Über die konkrete Lebenssituation armer Menschen in der Großstadt – Den Sanktionen der Jobcenter ausgesetzt

Sozialberatungsstellen berichten zunehmend von Menschen, die aufgrund der Sanktionen in Nöte geraten, die ihre Existenz bedrohen oder von jüngeren Ratsuchenden, die eine Zeit lang obdachlos und ganz unten angelangt sind. Wenn man sich deren Biografie genauer anschaut, sind viele von ihnen Opfer der Sanktionen, die von den Jobcentern auf der Grundlage des SGB II ausgesprochen wurden. Da eine Überlappung der Sanktionszeiträume möglich ist, können die zusammengerechneten Sanktionen bewirken, dass gar keine Auszahlung erfolgt und diese Menschen über keinerlei Einkommen verfügen.

Im Jahr 2017, dem Jahr mit der höchsten Anzahl von Sanktionen, wurden die Zahlungen um mehr als 178 Millionen Euro gekürzt. Rund 137.000 Menschen waren davon betroffen, das entspricht 3,1 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger. Bei den unter 25-jährigen lag der Anteil der „Sanktionierten“ bei 26 Prozent und hier wird die Frage der Legitimität der Strafmaßnahmen für diese Gruppe der Leistungsbezieher besonders deutlich. Bei den jungen Leuten will man verhindern, dass Arbeitslosigkeit besonders schwere Folgen für das weitere Erwerbsleben hat, die auch langfristig zu hohen gesellschaftlichen Kosten führen können.

Bei großen Sanktionen mindert sich das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 Prozent des Regelbedarfs, bei der ersten Wiederholung der Pflichtverletzung um 60 Prozent und bei jeder weiteren Wiederholung entfällt es vollständig. Die Kürzungen bei kleinen und großen Sanktionen werden summiert und dauern jeweils drei Monate.

Die einzelnen Regelungen sehen vor, dass Sanktionen bei Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen möglich sind:

Zu den Pflichtverletzungen gehören beispielsweise

  • Weigerung zur Erfüllung der Pflichten, die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegt wurden,
  • nicht genug Bewerbungen schreiben,
  • Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt, die nicht abgelehnt werden dürfen,
  • Ablehnung, Abbruch oder Vereitelung der Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit oder geförderten Arbeit,
  • Ablehnung, Abbruch oder Veranlassung für den Abbruch einer zumutbaren Maßnahme zur Arbeitseingliederung.

Weitere Minderungstatbestände sind beispielsweise

  • Zielgerichtete Verarmung,
  • Forstsetzung unwirtschaftlichen Verhaltens

und Sperrzeiten.

Für die unter 25-jährigen wird das Arbeitslosengeld II bei einer Pflichtverletzung auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung beschränkt, bei der ersten Wiederholung wird die Regelleistung ganz gestrichen. Nach Ermessen kann wieder für Unterkunft und Heizung gezahlt werden, wenn der junge Mensch sich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen.

Sanktionen für ein Meldeversäumnis können ausgesprochen werden, wenn der Leistungsberechtigte einen Termin beim Jobcenter oder beim ärztlichen oder psychologischen Dienst ohne wichtigen Grund versäumt. Hier werden für drei Monate um zehn Prozent und bei weiterem Verstoß weitere zehn Prozent für weitere drei Monate einbehalten.

 

Da eine Überlappung der Sanktionszeiträume möglich ist, können auch die zusammengerechneten Sanktionen keine Auszahlung mehr bewirken. Auch wenn man die Meldung nachholt, führt das nicht zur Beendigung des Sanktionszeitraums. Die Meldeversäumnisse haben den größten Anteil mit 68 Prozent an den Sanktionen.

Mittlerweile wehren sich die Betroffenen gegen die menschenfeindlichen Sanktionen. Mehr und mehr Erwerbslose organisieren sich und gehen gegen die Sanktionen auf die Straße, wie die Initiative „AufRecht“ es tut. Sie machen darauf aufmerksam, dass vom „Fördern und Fordern“ nur noch das „Fordern” übriggeblieben ist, auch weil die Mittel für Eingliederungshilfen fast halbiert wurden.

 

Der Aspekt der grundgesetzlich garantierten Berufsfreiheit hat in den seit Jahren geführten Diskussionen um die Sanktionsmechanismen praktisch so gut wie nie eine Rolle gespielt.

Die Menschen, die im Hartz-IV-Bezug sind, stehen permanent unter Druck möglicher Sanktionen, weil jeder Vermittlungsvorschlag des Jobcenters ein „nicht ablehnbares Angebot“ sein kann. Die Freiheit der Berufswahl gibt es für sie nicht.

 

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Sanktionen im SGB II vom 05. November 2019 hat in der Praxis für die Betroffenen kaum eine Verbesserung gebracht.

Folgen der Sanktionen bei den Betroffenen

Bereits Anfang 2017 waren die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages in einer Auswertung zahlreicher Studien zu dem Schluss gekommen, vor allem hohe Kürzungen von mehr als 30 Prozent hätten häufig »schwerwiegende negative Folgen für die Lebenslagen der Sanktionierten«. Psychisch trete meist eine »lähmende Wirkung« statt der beabsichtigten Anpassung ein, Erkrankungen wie Depressionen verschärften oder entwickelten sich. Sozial führten harte Sanktionen zu mangelnder Ernährung und medizinischer Versorgung bis hin zu Hunger und Obdachlosigkeit.

Wenig später, Ende 2017, kam die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in einer Studie zu dem Schluss, das Hartz-IV-Regime produziere vor allem durch die Sanktionspraxis, aber ebenso durch Gängelei der Betroffenen »massive Angstzustände, welche zwar einerseits Anpassungsbereitschaft erzeugen, aber zugleich die soziale Integration strapazieren«. Dies zwinge Menschen nicht nur, zu miserablen Bedingungen zu arbeiten. Es trage auch maßgeblich zum Erstarken rechtspopulistischer Kräfte bei und schüre Aggressionen gegen Schwächere, so die FES.

 

 

 

Quellen: SGB III, SGB II, BA, WAZ,Berichte Betroffener, FES

Bild: Sozialberatung Kiel