Von Katja Wagner, Maximilian Hauer und Maria Neuhauss
Der Klimawandel ist ein Effekt der kapitalistischen Produktionsweise, die zentral auf einem fossilen Energiesystem aufbaut. Ist der Klimawandel einerseits durch diese Gesellschaftsordnung verursacht, kann er andererseits in ihrem Rahmen nicht effektiv eingedämmt werden, da sich die Produktion aufgrund des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Trennung der Produzenten voneinander der gesellschaftlichen Kontrolle entzieht.
Der gesellschaftliche Stoffwechsel mit der Natur untersteht der despotischen Verfügungsgewalt der Einzelkapitale, die ihrerseits dem objektiven Zwang zur Profitmaximierung unterliegen und die ökologischen Folgen ihres Tuns systematisch »externalisieren«. Die politische Sphäre ist wiederum abhängig von einer funktionierenden Kapitalakkumulation und muss sich in letzter Instanz immer an der Rentabilität orientieren. Weder der sozialdemokratische Vorschlag eines Green New Deal noch die Orientierung auf eine Postwachstumsgesellschaft weisen einen Ausweg aus dem Schlamassel, da beide Ansätze implizit oder explizit an der kapitalistischen Produktionsweise mitsamt ihren Widersprüchen festhalten. Dieser vermeintliche Realismus beruht auf der paradoxen Hoffnung, den ökologischen Riss innerhalb eines Systems heilen zu können, das diesen Riss immer weiter vertieft.
Tatsächlich erfordern der Klimawandel und andere sich zuspitzende ökologische Krisen eine Produktionsweise, die statt auf die blinden Kräfte des Marktes auf planvolle Steuerung setzt und sich an menschlichen Bedürfnissen statt am Profit orientiert. Zentrale Voraussetzung dafür ist die Abschaffung des kapitalistischen Privateigentums. Unter dieser Bedingung stünden die vormals privat und unkoordiniert stattfindenden Arbeiten in einem transparenten Zusammenhang und Einsatz und Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit könnten vorab geplant werden. Diese Planungsprozesse hätten sich bis hin zu einem anarchistisch inspirierten Archipel von Kommune entwickelt. Auch der prominente Ökosozialist Kohei Saito zieht egalitäre vorkapitalistische Dorfgemeinden als Inspirationsquelle für seine Zukunftsvision heran (siehe konkret 9/23). Die Auswirkungen dieser dezentralen Ansätze auf die derzeit funktional und geographisch hochgradig ausdifferenzierte, globale Arbeitsteilung bleiben jedoch oftmals unterbelichtet. Lose verbundene Kommunen hätten große Schwierigkeiten, komplexe und voraussetzungsreiche Erzeugnisse wie Maschinen oder Mikrochips herzustellen. Eine dezentrale Organisation der Produktion wäre in vielen Fällen auch ökologisch irrational, da sie Skaleneffekte nicht ausnutzt und an den unterschiedlichen naturräumlichen Gegebenheiten und Potentialen verschiedener Standorte vorbeigeht.
Grüne Kritiker/innen der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung stellen zu Recht fest, dass die gesellschaftlichen Produktivkräfte sich heute oft als Destruktivkräfte äußern: Technologie und die Gestaltung des Arbeitsprozesses sind nicht gesellschaftlich neutral, sondern Bestandteile eines Systems der entfremdeten Arbeit. Doch es führt zunächst nichts daran vorbei, viele Aspekte des bestehenden soziotechnischen Systems zu übernehmen – da es schon heute hinreichend ausgebaut ist, um im erforderlichen Maßstab zu produzieren. Andererseits ist es die zentrale Aufgabe einer sozialistischen Gesellschaft, diese Apparatur so umzugestalten, dass sie Bedürfnissen und ökologischen Maßgaben besser entspricht. Dafür müsste die Technologie etwa unter einem gesellschaftlichen Transparenzgebot stehen, während im Kapitalismus viele notwendige Informationen Betriebsgeheimnisse sind.
Bei diesem Umbau kann und muss auf die im Kapitalismus entwickelten Produktivkräfte zurückgegriffen werden, womit nicht die faktisch bestehenden Produktionsanlagen (Dinge), sondern die gesellschaftlichen Potentiale, Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten gemeint sind. Jenseits des kapitalistischen Profitdiktats könnten Formen von Technik und Architektur in die Praxis umgesetzt werden, die heute Prototypen oder Gedankenexperimente der Forschung bleiben müssen.
Auch das Problem der Technikfolgen stellte sich in einer sozialistischen Gesellschaft auf andere Weise. Im Kapitalismus erhöht sich einerseits durch die Produktivkraftentwicklung permanent die materielle Wirkmacht menschlichen Handelns, andererseits werden die Folgen für Allgemeinheit und Biosphäre nicht sorgfältig abgewogen. Wie Friedrich Engels hellsichtig erkannte, bedarf es statt dessen einer verantwortungsvollen Technikfolgeabschätzung, die auch die »mittelbaren, entfernteren gesellschaftlichen Wirkungen unsrer produktiven Tätigkeit« systematisch berücksichtigt. Doch dazu »gehört mehr als bloße Erkenntnis«, die sich im blinden Spiel der kapitalistischen Marktkräfte nicht durchsetzen könne: »Dazu gehört eine vollständige Umwälzung unsrer bisherigen Produktionsweise und mit ihr unsrer jetzigen gesellschaftlichen Ordnung«.
Ein Knackpunkt für jeden Sozialismus, der zugleich ökologisch und demokratisch sein will, liegt in der Frage der Bedürfnisse. Da Idealismus und Einsicht allein auf Dauer kaum als Motivationskräfte tragen werden, muss ein von Mehrheiten unterstützter ökologischer Sozialismus ein besseres Leben ermöglichen als der Kapitalismus.
Einige klassenpolitisch argumentierende Sozialistinnen und Sozialisten werfen der Klimabewegung vor, dem Proletariat mit einer grünlackierten Austeritätspolitik ihren Wohlstand wegnehmen zu wollen. Unter dem Gesichtspunkt der Klimagerechtigkeit wird dagegen eingewandt, das Konsumniveau in den industrialisierten Staaten stelle durch seine ökologischen Folgen eine Form struktureller Gewalt gegenüber Menschen im Globalen Süden dar. Tatsächlich geht der Wachstumszwang aus den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen hervor. Proletarierinnen und Proletarier entscheiden hier nicht über die Produktion. Ihre Konsumentscheidungen werden oft durch bestehende soziotechnische Systeme und Siedlungsstrukturen vorweggenommen, auf die sie ebenfalls kaum Einfluss nehmen können.
Statt im falschen Gegensatz von Konsumismus und Verzichtsethik zu verbleiben und Reichtum als rein quantitative Frage zu verhandeln, gilt es für eine neue, sozialistische Form des Reichtums einzutreten. Im Kapitalismus erscheint der gesellschaftliche Reichtum »als eine > ungeheure Warensammlung« < (Marx). Zugleich sind große Teile der Weltbevölkerung permanent von diesem Warenüberfluss ausgeschlossen. Die flächendeckende Befriedigung von materiellen Grundbedürfnissen müsste daher im Sozialismus an erster Stelle stehen.
Dabei könnten sich die materiellen Lebensbedingungen auch dadurch erheblich verbessern, dass die Grundpfeiler der Daseinsvorsorge – Gesundheitssystem, Wohnen, Bildung und Erziehung sowie lebensnotwendige Güter – unter demokratischer Kontrolle stehen und dem Profitdiktat entzogen sind. Zugleich muss der Stoff- und Energieverbrauch in den kapitalistischen Kernländern auf ein Niveau abgesenkt werden, das global verallgemeinert werden könnte. Dies müsste nicht zu einem geringeren Maß an Bedürfnisbefriedigung führen. Ein vernünftig eingerichteter öffentlicher Verkehr beispielsweise bringt ein Mehr an Platz, Lebenszeit, Ruhe, Sicherheit und Umweltqualität in den Städten. Was wir brauchen, ist eine radikale Ausweitung des geteilten »öffentlichen Luxus«.
Die bewusste Planung des gesellschaftlichen Stoffwechsels mit der Natur würde darüber hinaus auch Spielräume für qualitativ neue Formen des gesellschaftlichen Reichtums eröffnen. Ein solcher bestünde vor allem in frei verfügbarer Zeit, in einer neuen Bedeutung sozialer Beziehungen, in der Möglichkeit, sich um sich selbst und andere zu kümmern, über die Belange der Gesellschaft mitzuentscheiden, sich zu bilden und kreativ zu betätigen. Denn der »wirkliche geistige Reichtum des Individuums« besteht in der Erweiterung der Weltbezüge, Kenntnisse, Fertigkeiten und Genussfähigkeiten. Da all dies jedoch Mußezeit voraussetzt, erklärt Marx die frei verfügbare Zeit zum »Maß des Reichtums« einer sozialistischen Gesellschaft.
Auch bei der Reduzierung der gesellschaftlichen Arbeitszeit wäre zwischen verschiedenen Gesichtspunkten abzuwägen: Eine abwechslungsreichere Gestaltung der Arbeit könnte auf Kosten der Zeitersparnis gehen; die Entwicklung zeitsparender Technologien beruht selbst auf zeitaufwendigen Forschungsprozessen; die effizienteste Technologie ist nicht unbedingt die ökologischste; und schließlich müsste in der Produktion frei werdende Zeit zum Teil in eine bessere Versorgung von jungen, kranken und alten Menschen fließen, die heute oft zu kurz kommt.
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Dieser Text ist ein redaktionell bearbeiteter Vorabdruck aus dem Buch Klima und Kapitalismus. Plädoyer für einen ökologischen Sozialismus. Es erscheint demnächst in der Reihe theorie.org des Schmetterling Verlags (200 Seiten, 15 Euro)
Der Beitrag erschien in konkret 12/24 / Konkret Magazin Hamburg und wird mit freundlicher Genehmigung der Redaktion hier gespiegelt. Bild: Müncher oekom Verlag