Rechtspopulismus und Gewerkschaften – eine arbeitsweltliche Spurensuche

Im Juli 2016 bekam die IG Metall in Berlin Besuch. Vertreter der Alternative für Deutschland (AfD) fuhren in der Alten Jakobstraße 149, dem gemeinsamen Sitz der Berliner Geschäftsstelle, der Bezirksleitung und der Grundsatzabteilung des IG Metall­Vorstands, vor und parkten dort ihren Lieferwagen mit der Aufschrift: »He Gewerkschafter, wann kommt ihr endlich zur AfD? Wir Arbeiter sind schon da!«

Nicht nur bei Wahlen in Deutschland haben Lohnabhängige teilweise überdurchschnittlich ihre Stimme rechtspopulistischen Parteien gegeben. Auch gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte haben zu deren Wahlerfolgen beigetragen. Nun ist die Erkenntnis nicht neu, dass Gewerkschaftsmitglieder nicht immun gegen rechtsextreme Einstellungen und Orientierungen sind. Das wurde in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder diskutiert. Eine gängige Antwort lautet, dass auch Gewerkschaften »ein Spiegel der bundesrepublikanischen Gesellschaft« seien.Der bundesweite Erfolg der AfD hat die politische Situation in der Republik verändert und die Bedrohungen von rechts deutlich vergrößert. Damit wurde eine »Repräsentationslücke« im Parteiensystem mit einer modernen Rechtspartei völkisch­nationalistischer Ausrichtung[1] geschlossen. Die immer wieder beschworene Firewall eines antifaschistischen Kollektivgedächtnisses gegen rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien wurde durchbrochen. Die politische Maxime, dass es jenseits der Christdemokratie keine starken rechtspopulistischen Kräfte geben dürfe, gilt nicht mehr. In den ostdeutschen Bundesländern ist die AfD eine Großpartei, die stärker ist als LINKE und SPD; in Sachsen wurde sie mit 27% bei der Bundestagswahl 2017 die stärkste Kraft, in den anderen ostdeutschen Bundesländern nimmt sie Platz zwei des Parteiensystems ein. Dies hat bundesweit den offen rechtsradikalen Flügel gestärkt, der in den ostdeutschen Landesverbänden die Partei dominiert.

Die Wahl, Sympathieerklärung mit oder gar Mitgliedschaft in einer rechtspopulistischen Organisation ist kein Tabu mehr. Und aus den Betrieben wird berichtet, dass seit dem Einzug der AfD in die Landesparlamente und den Bundestag gleichsam eine »Normalisierung« im Verhältnis zur Neuen Rechten stattgefunden hat.

Vor diesem Hintergrund stellt sich auch für die Gewerkschaften die drängende Frage, ob die bisherigen Einschätzungen zu den Ursachen des Rechtspopulismus und die strategischen Antworten ausreichend sind. Reicht die bisherige »Spiegelbildthese« noch aus oder gibt es im betrieblichen und gewerkschaftlichen Kontext spezifische Gründe dafür, dass rechtspopulistische Orientierungen auch hier eine Verbreitung erfahren? Mehr noch: Gibt es möglicherweise eine arbeitsweltliche »Grundströmung«, ohne die die soziale Verankerung und auch politische Dynamik des Rechtspopulismus nicht zu erklären wären?

Das war die Ausgangsfrage unserer Untersuchung. Die »arbeitsweltliche Spurensuche«, auf die wir uns begeben haben, hat einiges zutage gefördert, was unsere Vermutungen über einen arbeitsweltlichen Nährboden des Rechtspopulismus bestätigt. Wir haben es dabei mit einem komplexen Wirkungszusammenhang zu tun. Trotz wirtschaftlichem Aufschwung und gestiegenen Beschäftigtenzahlen hat nicht nur die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft zugenommen; zugleich ist in den Betrieben eine Entwicklung zu beobachten, die wir als arbeitspolitische Zuspitzung bezeichnen. Hier sehen wir einen Nährboden für wachsende Unzufriedenheit und die Verfestigung »immenser Wut« (Illouz 2017), die auch eine zunehmende Distanz zum politischen »Establishment« zum Ausdruck bringt.

Gleichzeitig hat die Fluchtbewegung 2015 von »außen« kommend als »Katalysator« gewirkt, der zum einen schon länger vorhandenes rechtspopulistisches Gedankengut nach »oben gespült« (Enttabuisierung) und so einen Schuldigen (»die Anderen«) in den Blick gerückt hat. Zum anderen ist mit der AfD und ihren Wahlerfolgen (Entdiabolisierung) ein Akteur auf den Plan getreten, der sowohl ein Adressat für Protest ist als auch ein Bezugspunkt für enttäuschte kollektive Zugehörigkeitsbedürfnisse.

Wenn unsere Befunde zutreffend sind, dass es spezifische arbeitsweltliche Potenziale rechtspopulistischer Orientierungen gibt, dann kommen den Gewerkschaften herausgehobene, nicht ersetzbare Aufgaben im Kampf gegen völkische, antidemokratische und menschenfeindliche Einstellungen und Aktivitäten zu. Wenn es nicht mehr »nur« um die zivilgesellschaftliche Bekämpfung des Rassismus geht, sondern auch um das »Trockenlegen« seines Nährbodens in den Betrieben, dann sind das Herausforderungen, die im ureigensten arbeitspolitischen Feld der Gewerkschaften liegen.

Fassen wir unsere Befunde zusammen:

Der »Auftritt« des Rechtspopulismus in den Betrieben

Unsere Untersuchung hat ein differenziertes Bild über den »Auftritt« des Rechtspopulismus in den Betrieben geliefert. Die von uns Befragten berichten von einem breiten Spektrum, in dem der Rechtspopulismus im Betrieb sichtbar wird. Es reicht von der vorsichtigen Äußerung von Befürchtungen und Ängsten gegenüber Geflüchteten, über deutlich fremdenfeindliche und rassistische Statements im Betrieb oder in den sozialen Medien bis zu offenen AfD­Aktivitäten und zur Infiltration der betrieblichen Interessenvertretung.

Fluchtbewegung als Dammbruch: Enttabuisierung  rechter Meinungsäußerungen

Durchgängig ist von einer »Klimaveränderung« die Rede, die mit der Fluchtbewegung 2015 einsetzt. Was an rechter Orientierung bei manchen schon immer vorhanden war, wird jetzt offener gezeigt und ausgesprochen. Die Aussagen gegenüber den Geflüchteten folgen meist einer einfachen Argumentation: »Die nehmen uns was weg.« In dieser fremdenfeindlichen Haltung wird ein Alltagsrassismus sichtbar, bei dem die Übergänge von provokanten, aber nicht fest im rechten Ressentiment verankerten Äußerungen bis zu verbalen rechtsradikalen Stigmatisierungen und Ausgrenzungen fließend sind.

Hier deutet sich eine folgenreiche, für den Rechtspopulismus charakteristische Verkehrung an: Die sozialen Auseinandersetzungen werden nicht mehr auf einer vertikalen Konfliktachse zwischen »Oben« und »Unten« – klassenanalytisch zwischen Kapital und Lohnarbeit – verortet, sondern auf einer horizontalen Ebene: »Wir« gegen »die anderen«. Hier liegt eine Grundlage dafür, das sozial gleichsam entleerte »Wir« neu aufzuladen: nationalistisch, ethnisch, kulturell.

Ressentimentgeladene Kommunikation in sozialen Medien

Es werden über die sozialen Medien rechtspopulistische Texte, Bilder und Meinungen verbreitet, die auf der Alltagebene der betrieblichen Kommunikation nicht sichtbar werden oder eben nur am Rande auftauchen. Aktuellen Studien zufolge sind es besonders die Anhänger*innen der AfD, die sich bevorzugt aus den sozialen Medien informieren und sie zur Kommunikation nutzen.

Die AfD hat im Vergleich mit allen anderen Parteien mit Abstand die meisten Follower bei Facebook. Im Betrieb werden diese Medien aber auch deshalb genutzt, weil sie eine verdeckte, nicht öffentlich zugängliche Kommunikation erlauben.

Unterhalb der Folie einer scheinbar befriedeten betrieblichen Öffentlichkeit finden auf diese Weise Veränderungen statt, die, anstatt Entwarnung zu signalisieren, Alarmglocken in Bewegung setzen sollten. Und für die Gewerkschaften werden durch die aufscheinende rechte Netzwerkbildung in den gewerkschaftlichen Strukturen auch die Gefahren deutlich, auf die reagiert werden muss – nicht nur in einigen regionalen Bereichen in Ostdeutschland.

Migrantische Firewall und migrantische Rechte

Die Meinungen darüber, ob ein hoher Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund sich als Hemmschwelle gegenüber dem Rechtspopulismus auswirkt oder diesen eher fördert, sind geteilt. Einige unserer Gesprächspartner*innen vertraten die Meinung, dass eine multiethnisch geprägte Belegschaft gegenüber dem Rechtspopulismus eher gefeit ist, dass es gleichsam eine migrantische Firewall gegen fremdenfeindliche und rassistische Orientierungen in den Belegschaften gibt – zumindest in den westdeutschen Bundesländern. In unseren Gesprächen bestätigt sich die Wirkung einer Firewall durchaus. Dabei hat die betriebliche Mitbestimmung – bei aller machtpolitischen und demokratiepraktischen Begrenztheit – eine hohe Bedeutung für migrantische Beteiligung und deren Anerkennung.

Zum anderen lässt sich unabhängig von der Fluchtbewegung 2015/16 eine Verstärkung von rechtspopulistischen oder rechtsextremen Strömungen auch unter Migrant*innen beobachten. Berichtet wird von einer Re­Ethnisierung in verschiedenen migrantischen Gruppen, die zu zugespitzten Konflikten bis hin zu Ausgrenzungen und handgreiflichen politischen Spaltungen führen kann. Das mündet zum Teil in einer Unterstützung des deutschen Rechtspopulismus (wie uns im Fall einer Gruppe russischer Migrant*innen berichtet wurde), kann aber auch unabhängig davon zu kulturellen »Spaltungen« der migrantischen Communities in einer Bandbreite von nationalchauvinistischen bis rechtsextremen Orientierungen führen (hierfür fanden wir Beispiele in der türkischen Community).

Rechte Normalisierung – gesellschaftsfähiger Rassismus?

Hinweise auf Kolleg*innen, die AfD gewählt haben oder wählen wollen, werden oft ergänzt mit dem Verweis, dass diese das nur aus Protest tun. Manche Kolleg*innen äußern Verständnis für diese Protestwähler*innen, die manchmal auch Wechselwähler*innen zwischen links und rechts sind.

Es gibt aber auch Voten für die populistische Rechte aus Überzeugung. Entsprechende Bekenntnisse verbinden sich häufig mit der Relativierung: »AfD, Pegida etc. sind nicht mehr Nazi …« Dabei bleibt offen, wieweit Sympathien und Affinität gehen.

Seit ihrem Einzug in die Parlamente gibt es eine »Normalisierung« in der Haltung zur AfD. Das hat Konsequenzen für die betrieblichen Auseinandersetzungen. Es gibt zwar immer noch eine Tabuisierung und Ächtung, aber Teile der Belegschaften fordern auch, dass sich ihre Interessenvertreter »neutral« verhalten. Die Ächtung wird als undemokratische Haltung kritisiert. Begründet wird dies zum Teil damit, dass die AfD eine zugelassene Partei auf dem Boden der Rechtsordnung ist. Kolleg*innen unterstützen diese Haltung, auch wenn sie den Anschauungen selbst noch fernstehen.

Zum Umgang der Gewerkschaften mit dem Rechtspopulismus

Wie reagieren und positionieren sich Gewerkschaften nun gegenüber dem Rechtspopulismus »auf ihrem Terrain«? Aus unseren Interviews mit hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionär*innen und Gruppengesprächen mit Mitgliedern und Ehrenamtlichen von IG Metall und ver.di ergeben sich vielfältige Umgangsweisen. Mehr »klare Kante« auch im Sinne der Ausgrenzung aus dem »demokratischen Dialog«, um den kulturell­politischen Bruch des Rechtspopulismus – gerade auch vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte deutlich zu machen, oder mehr dialogische Auseinandersetzung im Sinne einer inhaltlich­programmatischen Bloßstellung der Neuen Rechten. Doch wo hört das populistische Ressentiment auf und wo fängt »Hetze« an? Diese Frage erschwert den Umgang mit den Anhängern der AfD innerhalb der Gewerkschaften. Unter ihnen finden sich Positionen, die von elitekritischen und national orientierten Positionen über nach wie vor neoliberale Auffassungen bis hin zu rechtsextremen Denkweisen reichen. Die Übergänge sind im Zweifelsfall fließend.

Rechter Protest und gewerkschaftliches Engagement

Rechter Protest und gewerkschaftliches Engagement schließen sich nicht zwangsläufig aus. So hat man es manchmal mit Kolleg*innen zu tun, die sich in der gewerkschaftlich­betrieblichen Interessenvertretung ebenso engagieren wie in der politischen Auseinandersetzung auf rechtsextremer Seite.

Die Paradoxie besteht darin, dass ein gewerkschaftlich­interessenpolitischer Aktivierungsansatz auch rechtspopulistische oder rechtsextreme Orientierungen anspricht. Dies sprengt die Logik eines interessenpolitischen Entweder­Oder. Wo Rechtspopulismus oder ­extremismus in die Betriebe drängt und nicht sogleich mit einer antigewerkschaftlichen Attitüde daherkommt, wird er zu einem internen organisationspolitischen Problem.

Offene rechte Kritik und »Schweigekartell«

Es wird von einzelnen Aktivisten berichtet, die sich offen zur AfD bekennen und scharfe Kritik an betrieblichen Verhältnissen sowie Betriebsräten und Gewerkschaften üben. In der betrieblichen Öffentlichkeit – vor allem auf Betriebs­ oder Personalversammlungen – sind zwei Formen der Konfrontation mit dem Rechtspopulismus zu beobachten: Zum einen tritt der Rechtspopulismus nicht, wie ihm aufgrund von Teilen seiner Programmatik vorgehalten wird, im neoliberalen Kostüm auf, sondern als rücksichtsloser Fürsprecher der »kleinen Leute« im Betrieb. Rechtspopulismus geriert sich als Stimme radikaler Kritik, die die Arbeit der Zuspitzung beherrscht, während der Betriebsrat als Teil des betrieblichen »Establishments« und damit eher der Kapitalseite zugehörig attackiert wird. Zum anderen wird von einer spürbaren Polarisierung berichtet, wenn auf Betriebsversammlungen Gewerkschaftssekretär*innen die Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten zum Thema machen und dabei auf Ablehnung stoßen. Die kann sowohl als Schweigen als auch in Form von verbaler Kritik zum Ausdruck kommen. Ein Schweigekartell als verweigerte Zustimmung ist für aktive Betriebspolitik nicht weniger problematisch als offene Kritik. Jede/r Gewerkschaftsfunktionär*in wird es sich zweimal überlegen, ob und wie er/sie sich gegen Widerstände der Basis aufstellt, ohne sich zu isolieren.

Was tun, wenn die Mitglieder gehen?

Es gibt Fälle, in denen Gewerkschaftsmitglieder ihren Austritt erklären, weil die Gewerkschaft Geflüchtete unterstützt und gegen die Rechten mobilisiert. Es sind einzelne, aber auch Gruppen (z.B. im Fall Passau), die ausgetreten sind.

Die eindeutige Positionierung der Gewerkschaft gegen fremden­ und demokratiefeindliche Anschauungen wird von Teilen der Belegschaften nicht geteilt. Das wird zum Teil mit der Forderung unterlegt, die Gewerkschaft solle sich auf ihr betriebliches »Kerngeschäft« konzentrieren und ihr politisches Engagement demgegenüber »in Grenzen halten«. Hier steht nicht rechte Kritik an der Gewerkschaft im Zentrum, sondern die wachsenden, nicht gelösten Probleme in der Arbeitswelt, die Anstoß sind, die politische Arbeit – auch in der Auseinandersetzung mit der neuen Rechten – zurückzufahren und die Grenzen des politischen Mandats stärker zu betonen. Diese Position kann sich jedoch weit nach rechts öffnen und ressentimentgeladene, z.T. offen ausländerfeindliche Positionen annehmen.

Die Austritte haben Konsequenzen für den Umgang mit den Rechten: Geht man noch mit Gewerkschaftsfahnen zu Anti­AfD­Demonstrationen? Soll man auf Betriebsversammlungen über Geflüchtete und AfD reden? Angst vor Mitgliederverlusten macht die Gewerkschaftsgliederungen – nicht nur in Ostdeutschland – vorsichtiger in ihrem Umgang mit Rechtspopulist*innen.

Rechte Betriebsräte und rechte Listen

Es wird befürchtet, dass die Betriebsratswahlen nicht flächendeckend, aber in einer Reihe von Betrieben und in spezifischen Regionen – in denen der politisch organisierte Rechtspopulismus stärker vertreten ist – zur Etablierung rechter Organisationsansätze und Interessenvertretungsstrukturen genutzt werden.

Mehrere befragte Gewerkschaftsfunktionär*innen äußern die Sorge, dass Vertreter*innen der Neuen Rechten nicht nur unerkannt auf Gewerkschaftslisten auftauchen, sondern auch mit eigenen Listen an den Start gehen. So nutzte das rechte »Zentrum Automobil«, das bereits mit vier Vertretern im Betriebsrat des Daimler­Werks in Stuttgart­Untertürkheim vertreten war, die Betriebsratswahlen 2018, um sich auch auf andere Werke des Unternehmens auszuweiten. »Erklärter Hauptfeind: die IG Metall. Deren ›linke Vorherrschaft‹ soll beendet werden.« (Stuttgarter Nachrichten, 27.1.2018)

Unsere Befragungsbefunde weisen darauf hin, dass die Neue Rechte auch bei den Wahlen zu den betrieblichen Interessenvertretungen erfolgreich sein kann.

Dem widerspricht nicht, dass sich nach Einschätzung der von uns Befragten bislang nur wenige Gewerkschaftsmitglieder, Vertrauensleute und Betriebsräte offen zur AfD bekennen. Der Betrieb ist zurzeit noch kein ausgewiesenes Handlungsfeld der AfD und Ansätze wie AIDA oder AVA sind eher von geringer Bedeutung in der Partei. Es gibt auch betriebliche Hürden für Aktivitäten der Rechten. Dazu gehören Belegschaften, betriebliche Interessenvertretung und Management, die ihre betriebsverfassungsrechtliche Aufgabe wahrnehmen und im Zweifelsfall auch Kündigungen herbeiführen.

Dennoch hat sich im Vorfeld der Betriebsratswahlen 2018 eine neue Vernetzungs­Plattform mit dem »Aktionsziel« formiert, Vertreter der Neuen Rechten in die Betriebsräte zu bringen. Es ist zu befürchten, dass zumindest Teile der AfD ihr Potenzial in den Betrieben entdecken und ihre Mobilisierungsansätze auch zu Erfolgen führen. Diese Gefahr wird umso größer, je stärker die Neue Rechte generell die soziale Frage und damit auch betriebliche Probleme aufgreift und so ein weit größeres Protestpotenzial erschließen kann. Chancen hätte sie, ein arbeitsweltlicher Nährboden ist vorhanden.

Betriebliche Zustände als Nährboden des Rechtspopulismus

Die Verhältnisse in den Betrieben haben sich im Vergleich zu unseren früheren Untersuchungen weiter zugespitzt. Der fortwährende Druck und die permanente Unsicherheit von Beschäftigung, Einkommen und Arbeitsbedingungen durch die beständige Restrukturierung der Abläufe im Betrieb – Aufspaltungen, Verlagerungen, Standortkonkurrenz, Kostensenkungsprogramme, zunehmender Leistungsdruck etc. – führen zur verstärkten Erfahrung von »Krise als Dauerzustand«, die subjektiv als Abstiegs­ und Zukunftsängste, Kontrollverluste, aber auch als Abwertung und verweigerte Anerkennung verarbeitet werden. Das Gefühl, dass die eigene Leistung nicht mehr anerkannt wird, dass man nicht gerecht entlohnt wird, und die verweigerte Wertschätzung des persönlichen Engagements markieren im Vergleich zu den Ergebnissen unserer früheren Studien dabei eine neue Qualität. Hinzu kommt, dass die Solidarressourcen zur Bewältigung der Probleme eher weiter erodiert sind und nur partiell revitalisiert werden konnten. Die Ursachen für die Verschlechterung der sozialen Lage im Betrieb sind vielfältig.

Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes

Trotz angeblich blendender Arbeitsmarktzahlen ist unter der Oberfläche die Angst um die Sicherheit des Arbeitsplatzes nicht verschwunden. Hintergrund sind die ständigen Umstrukturierungen in den Unternehmen: von den erwarteten Strukturveränderungen in der Automobil­ und Automobilzulieferindustrie bis zu neuen Geschäftsmodellen bei Banken, Telekommunikations­ und Logistikunternehmen – um einige der von uns einbezogenen Felder zu nennen. Entscheidend kommt hinzu: Der Blick in den Abgrund ist furchteinflößend, seitdem mit dem Hartz­IVRegime soziale Auffangnetze eingerollt, Qualifikationen entwertet und Entgeltsicherungen kassiert wurden. Die Unsicherheit des Arbeitsplatzes verbindet sich mit gesellschaftlicher Unsicherheit zu einem explosiven politischen Gemisch und der Suche nach den Schuldigen.

Permanente Reorganisation – Unsicherheit und Unruhe

Die Verflüssigung von betrieblichen Organisationsstrukturen führt zu einer ständigen Unruhe in der Belegschaft, die Quelle von Angst und Orientierungslosigkeit sein kann. Im Zeichen der Digitalisierung ist »Agilität« das Stichwort: Alles muss immer agiler werden, d.h. selbst organisierter, flexibler, kurzfristig veränderbar und schneller. Vor allem bei älteren Beschäftigten entsteht mit der aktuellen und erwarteten Digitalisierung ein Gefühl der Überforderung: des »nicht mehr Mitkommens, des Abgehängtwerdens«. Die sozialen Folgen der digitalen Zukunft sind ungewiss: nicht nur, was die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und Tätigkeiten angeht, sondern auch die Möglichkeiten einer gewerkschaftlichen Interessenpolitik (z.B. bei einer Ausweitung von »Cloudworking«).

Prekarisierung

Teil der Reorganisation in Permanenz ist die Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen in Form von Leiharbeit, Befristung, Arbeit auf Abruf, Scheinselbständigkeit, Werkverträgen und »modernen« Formen des Crowd­/Cloud­Working. Rechtspopulismus ist zwar nicht auf dem Boden von Prekarisierung erwachsen, spielt aber im Gesamt der sozialen Lage eine wesentliche Rolle. Vor allem dann, wenn sich die flexiblen Beschäftigungsverhältnisse mit Niedriglöhnen und gebrochenen Berufskarrieren verbinden.

Die aktuellen Arbeitsmarktzahlen vermelden Höchstwerte für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und verdecken den hohen Anteil von deregulierten Arbeitsverhältnissen. Die Diskussion über das Lohnniveau in unserer Befragung hat gezeigt, dass nicht nur die »Niedriglöhner*innen« Probleme haben, ihren Lebensunterhalt zu sichern, sondern dass auch gut qualifizierte »Normalverdiener*innen« damit zu kämpfen haben, einen auskömmlichen Lebensstandard zu erreichen – und vor allem: gesicherte Zukunftsperspektiven.

Leistungsdruck

Zentral und meist an vorderster Stelle in der Beschreibung der betrieblichen Arbeitssituation stehen der steigende Leistungsdruck und seine gesundheitlichen Folgen. Darüber wird durchgängig berichtet – quer durch alle Branchen und Betriebe – und das ist für sich genommen schon ein wichtiger Befund. Ein oft genannter Hintergrund des steigenden Leistungsdrucks ist die immer knappere Personalbesetzung in Relation zur Arbeitsmenge. Die gesundheitlichen Auswirkungen sind dann programmiert. In den Systemen der Leistungssteuerung sind unerreichbare Ziele zentraler Antreiber von steigendem Leistungsdruck. Diese Systeme finden sich teambezogen oder individualisiert vor allem in den Dienstleistungsbereichen (Banken, Telekommunikation, Logistik) und sind verknüpft mit aufwändigen Systemen der Leistungskontrolle (Monitoring, Dokumentation, Controlling u.ä.). Dahinter steht ein jeweils spezifisches Verhältnis von marktförmiger und hierarchischer Leistungssteuerung. In den Produktionsbetrieben wird steigender Leistungsdruck vor allem mit Bedrohungsszenarien (Standortverlagerung) und mit technisch­organisatorischen Veränderungen erzeugt.

Steigender Leistungsdruck erweist sich als ein charakteristisches Signum einer Zuspitzung der betrieblichen Arbeits­ und Belastungssituation. Die Auswirkungen des steigenden Leistungsdrucks zeigen sich nicht nur in den Gesundheitsgefährdungen: Sie verstärken resignative politische Einstellungen, sich dagegen zu wehren. Die Ratlosigkeit der Betriebsräte und Gewerkschaften, diesem Druck mit wirksamen Maßnahmen entgegen zu treten, verstärkt diese Grundhaltung.

Zur subjektiven Verarbeitung der betrieblichen Zustände

Wir wollten von unseren Interviewpartner*innen wissen, wie ihre Kolleg*innen in den Betrieben mit den geschilderten Problemen umgehen: Stellen sie Überlegungen an, die eine Gegenwehr gegen die herrschenden betrieblichen Zustände ermöglichen, oder zeigen sich letztlich doch verstärkt resignative Tendenzen? Wir mussten feststellen, dass die Kolleg*innen überwiegend von Abstiegs­ und Zukunftsängsten, von Kontrollverlusten und Abwertungserfahrungen beherrscht werden. Diese erzeugen Gefühle der Machtlosigkeit, aber auch der Wut. Möglichkeiten der Solidarisierung, die eine Verarbeitung dieser negativen Gefühle erleichtern würden und auch eine Voraussetzung für die Entwicklung von Gegenwehr sind, schwinden im Zuge der Leistungsintensivierung.

Regime der Unsicherheit erzeugt Abstiegs- und Zukunftsängste

Wenn wir von einer »Zuspitzung« arbeitsweltlicher Problemlagen sprechen, meinen wir nicht nur Arbeitsplatzgefährdung, Prekarisierung, Leistungsdruck u.ä. Wir meinen, dass damit zugleich ein betriebliches Ordnungssystem aus den Fugen gerät. Der Kapitalismus als Leistungssystem basiert auf einem Versprechen: Wer seine Arbeit gut und effektiv macht und sich dafür qualifiziert hat, die oder der erhält ein (relatives) Wohlstands­ und Sicherheitsversprechen – und wenn es gut läuft, auch ein Aufstiegsversprechen. Das war, wenn man so will, die Grundlage der sozialpartnerschaftlichen Politik der Bundesrepublik. Unsere Beobachtung ist nun: Die Sicherheitsversprechen kommen unter die Räder eines Regimes der Unsicherheit. Hierin liegt nach unserem Dafürhalten der betrieblich­arbeitsweltliche Nährboden für rechtspopulistische Verarbeitungsformen. Selbst wenn man heute noch die Chance sieht, damit irgendwie zurechtzukommen, nimmt doch die Zukunftsunsicherheit immer mehr zu.

Das gilt nicht nur in den Bereichen prekärer Existenz, sondern zunehmend auch in den Feldern weitgehend abgesicherter Lohnarbeit. Das Regime der Unsicherheit macht sich– und für manche sehr viel mehr »unter die Haut gehend« – durch Anerkennungsentzug geltend. Man strengt sich an, gibt sein Bestes und wird mit Missachtung gestraft. Nur noch die »nackten Zahlen« gelten etwas, der Mensch und seine Arbeit sind abgeschrieben, berichten uns die Kolleg*innen.

Die Gestaltbarkeit der eigenen Erwerbsbiografie gerät ins Wanken

Die Beschäftigten haben überwiegend kein instrumentelles Arbeitsverständnis. Sie sind qualifiziert, wertschätzen ihre eigene Professionalität und die ihrer Kolleg*innen, sind interessiert, gute Arbeit zu leisten. Betriebliche Restrukturierungsprozesse werden dabei nicht an sich negativ bewertet, sie können auch als Herausforderung angenommen werden. Doch ob dies geschieht, hängt maßgeblich davon ab, dass die Veränderungen als transparent und bewältigbar erfahren werden und die Gestaltbarkeit der eigenen Erwerbsbiografie im betrieblichen Regime möglich erscheint.

Hier werden jedoch zunehmend Zweifel und Sorgen formuliert. Die Unternehmen steuern Arbeitsprozesse mit unbewältigbaren Anforderungen, mit leistungspolitischen und qualifikatorischen Zielvorgaben, die im Überlastbereich angesiedelt sind. Sie stellen nicht nur die entsprechenden zeitlichen und materiellen Ressourcen nicht ausreichend zur Verfügung, sondern auch immaterielle Ressourcen wie Anerkennung und Wertschätzung werden fragil, haben in zunehmend marktgesteuerten Arbeitsprozessen keinen Platz mehr. Dadurch kann die Kluft zu den betrieblichen Regimen, d.h. den Rahmenbedingungen, auf die hohes arbeitsinhaltliches Interesse stößt, noch wachsen, enttäuschte Erwartungen und Kontrollverluste können noch zunehmen.

Fehlende Anerkennung und Entsolidarisierung

Abstiegserfahrungen bzw. deren Antizipation und Ängste um die Zukunft fördern nicht zwangsläufig ein rechtes Bewusstsein. Es kommt immer noch darauf an, wie Menschen ihre betrieblichen Erfahrungen verarbeiten, insbesondere welche Ressourcen ihnen bei der Bewältigung von Belastungen und Risiken zur Verfügung stehen.

Nach den Berichten der von uns Befragten verlieren nicht nur Anerkennung und Wertschätzung an Bedeutung, sondern auch die Ressource Solidarität. Zwei Entwicklungen kommen dabei zusammen, die als Kulturwandel bezeichnet werden können: zum einen das abstrakte, über Zahlen vermittelte Primat der »Wirtschaftlichkeit« und »Effizienz«, hinter der die Qualität der Arbeit und die zugehörige Person verschwindet; zum anderen jene indirekten Steuerungsformen, in denen »der Markt« an die Stelle der hierarchischen Kommunikation tritt. Doch der Markt ist kein Modus, der Anerkennung generiert. Ebenso wenig stellt er Orte und Zeiten zur Verfügung, an denen Solidarität gelebt werden kann.

Verweigerte Anerkennung wird als Herabsetzung wahrgenommen. Die Degradierung fällt umso stärker aus, je mehr man bestrebt ist, trotz eines belastenden Arbeitsregimes den eigenen und den Unternehmensansprüchen gerecht zu werden.[1] Entsolidarisierung liefert eine Basis, auf der der vermeintliche oder reale Konkurrenzdruck wirksam gegen die Beschäftigten in Stellung gebracht werden kann. Eine wirksame Gegenmacht gegen die Zumutungen des Marktes durch einen kollektiven Zusammenschluss fällt so zunehmend schwerer.

Kontrollverluste – kumuliert im Osten der Republik

In unserer Untersuchung wurde deutlich: Die Arbeitswelt erzeugt in hohem Maße Unsicherheit – sei es durch möglichen Arbeitsplatzverlust, neue Anforderungen bei der Bewältigung (informations­)technologischer Veränderungen, betriebliche Restrukturierungen auch im Kontext von Globalisierungsprozessen (Outsourcing, Neuzuschnitt von Wertschöpfungsketten), grundlegende sektorale Veränderungen, wie sie beispielsweise Kolleg*innen in der Automobilindustrie gegenwärtig erleben. Diese Unsicherheiten werden als Kontrollverluste erfahren, die unterschiedliche Hintergründe haben: Entwertung von Qualifikation und Erfahrungswissen, Beschleunigung von Rationalisierungsprozessen mit unklaren Folgen, veränderten Formen der Unternehmenssteuerung. Auch wenn die Arbeit heute noch »geschafft« werden kann, muss dies für die Zukunft schon lange nicht mehr gelten. Vor allem verheißt die Projektion der verschiedenen Umbrüche auf alle Fälle eine Kumulation von immer schwieriger zu bewältigenden Anforderungen. Das Gefühl, sein »Schicksal nicht mehr selbst in der Hand zu haben«, macht sich breit.

Auch hier zeigt sich wieder eine Zuspitzung der Lage in vielen strukturschwachen Regionen in den ostdeutschen Bundesländern. Dort findet massive Problemkumulation statt. Die Probleme schlagen stärker auf, sei es, dass die Bedrohung durch Arbeitsplatzverlust höher ist oder dass fehlende Tarifbindung in vielen Betrieben nochmals verschlechterte Arbeitsbedingungen zur Folge hat. Zukunftsangst und Perspektivlosigkeit haben in Ostdeutschland eine spezifische Ausprägung: Die Nach­Wende­Zeit war geprägt durch Deindustrialisierung, Massenarbeitslosigkeit, massive Abwanderung und die Ausdünnung ganzer Landesteile. Dies ging einher mit der massiven Abwertung von Biografien und Lebensleistungen. Die weitere Deregulierung des Arbeitsmarkts und die massive Ausbreitung prekärer Beschäftigung haben diese Situation noch einmal deutlich verschärft. Bei den Befragten aus den neuen Bundesländern wird eine besondere Dimension einer subjektiv empfundenen Selbstwertverletzung sichtbar. Hinzu kommt, dass sie sich durch die Politik nicht ausreichend unterstützt fühlen und Gleichgültigkeit gegenüber ihren Problemen beklagen. Diese Verletzungserfahrungen und Abstiegssorgen sind ein Nährboden für Pegida und AfD.

Enttäuschung über die Politik – Einfallstor für den Rechtspopulismus

Ein teils kritisch­oppositioneller, teils resignativer Blick auf die politische Führungsebene prägt generell die Sichtweise in unserer Befragung. Die Beschäftigten fühlen sich mit ihren Sorgen allein gelassen. Vielfach entwickelt sich hieraus Zorn und Wut auf die politischen Repräsentanten. Diese »Repräsentationslücke« oder dieses Versagen der Politik ist ein Eintrittstor für Rechtspopulist*innen.

Die politische Vertretung von Arbeitnehmerinteressen – eine Leerstelle

Ein wachsender Teil der Befragten sieht seine Interessen durch die etablierten Parteien nicht mehr vertreten. Die politischen Interventionen der letzten Jahrzehnte werden überwiegend eingeordnet als Schlechterstellung der Position der Lohnabhängigen und ihrer Familien. Vorgeworfen wird dem politischen Establishment, die betrieblichen und sozialen Nöte der Arbeitnehmer*innen zu ignorieren. Vom Staat erwarten viele Beschäftigte keine regulierenden Eingriffe oder Lösungen mehr. Er wird nach einer drei Jahrzehnte umfassenden neokonservativ­neoliberalen Epoche als nicht mehr nur enteignete oder entfremdete, sondern vielfach feindliche Institution wahrgenommen: als der Staat »der anderen«. Besonders tief sitzt die Enttäuschung über die Sozialdemokratie, die sich von ihrem Anspruch, Interessenvertreterin der Lohnabhängigen zu sein, vollständig verabschiedet habe. Die gegen die Interessen der Lohnabhängigen gerichtete SPD­Politik (Agenda 2010) und die »herrschenden Eliten« generell werden zum Teil verantwortlich gemacht für das Entstehen von Pegida und AfD.

DIE LINKE hat zwar ein klar ausgewiesenes sozialpolitisches Profil, das sie attraktiv für die Lohnabhängigen macht, die Partei wird aber dennoch meist nicht als Alternative wahrgenommen. Ihren Status als Protestpartei hat sie mittlerweile an die AfD verloren. Welche Fehler sie dabei gemacht hat, bleibt unklar.

Verunsicherung auch über die Lebensverhältnisse  außerhalb der Arbeit

Die Unsicherheit der Beschäftigten resultiert nicht nur aus den fehlenden oder mangelhaften Regulierungen auf der betrieblichen Ebene, sondern auch aus fehlenden politischen Interventionen in den außerbetrieblichen Lebensbereichen. Beispielhaft dafür werden die Gesundheitsversorgung, aber auch die Wohnungssituation und der Bildungsbereich angeführt, die durch die staatliche Sparpolitik heruntergewirtschaftet wurden. Dabei berichten unsere Gesprächspartner*innen auch darüber, dass der staatliche Kontrollverlust bei Teilen der Belegschaften in einen Zusammenhang mit der Fluchtbewegung, und zwar mit der völkischen Konnotation »Wir sind auch noch ein Volk hier im Land selbst«, gestellt wird. Motto: »Die kriegen es, und wir müssen darben.«

Neben der Gesundheitsversorgung ist für die eigene Lebenslage die Sorge um ein auskömmliches Alterseinkommen (Rente) zentral. Auch hier berichten Befragte, dass verunsicherte Kolleg*innen einen Zusammenhang zwischen zu schmalen Renten und der aktuellen Geflüchtetenpolitik herstellen.

Von der Distanz zur Politik zu einer Anti-Establishment-Haltung

Die Wut angesichts der »unbeweglichen« arbeitsweltlichen Zustände, die Verunsicherung auch über die Lebensverhältnisse außerhalb der Arbeit, führt zum Misstrauen in die überkommenen Strukturen demokratischer Willensbildung und ihrer Institutionen. Sie ist der Ausgangspunkt für eine Anti­Establishment­Haltung, durch die ein »wir hier unten« –, der einfache, hart arbeitende Mann – gegen »die da oben« – die Eliten, die Politiker, die Medien (»Lügenpresse«) oder schlicht »das System« – ausgedrückt wird. Die Verselbständigung der politischen Klasse ist bei vielen Gesprächsteilnehmer*innen ein Thema: »Die machen sowieso, was sie wollen«. Das politische Feld führe ein Eigenleben, auf das die »da unten« keinen Einfluss mehr haben. Der Enttäuschung über die Politik bzw. das Establishment unterliegt die Bewertung: Die Politik habe jeden Gestaltungsanspruch für die gesellschaftlichen Verhältnisse aufgegeben. Dazu gehört auch der Vorbehalt, die Politik stehe unter dem Einfluss von Partikularinteressen, sie sei nur mehr Spielball von mächtigen Unternehmensinteressen. Merkel und Co. hätten zwar die Banken gerettet und die Grenzen für Zufluchtsuchende geöffnet, aber für die »einfachen Leute« nichts gemacht.

Öffnung des politischen Feldes: die AfD als Adressat und Sprachrohr

Mit der Gründung der AfD und dem Aufkommen von Pegida im Herbst 2014 haben sich die politischen Verhältnisse stark verändert. Wut und Unzufriedenheit haben einen externen Resonanzboden und Adressaten gefunden, für deren Verstärkung die Fluchtbewegung im Herbst 2015 dann als Katalysator gewirkt hat. Auch in den Betrieben wurde mit den Geflüchteten ein Sündenbock für die eigenen sozialen Nöte und Ängste gefunden und mit der AfD ein Sprachrohr auf der politischen Ebene. Unsere Gesprächspartner berichten, dass es für die AfD »ein Leichtes« sei, sich zum Sprachrohr dieser enttäuschten und wütenden Kolleg*innen zu machen – »ob das dann überzeugte Wähler oder Protestwähler sind, sei jetzt mal dahingestellt«.

Machtlosigkeit oder politische Ohnmacht stehen nicht notwendigerweise im Zusammenhang mit besonders prekären Arbeits­ und Lebensverhältnissen. Bei einem Teil der Beschäftigten steht – bei starker Verunsicherung über die weiteren Perspektiven gesellschaftlicher und individueller Entwicklung – das Gefühl der Benachteiligung im Vordergrund. Die etablierte Politik wird für ihre entfremdete Lebenswirklichkeit verantwortlich gemacht. Die soziale Schere geht immer weiter auseinander; der Arbeitsdruck steigt, die Einkommen stagnieren und die Lebensbereiche außerhalb der Arbeit sind von Mangelsituationen bestimmt. Und jetzt soll man auch noch mit den Geflüchteten teilen. »Für mich als Deutschen gibt es halt weniger als jemand, der mit so einem Hintergrund da zu uns nach Deutschland kommt«. Die Fluchtbewegung und ihre Folgen werden umgedeutet in eine Spaltung, bei der eine selbstbezogene Elite »das Volk« verrät.

Gewerkschaften mit systemkritischem Mandat

Die sich bis in das politische Feld auswirkenden arbeitsweltlichen Erschütterungen werden als Kontrollverluste und Zukunftsängste erfahren. Alte betriebliche Ordnungssysteme sind entgrenzt und entwertet, ohne dass hinter Flexibilität und Agilität ein neuer Ordnungsrahmen erkennbar wird. Es sind insbesondere vier Erfahrungszusammenhänge, die den Eindruck eines nahezu anomischen Zustands heraufbeschwören:

  1. a) Die Parallelentwicklung von wachsendem Leistungsdruck und abnehmender Sicherheit lässt das Aufstiegs­ und Wohlfahrtsversprechen des Kapitalismus als einer auf Leistung basierenden (meritokratischen) Ordnung erodieren; hier bietet der Rechtspopulismus neue Sicherheits­ und Ordnungsversprechen an.
  2. b) Wo die Gestaltbarkeit der beruflichen Biografie durch Qualifikation und Leistung infrage gestellt ist, werden Individualisierungsversprechen – gleichsam die soziale Utopie des neoliberalen Kapitalismus – prekär; der Rechtspopulismus stellt hierzu eine Gegenbewegung dar, die neue Kollektividentität verspricht.
  3. c) Die Fluchtbewegung 2015/16 ist geradezu ein Reflektor der sozialen Ängste im Innern der deutschen Gesellschaft; Geflüchtete spiegeln die Verwundbarkeit der eigenen sozialen Stellung und die Zerbrechlichkeit des erarbeiteten Wohlstands und sind im »Schreckensbild« des »Islamismus« zugleich Projektionsfläche aufgestauter Wut.
  4. d) Zentrale Gegenmachtressourcen wie Solidarität und Demokratie erodieren in einer marktgesteuerten, renditegetriebenen Arbeitswelt; Fragmentierung und soziale Spaltung prägen das gesellschaftliche und arbeitsweltliche Leben in den mittleren Lagen in Form von Abstiegsängsten und im sozialen Unten durch Existenzsorgen; wo aber Gegenwehr geschwächt ist, muss der Rechtspopulismus nicht zwangsläufig stark sein, um sich ausbreiten zu können.

Die Zuspitzung der arbeitsweltlichen Verhältnisse ist die eine Seite des Nährbodens des Rechtspopulismus, die Schwächung politischer, zivilgesellschaftlicher und – für das arbeitspolitische Regime zentral – gewerkschaftlicher Gegenmacht die andere. Der Rechtspopulismus verstärkt dies, indem seine Vertreter*innen Gewerkschaften als Teil des »Establishments« attackieren; dabei wird die Schwächung der betrieblichen Interessenvertretung und Gewerkschaft – sei es auf der arbeits­ oder tarifpolitischen Ebene – teilweise als intentionales Handeln dargestellt: man mache mit der Gegenseite so seine Geschäfte auf Kosten der »kleinen Leute«.

Für Gewerkschaften steckt hierin ein grundlegendes Problem: Die Regulierung der Verkaufs­ und Nutzungsbedingungen der Arbeitskraft im kapitalistischen Systemzusammenhang fällt schwerer angesichts geschwächter gewerkschaftliche Machtressourcen, sodass die Abwehr von Verschlechterungen mitunter schon als »Erfolg« erscheint, während Problemlösungen – und damit die Minimierung von Kontrollverlusten und Zukunftsängsten – über Systemschranken hinausweisen.

Wenn der Rechtspopulismus – wie Klaus Dörre es formuliert – auch »eine Bewegung gegen die Zumutungen des Marktes« ist, »die von Lohnabhängigen getragen wird und bei Arbeitern und Arbeitslosen auf überdurchschnittliche Zustimmung stößt«, dann muss der Umgang mit dem Rechtspopulismus zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit den Zumutungen des Marktes führen. Damit sind die Gewerkschaften in doppelter Weise gefordert: Stärkung von Organisationsmacht und politischem Mandat auf der einen Seite und eine arbeitspolitische Neuausrichtung, die an den Defiziten der gegenwärtigen Reformpolitik ansetzt, auf der anderen. Nur so können sie die Schutzfunktion für alle Schattierungen der Lohnabhängigen – Beschäftigte, Arbeitslose, prekär und qualifiziert Beschäftigte, Migrant*innen etc. – stärken und damit ein »Gegengift« herstellen gegen das mit Ressentiments unterlegte Sicherheitsversprechen der Rechten. Darin ist bereits angelegt: Solidarität in der Klasse erfahrbar machen – gegen Stigmatisierung, Abwertung, Rassismus und Ausgrenzung.

Anmerkungen:

[1] Vgl. dazu Hajo Funke: »Eine durch und durch radikale Partei«, Interview im Handelsblatt vom 1.12.2017.

[2] Zur ähnlich gelagerten Kategorie der »Würde« als Legitimationsanspruch vgl. Kratzer u.a. 2015: 98ff.

 

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[1] Zur ähnlich gelagerten Kategorie der »Würde« als Legitimationsanspruch vgl. Kratzer u.a. 2015: 98ff.