Konzipiert hatte man Anfang dieses Jahrhunderts die Offene Ganztagsschule (OGS) als Übergangslösung zum gebundenen Ganztag (Schulpflicht am Nachmittag), aber 13 Jahre danach gilt die Übergangslösung immer noch. Es gibt immer noch keine landesweiten Regeln oder Standards zu Kosten, Betreuungsstandards, Qualifikation des Betreuungspersonals. Alles ist von der Kommune und deren finanziellem Zuschuss oder dem jeweiligen Träger der OGS abhängig. Die Stadt schließt mit den freien Trägern Leistungsvereinbarungen, die in der Regel nur den Umfang der Betreuung festschreibt, den Trägern aber das programmatische und personale Planen komplett überlässt.
Einen Rechtsanspruch auf einen Platz ihrer Kinder in der Tagesbetreuung, wie in den Vorschuleinrichtungen, haben die Eltern in der Grundschule nicht. Die Versorgung mit Ganztagsplätzen ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich, genauso unterschiedlich sind auch die Rahmenbedingungen für die Arbeit der pädagogischen Fachkräfte.
In den letzten 10 Jahren sind in NRW über 200 000 Plätze im OGS-Bereich entstanden. Gab es 2005 noch 12 000, sind es in diesem Jahr 265 000 Plätze.
Finanziert wird ein Platz für ein Kind mit 700,00 Euro vom Land NRW und 410,00 Euro von der Kommune, die auch noch zusätzlich einen Betrag bis zu 150,00 Euro erheben kann. Bundesmittel gibt es mittlerweile gar keine mehr.
Skandalös ist, dass 2013 die Städte rund 18 Millionen Euro erst gar nicht vom Land abgerufen haben – die Städte rechtfertigen sich damit, dass mit dem U3-Ausbau die OGS vernachlässigt werde musste! (U 3 = Kinder haben von ihrem ersten Geburtstag an einen Rechtsanspruch auf Betreuung in einer Kindertageseinrichtung oder in der Tagespflege).
In den vergangenen Jahren ist der Zuschuss des Landes nur einmal erhöht worden. So ist es kein Wunder, dass vor allem bei den freien Anstellungsträgern bei den Personalkosten gespart wird. Mit der Folge, dass in diesem Jahr die Ferienbetreuung nicht mehr gewährleistet ist, das Angebot eingeschränkt, die Fluktuation des Personals immer höher und der Arbeitsplatz in der OGS immer unattraktiver wird.
Die Grundlage für Arbeit und die Rahmenbedingungen der OGS bilden lediglich Erlasse und Förderrichtlinien, jeder Anstellungsträger kann in der tagtäglichen Praxis machen, was er will.
In Dortmund besteht seit 2003 ein Ganztagsangebot für Schüler. Im Schuljahr 2012/13 gab es allein im Primarbereich an über 90 Schulen rund 10.000 Plätze.
Schon zu Beginn stand nicht der Ausbau der Tageseinrichtungen unter Federführung der Jugendhilfe und mit Standards wie im Tagesstättenbereich im Vordergrund, sondern, dass möglichst billig, möglichst viele Kinder „versorgt“ werden.
So wurde eine bildungspolitische Konstruktion gewählt, bei der Probleme, besonders für die pädagogischen Fachkräfte, vorprogrammiert sind.
In der Rahmenvereinbarung der Stadt Dortmund steht: „Schulen und Jugendhilfe bilden eine Verantwortungsgemeinschaft zur Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen die zweckmäßig und wirtschaftlich und in ihrer Ausgestaltung nach Art, Umfang und Qualität darauf ausgerichtet sind, Kindern und deren Eltern ein bedarfsgerechtes, differenziertes und integriertes Ganztagsangebot auf der Grundlage des jeweiligen Schulprogramms anzubieten“.
Es geht also um eine „Verantwortungsgemeinschaft“, die in der Praxis aber kaum existiert.
Im Gegenteil, es besteht dringender Handlungsbedarf, um die Arbeitssituation der pädagogischen Fachkräfte zu verbessern, im Einzelnen z.B. bei
– Arbeitszeiten, Urlaubsregelungen
– Personalschlüssel
– Pausenregelung
– körperliche und psychische Belastung
– räumliche Situation und Ausstattung
– Transparenz und Informationsfluss
– Arbeits- und Gesundheitsschutz
– Zuständigkeiten Schule – freie Träger
– Regelung Fach- und Dienstaufsicht
– konzeptionelle Weiterentwicklung
– Koordination und Kooperation
– Mitbestimmung und Mitwirkung
– Einhaltung von Mindeststandards
– Supervision und Weiterbildung
und Regelungen für Honorarkräfte.
Diese Rahmenbedingungen in Verbindung mit zunehmender Belastung und unangemessener Entlohnung führen mit dazu, dass der Beruf der Erzieherinnen und Erzieher immer unattraktiver wird. Hinzu kommt die Diskussion um den Einsatz von Langzeitarbeitslosen und die Kurzumschulung von früheren Einzelhandelskaufleuten, um die Fachkräftelücke zu füllen. Eine Diskussion, die das Berufsbild der Erzieherinnen und Erzieher schon jetzt nachhaltig beschädigt hat.
Eine Studie des Deutschen Instituts für Pädagogische Forschung aus dem vergangen Jahr, an der auch das Deutsche Jugendinstitut, das Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund sowie die Justus-Liebig-Universität Gießen mitgewirkt haben, kommt zu dem Schluss, dass viele Ganztagsschulen, die pädagogischen Ansprüche, vor allem in der Nachmittagsbetreuung, nicht erfüllen. Das ist schade, weil gerade Ganztagsschulen und deren Angebote dazu beitragen können, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in diesem psychosozialen Bereich, das Selbstbewusstsein, das Selbstkonzept und das soziale Lernen zu unterstützen.
Insbesondere bei der Leseförderung und dem sozialen Lernen kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die Persönlichkeitsentwicklung durch die Ganztagsschule nur dann positiv beeinflusst werden kann, wenn die pädagogische Qualität der Angebote stimmt.
Gerade in den Großstädten mangelt es aber an der räumlichen Ausstattung, dem richtigen Personal und adäquate Kooperationspartner stehen dort nicht immer zur Verfügung.
Den meisten Ganztagsschulen fehlt überhaupt ein Konzept, so das Fazit der Studie.
Im September 2016 hat der WDR einen digitalen Fragebogen an alle Grundschulen in NRW geschickt und um eine Bewertung der OGS gebeten. Von insgesamt 2.812 Schulen haben sich 754 Grundschulleiter an der Umfrage beteiligt.
Auch hier ein erschreckendes Ergebnis: Es fehlt an qualifiziertem Personal, Räumen und Geld. Das Fazit der Umfrage nennt der WDR so: Gute OGS ist Glückssache.
Die freiwillige Nachmittagsbetreuung soll laut Erlass ein hochwertiges und umfassendes Bildungs- und Erziehungsangebot liefern und für individuelle Förderung und Chancengleichheit sorgen. Eingelöst hat die Politik dieses Versprechen bisher nicht.
Während es im Vorschulbereich der Jugendhilfe einen Rechtsanspruch auf einen Platz mit gleichen Standards gibt, gibt es in der OGS nichts Vergleichbares. Die „Verantwortungsgemeinschaft“ hat in der Praxis schon längst ausgedient – hier muss der Gesetzgeber ran.
Die Gewerkschaften, besonders die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di muss in Düsseldorf ordentlich Druck machen und der bisher vernachlässigten Jugendhilfe den Rücken stärken.
Quellen: Stadt Dortmund, WAZ; WDR