Von Lea Schneidemesser und Juri Kilroy
Das Jahr 2017 ist als ein ruhiges Streikjahr zu bewerten. Die WSI Schätzung zu Streikbeteiligung und Ausfalltagen liegt auf dem niedrigen Niveau der Nachkrisenjahre 2010 und 2011 (vgl. WSI 2018). Zugleich wurden aber im Streikmonitor1 mit 227 Konflikten 28 Konflikte mehr verzeichnet als im Vorjahr (zum Erhebungsverfahren: Schneidemesser/Kilroy 2016). Die Tendenz zur Zersplitterung und Dezentralisierung des Streikgeschehens setzt sich fort: Zu verzeichnen sind 198 Konflikte außerhalb des Geltungsbereichs von Branchentarifverträgen, wobei der größte Teil der Auseinandersetzungen im Dienstleistungssektor stattfand. Neben den Forderungen nach Abschluss eines Tarifvertrags als häufigstem Streikgrund nehmen Streiks wegen Arbeitsplatzabbau stark zu, meist als Folge von Restrukturierungen wie Verlagerungen, Schließungen und Übernahmen von Unternehmens(standorten). Solche Unternehmensentscheidungen waren in 39 Konflikten der Streikgrund, auffallend häufig im verarbeitenden Gewerbe. Der starke Anstieg solcher defensiver Standortkonflikte in der deutschen Industrie ist der inhaltliche Schwerpunkt dieser Jahresübersicht.
Nach einem Überblick über das Streikgeschehen in 2017 diskutieren wir zuerst die Frage, warum die Standortkonflikte bei aktuell guter Konjunktur solche Bedeutung erlangt haben; dies erfordert auch einen Blick auf den laufenden Strukturwandel in der deutschen Industrie. Beispielhaft wird der Konflikt um die geplante Fusion von thyssenkrupp mit Tata Steel Europe betrachtet. Abschließend gehen wir auf einige politische Auswirkungen dieser Konflikte ein. Streiks 2017: Viele Konflikte, wenige Streiktage und noch weniger streikende Beschäftigte Streikzahl, -beteiligte und -dauer Im Jahr 2017 zeigten sich zwei gegenläufige Phänomene. Es wurden 227 Konflikte registriert, innerhalb derer 446 Streiks und Aktionen stattfanden, insgesamt 28 Konflikte mehr als im Vorjahr.2 Das WSI schätzt in seiner Arbeitskampfbilanz für das vergangene Jahr die streikbedingten Ausfalltage auf 238.000 und die Anzahl streikender Beschäftigter auf 131.000 (vgl. WSI 2018).
Diese Daten zeigen einen starken Rückgang des Streikvolumens und der Beteiligung im Vergleich zum Vorjahr (462.000 Ausfalltage und 1.055.000 Beteiligte; vgl. WSI 2017). Bei der Interpretation dieser Kennwerte muss berücksichtigt werden, dass 2017 keine größeren landesweiten Flächentarifauseinandersetzungen wie zum Beispiel in der Metall- und Elektroindustrie oder dem öffentlichen Dienst stattgefunden haben. Die großen Warnstreiks in diesen zwei Bereichen leisten in Jahren mit Tarifrunden stets einen zentralen Beitrag zum Volumen an Ausfalltagen und Streikbeteiligung.
Aber gerade wegen dieser Differenz erweist sich das Jahr 2017 hinsichtlich der betrieblichen Konflikte als besonders aufschlussreich. Trotz Abwesenheit großer Flächentarifrunden und bei guter konjunktureller Entwicklung kam es zu einer wachsenden Zahl an kleinen Konflikten, die von wenigen Beschäftigten geführt wurden und mit relativ geringen Ausfallzeiten einhergingen. Der Zuwachs an Konflikten geht dabei interessanterweise relativ gleichmäßig auf Branchen- und auf betriebliche Konflikte zurück. Bei den 29 branchenweiten Konflikten handelt es sich überwiegend um regional begrenzte Konflikte wie im Hotel- und Gaststättengewerbe Schleswig-Holstein, der ostdeutschen Baustoffindustrie oder im Verkehrsgewerbe Niedersachsen. Insgesamt 198 und damit 87 Prozent der Konflikte blieben auf einzelne Unternehmen oder Standorte beschränkt. Zugleich waren einige der Konflikte langwierige Auseinandersetzungen: 19 Konflikte, die bereits 2016 in die Datenbank aufgenommen wurden, wurden 2017 weitergeführt.
Streiks nach gewerkschaftlichen Organisationsbereichen
Auch 2017 erweist sich der Dienstleistungsbereich als der streikintensivste Wirtschaftszweig. Ver.di war mit 102 Konflikten, bei denen insgesamt 251 Streiks und Aktionen durchgeführt wurden, an 45 Prozent der Konflikte beteiligt. In den Organisationsbereich der IG Metall fielen 68 Konflikten (30 Prozent), in den der NGG 18 Konflikte (8 Prozent). Damit ist die Beteiligung von IG Metall und NGG im Vergleich zum Vorjahr stabil geblieben.
Die Spartengewerkschaften der Luftfahrtbranche, die Vereinigung Cockpit (VC) und die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO), waren in je einen Konflikt involviert, die GDL trat 2017 nicht in Erscheinung. Neben ver.di und der Industriegewerkschaft Luftverkehr (IGL) war UFO in dem Konflikt bei der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin aktiv. Hier gingen die Beschäftigten für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze auf die Straße. Die Proteste blieben weitgehend erfolglos, die Lufthansa übernahm zwar die Flotte und die Flughafenslots3 von Air Berlin, aber nur 1.500 der 8.000 Beschäftigten (vgl. ZDF zoom 21.3.2018). Die Vereinigung Cockpit führte am 22. Dezember den ersten Streik von Ryanair-Piloten an deutschen Flughäfen durch. Streikaktionen fanden gleichzeitig auch in anderen europäischen Ländern statt. Den Piloten ging es um die Aushandlung eines Tarifvertrags mit der Airline, dafür wurde nun eine Tarifkommission gebildet (vgl. VC 9.3.2018). Ryanair hatte bereits vor dem Streik bekanntgegeben, künftig Gewerkschaften als Verhandlungspartner zu akzeptieren (vgl. aero Telegraph 15.12.2017)
12 Konflikte wurden ohne gewerkschaftliche Beteiligung geführt, was einen leichten Rückgang im Vergleich zum Vorjahr darstellt. Darunter war ein verdeckter Arbeitskampf, bei dem sich die Verwaltungsangestellten des Schönheider Rathauses gleichzeitig für über 12 Tage krank meldeten (vgl. Tag24 1.12.2017). Als Grund für diesen wilden Streik werden eine hohe Personalfluktuation, „ein un- haltbarer Umgang mit Mitarbeiterinnen der Gemeindeverwaltung und ein vom Bürgermeister eingeführtes behinderndes Rotationssystem“ (Blick Erzgebirge 27.9.2017) genannt. Ein weiterer Streik ohne Gewerkschaftsbeteiligung fand Anfang November auf einer Münchner Baustelle statt. Dort besetzten nordafrikanische Arbeiter einer Firma aus Mittelitalien Baustellenkräne, um seit August ausstehende Löhne einzufordern (vgl. Süddeutsche Zeitung 4.11.2017). Die zwei intensivsten Konflikte fielen in den Organisationsbereich von ver.di. Neben dem seit 2013 andauernden Konflikt beim Onlinehändler Amazon war dies die Kampagne für einen Tarifvertrag Entlastung für Krankenhaubeschäftigte.4
Amazon
Im Rahmen des Konflikts beim Onlineversandhändler Amazon wurden 2017 37 Streiks durchgeführt. Leipzig blieb der streikintensivste Standort (Beteiligung an 19 Streiks), gefolgt von Bad Hersfeld (13 Streiks). Neben den vielen Arbeitsniederlegungen der Amazon Beschäftigten gab es Solidaritätsaktionen für deren Anliegen, darunter eine Aktion von Unterstützer*innen am Black Friday, die unter dem Motto „Make Amazon Pay“ in Berlin demonstrierten (vgl. Zeit online 24.11.2017). Während Amazon mit der Eröffnung zweier neuer Logistikzentren 2017 in Winsen und Dortmund und weiteren zwei geplanten Eröffnungen im Jahr 2018 Deutschland als Standort weiter ausbaut (vgl. Amazon Logistikblog), scheint es ver.di schwerzufallen, neue Standorte zu erschließen. Bisher konnte ver.di nur in einem Teil der Standorte – Bad Hersfeld, Graben, Koblenz, Leipzig, Rheinberg und Werne – aktive gewerkschaftliche Organisationsstrukturen aufbauen. Dies erleichtert dem Unternehmen das Verlagern von Aufträgen im Streikfall und verringert so das Störpotenzial.
Tarifvertrag Entlastung
Die ver.di Kampagne für einen Tarifvertrag Entlastung startete Anfang des Jahres im Saarland (vgl. Schneidemesser u.a. 2017a: 76) und wurde auf weitere Bundesländer ausgeweitet. Der Streikmonitor verzeichnet 17 Streiks und Aktionen, die zum Teil in mehreren Krankhäusern zugleich durchgeführt wurden. In diesem Konflikt ging es darum, einen Personalschlüssel im Pflegebereich der Krankenhäuser durchzusetzen, der eine gute Pflege und ein gesundes Arbeiten ermöglicht. In diesem Konflikt zeigten sich drei neue Entwicklungen:
(1) Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik beteiligten sich die Beschäftigten eines katholischen Krankenhauses, der Marienhausklinik Ottweiler, an einem Arbeitskampf (vgl. Zeit online 11.10.2017). Der Streik stieß eine Debatte über die Sonderstellung kirchlicher Einrichtungen an, die ihren Mitarbeiter*innen kein Streikrecht gewährt.
(2) Die gesellschaftliche Solidarität für die Anliegen der Pflegekräfte wurde ebenfalls sichtbarer. Neben dem Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus, das bereits seit 2013 aktiv ist und aktuell einen stadtweiten Volksentscheid für gesunde Krankenhäuser durchführt (vgl. Volksentscheid), hat sich auch an den Helios-Amper-Kliniken Dachau und Indersdorf eine Bürgerinitiative für eine bessere Pflege in den Amperkliniken gegründet (vgl. Merkur.de 29.11.2017). Die Themen Pflegequalität und Verbesserung der Arbeitsbedingungen sind nah am Alltag der Bevölkerung, außerdem haben sich bundesweite Netzwerke (z.B. das Care Revolution-Netzwerk) gebildet, die das Thema auf die politische Agenda setzen.
(3) Ferner nutzen die Arbeitgeber nun verstärkt juristische Wege, um Streiks im Krankenhaussektor zu verhindern. Das Helios-Amper-Klinikum Dachau war einer von drei Fällen, in denen versucht wurde, Streiks juristisch verbieten zu lassen. Nach einer Urabstimmung bei der 97 Prozent der ver.di-Mitglieder im Betrieb für einen unbefristeten Streik stimmten und der Ankündigung eines Erzwingungsstreiks vom 6. bis 8. November erreichte die Klinikleitung gerichtlich eine einstweilige Verfügung, worauf ver.di den Streik vorerst absagen musste (vgl. ver.di München & Region 5.12.2017). Eine ähnliche Entwicklung gab es am Universitätsklinikum Tübingen (vgl. SWR aktuell 8.12.2017). In Düsseldorf wiederum untersagte das Arbeitsgericht am 14. und 15. November einen Streik auf fünf Stationen des Klinikums unter Verweis auf dort liegende Patienten in akuter Lebensgefahr (vgl. focus online 14.11.2017).
Streiks nach Regionen und Branchen
62 Konflikte (27 Prozent) in den neuen Bundesländern (ohne Berlin), der Rest in beiden Landesteilen. Da die Beschäftigtenzahlen in Westdeutschland jedoch mehr als viermal so hoch sind wie in Ostdeutschland, lässt sich daraus schlussfolgern, dass die ostdeutschen Beschäftigten öfters in Einzelkonflikte bzw. „Häuserkämpfe“ verwickelt waren als ihre westdeutschen Kolleg*innen. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Flächentarifbindung in Ostdeutschland deutlich niedriger ist als im Westen: Sie lag 2016 im Westen bei 51 Prozent, im Osten bei 36 Prozent (vgl. Ellguth/Kohaut 2017: 281). Bayern, Nordrhein-Westfahlen und Baden-Württemberg waren mit einer Beteiligung an 24, 23 und 17 Konflikten die Bundesländer mit den meisten Arbeitskämpfen. Dies ist jedoch eher auf die Bevölkerungszahl und wirtschaftliche Bedeutung dieser Bundesländer zurückzuführen. Unter den neuen Bundesländern war Sachsen-Anhalt mit einer Beteiligung an 16 Konflikten am häufigsten in Arbeitskämpfe involviert.
Ein Großteil der Konflikte entfiel auf den Dienstleistungssektor. Diesem sind 142 der Konflikte (63 Prozent) zuzuordnen; 85 der Konflikte (37 Prozent) wurden im verarbeitenden Gewerbe geführt. Trotzdem bleibt der Maschinen und Fahrzeugbau mit 44 Nennungen die Branche mit den meisten Konflikten, gefolgt vom Bereich Verkehr, Lagerei und Logistik (34 Konflikte) und dem Gesundheitswesen (28 Konflikte). Diese drei Bereiche führen bereits das zweite Jahr in Folge die Liste der konfliktintensivsten Wirtschaftszweige an.
Im Gesundheitsbereich sind weiterhin die Krankenhausbeschäftigten die konfliktbereiteste Beschäftigtengruppe. Neben Streiks der direkt bei den Krankenhäusern Beschäftigten wurden auch vier Konflikte bei ausgelagerten Servicegesellschaften im Streikmonitor registriert. Einer dieser Konflikte war die seit 2016 andauernde Auseinandersetzung beim Charité Facility Management (CFM). In diesem Konflikt gab es 2017 eine Wendung. Der Berliner Senat beschloss, den 2006 privatisierten, ehemals landeseigenen Betrieb zurückzukaufen. CFM mit seinen knapp 2.800 Mitarbeitern wird bis voraussichtlich 2019 wieder in städtischer Hand sein. Dieser Beschluss ist Teil einer größeren Rekommunalisierungsagenda der rot-rot-grünen Berliner Regierung. Diese hat sich neben dem CFM das Ziel gesetzt, die städtische Stromversorgung wieder ganz durch städtische Versorger zu gewährleisten, auch mit den Hochschulen wird lt. Presse verhandelt (vgl. Tagesspiegel 10.3.2017). Wie weit sich diese Pläne verwirklichen lassen und ob der Rückkauf zur Gleichstellung von Charité- und CFM-Beschäftigten führen könnte, bleibt fraglich.
Auch dass dies eine Trendwende bedeuten könnte, bleibt unwahrscheinlich. Viele langwierige Konflikte sind auf Privatisierungen, damit verbundener Tarifflucht und Ungleichbehandlung großer Beschäftigtengruppen zurückzuführen (vgl. Schneidemesser et al. 2017b: 134ff.). Ein Paradebeispiel der letzten Jahre ist die privatisierte Deutsche Post, die 2015 mit den 46 DHL Delivery Regionalgesellschaften die Paketzustellung weitgehend ausgelagert hat. Die Mitarbeiter der DHL Delivery werden nicht nach dem Haustarifvertrag der Deutschen Post bezahlt, sondern nach den niedrigeren, regional variierenden Tarifen des Logistik- und Speditionsgewerbes (Die Welt 12.3.2018). Neben geringeren Personalkosten hat die Anwendung verschiedener Tarifverträge für das Unternehmen den Vorteil, dass Streiks der Beschäftigten nicht mehr die Dimension erreichen können wie im Sommer 2015, wo sich mehr als 32.000 Post-Beschäftigte bis zu vier Wochen im Dauerstreik befanden (vgl. Siebler 2015: 126). Die zwei Gruppen, Deutsche Post und DHL Delivery, gehen nun zu unterschiedlichen Zeitpunkten für unterschiedliche Tarife auf die Straße. Dies hat sich 2017 in den vielen kleinen Streiks bei DHL Delivery gezeigt, während es bei der Deutschen Post keinen Tarifkonflikt gab. Die Post plant mit der Gründung eines Gemeinschaftsbetriebs einen Konzernumbau, durch den die zwei Beschäftigtengruppen gemeinsam in den gleichen Niederlassungen die gleichen Tätigkeiten ausüben, aber zu unterschiedlichen Tarifen (vgl. Zeit online 12.3.2018).
Konfliktthemen
Die wichtigsten Themen in den Arbeitskämpfen 2017 waren wie auch im Vorjahr tarifvertragsbezogen. In 46 Konflikten (20 Prozent) ging es um den erstmaligen Abschluss eines Haustarifvertrages bzw. um die Rückkehr in die Tarifbindung, in 28 Konflikten (12 Prozent) stand die Angleichung von Lohn- und Arbeitsbedingungen an andere Tarife oder Beschäftigtengruppen im Mittelpunkt. In 21 Konflikten (neun Prozent) ging es außerdem um die Anbindung, den Erhalt oder die Wiederanerkennung eines Branchentarifvertrags.
Der zweithäufigste Themenblock – Arbeitsplatzabbau, oft ausgelöst durch Restrukturierungsmaßnahmen wie Verkauf, Verlagerung oder Fusion von Unternehmen – war in 39 Konflikten (17 Prozent) Streikursache. 25 der 39 Konflikte zu diesem Thema, d.h. 64 Prozent, wurden im verarbeitenden Gewerbe geführt. Im Vergleich zum Vorjahr haben die Arbeitskämpfe im Rahmen von Restrukturierungen demnach deutlich zugenommen: 2016 wurden nur 17 solch defensiver Standortkonflikte im verarbeitenden Gewerbe in die Datenbank des Streikmonitors aufgenommen.
Weitere Konfliktthemen waren Arbeitszeit (18 Konflikte, 8 Prozent) sowie Renten- und Altersteilzeit (8 Konflikte, 3 Prozent).
Industrieller Strukturwandel als Konfliktherd
Die Gründe für den Bedeutungsgewinn von defensiven Standortkonflikten im verarbeitenden Gewerbe werden wir im Folgenden genauer beleuchten. Die deutsche Industrie gilt mit erfolgreichen Kernbranchen wie der Automobilindustrie und dem Maschinenbau als Herzstück des deutschen Wirtschaftsmodells. Anders als in vielen europäischen Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder Italien macht die Industrie mit 26 Prozent nach wie vor einen großen Anteil an der Wertschöpfung aus (vgl. Destatis 2017: 330; Veugelers 2017: 35), gerade auch wenn die industrienahen Dienstleistungen mit berücksichtigt werden. Die deutsche Industrie befindet sich jedoch aktuell in einem technologischen und organisatorischen Transformationsprozess, auch haben sich die Konkurrenzbedingungen auf dem Weltmarkt in einigen Branchen verschärft.
Die neuen Herausforderungen, denen Maschinen- und Automobilbau bzw. auch Metall- und Elektroindustrie ausgesetzt sind, lassen sich auf drei Themenkomplexe bringen: a) Die Digitalisierung verändert die Fertigungsstruktur. Dies bringt neue Probleme mit sich; etwa müssen Bauteile flexibel angepasst werden (Butollo et al. 2016). Dieser Modernisierungsdruck, mit dem sich beispielsweise viele Zulieferer mit geringer Innovationsfähigkeit in der Automobilbranche schwer tun, wird (b) durch die bestehenden Machtverhältnisse in den Wertschöpfungsketten zusätzlich verschärft. Die OEMs im Wertschöpfungssystem Automobil, wie VW oder Daimler, üben enormen Preis- und Flexibilitätsdruck auf die Zulieferer aus, die teils unter deutlichem Kostendruck stehen; umgekehrt bauen große Unternehmen ihre Strukturen um, um sich für die Wettbewerbssituation neu aufzustellen. (c) Zuletzt kommt mit dem Thema Elektromobilität ein großer Strukturwandel in Gang, der neben der Automobil- auch die Metall- und Elektroindustrie vor die Herausforderung stellt, sich auf neues technologisches Knowhow einzustellen. Zusammen mit bereits bestehenden Problemlagen wie der Shareholder Value-Orientierung der großen Unternehmen, d.h. dem Rationalisierungsdruck durch die Orientierung auf den Aktienmarkt, hat eine neue Welle von Verlagerungen, Fusionen und Restrukturierungen begonnen.5
Hinzu kommt die Dynamik auf dem Weltmarkt. In den vergangenen Jahren sind mit dem Aufstieg Chinas zur bedeutenden Industriemacht neue Kräfteverhältnisse auf den globalen Märkten entstanden. Chinesische Unternehmen waren in den vergangenen Jahren bei einer Vielzahl von Akquisitionen präsent, etwa der Übernahme des Roboterherstellers Kuka durch den chinesischen Haushaltsgerätehersteller Midea, darüber hinaus hat die Regierung mit der „Made in China 2025“-Strategie ambitionierte Pläne gefasst, die Industriestruktur technologisch aufzurüsten und Marktführer in strategischen Bereichen zu werden.
In verschiedenen Märkten ist China bereits jetzt erfolgreich und wirkt als disruptive Kraft, die Unternehmen weltweit zum Umdenken zwingt. Bisher waren von diesen Restrukturierungen vor allem Branchen wie die Solarenergie, die Stahlproduktion oder auch der Schienenfahrzeugbau betroffen, in denen chinesische Unternehmen durch staatliche Förderung zu Weltmarktführern aufgestiegen sind. In diesen Bereichen herrschen zudem in China große Überkapazitäten, die auf das weltweite Preisniveau drücken: China ist mittlerweile der wichtigste Stahlproduzent auf dem Weltmarkt (Obst 2018: 7). Der chinesische Anteil an der weltweiten Stahlproduktion hat sich zwischen 2000 und 2016 von 15 Prozent auf ca. 50 Prozent erhöht. Einem Bericht der Europäischen Handelskammer in China zufolge wurden bereits im Jahr 2014 1,1 Mrd. Tonnen Stahl in China hergestellt (European Chamber of Commerce in China 2016). Allerdings waren nur 71 Prozent der Kapazitäten ausgelastet, die Überkapazitäten betrugen rund 327 Mio. Tonnen Stahl. Die Überproduktion führte zu einer handfesten industriellen Krise im Jahr 2015 und 2016, zugleich drückten die Überkapazitäten auf das Preisniveau im Weltmarkt. Die Stahlpreise erreichten Ende 2016 ein Mehrjahrestief.
In den Märkten für Stahl und Schienenfahrzeuge stehen darum auch bisherige Global Player am Standort Deutschland wie thyssenkrupp, Siemens und Bombardier unter Druck durch die Konkurrenz aus China. In der Solarbranche kam es bereits in den Jahren 2011 und 2012 zu einer Pleitewelle. Anders als in der Solarbranche sind jedoch von den Großkonzernen nur einzelne Geschäftseinheiten betroffen, die Unternehmen sind weiterhin hoch profitabel. Dennoch kam es zu Entscheidungen für Restrukturierung, für Arbeitsplatzabbau und zu massiven Konflikten.
Insgesamt wurden im Jahr 2017 nach den Daten des Streikmonitors 25 Konflikte im verarbeitenden Gewerbe im Kontext von Unternehmensrestrukturierungen geführt. Darin fanden 52 Streiks und Aktionen statt, zum Teil an mehreren Standorten gleichzeitig oder wie im Fall von Siemens und Bombardier in Görlitz von Beschäftigten zweier Unternehmen gemeinsam. 20 der Konflikte fanden in Westdeutschland statt, drei in Ostdeutschland (ohne Berlin) und vier in beiden Landesteilen. Der Schwerpunkt mit 18 defensiven Standortkonflikten waren die Streiks bei Unternehmen des Maschinen- und Fahrzeugbaus, u.a. bei Siemens, Bombardier, General Electric, drei Fahrzeugbauern und fünf Automobilzulieferern. Durch die Fusionspläne bei thyssenkrupp fand zudem ein Konflikt in der Stahlbranche statt, hinzu kam je ein Konflikt bei einem Pharmaunternehmen, Getränkedosenhersteller, Feinkosthersteller, einer Brauerei, einer Molkerei und einer Kaffeerösterei.
Bei den Konflikten im Maschinen- und Fahrzeugbau kam es nach aktuellen Informationen zu Stellenabbau in 14 Unternehmen, davon in fünf Fällen im Zusammenhang mit Standortschließungen in Deutschland. In fünf weiteren Fällen konnten Standortschließungen abgewendet werden, jedoch oft nur durch Zugeständnisse der Beschäftigten in Richtung Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Der Abbau von Arbeitsplätzen war unter anderem verbunden mit Verlagerungsplänen ins europäische Ausland, etwa nach Rumänien, Großbritannien und in die Slowakei. Deutlich wurde, dass (mit Ausnahme des angeschlagenen General Electric Konzerns mit sehr schlechter Bilanz 2017; vgl. Wirtschaftswoche 20.3.2018) keines der Unternehmen, die Arbeitsplätze in Deutschland abbauen, im Jahr 2017 rote Zahlen schrieb.
Neben strategischen Unternehmensentscheidungen zur Profitmaximierung waren die defensiven Standortkonflikte Ausdruck einer größeren Transformation: Es ging darum, große breit aufgestellte Konzernstrukturen zu zerschlagen, um die – nach Auffassung der Manager – notwendige unternehmerische Flexibilität für das digitale Zeitalter zu erreichen (vgl. Die Welt 9.11.2017). Außerdem sollten die Rationalisierungen dafür dienlich sein, trotz weltweiter Überkapazitäten profitabel zu bleiben. Diese Dynamiken lassen sich an dem Konflikt bei thyssenkrupp um einen größeren Schutz für die heimische Stahlindustrie und die aktuell anstehende Fusion mit Tata Steel Europe verdeutlichen.
Der Konflikt bei thyssenkrupp um Stahlüberkapazitäten und die Fusion mit Tata Steel Europe
Überkapazitäten und Fusionen in der deutschen Stahlbranche sind keine neuen Phänomene. Schon in den 1970er und 1980er Jahren war von einer Stahlkrise die Rede, der mit Rationalisierungsmaßnahmen und korporatistischer Politik begegnet wurde (Esser et al. 1979). Die Auslastung der Stahlwerke lag in Deutschland Anfang der 1970er Jahre noch bei 85 Prozent, Anfang der 1980er Jahre nur noch bei 63 Prozent. Die Auswirkungen für die Beschäftigten waren gravierend, zwischen 1974 und 1980 wurden 55.000 Arbeitsplätze in der Eisen- und Stahlindustrie abgebaut. Die Gesamtbeschäftigtenzahl in der Branche sank auf 289.000 (vgl. Memorandum 1981: 209). Der Stellenabbau schritt auch in späteren Jahrzehnten fort. Die geplante Fusion von thyssenkrupp Steel Europe und Tata Steel Europe ist nur die jüngste einer langen Reihe ähnlicher Firmenzusammenschlüsse. Im Jahr 1991 wurde die Hoesch AG vom Krupp-Konzern übernommen. Durch den Zusammenschluss von Krupp und Thyssen 1999 entstand der heutige Konzern thyssenkrupp (Döhrn 2018: 3).
Trotz dieser permanenten Strukturkrise weist die heutige Krise – nicht nur aufgrund der Rolle Chinas als Weltmarktführer in der Stahlproduktion – eine neue Qualität auf. Das Neue an der aktuell diskutierten Fusion ist, dass sich thyssenkrupp von dem Traditionsgeschäft Stahl trennen will. Eine Fusion ist nur zwischen der Stahlsparte von thyssenkrupp und Tata geplant. Thyssenkrupp will in Zukunft Anlagenbau und Aufzugsfertigung stärken und sich als Technologiekonzern etablieren. Das „Handelsblatt“ bezeichnete die neue Ausrichtung des Konzerns daher als „Thyssen-Krupp 2.0“ (Handelsblatt 20.12.2017). Durch sie soll die digitale Vernetzung gefördert werden. Nun stehen Produkte wie Hololinsen für interaktive 3D-Projektionen und Steer-by-wire Systeme auf der Agenda – Überlegungen weit weg von der Arbeitsrealität eines Stahlkochers.
Der aktuelle Konflikt in der Stahlindustrie begann, als am 15. Februar 2016 600 Mitarbeiter*innen von thyssenkrupp, Arcelor Mittal und HKM an einer Kundgebung in Brüssel teilnahmen, zu der 5.000 europäische Stahlarbeiter*innen anreisten. Sie forderten das Europäische Parlament dazu auf, gegen die Dumpingpreise der chinesischen Stahlindustrie vorzugehen und kritisierten eine geplante Verschärfung der europäischen Klimaauflagen durch die europäische Stahlwerke mehr Abgaben für ihren CO2-Ausstoß leisten müssten (vgl. der westen 16.2.2016). Am 11. April 2016 fand ein deutschlandweiter Stahl-Aktionstag statt, an dem der IG Metall zufolge 45.000 Beschäftigte der Branche für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze auf die Straße gingen und gegen billigen Stahl aus China und gegen eine Erhöhung der Klimaabgaben protestierten. Auch Mitglieder verschiedener Firmenleitungen nahmen teil. Allein vor dem thyssenkrupp Werk in Duisburg protestierten 16.000 Beschäftigte (vgl. IG Metall 11.4.2016). Dazu kamen weitere Protestaktionen in Deutschland und auch immer wieder in Brüssel, an denen sich thyssenkrupp-Mitarbeiter*innen beteiligten (vgl. IGM NewsTicker Stahlindustrie).
Die Aktionen waren erfolgreich. Die EU hob die Strafzölle auf chinesische Stahlimporte auf bis zu 35,9 Prozent an, von vormals maximal 22,6 Prozent (Spiegel Online 6.4.2017). Beim Thema Klimaabgaben sollen die Emissionszertifikate, die energieintensive Unternehmen kostenfrei erhalten, um 3 bis 3,5 Prozent steigen. Allerdings soll die Messlatte für den Erhalt der kostenfreien Zertifikate jedes Jahr um 0,2 sinken, d.h. Unternehmen müssen ihre Klimaschutztechnologien immer weiter verbessern, um Anspruch auf die freien Zertifikate zu haben. Von Gewerkschafts- und Unternehmensseite wird die aktuelle Messlatte als unrealistisch bewertet (vgl. IG Metall 10.11.2017). Ob die Zugeständnisse die Probleme der Stahlindustrie abmildern können, ist fraglich. Die Importbeschränkungen für chinesischen Stahl scheinen vor allem die Importe aus Drittländern wie Indien und der Türkei gestärkt zu haben und können die Weltmarktpreise kaum beeinflussen. Die positiven Auswirkungen für die europäische Stahlindustrie bleiben daher überschaubar (vgl. Döhrn 2018: 5).
Im August 2016 schwenkte die Aufmerksamkeit der thyssenkrupp-Belegschaft um. Der Konflikt wandelte sich von einer branchenweiten Auseinandersetzung um Schutzmaßnahmen für die europäische Stahlindustrie, in dem Beschäftigte und Management ein gemeinsames Interesse verfolgten, zu einem betriebsinternen Konflikt um Fusionspläne und Stellenabbau. Thyssenkrupp Konzernchef Heinrich Hiesinger hatte im April 2016 angekündigt, sowohl mit Tata Steel Europe als auch mit anderen Konkurrenten über Fusionspläne in der Stahlsparte zu sprechen (vgl. Handelsblatt Global 15.4.2016). Am 31. August kam es darauf hin zu einer Protestaktion von 7.000 thyssenkrupp-Beschäftigten für mehr Transparenz und eine stärkere Beteiligung an den Verhandlungen (vgl. Handelsblatt 31.8.2016). Auch in den Folgemonaten folgten weitere Proteste mit großer Beteiligung.
Im September 2017 unterzeichneten thyssenkrupp und Tata Steel Europe schließlich eine Absichtserklärung für ein Joint Venture, an dem beide Konzerne 50 Prozent halten würden. Das Joint Venture thyssenkrupp Tata Steel wäre das zweitgrößte Stahlunternehmen auf dem europäischen Markt. Die Konzerne erhoffen sich durch die Fusion Einsparungen zwischen 400 und 600 Millionen Euro jährlich, u.a. durch den Abbau von 4.000 Stellen, je zur Hälfte bei Tata und thyssenkrupp. Thyssenkrupp Tata Steel hätte Standorte in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden. Betriebsrat, Beschäftigte und IG Metall stellten sich stark gegen die Fusionspläne (vgl. Zeit online, 20.9.2017). Erst nachdem Ende Dezember 2017 ein Beschäftigungssicherungstarifvertrag zwischen Betriebsrat und Konzernleitung ausgehandelt wurde und das Verhandlungsergebnis im Januar von 92,2 Prozent der IG Metall-Mitgliedschaft in der Stahlsparte von thyssenkrupp angenommen wurde, schien die Zustimmung der BelegschaftsVertretung im Aufsichtsrat möglich (vgl. IG Metall 5.2.2018). Der Beschäftigungssicherungstarifvertrag schließt bis zum 30. September 2026 betriebsbedingte Kündigungen für die 27.000 Beschäftigten aus. Auch musste thyssenkrupp zusichern, dass der Konzern für mindestens sechs Jahre die Hälfte des Joint Ventures halten würde. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass thyssenkrupp Verantwortung für den Erfolg des neuen Stahlunternehmens mitträgt. Für die Konzern-Mitbestimmung bedeutet die Fusion starke Einschnitte, da der Unternehmenssitz nach Amsterdam verlagert werden würde und damit die paritätische Montanmitbestimmung6 nicht mehr eingehalten werden muss. Hier war der Konzern zu keinen Zugeständnissen bereit (vgl. IG Metall 22.12.2017).
Ob die Fusionspläne tatsächlich umgesetzt werden können, steht noch immer nicht fest. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Artikels im April 2018 stand die Zustimmung der Beschäftigten erneut auf der Kippe. Tata hatte der niederländischen Gewerkschaft FNV Zusicherungen zur Unabhängigkeit des hochprofitablen niederländischen Standorts IJmuiden Velsen beim Zugriff auf die erwirtschafteten Gewinne gemacht. Diese würden daher nur teilweise in die Gemeinschaftskasse des Joint Ventures fließen. Dies wird vom thyssenkrupp Betriebsrat als Nachteil für die deutschen Standorte gewertet, da sie die Risiken der weniger profitablen Tata-Standorte in Großbritannien weitgehend alleine tragen müssten. Sollte sich hier kein Kompromiss finden lassen, könnte es dazu kommen, dass die Belegschafts-Vertretung im Aufsichtsrat doch gegen die Fusion stimmt. Bei Gleichstand der Stimmen könnte nur der Aufsichtsratsvorsitzende Ulrich Lehner mit seiner Doppelstimme die Fusion erzwingen (Handelsblatt 10.4.2018).
Schlussfolgerung: Die Dynamik defensiver Standortkonflikte
Die Entwicklungen bei thyssenkrupp sind exemplarisch für traditionell breit aufgestellte Konzerne. Sie spalten Geschäftszweige ab, um spezialisierter, größer und flexibler zu werden. Siemens geht einen ähnlichen Weg. Durch die Fusion seiner Bahnsparte mit dem französischen Unternehmen Alstom soll Europas größter Schienenfahrzeugbauer mit 62.000 Mitarbeitern entstehen (vgl. Handelsblatt 23.3.2018). Auch wenn die thyssenkrupp-Beschäftigten ihre Arbeitsplätze bis 2026 absichern konnten, ist absehbar, dass die deutsche Stahlbranche perspektivisch ihre Beschäftigtenzahl weiter verringern wird. Noch größere Folgen hat die Verlagerung des Unternehmenssitzes des neuen Joint Ventures in die Niederlande. Das seit den 1950er Jahren etablierte System der Mitbestimmung in der deutschen Montanindustrie hätte dann keine Geltung mehr für den ehemals größten Stahlerzeuger Deutschlands. In zukünftigen Konflikten bei thyssenkrupp Tata Steel werden Zugeständnisse nicht mehr im gleichen Maß erkämpft werden können, da die Belegschafts-Vertretung in Entscheidungsgremien nicht mehr das Stimmenrecht haben wird wie es die paritätische Montanmitbestimmung für in Deutschland ansässige Unternehmen verlangt. Die Beschäftigten in der Stahlbranche verlieren also an Durchsetzungsfähigkeit; sie verlieren durch die veränderte Marktsituation an Produktionsmacht und durch die Restrukturierung auch an institutioneller Macht im Betrieb.
Der Fall thyssenkrupp kann somit als ein Warnschuss für andere Unternehmen gelten. Denn der deutsche Industriestandort sieht sich großem Druck ausgesetzt. Neben der Digitalisierung und der Energiewende sind es gerade die veränderten Weltmarktbedingungen, die zu Konkurrenzdruck und Restrukturierungen beitragen. Vor allem China, das lange Zeit als ein Standort für arbeitsintensive Industrieprodukte mit wenig eigenem Technologieinput galt, durchläuft einen Wandel zu einem Standort, an dem vermehrt Technologieunternehmen angesiedelt sind. Die Konkurrenz könnte zukünftig auch andere Branchen wie die Automobilindustrie und ihre Zulieferer treffen und so zu einer neuen Welle von Standortkonflikten führen.7
Quelle : Streikmonitor von Lea Schneidemesser und Juri Kilroy aus der “Z” – Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 114 vom Juni 2018 auf www.labournet.de 4. Juni 2018 - erschienen in Rubrik [ Politik » Gewerkschaften » Kampf und Streik » Streik und Streikrecht Bild: gew.de
Anmerkungen
1 Das Projekt „Streikmonitor: Standardisierte Erhebung zur langfristigen Erfassung von Streikaktivitäten in Deutschland“ wird von der Heinz Jung-Stiftung (Frankfurt am Main) gefördert und von Stefan Schmalz (Friedrich-Schiller-Universität Jena) geleitet. Die Berichte erscheinen halbjährlich in Z; letzter Bericht: Schneidemesser u.a. 2017a. In diesem Artikel verwendete Daten beziehen sich, falls nicht anders gekennzeichnet, auf die Daten aus dem Projekt Streikmonitor.
2 Unter Konflikt ist dabei eine Auseinandersetzung zu verstehen, die aus mehreren Streiks oder Aktionen bestehen kann und sich ggf. über einen längeren Zeitraum erstreckt. So werden alle Streiks um einen Tarifvertrag bei Amazon, der bereits seit 2013 geführt wird, dem gleichen Konflikt zugeordnet. Aber auch ein einmaliger Warnstreik in einem einzelnen Betrieb ist ein eigener Konflikt. Bei der Berechnung der Anzahl an Streiks und Aktionen, die im Rahmen der Konflikte stattfinden, wurde 2017 eine Verfahrensänderung vorgenommen. An der Zahl der Konflikte ändert sich dadurch nichts. Streiks und Aktionen werden nicht mehr wie in der letztjährigen Übersicht für 2016 mit der Stadt, in der sie stattfinden, als Zähleinheit aufgenommen. Kriterium für die Zählung als ein Streik oder eine Aktion ist nun der Start- und Endzeitpunkt eines Streiks oder einer Aktion. Auf dieser Grundlage werden Streiks und Aktionen, die an mehreren Standorten in verschiedenen Städten gleichzeitig stattfinden, als ein Streik bzw. eine Aktion gezählt. Dies vermeidet eine Inflationierung der Streikanzahl und erhöht die Treffsicherheit bei der Aggregation der Streik- und Aktionszahlen. Für 2016 muss nach einer entsprechenden Neuberechnung die Zahl der Streiks und Aktionen von 603 auf 404 korrigiert werden. Im zweiten Halbjahr 2017 wurden sechs zusätzliche Konflikte aufgenommen, die im ersten Halbjahr 2017 stattgefunden haben. Zwei Konflikte wurden auf Grund ihrer Entwicklung im Laufe des Jahres zu einem Konflikt zusammengelegt. Für das erste Halbjahr 2017 erhöht sich damit die Zahl der Konflikte auf 131.
3 Flughafenslot: Zeitfenster für Landungen oder Starts, von den Flughäfen vergeben.
4 Auch der Tarifkonflikt bei der Postbank wurde sehr intensiv geführt, auf Grund des Erhebungsdesigns des Streikmonitors konnten jedoch nicht alle einzelnen Streiks innerhalb dieses Konflikts aufgenommen werden. In den Tarifverhandlungen zwischen ver.di und der Postbank ging es neben einer Gehaltserhöhung um eine Kündigungsschutzvereinbarung, die die Arbeitsplätze der Beschäftigten während des Übergangs der Postbank in die Deutsche Bank absichern sollte. Es wurde sich auf einen Kündigungsschutz bis Mitte 2021 und eine Gehaltserhöhung um 4,9 Prozent in drei Schritten geeinigt (vgl. ver.di Finanzdienstleistungen). Für eine Übersicht zu weiteren Konflikten, für die 2017 nicht alle Streiks und Aktionen aufgenommen werden konnten, siehe Schneidemesser u.a. 2017a: 74 Fußnote.
5 Vgl. Z 108 (Dezember 2016), Schwerpunkt „Fusionen, Konzernumbau, Kapitalstrukturen“.
6 Die paritätische Montanmitbestimmung sieht vor, dass sich der Aufsichtsrat je zur Hälfte aus Vertreter*innen der Anteilseigner und der Beschäftigten zusammensetzt. Beide Parteien einigen sich auf ein weiteres neutrales Aufsichtsratsmitglied (Arbeitsdirektorat).
7 Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Industriestruktur und die Gewerkschaften, sondern könnte sich auch gesellschaftspolitisch äußern. Dass Globalisierungsverlierer im Industriesektor durchaus auch von der politischen Rechten mobilisierbar sind, zeigt nicht nur die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. In Deutschland versucht die AfD-Organisation ALARM! (Alternativer Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland), Protestveranstaltungen von Beschäftigten gegen den Abbau ihrer Arbeitsplätze zu instrumentalisieren. Diese Strategie war bisher unterschiedlich erfolgreich: So nahmen der AfD-Politiker Björn Höcke mit Anhang medienwirksam und für Pressefotos wohl positioniert an einem Schweigemarsch der Siemens-Beschäftigten in Erfurt im November teil, wo Siemens sein Turbinenwerk verkaufen will oder zumindest Arbeitsplätze abbauen wird (vgl. neues deutschland 27.11.2017). Auch in Görlitz, wo die AfD in den letzten Bundestagswahlen ein Direktmandat bekam (Zeit online, 11.12.2017) und nun Siemens und Bombardier Arbeitsplätze in großem Stil abbauen wollen, könnte die politische Rechte von den Stellenkürzungen profitieren. Bei einer Veranstaltung von Opel Mitarbeitern gegen Beschäftigungsabbau im April 2017 am Standort Eisenach wurde Höcke von den Opel-Beschäftigten von der Demonstration abgedrängt und musste diese schließlich verlassen.
Quellen 8
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