Steht jetzt ein heißer Herbst des Protests gegen die allseitige Militarisierung bevor? Die Gewerkschaftsinitiative „Sagt NEIN!“ dringt jedenfalls darauf, dass etwas in Bewegung kommt. Dazu ein Überblick.
Von Johannes Schillo
Die Staatsgewalt hat der Friedensbewegung am 30. August in Köln eine Lektion erteilt, was sich der Protest gegen das neue Leitbild Kriegstüchtigkeit leisten darf und was nicht. „Und seid ihr nicht (kriegs-)willig, so brauch‘ ich Gewalt“, charakterisierte Renate Dillmann auf den NachDenkSeiten das blutig herbeigeknüppelte Lernziel – das übrigens, für die Autorin nicht überraschend, im normalen Medienbetrieb für keine Aufregung sorgte. Aber noch darf man demonstrieren und für den Herbst ist eine Reihe von Demonstrationen, Aktionen und Kundgebungen angekündigt, die sich direkt oder indirekt gegen die aktuelle Vorherrschaft der Militärlogik und die daraus folgende Verwüstung des Globus wenden.
Protestansagen
Selbst die „Fridays for Future“ sind wieder aus der Vergangenheit aufgetaucht und mobilisieren – ausnahmsweise – an einem Samstag, nämlich dem 20. September, für einen deutschlandweiten Klimastreik. „Es ist hart, in diesen Zeiten, in dieser Welt“, wo „die Politik immer mehr Klimaschutzmaßnahmen abwürgt“, heißt es in der Ankündigung. Dass die Politik nicht einfach nichts fürs Klima tut, sondern mit Kriegen und Kriegsvorbereitungen tatkräftig für unabsehbare Schäden sorgt, wird dabei vornehm verschwiegen. Beklagt wird vor allem, dass den freitäglichen Events von früher der Schwung (neudeutsch: das Momentum) abhanden gekommen ist; aber es sei „wichtiger, dabei zu bleiben, wenn das Momentum eben nicht da ist“. Vielleicht wäre es nur noch wichtiger, sich einmal über den damaligen Rückenwind, den man aus der großen Politik verspürte, Rechenschaft abzulegen – kritische Angebote dazu gibt es in der Gegenöffentlichkeit glücklicherweise noch (siehe z.B. „Wie Deutschland das Klima rettet“).
„All eyes on Gaza” (Alle Augen auf Gaza) heißt es dann am Samstag, dem 27. September, in Berlin. Ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen, darunter vorneweg das „Netzwerk Friedenskooperative“, ruft zur Teilnahme an einer Kundgebung auf; dem wird eine Demonstration vorausgehen, die ebenfalls von einem breiten Bündnis unter dem Titel „Zusammen für Gaza“ organisiert wird. Zu dessen Forderungen gehört der staatliche Schutz der „Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Wissenschaftsfreiheit in Deutschland“ – also der Rechte, zu denen in Köln jüngst die Klarstellung der Staatsgewalt erfolgte: Sie dürfen nicht dazu dienen, einen organisierten und auf Organisierung bedachten Unwillen gegen die Vorhaben der Regierung lautstark in die Öffentlichkeit zu tragen. In der Sache trifft die Forderung natürlich einen entscheidenden Punkt. Georg Auernheimer, der jüngst eine Publikation zum neuen Kampfbegriff „Antisemitismus“ vorgelegt hat, spricht im Overton-Interview davon, dass es in Deutschland zu „grotesken Zensurmaßnahmen und Verboten“ komme, wenn man gegen den israelischen Vernichtungskrieg in Gaza protestiere, und hält dagegen: „Kritik an israelischer Politik, hat mit Antisemitismus nichts, aber auch gar nichts zu tun“.
Nach einer ersten Friedenskundgebung am Samstag, dem 13. September, zu der unter anderem die BSW-Kovorsitzende Sahra Wagenknecht aufgerufen hatte und die laut Angaben der Veranstalter 22.000 Teilnehmer in Berlin versammeln konnte, laufen dort jetzt die Vorbereitungen für die große bundesweite Demonstration am 3. Oktober (parallel wird eine Veranstaltung in Stuttgart stattfinden). Dazu wird unter der Losung „Nie wieder kriegstüchtig! Stehen wir auf für Frieden!“ aufgerufen. Erarbeitet wurde der Aufruf im Rahmen eines Bündnisses, dem die Initiative „Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder!“, aber auch die DFG-VK, das „Netzwerk Friedenskooperative“ oder die katholische Friedensorganisation „Pax Christi“ angehören. Den Wortlaut des Aufrufs sowie weitere Erklärungen aus der Friedensbewegung findet man auf der Website des Gewerkschaftsforums.
Als vorläufiger Abschluss der Aktionen im Herbst wird dann am Samstag, dem 11. Oktober, in Nörvenich bei Düren eine Protestaktion gegen die nukleare Teilhabe der BRD folgen. Die genaueren Angaben zum Ablauf sind unter IVA/Termine aufgeführt, demnach stehen ein Besuch des Luftwaffenstützpunkts bei Nörvenich und eine Kundgebung unter der Losung „NATO-Atomkriegsmanöver 2025 stoppen!“ an. Die Initiative „Sagt NEIN!“, an der sich IVA beteiligt, unterstützt die geplanten Aktionen im Oktober und wird dabei ihre eigenen Positionen einbringen.
Antimilitarismus
„Sagt NEIN! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden“ ist eine gewerkschaftlichen Basisinitiative, die sich gegen den Kurs des DGB bei der Unterstützung der bundesdeutschen Militarisierung und gegen die zweifelhafte gewerkschaftliche Tradition einer Aufrechterhaltung des sozialen Friedens wendet – eben eines „Burgfriedens“, wie ihn die nationalen Führungen der europäischen Arbeiterbewegung bei ihrem letalen Übergang ins Zeitalter des Imperialismus vor gut 100 Jahren praktizierten.
„Wir sagen Nein zu allen Kriegen und lehnen die gefährliche Hochrüstung ab.“ So beginnt der Aufruf zur Friedensdemo am 3.10. und „Sagt NEIN!“ sagt hierzu JA, verbindet diese Unterstützung aber gleich mit Nachfragen, vor allem: a) wem sagt man b) damit was? Eine solche Klärung sei besonders dringlich angesichts des breiten Forderungskatalogs von „Dialogfähigkeit“, „Abrüstung für Soziales, Klima und Entwicklung“ oder „Entspannungspolitik für Europa“, wie er sich im Berliner Aufruf findet.
- a) Adressiert man damit, fragt z.B. „Sagt NEIN“, die regierenden Kriegstreiber? Erwartet man von ihnen ernsthaft, dass sie auf die Sorgen der Bevölkerung eingehen? Soll hier eine Vertrauensbildung für abweichende Positionen im Regierungslager (siehe das Manifest der SPD-Dissidenten, zu dem sich „Sagt NEIN!“ kritisch geäußert hat) stattfinden? Oder das Vertrauen in die UN-Charta, die bei den Gewaltaffären der Staatenlenker Erlaubtes von Verbotenem trennt, als Wertehimmel der heutigen Weltkriegslage gestärkt werden? Was soll man unter der Forderung nach einer neuen Politik verstehen, „die die Friedens- und Sicherheitsinteressen aller Beteiligten berücksichtigt“? Wird hier einer Sicherheitspolitik, die sich als Verteidigung vorstellig macht, der Segen erteilt?
- b) Aus gewerkschaftlichem Blickwinkel stellt sich dann die Frage, ob mit dem Berliner Aufruf wirklich der nationale Konsens aufgekündigt wird, also der soziale Frieden, der die Grundlage für das deutsche Hochrüstungsprojekt darstellt und der zur Zeit durch die angesagten Sozialkürzungen auf die Probe gestellt wird? Wie ist die Forderung nach „Verteidigung der Demokratie“ zu verstehen? Ist der Ausschluss von „demokratiefeindlichen Kräften“ aus der Protestbewegung so gemeint, dass das Extremismuskonzept des deutschen Staatsschutzes übernommen wird?
„Sagt NEIN!“ hat dazu jetzt ein eigenes Flugblatt vorgelegt, das unter der Überschrift „Nicht um Frieden betteln. Auf zur Meuterei!“ steht. Darin heißt es: „Es ist hohe Zeit vom Betteln um Frieden zur Meuterei zu kommen! ‚Meuterei‘ – das klingt groß. Aber was heißt das eigentlich? Es heißt: Sand ins Getriebe der Kriegsmaschine.“ Damit wird Antimilitarismus als der eigene Standpunkt benannt, also eine konsequente Wendung gegen die Kriegsvorbereitung, die in der Friedensbewegung oft in idealistischen, wohlmeinenden Anträgen an die Herrschenden untergeht. Was sich im gewerkschaftlichen Rahmen tut, wie etwa ein „revolutionärer Defätismus“ heute in Gang zu setzen wäre, kann man in den letzten Neuigkeiten der Initiative nachlesen.
Antikapitalismus
Die zweite Konsequenz, auf die „Sagt NEIN!“ beim Protest Wert legt, ist der Antikapitalismus. Andreas Buderus, einer der Initiatoren der Initiative, hat jetzt in der Jungen Welt dargelegt, wie er die gegenwärtige Krisenlage des globalen Kapitalismus – in Anlehnung an Lenins Diagnose vom „finalen Stadium“ – versteht, und damit auch Punkte angesprochen, die in der Initiative kontrovers diskutiert werden (siehe die Debatte im Kölner Workshop am 27. August, dokumentiert bei 99zu1). Deutlich wird in der Veröffentlichung aber auch der Konsens: Erstens, von einem Verschwinden der Arbeiterklasse kann keine Rede sein, auch wenn heutzutage eine Arbeiterbewegung fehlt und sich kein Proletariat dem „System“ entgegenstellt; es handelt sich immer noch um eine Klassengesellschaft, die auf der Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung beruht; deren Mobilisierung bleibt der einzige Ausweg aus der Misere, Garant „gesellschaftlicher Entwicklung und möglicher Perspektive auf Befreiung und planetares Überleben“. Zweitens: Eine Reorganisation dieser Produktionsweise, etwa im Sinne einer sozialökologischen Wende, die den „fossilen“ Kapitalismus samt seinen Verwüstungen überwindet, oder der Etablierung eines neuen Steuerungsmodus in Richtung sozialer Gerechtigkeit und friedlichen Zusammenlebens der Völker, ist eine Illusion. Eine Täuschung, die leider in der Friedensbewegung allerorten anzutreffen ist, wenn etwa, wie jetzt wieder in Berlin am 3.10., eine Politik gefordert wird, „die die Friedens- und Sicherheitsinteressen aller Beteiligten berücksichtigt“.
Buderus war auch zusammen mit Dillmann auf der Zimmerwalder Konferenz 2025 vertreten, zu der die „United Front gegen Faschismus, Krieg und Umweltzerstörung“ im September eingeladen hatte. Er lenkte das Augenmerk auf den Übergang, den der Staat bei seiner Standortbetreuung den nationalen Dienstkräften abverlange: Das neoliberale Versprechen „Wenn du dich anstrengst, geht’s dir gut“, werde durch das Kommando „Funktioniere oder geh unter“ ersetzt. Dillmann kam auf die kapitalistische Grundlage der heutigen Weltkriegslage zu sprechen, fokussierte dabei auf die Haltung des Fußvolks, das sich eben nicht durch „Meuterei“, bestenfalls durch besorgtes Nachfragen, ob das alles gut gehen mag, auszeichnet: „Dass die Nutznießer der Nation – wirtschaftliche und politische Eliten – für dieses Land und seinen Erfolg sind, ist nicht weiter verwunderlich. Aber auch die vom Lohn Abhängigen behandeln ihre erzwungene Abhängigkeit, die sie sich ja nicht ausgesucht haben, mit der sie aber zurechtkommen müssen und wollen, wie einen guten Grund, für dieses Land zu sein, wünschen ihm (und vermeintlich damit auch sich) deshalb Erfolg – und sind deshalb bereit, für dieses Land einzutreten, mit Abstrichen am Lebensstandard, die schon jetzt ohne größere Proteste hingenommen werden, und zur Not auch mit ihrem Leben.“ Diese patriotische Grundstimmung der Bevölkerungsmehrheit müssten kritische Initiativen entschieden ins Visier nehmen.
Das allgemeine Mitmachertum angesichts eines drohenden (Atom-)Kriegs war übrigens zentrales Thema bei der Tagung „Krieg und Frieden“, die die „Neue Gesellschaft für Psychologie“ im Frühjahr 2025 veranstaltete und jetzt in einem Tagungsband (siehe die Vorstellung im socialnet) dokumentiert hat. Hier gab es ein breites, teils widersprüchliches Spektrum an (tiefen-)psychologischen Versuchen, die Staatstreue der arbeitenden Menschen zu erklären – also derjenigen, die gerade nicht zu den Profiteuren der Wirtschaftsordnung gehören und trotzdem bereit sind, bis zum bitteren Ende auf dem Schlachtfeld ihren Dienst zu leisten. Freerk Huisken, der der Kriegsträchtigkeit der hochgelobten regelbasierten Weltfriedensordnung schon eine Streitschrift gewidmet hat, lieferte hierzu einen Beitrag, der ohne Rückgriff auf spezielle Psycho-Techniken auskam, die angeblich manipulativ oder sonstwie klandestin ins Unbewusste der Massen eingreifen; er dekonstruierte vielmehr die gängigen Legitimationen über Abschreckung und Verteidigung, die oben und unten geteilt werden.
Der Schlussteil seines Beitrag ging dabei auch auf die Fragen ein, die „Sagt NEIN!“ beschäftigen: „Worin liegt denn nun die Kriegsträchtigkeit der herrschenden Friedensordnung begründet? Wie erklärt sich, dass Staaten in letzter Konsequenz ihre Konkurrenz kriegerisch austragen?“ Huisken nimmt ebenfalls die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft in den Blick, die die Grundlage für die außenpolitischen Affären bildet; sie werde aber erst durch ihren staatlichen Betreuer – nicht allein in Krisenlagen, sondern bedingt durch die Gegensätze, die der Normalbetrieb systemgemäß hervorbringt – in die Konfrontationen bugsiert, die dann zu militärischer Eskalation führen. Der „eigentliche Wille“ von Staaten sei eben nicht die Herstellung von friedlichen Verhältnissen, was leider durch einzelne, aus der gültigen, d.h. US-dominierten Weltordnung ausscherende Störenfriede immer wieder konterkariert werde. Der staatliche Wille buchstabiere sich vielmehr so: „Souveränität über Land und Leute nach innen sichern und nach außen ausbauen – im Frieden und im Krieg per Verteidigung und per Angriff“.
Nachweise:
Georg Auernheimer, Zweierlei Antisemitismus – Staatsräson vor universellen Menschenrechten? Köln (PapyRossa) 2025.
Klaus-Jürgen Bruder/Almuth Bruder-Bezzel et al. (Hg.), Militarisierung der Gesellschaft – Von der Glückssüchtigkeit zur Kriegsbereitschaft. Wien (Promedia ) 2025.
Andreas Buderus, Reale Barbarei – Warum es keine Reorganisation des Kapitalismus gibt – und was droht, wenn wir das nicht zur Kenntnis nehmen. In. Junge Welt, 15.9.2025.
Renate Dillmann, Medien. Macht. Meinung. Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit. Köln (PapyRossa) 2024.
Freerk Huisken, Über den Frieden, der nicht ohne Krieg auskommt. In: Bruder et al., Militarisierung der Gesellschaft, S. 89-100.
Freerk Huisken, FRIEDEN. Eine Kritik. Aus aktuellem Anlass. Hamburg (VSA) 2023.