Der Paritätische Gesamtverband zählte zuletzt 14,2 Millionen Menschen in Deutschland zur Armutsbevölkerung, das ist jede sechste Person.[1] Von Armut betroffene Menschen sind in den Knästen überrepräsentiert. Wollen wir Armut beenden, gehört dazu neben dem Kampf gegen prekäre Beschäftigung und Erwerbsarbeitslosigkeit, Rassismus und Wohnungsnot, um nur einige Dimensionen von Ungleichheit zu nennen,[2] auch die Entkriminalisierung von Armutsdelikten. Als klassische Armutsdelikte gelten Ladendiebstahl oder Fahren ohne Fahrschein.[3]
Die Ersatzfreiheitsstrafe trifft insbesondere die Armutsbevölkerung und wurde kürzlich reformiert – allerdings nicht zugunsten einer Entkriminalisierung von Armut. Jährlich werden in Deutschland rund 56.000 Ersatzfreiheitsstrafen vollstreckt, rund ein Viertel der Verurteilten sitzt für Fahren ohne Fahrschein (§ 265a StGB) in Haft, daneben wird die Sanktionsform bei Diebstahl, Betrug, Hehlerei oder Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz angewandt. Derartige Delikte werden vielfach mit einer Geldstrafe geahndet, und bei Nicht-Zahlung mit einer (Ersatz-)Freiheitsstrafe belegt. Viele dieser Inhaftierten sind in einer schlechten finanziellen Situation, erwerbslos, suchtkrank, rund ein Drittel der Inhaftierten hat keinen festen Wohnsitz.[4] Geldstrafen erhalten vor allem Menschen im unteren Einkommenssegment, wie die Tagessatzhöhen verraten. Diese verfügen zu 94 Prozent über ein Nettoeinkommen von unter 1.000 Euro, 60 Prozent der Menschen haben sogar weniger als 500 Euro monatlich zur Verfügung. Die Verurteilungen erfolgen meist als Strafbefehl per Post. Viele der Verurteilten nehmen den Strafbefehl aus verschiedenen Gründen, wie Überforderung oder – ganz trivial eine fehlende Postadresse – gar nicht zur Kenntnis und erfahren erst von der Geldstrafe, wenn die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe droht. Strafrecht modernisiert, Armut bleibt – Zur Nichtabschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe weiterlesen