Digitalisierung, sinkende Printauflagen, Anzeigenschwund: So rechtfertigen Verlagskonzerne ihre seit 15 Jahren andauernden Massenentlassungen. Doch wer damit die „Krise des Journalismus“ für hinreichend erklärt hält, verkennt ihre tieferen Ursachen. Verborgen sind sie in dem ökonomischen Modell, das den Journalismus nahezu vollständig beherrscht.
Die Verlagskonzerne sind Konglomerate: international tätige Mischkonzerne mit undurchsichtigen Beteiligungen rund um den Globus. Sie investieren massiv in pressefremde Geschäfte und betreiben politische Lobbyarbeit. Dieser Überbau, das Firmengeflecht wirkt sich auf die Arbeit im Inneren der Verlage aus. Dort spannt man die eigenen Redaktionen vielfach als Lobbyinstrument ein, für politische Zwecke und als Promotion-Handlanger. Ihre Kontrollfunktion als „vierte Macht“ im Staat kann die Presse so immer weniger ausüben. Die Glaubwürdigkeitskrise der privaten Medien ist großteils hausgemacht. Zugleich werden Journalisten systematisch prekarisiert und können nirgendwo über ihre Probleme berichten. Ein Systemfehler mit Folgen für die Demokratie.
Dieses Dossier ist ein Appell an politisch aktive Menschen, sich grundsätzlicher mit der „Rettung des Journalismus“ auseinanderzusetzen. Der wichtigste Grund ist, dass ein sinkendes Vertrauen in die Unabhängigkeit der Presse die Gefahr eines Vertrauensverlustes in die Regulierungsfähigkeit des Staates birgt.
Obwohl seit Jahren eine „Lügenpresse“-Diskussion in den Sozialen Medien tobt, hat bis heute keine Partei öffentlich nachvollziehbare Konsequenzen gezogen. Der Vertrauensverlust in die Unabhängigkeit der Presse wird auf Journalistenkongressen und an Universitäten als ernsthafte Gefahr diskutiert – doch nicht in der Politik.
Brisanz und sozialpolitische Dimension werden unterschätzt. Wenn ein Teil der Gesellschaft weder ihrer Presse mehr vertraut, noch ihren Politikern zutraut, die Unabhängigkeit der Presse zu gewährleisten, dann ist es höchste Zeit zu handeln und den Vorwurf zu untersuchen. Die Aufgabe lautet: Signal statt Ignoranz.
Auf drei Aspekten liegt ein besonderer Fokus: Angesichts von skandalösen Verletzungen der Pressefreiheit in vielen Staaten wie aktuell in der Türkei scheint es um die Pressefreiheit in Deutschland gut bestellt zu sein. Doch dabei handelt es sich um die äußere Pressefreiheit, d.h. um die Frage, ob ein Staat unzulässigen Druck ausübt auf Redaktionen. Das ist in Deutschland kaum der Fall (und hier auch nicht Thema).
Was dadurch aus dem Fokus gerät, ist zum einen die innere Pressefreiheit. Sie kennzeichnet, inwiefern Verleger ihren Angestellten Mitbestimmungsrechte und Meinungsfreiheit zugestehen, insbesondere bei der politischen Berichterstattung. Gerade um diese innere Pressefreiheit aber ist es beunruhigend schlecht bestellt. Und ausgerechnet, weil es immer ein Vorzeigebeispiel für kritischen Journalismus gibt, ist man schnell geneigt, die Problematik zu unterschätzen.
Zum anderen verdient das Thema Medienkonzentration mehr Aufmerksamkeit. Ca. 18 verschiedene Aufsichtsinstanzen, von Kartellamt bis Rundfunkrecht, beanspruchen Zuständigkeiten. Gleichzeitig gehen Jahr für Jahr 99,5 % aller am Kiosk verkauften Tageszeitungen auf das Konto der fünf größten Verlagsgruppen. Ohne dass eine Instanz Alarm schlägt. Obwohl der viel gepriesene Wettbewerb überdeutlich erstickt ist, zieht niemand Rückschlüsse darauf, was eine derart geringe Marktchance für Pressefreiheit, Vielfalt und Unabhängigkeit des Journalismus bedeuten. Was zur Beurteilung seit 20 Jahren fehlt, ist eine gesetzlich vorgeschriebene Medienstatistik, die den Marktumwälzungen durch die Digitalisierung Rechnung trägt – und dies im Hinblick auf die demokratiestabilisierende Funktion der Presse. Es muss nachvollziehbar sein, welche Effekte die zunehmenden digitalen Plattformdienstleistungen und pressefremden Geschäfte der Verlagskonzerne auf demokratische Prozesse haben.
Medienrecht sollte ganzheitlicher in Frage gestellt werden:
- 1.vor dem Hintergrund de weltweiten Neoliberalisierung der Märkte und
- 2. im Hinblick auf Demokratie Effekte. Global fördert das Kartellrecht Oligopole anstatt freien Wettbewerb in Ländern zu ermöglichen. Wenige kapitalstarke Unternehmen teilen sich dann einen Markt auf. Die Entwicklung im Pressemarkt gleicht der in anderen Branchen, etwa im Energie- oder Kliniksektor.
- Der dritte Aspekt ist ein Lobbyismus im Inneren der Verlagskonzerne, der sich aus ihrer Verwandlung in international operierende Mischkonzerne (Konglomerate) ergibt.
Wir wollen immer noch glauben, es mit „Verlagen“ und „Verlegern“ zu tun zu haben.
Diese Vorstellung von Journalismus als Kulturgut ist jedoch historisch überkommen, ein Mythos. Global Player wie die Verlagskonzerne sind eindeutig dem System Wirtschaft zuzuordnen – und einziger Existenzzweck der Wirtschaft ist Kapitalvermehrung. Demokratie braucht jedoch auch Selbstzweck-Journalismus. Verlage ohne Beteiligungen an pressefremden e-geschäften.
Konglomerate instrumentalisieren ihre hauseigene Presse. Die im Grundgesetz garantierte Pressefreiheit wird von den Verlegern in Anspruch genommen, sie gilt nicht für angestellte Journalisten. Und sie gilt erst recht nicht für freie Journalisten, die jeden Artikel einzeln verkaufen müssen. Da die Presse ihre Geiselhaft nicht outen kann, ihre Arbeitgeber den Markt größtenteils beherrschen und es kaum Jobs außerhalb des Oligopols gibt, bestätigt sie sich ihre Unabhängigkeit permanent selbst. So ist scheinbar alles in Ordnung.
Wenn von „Konzernmedien“ die Rede ist, so ist dies nicht abwertend gemeint. Gegenstand der Betrachtung sind schlicht die Medien von Konzernen. Ziel ist auch nicht ideologische Stimmungsmache, wie sie Kritikern von Konzernmacht oft reflexartig vorgeworfen wird.
Ironie dabei: Welche Seite operiert ideologisch? Milliardenschwere Konzerne mit ihren neoliberalen Programmen – oder ihre meist mittellosen Kritiker? Soll es doch Konzerne geben.
Nur eben nicht mit uneingeschränkter Macht.
Die Paradoxie der Politik besteht darin, dass sie für Regulierung und Deregulierung gleichzeitig verantwortlich ist. Anliegen der Broschüre ist es, für mehr Regulierung des Medienmarktes einzutreten. Für diese Notwendigkeit gilt es überhaupt erst einmal ein Bewusstsein zu schaffen. Erläutert werden weniger bekannte oder vernachlässigte Hintergründe, um neue Argumente in Debatten einführen zu können. In Debatten über Pressefreiheit, über „Lügenpresse“, aber auch über Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer und Umverteilung generell.
Die zentrale These lautet: Infolge der Neoliberalisierung müssen Demokratien neu definieren, wie viel warenförmigen Journalismus sie sich noch leisten können. Die demokratie-stabilisierende Funktion der Presse rechtfertigt zumindest die Forderung nach einer Quote für Selbstzweck-Journalismus. Eine staatliche Quote, messbar in Marktanteilen. Allein die Forderung wirft wichtige Fragen auf, welche politischen Maßnahmen nämlich dafür zu treffen wären. Wettbewerbsfreiheit ist keine Erklärung für 99,5 % Marktanteil von fünf Konzernen. Diese Situation gilt es zu verbessern.
Der Artikel wurde dem Dossier Simulierte Diskurse - Verlagskonzerne und ihr Märchen von der Pressefreiheit entnommen und wird hier mit freundlicher Genehmigung von Ulrike Sumfleth gespiegelt. Weitere Infos:https://sintfluth.de/ Bild: flickr.de