Am 30. Juni haben die Tarifkommissionen der IG Metall beschlossen, mit einer Forderung von 8 Prozent bei einer Laufzeit von 12 Monaten in die Tarifverhandlungen für die Metall- und Elektroindustrie mit knapp 4 Millionen Beschäftigten zu starten. Die Enttäuschung in den Betrieben über diesen Beschluss ist groß, wurden dort doch meistens wesentlich höhere Forderungen zwischen 10 und 15 Prozent diskutiert und beschlossen, insbesondere in den großen Konzernen wie Daimler, Porsche und Co. Die Löhne hinken deutlich der Preisentwicklung hinterher.
Zwar sind die Tarifverdienste im ersten Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahresquartal um durchschnittlich 4,0 Prozent gestiegen, doch geschönt wird die Statistik durch die Corona-Sonderzahlungen. Diese hebt jedoch nicht die Lohnbasis an. Ohne sie betrüge der tarifliche Zuwachs lediglich 1,1 Prozent. Für die Arbeiter und Angestellten bedeutet diese Entwicklung einen immens hohen Reallohnverlust, sind wir doch mittlerweile bei einer Inflation von ca. 8 %. Wir schlagen vor: Mindestens 12% des Facharbeiterecklohns – aber als Festgeld, also 350 bis 400 Euro!
Angesichts der Reallohnverluste in den letzten Jahren, 4 ½ Jahre ohne tabellenwirksame Erhöhung und der extrem hohen Inflation bei gleichzeitig hohen Unternehmerprofiten, halten wir vom Stuttgarter Metallertreff die Forderung von 8 % für deutlich zu niedrig.
Jede/r spürt täglich, wie die Preise gestiegen sind und weiter steigen (Speisefette und Speiseöle +27,3 %, Molkereiprodukte und Eier +9,4 %, frisches Obst und Gemüse 9,3 %, Fleisch und Fleischwaren 11,8 %, Energiekosten 38,3 %). Da reichen 8 % nicht aus, um Reallohnsenkungen zu verhindern und den Lebensstandard zu halten.
Auch eine Festgeldforderung muss sein!
Wir denken, dass mindestens 350 bis 400 Euro notwendig sind, um Einbußen zu minimieren bzw. zu verhindern. Eine Festgeldforderung würde auch den unteren Entgeltgruppen nützen, da sie für ihre typischen Einkäufe sogar 8,9 % mehr zahlen, so heißt es im sogenannten Inflationsmonitor für den Monat Mai. Denn ihr Warenkorb setzt sich etwas anders zusammen als der von Durchschnittshaushalten. Die Waren des täglichen Bedarfs haben eine höhere Inflation als der übliche Warenkorb. Sie brauchen dringend mehr, um nicht in die Armutsfalle zu geraten.
Schon jetzt: Immer mehr Verzicht und Armut
Eine Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung auf Basis einer repräsentativen Befragung von Erwerbstätigen und Arbeitsuchenden besagt: Mehr als die Hälfte der Erwerbspersonen mit niedrigerem Einkommen gibt an, wegen der Inflation den Kauf von Lebensmitteln einzuschränken. 52 % der Erwerbspersonen in Deutschland mit einem relativ niedrigen Haushaltseinkommen bis 2.000 Euro netto monatlich sehen sich genötigt, weniger Lebensmittel zu kaufen, weil die Preise so stark gestiegen sind, insbesondere für Energie. Darunter wollen rund 18 % den Konsum von Nahrungsmitteln, Getränken, Tabakwaren und ähnlichem sogar »bedeutend« zurückfahren. 63 % geben außerdem an, beim Kauf von Kleidung und Schuhen inflationsbedingt kürzertreten zu wollen, darunter 28 % »bedeutend«.
Die hohe Inflation sowie die niederen Tarifabschlüsse der vergangenen Jahre haben Folgen: Mit einer Quote von 16,4 % – das sind 13,8 Millionen Menschen – hat die Armut im vergangenen Jahr einen bisherigen Höchststand erreicht. Das sind 600.000 mehr als vor Ausbruch der Coronapandemie. Auffällig sei der »ganz ungewöhnliche Zuwachs« der Armut unter Erwerbstätigen während der Pandemie, von 9 auf über 13 %. Besonders bedrückend: 20,8 % der Kinder und Jugendlichen sind arm. Und dies in einer so reichen Gesellschaft.
Die Reichen werden reicher….
Selbst während der Pandemie wurden die Reichen noch reicher, strichen große Konzerne auf unsere Kosten Rekordgewinne ein. 2021 wuchsen die Vermögen der zehn reichsten Deutschen von 138 Mrd. auf 245 Mrd. Euro. Mercedes machte einen Gewinn von über 14 Mrd. Euro (Verdopplung zu 2020!), zahlte 5 Euro Dividende, das 4 fache wie 2020. Der Porsche-Gewinn wuchs 2021 um 27 %, laut Porsche-Chef Oliver Blume „das erfolgreichste Jahr in der Geschichte von Porsche“.
Wegen Krise, Krieg oder dem Gejammer der Unternehmer brauchen wir auf Lohnerhöhungen nicht zu verzichten! Die Rekord-Profite werden außerdem aus unseren Knochen und Hirnen herausgepresst. Auch wenn davon unsere Forderung nicht abhängen darf: Nicht nur beim Kapital, auch beim Staat sind die Kassen randvoll. Denn jedes Prozent Inflation steigert auch die Steuereinnahmen. Diese hängen bekanntlich an den Preisen. Und die bis jetzt beschlossenen staatlichen Entlastungspakete wie 9-Euro-Ticket und Energiepauschale sind eher kosmetischer Natur, als wirkliche Entlastung.
Lohnkampf verbinden mit Kampf für soziale Forderungen und gegen Arbeitsplatzvernichtung!
Unser Lohnkampf muss die rasant steigenden Lebenshaltungskosten kompensieren. Das geht, wenn wir hart darum kämpfen! Höhere Preise sind nicht „gottgegeben“, sondern Menschenwerk. In anderen Ländern, die den Sanktionen des Westens nicht mitmachen, steigen die Preise für Gas und Öl übrigens viel langsamer als hier. Darüber schweigen die hiesigen Medien zumeist!
Den Lohnkampf müssen wir verbinden mit dem Kampf für bezahlbare Mieten, für einen gesetzlichen Preisstopp bei Grundnahrungsmitteln, bei Heizöl, Gas und Sprit! Sofort und für alle Arbeiter- und Angestellten-Haushalte! Wir fordern ein kostenloses, ausreichendes Grundkontingent an Strom und Gas für alle Haushalte, dazu eine starke Preisprogression für Großverbraucher. Zur Finanzierung fordern wir eine Reichensteuer, außerdem die Wiedererhebung der Vermögenssteuer. Preistreiber und Profiteure müssen zur Kasse gebeten werden.
Auch müssen wir den Lohnkampf verbinden mit dem Kampf gegen Arbeitsplatzvernichtung. So hat Ford angekündigt, das Werk in Saarlouis zu schließen, Evobus will in Mannheim und Ulm 1600 Arbeitsplätze vernichten. Auch in vielen anderen Betrieben soll Personal abgebaut werden. Deshalb müssen wir die Tarifrunde auch nutzen für den Kampf für die Sicherung unserer Arbeitsplätze.
Offensive Tarifrunde führen
Dreh- und Angelpunkt dieser Tarifauseinandersetzung wird sein, wie dieser Kampf um den Erhalt des Lebensstandards und der warmen Bude gewonnen werden kann. Die Situation in den Betrieben ist im Großen und Ganzen gut. Laut einer Befragung der IG Metall unter Betriebsräten in über 2400 Betrieben beurteilen rund 84 Prozent ihre Auftragslage als „gut“ oder „eher gut“, nur 2,6 Prozent als „schlecht“. 69 Prozent erwarten in den kommenden sechs Monaten eine gleichbleibende Auftragslage, 18 Prozent sogar eine bessere. In mehr als der Hälfte der Betriebe sind derzeit Sonderschichten und Mehrarbeit geplant, über 40 % planen Neueinstellungen und mehr als 70 % bewerten die Ertragslage als „neutral“ oder „unkritisch“. Der Auftragsbestand der Metall- und Elektroindustrie hat mit durchschnittlich 6,1 Monaten Reichweite einen historischen Höchstwert erreicht.
Also alles in allem gute Voraussetzungen, um eine offensive Tarifauseinandersetzung zu führen, durch Streiks starken ökonomischen Druck zu erzeugen und ein gutes Ergebnis zu erkämpfen. Die Tarifrunden des kommenden Herbstes schreien geradezu nach einem breiten Herangehen, nach gemeinsamen Aktionen gegen die Teuerungen, denn sie betrifft alle Lohnabhängigen.
Streiks für bessere Lebensbedingungen gibt es in vielen Ländern
An den gewerkschaftlichen Mobilisierungen im Ausland sehen wir, dass nicht nur wir betroffen sind. Schon im April und Mai gab es in Italien große Streiks. Unter der Losung »Raus aus dem Krieg« wurden dabei die Erhöhung der Sozialausgaben und der Löhne und ein Grundeinkommen für alle gefordert. In Großbritannien waren im Juni Zehntausende bei Streiks und Demos, insbesondere bei der Bahn im Kampf für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. Auch in Belgien gab es landesweite Streiks und Demonstrationen von Zehntausenden für mehr Kaufkraft und höhere Löhne. Nehmen wir uns diese Länder als Beispiel. Jetzt muss auch bei uns eine gewerkschaftliche Mobilisierung einsetzen. Auch wir können gute Streiks organisieren
Konzertierte Aktion – sie behindert unsere Gegenwehr!
Auch die Politik mischt sich wieder in die Tarifrunden ein. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat eine steuerfreie Einmalzahlung und eine neue „Konzertierten Aktion“ ins Gespräch gebracht, also gemeinsame Runden von Politik, Arbeitgebern und Gewerk-schaften, wie es sie seit Ende der sechziger Jahren öfter gab. Das Ziel solcher Bündnisse ist immer gleich: Die Gewerkschaften sollen zum Stillhalten bewegt werden, damit die Kapitalseite und die Regierung die Löhne drücken können. Die Verlierer waren dabei immer die Beschäftigten. Die Konzertierte Aktion soll helfen, die gigantischen Summen für die militärische Aufrüstung und die Milliarden-Geschenke an die Superreichen durch Sozial- und Lohnkürzungen uns aufzubürden. Wir sind nicht bereit, für Krise, Kriege oder Pandemie zu bezahlen! Wir brauchen keine konzertierte Aktion – sondern gewerkschaftliche Aktionsprogramme und Abwehrkämpfe gegen die Abwälzung der Lasten auf unseren Rücken.
Flyer zum Herunterladen:
https://vernetzung.org/wp-content/uploads/2022/07/Flyer-TR-IGM-2022-Nr-2.pdf
Quelle: https://vernetzung.org/ Bild: igm.de