Zur konkreten Lebenssituation armer Menschen in der Großstadt – über die Verfolgung, Verelendung und Tod von Drogennutzern

Die Auswirkungen der Reformen der „Agenda 2010“ die von der rot-grünen Koalition Anfang des Jahrhunderts auf den Weg gebracht wurden, haben der politischen Kultur und dem sozialen Klima im Land dauerhaft geschadet. Der Arbeitsmarkt wurde dereguliert, der Sozialstaat demontiert, eine Steuerpolitik betrieben, die den Reichen mehr Reichtum und den Armen mehr Armut gebracht und auch der Mittelschicht deutlich gemacht hat, dass ihr Abstieg jederzeit möglich ist. Damit reagieren die Stärkeren ihre Abstiegsängste, Enttäuschung und Ohnmacht an den Schwächeren ab.

Begleitet wird das Ganze von dem Mistrauen gegenüber den Mitmenschen und wenn man sieht, dass der Staat überall ein Sicherheitsproblem entdeckt, das mit martialischen Einsätzen der Sicherheitskräfte entschärft werden muss, dann wird die gefühlte Bedrohung real erlebt und nach dem noch stärkeren Staat gerufen.

Dabei ist es erforderlich, denen, die nichts mehr haben, als strafender und disziplinierender Staat entgegen zu treten und denjenigen Menschen mit Abstiegsängsten und den großen Vermögen einen starken Staat zu demonstrieren.

Der Bereich, in dem der strafende Staat schon seit Jahrzehnten eine besonders tragische Kontinuität an den Tag legt, ist die Ahndung von Drogendelikten, mit teilweise windigen und kruden Rechtsgrundlagen, die die Menschen kriminalisieren sollen und bewusst in die Verelendung führen.

Das Armutsdelikt, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, wird im Folgenden genauer betrachtet und auch, wie es geahndet wird.

Drastischer Anstieg der Todesfälle bei den Nutzern illegaler Drogen

Die Zahl der Menschen, die an den Folgen des Missbrauchs illegaler Drogen gestorben sind, ist im vergangenen Jahr erneut angestiegen. Das geht aus einem aktuellen Bericht des Bundesgesundheitsministeriums hervor. Demnach starben 2022 insgesamt 1.990 Menschen durch Drogenkonsum. Damit ist die Zahl im Vergleich zum Vorjahr um fast neun Prozent gestiegen.

Die meisten Todesfälle wurden durch den Missbrauch von Opioiden, meistens Heroin und Morphin verursacht. Hier starben durch Opioid-Konsum 1.194 Personen, 749 davon durch Heroin oder Morphin. Die zweithäufigste Todesursache waren mit 663 Todesfällen die Langzeitfolgen des Drogenmissbrauchs. Auch hier sind die Zahlen der Drogentoten in den vergangenen Jahren kräftig angestiegen, im Jahr 2012 war die Zahl mit 944 Menschen noch knapp halb so groß.

Der Vergleich zwischen den Bundesländern ergibt, dass in Nordrhein-Westfalen mit 703 die meisten Todesfälle gemeldet werden. In der Reihenfolge kommt Bayern mit 277 Toten und Berlin mit 230 Toten. Am niedrigsten ist die Zahl mit elf Todesfällen in Mecklenburg-Vorpommern. Das Saarland weist einen deutlichen Anstieg auf, hier lag die Zahl 2022 mit 43 Todesfällen mehr als 50 Prozent höher als im Vorjahr.

Wie schon seit Jahrzehnten, starben deutlich mehr Männer an den Folgen des Drogenkonsums als Frauen, hier handelte es sich bei 1 .648 Todesfällen um männliche Personen, was einem Anteil von 83 Prozent – im Gegensatz zu 342 Frauen- entspricht. Das Durchschnittsalter der Toten lag bei knapp 40 Jahren.

Hauptgründe für die drogenbedingten Todesfälle

Zu den vielen Gründen für „drogenbedingte“ Todesfälle zählen vor allem verunreinigte Substanzen vom Schwarzmarkt, zu wenige Möglichkeiten, beim Konsum die Gesundheit und Leben zu schützen, ständige Strafverfolgung und Inhaftierung, in vielen Fällen ein Leben auf der Straße und sicherlich eines am Rande der Gesellschaft.

Mittlerweile gibt es eine ältere Generation von Menschen, die seit Jahrzehnten Drogen konsumieren und in der Regel schwer erkrankt sind. Meist weisen sie mit Funktionseinschränkungen fast aller inneren Organe, ausgeprägten Behinderungen im Bewegungsapparat und psychischen bis psychotischen Krankheitsbilder auf.

Konsumiert wird nicht nur eine Substanz wie noch vor ein paar Jahrzehnten, sondern alles was Wirkung zeigt, angefangen von Alkohol, starken Schmerzmitteln, Aufputsch- und Beruhigungsmittel, Heroin, Kokain, Cannabis und das völlig zersetzende Crack. Das letztgenannte Mittel fällt bei der Verarbeitung von Kokain an und wirkt äußerst heftig. Der schnell zu erwartende Kick hat schwerste Nebenwirkungen. Körperhygiene, Selbstsicherung, Essen und Trinken werden schnell unwichtig. Wie ein den Hang hinunter rollender Stein geraten die Menschen innerhalb von ein paar Wochen völlig in die Verwahrlosung, mit stärksten physischen und psychischen Abhängigkeiten, bis nach ganz unten zum völligen körperlichen Verfall.

Immer wieder klagen Psychiatrische Kliniken über junge, extrem aggressive Patienten mit ausgeprägten Psychosen, die schon im Kindes- und Jugendalter Cannabis rauchten. Eine „bessere Qualität“ mit weit erhöhtem PHC-Inhaltsstoffen hat massiv Probleme im Gehirn der jungen Leute verursacht und Zellen unwiederbringlich zerstört. Für diese Menschen ist die Rückkehr ins „normale Leben“ endgültig versperrt.

Prohibition ist gescheitert…

Drogenkonsum wird unter den derzeitigen Bedingungen in der Regel begleitet von Drogenhandel, Eigenkonsum und Konflikten auf der offenen Bühne der Städte, dort wird mit Recht und Ordnung als null Toleranz gegen einzelne Personen vorgegangen, um den „Drogensumpf“ angeblich auszutrocknen. Würde das wirklich geschehen, wurde das für viele Menschen den sicheren Tod bedeuten, wenn der Drogenmarkt in einer Stadt wirklich zusammenbricht. Letztendlich würden dann auch keine Ordnungskraft oder Politiker wirklich die Verantwortung übernehmen wollen, deshalb ist es einfacher das Schmierentheater der Prohibition weiter aufzuführen.

Die Prohibition, hier gemeint ist ein Totalverbot des Erwerbs und Besitzes von Substanzen, hat völlig ihr Ziel verfehlt. Heute sind so viele verschiedene Drogen von unbekannter Qualität so preiswert und leicht am Drogenmarkt erhältlich wie nie zuvor. Trotzdem werden wissenschaftlich abgesicherte Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit der Drogennutzer aus ideologischen Gründen zurückgehalten. Jegliche neue Ansätze, um die Lebenssituation von Drogenabhängigen zu verbessern, erreichen allerhöchsten den Status von zeitlich befristeten Modellprojekten.

Aus dem Kampf gegen Drogen ist ein Kampf gegen Drogennutzer geworden, den der strafende Staat mit Polizei und Ordnungskräften in den Städten führt.

…dafür ist die Kriminalisierung gestiegen und die Strafen drakonisch

Die Strafen für Drogendelikte sind extrem hoch, es gilt das Prinzip der flächendeckenden Kriminalisierung. Der Grundsatz des Strafrechts, dass die Opfer vor den Tätern zu schützen sind, ist hier aufgegeben worden.

Kleinste Vorbereitungshandlungen werden zu eigenständigen Taten umgedeutet und es entfällt die Unterscheidung zwischen Helfern, Anstiftern und Tätern. So wundert es kaum, dass 80 Prozent der zu Gefängnisstrafen verurteilten Drogentäter suchtmittelabhängige Kleindealer sind, die meistens selbst zu Opfern der Verbrechersyndikate wurden.

Die praktische Handhabe des Betäubungsmittelgesetzes bietet den Strafverfolgern mittlerweile eine Vielzahl von erlaubten oder nicht erlaubten Mitteln, wie Funkzellen-Auswertungen, elektronische Auswertung von Datenströmen, Trojanereinschleusung, Zugriff auf ausländische Server, Handy-Überwachungen, Bewegungsbilder, Wanzeneinsatz, Positionsbestimmung per GPS, IMSI-Catcher (Geräte zum Auslesen von Handys), Observationen, Innenraum-Überwachungen, heimliche Durchsuchungen, Strukturermittlungsverfahren, Video-Überwachungen, Finanzermittlungen, Verfallsanordnungen von Geld und Wertsachen, Einsatz von V-Leuten, vorgefertigte Sperrerklärungen zur Aktenunterdrückung und vieles mehr.

Hierbei sind nicht mehr die Staatsanwälte und Richter die Herren des Verfahrens, sondern der Zoll und die Polizei. Bei ihren konspirativen Aktionen entziehen sie sich weitgehend der Kontrolle. Die „Bekämpfung der Drogenkriminalität“ rechtfertig für sie alles, was sie machen und wie sie es machen.

Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) hat in seiner jetzigen Form keine Berechtigung mehr

Nach dem Betäubungsmittelgesetz von 1982 ist jeder Umgang mit Betäubungsmitteln (Rauschgiften) ohne behördliche Genehmigung strafbar. Der Besitz, auch einer geringen Menge, beispielsweise von Cannabisprodukten, ist grundsätzlich strafbar. Bei einer geringen Menge kann die Staatsanwaltschaft aber von der Strafverfolgung absehen. Eine Gewähr für die Einstellung des Verfahrens gibt es nicht. In jedem Fall hat die Polizei immer Strafverfolgungspflicht und führt in der Regel folgende Maßnahmen durch: vorläufige Festnahme, körperliche Durchsuchung, Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, Mitteilung an die Führerscheinstelle wegen Drogen im Straßenverkehr, Durchsuchung der Wohnung, bei Personen unter 18 Jahren die Durchsuchung der Wohnung der Eltern.

Eine Einstellung des Verfahrens ist beim Handel mit Betäubungsmitteln immer ausgeschlossen, wenn die Tat in Schulen, Jugendheimen, Kasernen etc. begangen wurde und die Tat Kindern und Jugendlichen Anlass zur Nachahmung geben könnte.

Ein Résumé nach 40 Jahren Betäubungsmittelgesetz:
  • Der Drogenkonsum ist unabhängig von strafrechtlicher Intervention. Die Konjunkturen des Drogenkonsums sind gänzlich unabhängig von gesetzlichen Regelungen.
  • Die Vorgängerregelung des BtMG (Opiumgesetze) sah als Höchststrafe drei Jahre Haft vor. Es gab zu Beginn der 1960er Jahre durchschnittlich drei Verurteilungen pro Woche in der ganzen Bundesrepublik Deutschland. Heute droht das Betäubungsmittelgesetz 15 Jahre Höchststrafe an und rund die Hälfte aller Untersuchungshäftlinge sind wegen Drogenvorwürfen in Haft.
  • Bezogen auf das geschützte Rechtsgut, die Gesundheit, hat sich das Gesetz als wirkungslos erwiesen.
  • Drogen hat es immer gegeben und die Lust darauf und die Genusssuche wird es immer geben. Im legalen Bereich z.B. bei Alkohol wird das nicht angezweifelt oder kritisiert. Es ist willkürlich bestimmt, dass einige Drogen davon illegal sind.
  • Mit nichts anderem ist die Justiz mehr beschäftigt, als mit der Drogenkriminalität. Dennoch ist kein erwünschter Effekt der Strafverfolgung, wie eine geringere Nachfrage nach illegalen Betäubungsmitteln oder ein geringeres Angebot erkennbar. Die Prohibition ist seit vier Jahrzehnten vollkommen unwirksam.
  • Die Drogenprohibition hat rechtsstaatliche Prinzipien verdrängt. Die Justiz und der Gesetzgeber verweigern die kritische Bestandsaufnahme. Die Gerichte lassen im Regelfall grenzwertige oder rechtswidrige Ermittlungsmethoden der Polizei regelmäßig durchlaufen. Die Vernachlässigung der Kontrollfunktion der Gerichte wird damit gerechtfertigt, dass, je größer der Verdacht auf einen Drogenhandel, desto geringer ist die Voraussetzung zur Einhaltung rechtsstaatlicher Standards und Beschuldigtenrechte. Die Gesetzgebung versagt hier ebenfalls als Korrektiv: Im Betäubungsmittelbereich folgt das Gesetz der polizeilichen Praxis, nicht die polizeiliche Praxis dem Gesetz.
  • Die Beschaffungskriminalität ist eine weitere Folge der Prohibition. Jeder Mensch kann zum Opfern von Einbrüchen, Raubüberfällen und Betrug werden. Diese Delikte dienen dazu, die durch den Schwarzmarkt maßlos erhöhten Preise auch bezahlen zu können. Darüber hinaus ist eine weltweite Schattenwirtschaft mit riesigen Profitraten entstanden, das Geld wird gewaschen und fließt in den Wirtschaftskreislauf zurück. Der wirtschaftliche Schaden ist immens.
  • Seit fast 50 Jahren werden die Menschen durch die Medien und die Politik falsch informiert. Einzelne Problemfälle, sowie die Anzahl der Drogentoten, werden immer wieder massiv dramatisiert. Der Tod wurde immer der Droge zugeschrieben, er hätte aber vor allem dem Strafrecht als Ursache zugeschrieben werden müssen. Drogentote gibt es in der Regel durch Unkalkulierbarkeit der Dosis, durch Beimengungen und gesundheitliche Risiken der Lebensumstände. Bei sinnvoller Aufklärung und durch eine Verschreibungspflicht von Drogen hätte es auf jeden Fall weniger Tote gegeben.
  • Junge Menschen werden unnötig der Kriminalisierung ausgesetzt. Sie werden als Kriminelle geführt, weil ein Genuss verfolgt wird, ohne dass sie jemandem geschadet haben. Sie begehen opferlose Delikte, bei denen kein Rechtsgut verletzt wird. Jeder darf Drogen konsumieren, das ist an sich nicht strafbar und von der Verfassung her gedeckt, aber man kann eben nicht konsumieren, ohne sich strafbar zu machen, z.B. wegen des Besitzes.
  • Seit 20 Jahren wird schon auf die gesetzliche Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zur Straflosigkeit des Besitzes geringer Mengen Cannabis gewartet. Im Gegenteil, die Strafbarkeit im Betäubungsmittelrecht wird immer weiter verschärft. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes reicht das ernsthafte Gespräch über ein Drogengeschäft zur Verwirklichung des Tatbestandes des vollendeten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schon aus

und

das Strafrecht erzielt seine Wirkung nicht, vielmehr zeigt es unbeabsichtigte Nebenwirkungen, wie den Schwarzmarkt mit all seinen Folgen z.B.: dem Drogenkrieg in Mexiko, hunderttausend Toten und Finanzierung des Terrorismus weltweit durch Opiumhandel.

Auch der Rechtstaat ist gefragt

Bis auf Aktivitäten zur Verbesserung der Situation von Drogennutzern in einigen Landtagen, auf Initiative kleinerer Parteien, ist jeglicher Entkriminalisierungsversuch lautlos verpufft. Ebenso wie die Bemühungen, das Drogenproblem aus dem strafrechtlich-polizeilichen Bereich in den sozial-gesundheitlichen Bereich zu verlagern.

Geblieben ist nur der Ruf nach mehr Repressionen.

Schon vor einigen Jahren haben 122 deutsche Strafrechtsprofessoren eine Resolution unterzeichnet, in der sie eine Entkriminalisierung der Drogennutzung verlangten. Es war ein Versuch, die ursprüngliche Funktion des Parlaments wieder zu wecken, da verfassungsrechtlich die Gesetze eigentlich wissenschaftlich begründet und überprüfbar sein müssen. Die Zielsetzung der Resolution war, unabhängig von der Frage, ob Drogen gefährlich sind oder nicht, dass die Politik sich mit der derzeitigen unhaltbaren Situation, die sich aus dem Betäubungsmittelgesetz ergibt, auseinandersetzt. Die Wissenschaftler bezeichneten die strafrechtliche Verfolgung als gescheitert, sozial schädlich und unökonomisch.

Rechtsstaatlich wäre es erforderlich, ein solchermaßen nutzloses Gesetz, wie das Betäubungsmittelgesetz, abzuschaffen, auch um die wachsende Zahl der toten Drogennutzer auf Null zu senken.

Der Start für eine neue Drogenpolitik ist längst überfällig.

 

 

 

 

 

Quellen: WAZ, monitor.de, BTM-Gesetze, Dortmunder Bekanntmachungen, Bundesgesundheitsamt, Aidshilfe
Bild: Drogenberatung Karlsruhe