken nicht verstummen dürfen. Das wird auch von den befragten Kolleginnen und Kollegen gefordert: in Alternativen denken, die über das Bestehende hinausgehen. Aber das setzt voraus, dass man alternative Ansätze auch mit einer systemkritischen Perspektive verbindet. Das ist auch deshalb notwendig, weil sich in der rechten Argumentation und in den rechten Strategien durchaus systemkritische Elemente finden, die Linke und Gewerkschaften in ihrem Sinne bearbeiten müssen.

Für die Gewerkschaften gilt es die Schutzfunktion für alle Schattierungen der Lohnabhängigen – Beschäftigte, Arbeitslose, prekär und qualifiziert Beschäftigte, Migranten etc. – zu stärken und damit ein „Gegengift“ herzustellen gegen das mit Ressentiments unterlegte Sicherheitsversprechen der Rechten: „wir gegen die anderen.“ Darin ist bereits angelegt: Solidarität in der Klasse erfahrbar machen – gegen Stigmatisierung, Abwertung, Rassismus und Ausgrenzung.

 

 

 

Das Interview erschien am 01.06.2018 auf https://www.nachdenkseiten.de

Bildbearbeitung: L.N.