Der Traum von der „vierten Gewalt“ ist für viele engagierte Journalisten ausgeträumt, sie verdingen sich oft nur noch als Einzelkämpfer in den geschrumpften Redaktionen. Sie müssen mit ansehen, dass keiner mehr rausgeht, vor Ort recherchiert, eigene Berichte abliefert oder bei Pressekonferenzen nachbohrt. Sie müssen ertragen, dass die Pressetexte aus den professionellen PR-Abteilungen der Betriebe, Ministerien, Kommunen und Organisationen, die per E-Mail eingehen, eins zu eins übernommen werden.
Wenn dann ganze Redaktionen geschlossen oder die Redakteure nach Gutsherrenart gefeuert werden, wie derzeit bei der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), ist der Widerstand bei den Journalisten aber um vieles geringer, als bei anderen Berufsgruppen. Das hat ganz viel mit dem Tendenzparagrafen zu tun.Im Grundgesetz Artikel 5 Abs. 1 steht: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt“.
Im Betriebsverfassungsgesetz § 118 Abs 1: „Geltung für Tendenzbetriebe und Religionsgemeinschaften“ steht:
„Auf Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend
- politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder
- Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung
dienen, finden die Vorschriften dieses Gesetzes keine Anwendung, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht…”
Von dem Tendenzparagraf hatte man sich einst versprochen, dass bei Einstellungen und Entlassungen von Redakteuren die Verleger ihre eigene Tendenz und somit die Unterschiedlichkeit der Zeitungen wahren sollten, ohne, dass der Betriebsrat sie daran hindern kann.
Dem Verleger wird das Recht eingeräumt, die politische Ausrichtung der jeweiligen Zeitung festzulegen. Seine Macht erstreckt sich also nicht nur auf wirtschaftliche, sondern auch auf politische Entscheidungen. Der Verleger kann die politische Richtung der ihm gehörenden Medien bestimmen und seine Redakteure und freien Mitarbeiter verpflichten, in einer bestimmten Art und Stil, Texte, Bilder und Filme aus einer bestimmten politischen Sichtweise herzustellen.
Für die Journalisten gibt es kein Recht, journalistisch und inhaltlich vom Verleger unabhängig zu sein. Für Betriebe, die im Medienbereich produzieren, beschränkt der Tendenzschutz das Recht auf betriebliche Mitbestimmung, da das Betriebsverfassungsgesetz nur teilweise und das Mitbestimmungsgesetz gar nicht angewandt werden.
Heute, da riesige Medienkonzerne entstanden sind, dient der Tendenzparagraph nicht mehr der Vielfalt, er wurde von der Realität eingeholt. Es ist schon die Regel, dass sich der Leser nur noch in einer einzigen Zeitung über das lokale oder regionale Geschehen informieren kann.
Der Tendenzparagraph ist längst überfällig und eine Novellierung des Presserechts erforderlich.
Vor über 40 Jahren haben dies die Gewerkschaften schon gefordert. Die Politik hat aber bisher nicht reagiert – im Gegenteil, sie hat den Tendenzparagraph sogar noch vom Betriebsverfassungsgesetz auf das Mitbestimmungsgesetz übertragen.
Dass es unter diesen Bedingungen schwer ist, gewerkschaftliche Interessenvertretungen aufzubauen, dürfte jedem klar sein. Organisierung, Mobilisierung, Auseinandersetzungen in den Betrieben und Streikbereitschaft sind bei den Journalisten entsprechend gering ausgebildet und ähnlich schwach, wie bei den Angestellten in den kirchlichen Tendenzbetrieben. In Zeiten, in denen dann die großen Medienunternehmen ihre Betriebe „wettbewerbsfähig“ machen, fehlt dann die Erfahrung der gewerkschaftlichen Auseinandersetzung im Betrieb, Solidarität unter den Journalisten und die notwendige Kampfbereitschaft.
Deutscher Journalistenverband (DJV) und ver.di forderten seit Jahren, den „Tendenzschutz“ abzuschaffen, ohne, dass bis heute etwas passiert ist.
Das sollte die Gewerkschaften nicht davon abhalten, hier weiter vorzustoßen, denn bei ihnen läuft vieles zusammen, was aber nicht vernünftig vernetzt wird.
So engagieren sich die Gewerkschaften für die Umverteilung von Vermögen, für die Pressefreiheit und gegen das sinkende Vertrauen in die Medien. Doch es wird keine Verbindung zwischen der globalen Vermögenskonzentration und der Vermögensmacht der deutschen Medienkonzerne hergestellt.
Das unzeitgemäße Gesetz aus der Nachkriegszeit schränkt die Mitbestimmungsrechte erheblich ein und verpflichtet zur Einhaltung der politischen „Gesinnung“ des Verlegers. Die zu schützende Meinungsvielfalt der Verleger gibt es nicht mehr.
Zu schützen sind heute die Journalisten vor Meinungseinfalt und Marktbeherrschung der Medienkonzerne.
Quellen: ver.di, ossietzky Bild: flickr.de