Stets kompromissbereit

Die Gewerkschaften, der Unternehmenserfolg und das kostbare Gut Arbeitsplatz. Betriebsräte wollen Stellen erhalten und sich für den Erfolg »ihres« Betriebs einsetzen – ein unlösbarer Widerspruch

Von Suitbert Cechura

Deutsche Unternehmen überbieten sich in Sachen Arbeitsplatzabbau sowie Entlassungen und blamieren damit die Gewerkschaften, deren Vertreter in Gestalt der Betriebsräte immer wieder Lohnsenkungen zur Arbeitsplatzsicherung mit den betreffenden Chefetagen vereinbart hatten. Und was machen die Gewerkschaftsführungen? Sie betätigen sich weiterhin ungerührt als Lobbyisten für den Erfolg deutscher Unternehmen, obwohl deren Erfolgsstrategien unmittelbar den Gegensatz zu den geschätzten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen hervortreten lassen.

So veranstaltete die IG Metall jüngst eine Industriekonferenz, auf der sie nicht mit dem Einsatz für die von ihr vertretenen abhängig Beschäftigten, sondern mit der Forderung nach einem »neuen Realismus in der Industriepolitik« Punkte machen wollte. Der verlange ein Eingreifen des Staates – allerdings nicht zum Wohle der Beschäftigten, die immer wieder unter die Räder kommen, sondern der Unternehmen, die schwere Not leiden (junge Welt, 24.9.2025). Wie passt das zusammen?

Falscher »Realismus«

Wenn Unternehmen wie zum Beispiel die Lufthansa ihre Rendite von 4,4 Prozent für mangelhaft befinden, weil die Konkurrenten höhere aufweisen, bescheinigen ihnen die Medien eine sogenannte Notlage. Zwar ist die relativ, wie gar nicht verheimlicht wird: »Wirtschaftlich stehen die Deutschen aber schlechter da als europäische Konkurrenten wie Air France/KLM und die britische IAG mit den Marken British Airways und Iberia (…). Insbesondere die Gewinnsituation ist enttäuschend.« (SZ, 30.9.25) Enttäuschte Lohnabhängige, die ihren Verdienst an den milliardenschweren Betriebsergebnissen messen, dürfen sich das natürlich nicht zum Vorbild nehmen. 4,4 Prozent Lohnerhöhung würden da schnell zum öffentlichen Skandal, während eine Rendite in gleicher Höhe Ausweis einer Notlage ist, wenn andere mehr verdienen.

Der Maßstab, der hier angelegt wird, hat natürlich seine Systemnotwendigkeit: Wenn sich die Lufthansa mit ihren Konkurrenten in Sachen Rendite vergleicht, dann zeigt sich darin, dass alle Unternehmen als Anlagesphären von Kapital gelten und von ihren Geldgebern hinsichtlich der Rendite verglichen werden, die die jeweilige Anlage erbringt. Deshalb gilt eine geringe oder auch nur mittelmäßige Rendite als Sachzwang, der jede Entlassung von Beschäftigten zur Kostensenkung rechtfertigt, sofern keine Alternativen zur Verfügung stehen. Das ist ein Urteil, das jeder Wirtschaftsexperte oder -journalist der BRD sofort einleuchtend findet.

Erstaunlich ist aber, dass sich dem auch Gewerkschafter nicht verschließen. Hier setzt eben der »Realismus« ein, der die Teilnehmer einer Marktwirtschaft verbindet und sie nun einmal auf das festlegt, was in dieser Gesellschaft gilt. Schließlich wissen sich auch gestandene Arbeitervertreter als Betriebsräte oder in Aufsichtsräten vom Erfolg »ihres« Unternehmens abhängig, das ihnen nicht gehört, aber als dessen abhängiger Teil ihre Mitglieder ihren Unterhalt verdienen. Also wollen sie den einschlägigen Erfolgsstrategien nicht im Wege stehen und zeigen letztlich auch Verständnis für das Verlangen der Manager, Teile der Belegschaft zur Bereinigung der Bilanzen zu entlassen. Als Arbeitervertreter stimmen sie in der Regel solchen Entlassungen zur Sicherung des Unternehmenserfolgs zu, nicht ohne für die Entlassenen eine Kompensation des Schadens zu verlangen. Denn das ist klar: Die Beschäftigten müssen mit dem Verkauf ihrer Arbeitskraft ihren Lebensunterhalt bestreiten und sind gerade deshalb in einer Gewerkschaft, weil sie auf sich gestellt an dieser Aufgabe scheitern würden.

Dabei ist auch die Kostensenkung nie ein sicheres Mittel, schließlich schlafen die Konkurrenten nicht. Für die Gewerkschaften ist sie jedes Mal eine Herausforderung, aktiv zu werden. Die Kostensenkungen für höhere Unternehmensrenditen begleiten sie dann meist mit einem »Kampf um Arbeitsplätze«, lassen dazu auch gelegentlich ihre Mitglieder zu Protestveranstaltungen antreten. Das Ergebnis sieht im Grunde immer gleich aus: »Betriebliche Kündigungen« sollen vermieden werden, die zur Entlassung vorgesehen Beschäftigten erhalten Abfindungsangebote, die sie wohl kaum abschlagen können, und die Restbelegschaft muss mit Lohnverzicht für das Fortbestehen ihrer Abhängigkeit vom Erfolg der Firma zahlen – wie aktuell wieder bei Thyssen-Krupp (vgl. junge Welt, 2.10.25).

Die Verhandlungen über die Höhe der Abfindungen legen dabei schon einen Zwiespalt der Gewerkschaften offen: Die von ihnen Vertretenen sind als »Arbeitnehmer« darauf angewiesen, dass sie einen »Arbeitgeber« finden, der sie für den Erfolg seiner Investition, also die Steigerung des eingesetzten Werts, einstellen will. Dabei kann das Unternehmen auf eine Vielzahl von Eigentumslosen zugreifen und die Bedingungen in Sachen Lohn und Leistung diktieren. Das ist der Ausgangspunkt der Gewerkschaft, denn nur durch die Aufhebung der Konkurrenz unter den Arbeitern haben diese überhaupt die Möglichkeit, Bedingungen ihrer Beschäftigung auszuhandeln. Das Unternehmen ist nicht auf den einzelnen Arbeiter oder Angestellten angewiesen, aber sehr wohl darauf, dass jemand seine Arbeitskraft einsetzt, um aus dem investierten Geld mehr zu machen.

Im Zwiespalt

Denn das ist ja die Bedingung, unter der das ganze Wirtschaftsleben steht: Ein Unternehmen zahlt nicht mit Lohn oder Gehalt die erbrachte Leistung. Mit der Bezahlung erwirbt es vielmehr die Verfügung über die eingekaufte Arbeitskraft, um mit deren Leistung mehr zu verdienen, als sie beim Einkauf kostete. Die Beschäftigung von Arbeitskräften muss sich eben lohnen, tut sie es nicht, weil auf dem Markt damit kein Gewinn zu erzielen ist, werden Arbeitskräfte nicht eingestellt oder entlassen. Das Einkommen der Beschäftigten hängt damit ganz vom Erfolg des Unternehmens auf dem Markt ab – und nicht von der Qualität oder Quantität der hergestellten Produkte, die für sich genommen sicher Konsumwünsche erfüllen könnten. Da es nun einmal so eingerichtet ist, gibt es auch das Interesse der »Arbeitnehmervertreter«, dass der in Geld bemessene Erfolg sich einstellt. Das hat nur einen Schönheitsfehler: In der Gewinnkalkulation des Unternehmens bleiben die Einkommen der Beschäftigten Kosten, die den Gewinn beschränken. Deshalb besteht das Erfolgsrezept in der Krise wie im Boom darin, die Lohnkosten pro Stück gering zu halten und für den eingesetzten Lohn einen möglichst großen Überschuss zu erzielen. Deshalb wird viel investiert, um mit großem technischem Aufwand die Leistung der Beschäftigten zu steigern, das heißt mit weniger bezahlter Arbeitskraft mehr oder gewinnbringender produzieren zu können.

Die Gewerkschaften befinden sich also in einem Zwiespalt: Einerseits sind sie am Erfolg des Unternehmens interessiert, damit Arbeitskräfte überhaupt gebraucht werden, andererseits haben sie in Rechnung zu stellen, dass diese in der betrieblichen Erfolgskalkulation prinzipiell als einzusparender Faktor vorkommen. Das ist angesichts der aktuellen Massenentlassungen die Herausforderung: Der Gewinn des Unternehmens soll gefördert werden, das spricht gegen hohe Abfindungen, die Kollegen brauchen aber möglichst hohe Abfindungen, denn die Einmalzahlungen können einen dauerhaften Verlust der Einkunftsquelle Arbeit nicht ersetzen.

Und auch für die Restbelegschaft zeigt sich der Widerspruch: Sie bieten ihre Arbeitskraft notgedrungen zu schlechteren Konditionen an, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Verzicht auf Lohnbestandteile, um überhaupt noch über ein Einkommen zu verfügen, also den Status eines »Arbeitsplatzbesitzers« zu erhalten, schränkt die Lebensqualität der Beschäftigten ein. So zeigt sich das Erpressungsverhältnis, in dem sich die Menschen bewegen, deren einzige Einkommensquelle der Verkauf ihrer Arbeitskraft ist, in seiner ganzen Wucht.

Dieser Nötigung etwas entgegenzusetzen, ist die Existenzgrundlage jeder Gewerkschaft, die durch den Zusammenschluss von Arbeitern und Angestellten die Konkurrenz unter ihnen aufheben und der Erpressungsmacht der Unternehmen etwas entgegensetzen will. Die Macht solcher Zusammenschlüsse richtet sich gegen die Macht der Unternehmen, die über Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen entscheiden, aber sie tut es, ohne diese Macht brechen zu wollen. So ist die Gewerkschaft ständig mit den Ergebnissen dieses Erpressungsverhältnisses konfrontiert, das sie zum Wohle ihrer Mitglieder beeinflussen will. Im Endeffekt läuft das auf Kompromissbereitschaft hinaus, weil sich die Organisationen der Beschäftigten ständig zwischen Anerkennung der Kapitalnotwendigkeiten und Schadensbegrenzung bewegen.

Grenzen der Solidarität

Die deutschen Gewerkschaften führen die Branchen der zuständigen »Arbeitgeber« im Namen. Schon damit bringen sie zum Ausdruck, dass ihre Solidarität Grenzen kennt und sie den Geschäftsbesonderheiten der jeweiligen Branche Rechnung tragen wollen. Das zeigt sich auch in der unterschiedlichen Lohnhöhe je nach Geschäftszweig. Und es unterscheidet deutsche Gewerkschaften von denen anderer Länder wie Frankreich oder Italien, in denen die betreffenden Zusammenschlüsse politisch ausgerichtet sind. Im Gegensatz zu deutschen Gewerkschaften lassen sie sich auch nicht auf betriebliche Mitbestimmung und Tarifpolitik begrenzen, sondern stellen politische Forderungen.

Der Schwerpunkt der deutschen Gewerkschaften liegt auf der Betriebsratsarbeit, das heißt, sie wollen an der Gestaltung des Geschäftserfolgs der jeweiligen Firma mitwirken. Das führt dazu, dass sie bei den Maßnahmen dafür – wie Einsparungen beim Lohn durch Rationalisierung oder Entlassung – gefragt sind. Sie bewegen sich damit in dem Zwiespalt zwischen der Basis der Beschäftigung – dem Erfolg des Betriebs – und der Sorge ihrer Mitglieder um ihr Einkommen. Dem Anliegen des Betriebs wollen Betriebsräte sich in der Regel nicht entziehen, und so scheiden auch Betriebsräte ihre Kollegen in solche, die weiterhin für das Geschäft tätig sein dürfen, und solche, die es nicht dürfen. Die Solidarität kennt also Grenzen. Sie zielt auf die Sicherung der Arbeitsplätze und gilt denen, die weiter gebraucht werden, die anderen werden abgefunden.

Doch mit der Parteinahme für den eigenen Betrieb stellen sich die gewerkschaftlichen Betriebsräte auch gegen den Erfolg anderer Unternehmen und von deren Belegschaft. Schließlich geht der Erfolg einer Firma auf dem Markt in der Regel auf Kosten anderer. Die sehen sich logischerweise genötigt, alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, ihre Kosten zu senken – und damit natürlich auch die Lohnkosten. Selbst wenn die Gewerkschaften den Namen ihrer Branche im Namen führen, stellen sie mit ihrer Betriebsratsarbeit die Solidarität über den Betrieb hinaus in Frage.

Und sogar dort, wo die Gewerkschaft geschlossen in der Tarifrunde für alle Unternehmen gleiche Geschäftsbedingungen in Sachen Lohn aushandelt und damit der Konkurrenz der Unternehmen über den Lohn Grenzen setzt, bleibt der Widerspruch bestehen. Gleicher Lohn für alle Unternehmen trifft die einzelnen unterschiedlich – je nachdem, wie hoch der Lohnkostenanteil an den Produkten ist. Stark rationalisierte Unternehmen haben geringere Lohnstückkosten als weniger stark rationalisierte. Dem tragen die Gewerkschaften mit Ausnahmeregelungen Rechnung, wollen sie die Arbeitsplätze ihrer Kollegen nicht gefährden. Sie lassen so die Konkurrenz über den Lohn wieder zu und räumen einzelnen Betrieben die Möglichkeit ein, Löhne zu senken.

Wenn Entlassungen anstehen, verstehen es Großkonzerne, Betriebe gegeneinander auszuspielen und die Rentabilität der einzelnen Abteilungen zu testen. Sie treffen dabei auf Resonanz bei den Gewerkschaften, deren Vertreter sich mit Angeboten in Sachen Lohn und Leistung überbieten, damit nicht ihr Betrieb, sondern ein anderer getroffen wird. Das hindert sie nicht, gleichzeitig Solidaritätsadressen zu verschicken, die allerdings ihr Papier nicht wert sind. Schon im Namen ihres Dachverbands Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) machen hierzulande Gewerkschafter deutlich, dass sie sich in erster Linie als nationale Arbeitervertreter verstehen, die damit auch für den Erfolg der deutschen Wirtschaft eintreten (und damit gegen den Erfolg anderswo).

Ein markantes Beispiel hat IG-Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner jüngst geliefert. Gegenüber den Stuttgarter Nachrichten äußerte er in einem Interview, dass er »momentan für Abrüstungsdebatten keinen Ansatzpunkt« sehe und auf Aufrüstung setze: »Wir fordern einen indus­triepolitischen Plan für die wehrtechnische Industrie. Wenn wir das aktuelle Sondervermögen mit den 100 Milliarden Euro anschauen, da fließt der größte Anteil nach Amerika, weil wir dort viele Rüstungsgüter kaufen. Weiterhin in den USA im großen Stil auf Einkaufstour zu gehen, selbst wenn der Präsident dort es will, wäre völlig kontraproduktiv.« Hier sieht man, dass sich deutsche Gewerkschafter nicht nur um den sogenannten Aufwuchs einer deutschen Rüstungsindustrie kümmern, sondern auch darum, dass Rüstungsarbeiter in den USA ihre Arbeitsplätze verlieren.

Zwar sind sie auch über internationale Gremien mit anderen Gewerkschaften verbunden, aber eine praktische Konsequenz folgt daraus nicht – und so haben Unternehmen alle Freiheiten, die Lohnunterschiede in den einzelnen Ländern für sich zu nutzen. Eine gemeinsame Front der Arbeitervertreter gegen das international aufgestellte Kapital ist nirgends zu entdecken. Das würde ja dem »eigenen« Kapital schaden. Für dessen weltweite Freiheit sind dann auch deutsche Arbeitervertreter bereit, die Rüstungsanstrengungen des deutschen Staates zu unterstützen und dessen Kriegskurs mitzutragen.

Kampf zweier Linien

Die Führungen der DGB-Mitgliedsorganisationen wollen von dem Ausgangspunkt ihrer Gründung – dem Gegensatz von Kapital und Arbeit – nichts mehr wissen. Sie pflegen die Sozialpartnerschaft ganz so, als ob sie mit dem Unternehmen ein gemeinsames Interesse verbinden würde. Und so ist es ja auch, sie haben wie die Unternehmensleitung ein Interesse am Erfolg, der die Basis dafür bildet, dass überhaupt Lohnarbeiter beschäftigt werden. Sie werden allerdings immer wieder darauf gestoßen, dass dies keinen gemeinsamen Nutzen hervorbringt und keine wirkliche Gemeinsamkeit stiftet. Während das Unternehmen die Mehrung des Reichtums seiner Anleger verfolgt und alles davon abhängig macht, müssen die Beschäftigten ständig Schäden in Kauf nehmen – sei es an ihrer Gesundheit wegen starker Inanspruchnahme ihrer Leistung, sei es durch Abstriche beim Lohn oder gar durch Verlust ihrer Einkommensquelle.

Das bleibt auch den Arbeitervertretern nicht verborgen. Ihr Geschäft besteht somit darin, den Schaden als eine Art Interessenausgleich darzustellen. Lohnerhöhungen unter der Inflationsrate mit dem Versprechen der Arbeitsplatzsicherung, Entlassungen, die keine sein sollen, weil sie nicht als betriebliche Kündigung, sondern mittels Abfindung erfolgen, usw. sollen immer noch besser sein als die rücksichtslose Durchsetzung des Unternehmerstandpunkts und die Beschäftigten motivieren, den sozialen Friedens aufrechtzuerhalten.

Der sozialpartnerschaftliche Kurs der Gewerkschaftsführung bringt innerhalb der Organisation Opposition hervor. Die fordert ein verstärktes Eintreten für die Interessen der Belegschaft und scheut auch nicht die Auseinandersetzung mit der Unternehmensleitung – ob nun im Betrieb oder im Rahmen von Tarifrunden. Diese kämpferischen Gewerkschafter müssen sich jedoch immer wieder vorhalten lassen, dass sie damit ihre Grundlage gefährden, weil ihre Beschäftigung eben mit dem Erfolg des Betriebs, der Branche oder gar der deutschen Wirtschaft verbunden ist. Also soll es im Interesse der Kollegen sein, wenn sie Maß halten und sich beschränken.

Vermeintliche Erfolge

Dass es in Deutschland verglichen mit anderen Ländern ein relativ hohes Lohnniveau, Sozialleistungen etc. gibt, schreibt die Gewerkschaft weitgehend ihrer Aktivität zu. Das soll das Ergebnis ihrer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Politik und den Unternehmen sein. Dabei ist so manches ermogelt. Fangen wir bei den angeblich so tollen BRD-Löhnen an, die im – immer seltener werdenden – »Normalarbeitsverhältnis« keinen Verdacht auf Ausbeutung mehr aufkommen lassen sollen. Als erstes ist hier festzuhalten: Die absolute Lohnhöhe gemessen in Euro ist für ein Unternehmen nicht ausschlaggebend. Von Interesse ist das Verhältnis von gezahltem Lohn und der damit eingekauften Leistung, die sich im geldwerten Produkt niederschlägt. Wenn in Deutschland für 30 Euro die Stunde ein Auto zusammengebaut wird und in anderen Ländern nur ein halbes, dann sind dort etwa Löhne von 20 Euro immer noch ungünstiger für den Betrieb.

Wenn Löhne zwischen den Ländern verglichen werden, wird von der unterschiedlichen Produktivität der Arbeit aber in der Regel abgesehen. Ebenso wird bei diesem Vergleich nicht das mit einbezogen, was die Beschäftigten sich für ihren Lohn leisten können. In Deutschland können sich weniger Menschen ein Eigenheim leisten als in vielen anderen Ländern wie zum Beispiel Italien oder Griechenland und müssen häufiger zur Miete wohnen, wofür ein erheblicher Teil des Einkommens draufgeht. Wenn die Deutschen weniger Geld für Lebensmittel ausgeben als Menschen in anderen Ländern, dann kann das auch daran liegen, dass sie wegen Steuern und Sozialabgaben große Teile ihres Einkommens gar nicht zu sehen bekommen und ein Drittel bereits durch die Miete weg ist. Schließlich kann man jeden Euro nur einmal ausgeben; bei solchen Vergleichen werden zudem die unterschiedlichen Preise ausgeblendet.

Ähnlich sieht es bei den Sozialleistungen aus. Bei der Rente wird lediglich von Kritikern der Regierungspolitik darauf verwiesen, dass die Rentenbeiträge zum Beispiel in Österreich niedriger und die ausgezahlten Renten höher sind. Bei Streiks in Frankreich erfährt man nebenbei, dass das Renteneintrittsalter niedriger ist als in Deutschland. Profitiert haben Löhne und Sozialleistungen nicht unbedingt vom gewerkschaftlichen Kampf, der oft gar nicht stattgefunden hat, sondern davon, dass es vielfach einen Arbeitskräftemangel gab.

Kaum Gegenwehr

Und deshalb gab es auch ein staatliches Interesse an einer weniger ruinösen Benutzung der Arbeitskräfte. Dennoch sind Sozialleistungen nicht einfach Gnadenakte des Staates, sie müssen auch erkämpft oder verteidigt werden. So hat es für die Durchsetzung der Fünftagewoche oder des Achtstundentags sowie der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall vieler Arbeitskämpfe bedurft. In einer Situation, in der das Kapital weltweit Zugriff auf Arbeitskräfte hat und Standorte in »Billiglohnländer« verlegt werden können, ist eine solche Rücksichtnahme nicht mehr angebracht. Daher stehen Sozialleistungen im großen Maßstab auf dem Prüfstand und werden von der Regierung in Frage gestellt bzw. als Kürzungsfälle behandelt. Leider ist da von einer ernsthaften gewerkschaftlichen Gegenwehr nichts zu spüren, was oppositionelle Gewerkschaftsinitiativen wie »Sagt nein!« am besten wissen. Das gleiche gilt für die Reallöhne. In Tarifrunden wird ein Ausgleich für die ständigen Preissteigerungen von den Gewerkschaften erst gar nicht mehr gefordert, weil ihre Sorge mehr der schwächelnden deutschen Wirtschaft gilt.

Kritische Gewerkschafter kritisieren mit Recht diesen Kurs und fordern mehr Kampf und weniger Rücksichtnahme auf den Gewinn von Unternehmen. Frohlockt wird, wenn sich an der Basis etwas rührt oder kleine Erfolge zu vermelden sind. Das soll immer der Beweis sein, dass »etwas geht«, wenn man bloß kämpft. Doch auch größere Erfolge werden an der grundsätzlichen Situation nichts ändern, die mit der Abhängigkeit vom Kapital gegeben ist. Das spricht nicht gegen den gewerkschaftlichen Kampf und das Anliegen, ihn voranzutreiben. Doch sollten sich die Kämpfer den Hinweis auf die Grenzen dieses Kampfes nicht ersparen – und auch nicht darauf, dass eine ernstgemeinte Interessenvertretung diese Grenzen zu sprengen hätte.

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Der Autor:

Suitbert Cechura ist Hochschullehrer für Sozialmedizin im Ruhestand.

 

 

 

 

 

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