Vom Aufbruch zur Abschottung: Die bittere Bilanz der Ampel-Migrationspolitik

Von PRO ASY

Geplant waren ein Paradigmenwechsel und ein Neustart in der Asyl- und Migrationspolitik, der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung ließ hoffen. Doch die Regierungszeit endete mit Abschiebungen und Asylrechtsverschärfungen, nur wenige Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag wurden Wirklichkeit. Eine Bilanz.

»Wir wollen einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird. Dafür brauchen wir einen Paradigmenwechsel: Mit einer aktiven und ordnenden Politik wollen wir Migration vorausschauend und realistisch gestalten.« Seite 110, Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung.

Mit diesen vielversprechenden Worten überschrieb die neue Ampel-Regierung das Kapitel »Integration, Migration, Flucht« ihres Koalitionsvertrags, den die Spitzen von SPD, Grünen und FDP am 7. Dezember 2021 unterschrieben. Heute erscheinen diese Sätze des progressiven Vertrags, als kämen sie aus einer anderen Welt.

Ohne Zweifel hatte die Ampel einen schwierigen Start: Kaum war der Koalitionsvertrag unterschrieben, Olaf Scholz zum Bundeskanzler gewählt, die Minister*innen vereidigt und die Weihnachtspause vorbei, da überfiel Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine. Millionen von Ukrainer*innen flohen, allein eine Million nach Deutschland. Hinzu kamen nach dem Angriff auf die Ukraine wirtschafts‑, sicherheits- und energiepolitische Herausforderungen und geopolitische Verschiebungen, die zuvor so nicht abzusehen waren. Das alles passierte auch vor dem Hintergrund, dass kurz vor der Bundestagswahl die Taliban in Afghanistan die Macht übernommen hatten.

Obwohl diese weltpolitischen Ereignisse zeigen, wie wichtig eine gute, vorausschauende und durchdachte Asyl- und Migrationspolitik wäre, die sich an Rechtsstaatlichkeit und internationalen Vereinbarungen orientiert, ließ die Ampel-Regierung sich dahin treiben, ihre richtigen Ansätze nach und nach aufzugeben:Aufzugeben für eine restriktive Politik, die auf Abschreckung und Diskriminierung setzt und immer wieder droht, Gesetze, die Verfassung, internationale Konventionen und andere Werte und Grundlagen der Politik zu verletzen.

Manifest wurde diese 180-Grad-Wende zum Beispiel mit der Zustimmung zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) im Mai 2024: ein historischer Tiefpunkt der EU, mit dem künftig selbst Kinder in Grenzverfahren an den Außengrenzen in Haft genommen werden können.

So ist die Ampel als progressives Regierungsbündnis angetreten und brachte mit dem Chancenaufenthaltsrecht und einer erleichterten Einbürgerung ein paar Verbesserungen auf den Weg. Doch am (vorzeitigen) Ende ihrer Regierungszeit steht eine bittere Bilanz zum Flüchtlingsschutz: Wichtige und fortschrittliche Pläne aus dem Koalitionsvertrag wie Familien- und Geschwisternachzug sowie die Abschaffung von Duldung light und Arbeitsverboten wurden nicht umgesetzt, stattdessen wurde viel Zeit und Energie in Verschärfungen gesteckt – oft getrieben von den immer radikaler werdenden rechtsextremen Wortmeldungen.

Statt nachhaltige Lösungen für Integration und faire Asylverfahren zu schaffen, wurden Abschiebungen als vermeintliche Lösung präsentiert. Das löste aber strukturelle Probleme wie Rassismus, fehlender bezahlbarer Wohnraum und mangelnde psychosoziale Unterstützung (vor allem für Geflüchtete) überhaupt nicht. Hinzu kamen die öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten. Letztlich führte dieser Dauerstreit zum frühzeitigen Koalitionsbruch im November 2024 und Neuwahlen am 23. Februar 2025.

Zum Ende der Legislatur gab es noch eine weitere geopolitische Überraschung: Anfang Dezember 2024 wurde in Syrien das Assad-Regime gestürzt. Selbst dieses erfreuliche Ereignis wurde sofort für eine Debatte über Rückkehr und mögliche Schutzstatus-Widerrufe genutzt. Der genau drei Jahre zuvor unterzeichnete Koalitionsvertrag hätte auf einen anderen Geist hoffen lassen.

In dieser Übersicht untersucht PRO ASYL, was aus den für Asyl und Migration relevanten Passagen des Koalitionsvertrags geworden ist, und geht auf die wichtigsten Gesetze der Ampel-Regierung zu Asyl und Migration ein:

———-

Langes Warten und begrenzte Rechte – keine Verbesserungen im Familiennachzug

»Wir werden die Familienzusammenführung zu subsidiär Geschützten mit den GFK-Flüchtlingen gleichstellen. Wir werden beim berechtigten Elternnachzug zu unbegleiteten Minderjährigen die minderjährigen Geschwister nicht zurücklassen.« (Koalitionsvertrag, S. 111)

Beide Ankündigungen wurden nicht umgesetzt. Monatlich können weiterhin nur bis zu 1.000 Visa für den Familiennachzug der Ehegatten und minderjährigen Kinder – oder Eltern bei unbegleiteten Minderjährigen – zu subsidiär Schutzberechtigten erteilt werden. Diese Schlechterstellung gegenüber anerkannten Flüchtlingen widerspricht geltendem Recht und verletzt das Recht auf Ehe und Familie (Gutachten von PRO ASYL/JUMEN und UNHCR-Leitlinien zum Familiennachzug).

Subsidiärer Schutz wird Geflüchteten zuerkannt, denen im Herkunftsland ein »ernsthafter Schaden« droht, weil sie Opfer eines Bürgerkriegs sind oder weil sie in Gefahr sind, Opfer von Todesstrafe oder Folter zu werden. Ein gemeinsames Leben in Sicherheit ist für ihre Familien also in der Regel nur in Deutschland möglich. Es steht zu befürchten, dass neue Mehrheiten nach der Bundestagswahl  den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten sogar noch weiter beschränken oder sogar ganz abschaffen werden.

Auch für den Geschwisternachzug brachte die Ampel, anders als vorgesehen, kein Gesetz ein. Deshalb ist er weiterhin nur unter hohen Anforderungen über komplizierte Umwege möglich.

Bislang keine Digitalisierung für den Familiennachzug zu Schutzberechtigten

Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung wurde zudem vereinbart: »Wir wollen die Visavergabe beschleunigen und verstärkt digitalisieren.« (Seite 110)

Zum Jahresbeginn 2025 wurde die Möglichkeit geschaffen, digital Visumsanträge zu stellen. Doch für den Familiennachzug besteht diese Möglichkeit an den Visastellen, an denen die Visaanträge von Flüchtlingen zum Großteil bearbeitet werden, nicht. Die Bundesregierung versprach, dass auch dies »nach einer kurzen Pilotierungsphase in Kürze überall freigegeben werden« soll, schränkte aber ein, dass »an einigen Standorten noch bestehende analoge Wartelisten abgearbeitet« werden müssen und »an Visastellen in Krisensituationen« und solchen mit geringer Personalbesetzung der Wechsel »nicht prioritär vollzogen« wird.

Eine Digitalisierung ist jedoch dringend erforderlich, um die Wartezeiten zu verkürzen. Denn hier ist noch keine Verbesserung in Sicht. Euphemistisch wird die Wartezeit allein von der Terminbuchung bis zur Antragstellung mit »über einem Jahr« angegeben, während sie oft zwei Jahre beträgt. Nicht selten warten zum Beispiel in Afghanistan Ehefrau und Kinder auch zweieinhalb Jahre nach der Flüchtlingsanerkennung des Vaters noch immer darauf, ein Visum beantragen zu können, während sie in Afghanistan ständiger Gefahr ausgesetzt sind. Kann der Antrag dann endlich gestellt werden, vergehen weitere Monate, bis ein Visum erteilt wird.

Der Familiennachzug wurde also weder gesetzlich verbessert noch von den Abläufen her beschleunigt.

Keine Verbesserung bei den Asylverfahren

»Asylverfahren müssen fair, zügig und rechtssicher ablaufen. Für schnellere Verfahren wollen wir das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entlasten. Deshalb wird die Widerrufsprüfung künftig wieder anlassbezogen erfolgen.« (Koalitionsvertrag, Seite 139)

Die sinnlose Widerrufsprüfung von Amts wegen (§ 73 Abs. 3 Asylgesetz) wurde von der Bundesregierung tatsächlich mit dem Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren geändert in eine nunmehr wieder anlassbezogene Prüfung (Inkrafttreten 1. Januar 2023). Während also mit der früheren Regelung stets nach drei Jahren geprüft werden musste, ob der Schutzbedarf noch besteht, wird nun nur bei Anlass – zum Beispiel bei dauerhaften Änderungen im Heimatland – geprüft, ob der Schutzstatus widerrufen werden muss.

Eine Beschleunigung der Asylverfahren beim BAMF konnte die Regierung jedoch nicht erreichen. Einer durchschnittlichen Asylverfahrensdauer von 6,6 Monaten Ende 2021 standen Ende April 2024 7,4 Monate gegenüber (siehe BT-Drs. 20/6052 und BT-Drs. 20/12124). Das heißt, die Dauer der Asylverfahren hat sich sogar ein wenig verlängert. Allerdings ist auch die Zahl der Asylanträge gestiegen, von rund 191.000 Asylanträgen im Jahr 2021 auf 250.000 im Jahr 2024.

Die Dauer der Gerichtsverfahren hingegen hat sich im selben Zeitraum von 26,5 Monaten auf 17,2 Monate verringert, ist damit aber immer noch sehr lang. Auch die Zahl anhängiger Gerichtsverfahren ist immer noch hoch und konnte nur bedingt reduziert werden (Ende September 2021 waren es 156.000 Verfahren, Mitte Mai 2024 rund 123.000 Verfahren).

Mit dem Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren wurde eingeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht mehr nur über Rechtsfragen entscheiden soll, sondern auch über Tatsachenfragen – also zum Beispiel abschließend über die Situation für Flüchtlinge in einem EU-Mitgliedstaat oder  in einem Herkunftsland. Da es bis Anfang 2025 erst ein entsprechendes Urteil, hier zur Situation in Italien, gegeben hat, kann der Effekt der Regelung noch nicht beurteilt werden.

Asylverfahrensberatung bleibt unterfinanziert

Im Koalitionsvertrag wurde auch eine »flächendeckende, behördenunabhängige Asylverfahrensberatung« vereinbart. Eine solche unabhängige Beratung ist essenziell für die Betroffenen sowie für zügige und faire Asylverfahren. Mit dem Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren wurde tatsächlich eine solche unabhängige Asylverfahrensberatung eingeführt (§ 12a Asylgesetz). Gestartet wurde sie 2023.

Doch von Beginn an wurden die nötigen Haushaltsmittel für eine flächendeckende Versorgung nicht zur Verfügung gestellt. Im Gesetzentwurf wurde zwar ein Bedarf von 80 Millionen Euro festgestellt, doch 2023 wurden nur 20 Millionen im Haushalt eingestellt, im Jahr 2024 25 Millionen Euro und nach dem Bruch der Ampel-Koalition für den Übergangshaushalt 2025 erneut nur 25 Millionen Euro. Die Folge: Weiterhin haben die meisten Asylsuchenden keinen Zugang zu einer solchen Beratung.

Die Beratung ist aber dringend notwendig, da das Asylverfahren komplex ist und die Betroffenen oft wegen Sprachbarrieren, Traumatisierungen und prekären Lebensbedingungen besonders schutzbedürftig sind. Außerdem ist nachgewiesen, dass mit einer Verfahrensberatung die Schutzsuchenden das Verfahren und ihre Rolle darin besser verstehen können und sich die Qualität der Asylverfahren und ‑bescheide verbessert. Damit gibt es  weniger Klagen gegen Bescheide, was zu einer Entlastung der Justiz führt (siehe Notwendige Asylverfahrensberatung weiterhin nicht flächendeckend vorhanden | PRO ASYL).

Neue »sichere Herkunftsstaaten«

Eine nicht im Koalitionsvertrag vorgesehene Verschärfung für die Asylverfahren beschloss die Ampel-Regierung im Oktober 2023: Sie erklärte Moldau und Georgien zu »sicheren Herkunftsländern« und schränkte damit den Rechtsschutz für Menschen aus diesen Ländern deutlich ein. Der Absicht des Koalitionsvertrags, die Asylverfahren für queere Verfolgte sicherer und besser zu machen, widerspricht diese Maßnahme insbesondere im Hinblick auf Georgien, wo LGTBIQ*-Personen massive Diskriminierungen drohen.

Im Hinblick auf einen verbesserten und schnelleren Ablauf von Asylverfahren ist die Bilanz der Ampelregierung also ernüchternd.

Keine echte Abkehr von AnkER-Zentren

»Das Konzept der AnkER-Zentren wird von der Bundesregierung nicht weiterverfolgt.« (Koalitionsvertrag, Seite 111)

Unter der letzten Großen Koalition gab es einen Trend zu sogenannten AnkER-Zentren, einem aus Bayern stammenden Konzept, bei dem möglichst aus einer Einrichtung heraus die Asylverfahren sowie die Abschiebungen stattfinden sollen. Davon wollte die Ampel-Regierung laut Koalitionsvertrag Abstand nehmen, tatsächlich wurden in der vergangenen Legislaturperiode auch keine neuen AnkER-Zentren mehr in Betrieb genommen.

Doch es wurden auch keine gesetzlichen Maßnahmen ergriffen, um dem Trend zu Massenunterkünften entgegenzuwirken. Der Flughafen Tegel in Berlin zum Beispiel ist zwar kein offizielles AnkER-Zentrum, fungiert aber de facto als ein solches. Die nach wie vor bestehenden Wohnverpflichtungen in (Massen)unterkünften, die Wohnsitzauflagen und das Verteilsystem nach dem Königsteiner Schlüssel verhindern Teilhabe und Integration und sind zum Beispiel für die Entwicklung von Kindern und die psychische Gesundheit schädlich (siehe  Berichte Aktuelles zur psychischen Gesundheit von Geflüchteten – BAfF-Zentren und Home – Kein Ort für Kinder und Health Situation | anker-watch.de).

Die großen Massenunterkünfte bieten weder Privatsphäre noch genügend Schutz vor Gewalt, es existieren keine verbindlichen Standards: Die Konzepte zur Identifizierung vulnerabler Personen sind unterschiedlich und vielfältig, aber in der Fläche und der Qualität alles andere als gesichert. So müssen Massenunterkünfte, auch im Verbund mit anderen Auflagen, zum Teil als gewaltvolle und gewaltfördernde Rahmenbedingungen verstanden werden.

Zudem hat die Regierung aus SPD, Grünen und FDP während ihrer Amtszeit der GEAS- Reform zugestimmt, in der besonders die neuen Grenzverfahren, aber auch reguläre Asylverfahren in geschlossenen oder halbgeschlossenen großen Unterbringungsmöglichkeiten, vorgesehen sind. Das sind haftähnliche Zentren, in denen Geflüchtete sogar noch isolierter sein werden als in AnkER- Zentren (siehe auch FAQ zur europäischen Asylreform GEAS: Antworten auf die wichtigsten Fragen | PRO ASYL.)

Asylbewerberleistungsgesetz: Schlimm und schlimmer

»Wir werden das Asylbewerberleistungsgesetz im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterentwickeln. Wir wollen den Zugang für Asylbewerberinnen und Asylbewerber zur Gesundheitsversorgung unbürokratischer gestalten. Minderjährige Kinder sind von Leistungseinschränkungen bzw. ‑kürzungen auszunehmen.«  (Koalitionsvertrag, Seite 111).

Die Ampel hat zwar das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geändert – aber zum Negativen: Sie hat die Vorgaben des Verfassungsgerichts nicht nur nicht umgesetzt, sondern mit Neuregelungen den Verfassungsbruch wider besseres Wissen auf einen neuen Höhepunkt getrieben.

Die bislang weitestgehende Verletzung der sozialen Rechte Geflüchteter ist eine im November 2024 mit dem Sicherheitspaket in Kraft getretene gesetzliche Regelung, die Menschen während des Asyl-Zuständigkeitsverfahrens (Dublin-Verfahren) jegliches Recht auf Unterkunft und Versorgung vollständig entzieht. Wohl weil diese Regelung auf wackligen Füßen steht und von vielen Jurist*innen für verfassungswidrig gehalten wird, wurde sie bislang noch nicht in voller Härte angewendet. Und in Einzelfällen verhinderten Gerichte entsprechende Verfügungen bereits.

Zuvor wurde bereits mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz eine Verlängerung des Grundleistungsbezugs auf 36 Monate beschlossen (zuvor 18 Monate). Dadurch wurde der Zugang zur Gesundheitsversorgung nicht, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, leichter, sondern erheblich schwerer, was ernste Auswirkungen auf die Gesundheit der betroffenen Menschen haben kann. Die Ausdehnung der Zeitspanne für die diskriminierenden geringeren Leistungen nach AsylbLG auf drei Jahre dürfte für sich genommen sogar verfassungswidrig sein.

Auch die Einführung der Bezahlkarte 2024/2025 gehört zu den Verschlechterungen. Die in ihren Zahlfunktionen beschränkte Karte wurde von der Politik mit herbeifantasierten Behauptungen eingeführt und als Abschreckungsinstrument gefeiert. In der Praxis macht die Karte nichts besser, verursacht aber eine Menge Ärger.

Und noch eine Verschlechterung greift neuerdings: Seit Anfang 2025 erhalten Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, noch weniger Unterstützung als 2024. Die Bundesregierung ordnete eine Kürzung zwischen 13 und 19 Euro monatlich an. Das ist das Ergebnis der Anpassung an die jährliche Lohn- und Preisentwicklung durch das sozialdemokratische Bundessozialministerium. Diese Minusrunde gilt für Geflüchtete, nicht aber für Menschen, die Sozialhilfe oder Bürgergeld beziehen. Diese erhalten zwar auch keinen Inflationsausgleich, aber zumindest die gleichen Leistungen wie 2024. So wird die Ungleichheit zwischen beiden Gruppen einmal mehr vergrößert.

Besonders bedenklich ist: Alle diese Verschärfungen wurden gegen die Einwände von Zivilgesellschaft, Expert*innen und Wissenschaftler*innen beschlossen. PRO ASYL fordert seit Jahren die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und eine menschenwürdige Absicherung für alle Menschen in Deutschland. 2023 fand diese Forderung die Unterstützung von über 200 Organisationen.

Mehr noch: Erschreckend ist vor allem die Ignoranz, mit der die Ampel-Regierung verfassungsrechtliche Bedenken übergangen hat. Diese Ignoranz zeigte sich auch in der Tatsache, dass das im Oktober 2022 vom Bundesverfassungsgericht ergangene Verbot der Leistungskürzung für Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünften bis zum Ende der Legislaturperiode bundesgesetzlich schlicht nicht umgesetzt wurde. Noch immer ist nicht flächendeckend sichergestellt, dass die Leistungen für Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünften nicht gekürzt werden. Denn obwohl das Asylbewerberleistungsgesetz mehrfach (zum Schlechteren) verändert wurde, wurde die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht eingearbeitet.

Gerade beim Thema der Sozialleistungen für geflüchtete Menschen ist die Bilanz der Ampel-Regierung also besonders enttäuschend.

Keine Verbesserungen bei Meldepflicht und psychosozialer Hilfe

»Die Meldepflichten von Menschen ohne Papiere wollen wir überarbeiten, damit Kranke nicht davon abgehalten werden, sich behandeln zu lassen. Wir halten es für erforderlich, die psychosoziale Hilfe für geflüchtete Menschen zu verstetigen.« (Koalitionsvertrag, Seite 111)

Eine solche Überarbeitung ist nicht passiert. Ein Bündnis von mehr als 60 zivilgesellschaftlichen Organisationen, zu denen auch PRO ASYL gehörte, hatte mit der Kampagne gleichbehandeln 2022 noch einmal die Dringlichkeit des Anliegens verdeutlicht, jedoch leider ohne Erfolg.

Auch die psychosoziale Unterstützung für Geflüchtete ist nach wie vor mehr als unzureichend. Das System der psychosozialen Hilfen durch professionelle und spezialisierte Stellen ist unzureichend finanziert und ausgestattet, wie die Berichte der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren Jahr für Jahr belegen. Die Psychosozialen Zentren (PSZ) sind häufig die einzigen multiprofessionellen Anlaufstellen für Geflüchtete mit psychosozialen Bedarfen, können die Nachfrage nach eigener Auskunft aber nicht im Ansatz decken. Die Bundeszuschüsse für die PSZ sind 2024 sogar zurückgegangen, 2025 drohen weitere Streichungen von 50 Prozent.

Zu der unzureichenden Versorgung Geflüchteter tragen auch die Regelungen im AsylbLG bei, die dazu führen, dass Geflüchtete vielerorts nur unter erschwerten Bedingungen in die Regelversorgung gelangen. So werden etwa Anträge auf Psychotherapie von den Sozialämtern immer noch restriktiv gehandhabt und häufig erst einmal abgelehnt. Die Verlängerung der Grundleistungszeit im AsylbLG wirkt sich hier deutlich verschärfend aus.

Auch für diese Themen wurden in der Legislatur der Ampel-Regierung also leider keine Verbesserungen erreicht.

Einen Erfolg gibt es doch noch: Mit dem Gewalthilfegesetz haben Bundesregierung und Bundestag die Möglichkeit geschaffen, einen Schutzplatz für alle Frauen zu installieren, die einen brauchen, auch für geflüchtete Frauen. Nun hat heute auch der Bundesrat seine Zustimmung erteilt. Es wird allerdings Probleme in der Praxis geben: Regelungen und Hemmnisse im Asylrecht (wie die Wohnsitzauflage) können verhindern, dass geflüchtete Frauen in ein Frauenhaus ziehen können. Das wurde im Gewalthilfegesetz leider nicht berücksichtigt.

Rückführungsoffensive gestartet

»Nicht jeder Mensch, der zu uns kommt, kann bleiben. Wir starten eine Rückführungsoffensive, um Ausreisen konsequenter umzusetzen, insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern. Der Bund wird die Länder bei Abschiebungen künftig stärker unterstützen. Wir werden unserer besonderen humanitären Verantwortung gerecht und Kinder und Jugendliche grundsätzlich nicht in Abschiebehaft nehmen.« (Koalitionsvertrag, Seite 112)

Bei der sogenannten Rückführungsoffensive hat die Ampel-Regierung leider Wort gehalten, auch wenn es medial häufig anders dargestellt wird. Es gibt einen kontinuierlichen Anstieg der Abschiebungszahlen seit dem Beginn der Ampel-Regierung (Abschiebungen in Deutschland | Zahlen zu Asyl in Deutschland | bpb.de).  So waren es 2020 noch 10.800 Abschiebungen, 2021 bereits fast 12.000, 2022 fast 13.000 Abschiebungen und 2023 16.430 Abschiebungen (Deutscher Bundestag – 16.430 Abschiebungen im Jahr 2023). Diese Zahl war im Jahr 2024 bereits im September mit 15.000 Menschen knapp erreicht – ein Anstieg von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Besonders kritisch waren die Abschiebungen in unsichere Länder wie Iran oder Irak, da dort lebensbedrohliche Zustände und repressive Regime herrschen. Trotz prekärer Lage der Jesid*innen im Irak und trotz der deutschen Anerkennung des Völkermordes an ihnen wurden auch Jesid*innen abgeschoben.

Am 30. August 2024 startete zudem erstmals seit der Machtübernahme der Taliban ein Abschiebeflug nach Afghanistan, trotz der weiterhin katastrophalen menschenrechtlichen Situation dort. Zudem gibt es immer häufiger Forderungen, nach Syrien abzuschieben, obwohl das Land weiterhin politisch instabil und unsicher ist.

Zudem verschärfte die Ampel-Regierung die Gesetzeslage mehrfach: Das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz, das am 27. Februar 2024 in Kraft trat, verschärft Abschiebemaßnahmen zusätzlich durch eine massive Ausweitung von Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam sowie erweiterte Polizeibefugnisse. Nach dem Anschlag in Solingen im August 2024 legte die Ampel-Koalition nach und verschärfte mit dem Sicherheitspaket die Asylpolitik weiter, unter anderem durch einen verfassungswidrigen Sozialleistungsausschluss für Dublin-Fälle und eine europarechtswidrige Regelung zum Widerruf des Schutzstatus bei Heimatlandreisen.

Bleiberecht: Nur zum Teil gut gemacht

»Wir werden das komplizierte System der Duldungstatbestände ordnen und neue Chancen für Menschen schaffen, die bereits ein Teil unserer Gesellschaft geworden sind: Gut integrierte Jugendliche sollen nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland und bis zum 27. Lebensjahr die Möglichkeit für ein Bleiberecht bekommen (§ 25a Aufenthaltsgesetz, AufenthG). […] Der bisherigen Praxis der Kettenduldungen setzen wir ein Chancen-Aufenthaltsrecht entgegen […] Wir wollen Geduldeten in der Ausbildung und ihren Betrieben mehr Rechtssicherheit durch eine Aufenthaltserlaubnis (§ 60 c AufenthG) verleihen. […] Die „Duldung light“ schaffen wir ab. […] Wir werden die Klärung der Identität einer Ausländerin oder eines Ausländers um die Möglichkeit, eine Versicherung, an Eides statt abzugeben, erweitern und werden hierzu eine gesetzliche Regelung im Ausländerrecht schaffen.« (Koalitionsvertrag, Seite 138)

Die Ampel hat, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, den Beantragungszeitraum eines Bleiberechts für junge Menschen bis zum 27. Lebensjahr (zuvor 21. Lebensjahr) verlängert und die Voraufenthaltszeiten von vier auf drei Jahre gesenkt. Dennoch ist ein Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende nach § 25a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der Praxis für viele junge Menschen in weite Ferne gerückt. Grund dafür ist die auf Betreiben der FDP neu eingeführte Vorduldungszeit von zwölf Monaten: Die jungen Leute müssen mindestens zwölf Monate geduldet sein, bevor sie eine Aufenthaltserlaubnis beantragen können. Eine lange Zeit, in der Ausländerbehörden die Möglichkeit haben, eben jene jungen Menschen abzuschieben, die doch eigentlich mit dem Aufenthaltstitel die Möglichkeit bekommen sollten, wegen guter Integration in Deutschland bleiben zu können. Das läuft dem Integrationsgedanken zuwider und unterläuft die gleichzeitig vorgenommenen Verbesserungen.

Positiv: Das Chancen-Aufenthaltsrecht

Das Chancen-Aufenthaltsrecht war das progressivste Bleiberecht-Projekt der Ampel und hat sich auch bewährt, wie die Zahlen zeigen: Ende 2022 lag die Zahl der Ausreisepflichtigen noch bei 304.300, darunter 248.100 mit einer Duldung. Diese Zahl war zuvor  seit 2012 jährlich gestiegen und hatte sich in diesen zehn Jahren fast verdreifacht – wohlgemerkt trotz unzähliger Abschiebungsreformen. Bis Mitte 2024 aber reduzierte sich die Zahl der Ausreisepflichtigen um 77.400 (rund 25 Prozent), die Zahl der Geduldeten um 65.400 auf 182.700 (26 Prozent). Zur selben Zeit leben circa 66.700 Menschen mit einem Chancenaufenthalt in Deutschland und ca. 3.300 Menschen haben seitdem im Anschluss an den Chancenaufenthalt ein Bleiberecht aufgrund von nachhaltiger Integration erhalten.

Keine andere Regelung – auch nicht Abschiebungen – hat die Zahl der ausreisepflichtigen Menschen in Deutschland so sehr gesenkt wie das Chancen-Aufenthaltsrecht und der daran anschließende Übergang in Bleiberechtsregelungen. Der Haken: Die Regelung war von vornherein auf drei Jahre beschränkt und bezog sich nur auf Menschen, die sich zum 31.10.2022 bereits für fünf Jahre in Deutschland aufgehalten hatten. Somit profitieren Geduldete, die diese eng gefassten Voraussetzungen nicht erfüllen, aber dennoch schon lange in Deutschland sind, nicht von dieser Regelung. So lassen sich jedoch weder Kettenduldungen nachhaltig verhindern noch erhalten Langzeitgeduldete eine würdevolle Perspektive für ein Leben in Deutschland.

Mit der Einführung des § 16g AufenthG hat die Ampel in der Tat eine Aufenthaltserlaubnis zur Berufsausbildung für ausreisepflichtige Menschen geschaffen. Im Gegensatz zur bisherigen Ausbildungsduldung wird für diesen Aufenthalt jedoch in der Regel eine Lebensunterhaltssicherung vorausgesetzt, was vor allem bei schulischen Ausbildungen problematisch sein kann.

Arbeitsverbote und Duldung light bleiben

Entgegen den Versprechungen im Koalitionsvertrag hat die Regierung weder die Duldung light abgeschafft noch eine Versicherung an Eides statt zur Klärung der Identität eingeführt. Auch Arbeitsverbote wurden nicht, wie angekündigt, aufgehoben. Das sind alles Versäumnisse, die vielen Menschen weiterhin den Weg in Bleiberechte versperren.

Als Fazit bleibt stehen: Das Chancenaufenthaltsrecht ist das erfolgreichste Projekt im Bereich des Bleiberechts der Ampel. Bei den anderen Neuregelungen wurden den Menschen leider stets auch neue Steine in den Weg gelegt.

Einbürgerung: Nur ein kleiner Schritt nach vorn

»Wir schaffen ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Dafür werden wir die Mehrfachstaatsangehörigkeit ermöglichen und den Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vereinfachen.« (Koalitionsvertrag, Seite 94)

Die Änderungen des Staatsangehörigkeitsrechts gehörten zu den wenigen Versprechen im Koalitionsvertrag, die tatsächlich umgesetzt wurden. So wurde im Juni 2024 die geforderte Voraufenthaltszeit bei der Anspruchseinbürgerung von acht auf fünf Jahre verkürzt. Zudem ist auch die Mehrfachstaatsangehörigkeit für alle und nicht nur für privilegierte Gruppen möglich.

Diese Änderungen wirken tatsächlich wie eine Modernisierung, die den Zugang zur Einbürgerung erleichtern könnte. Durch die Hintertür wurden jedoch andere Voraussetzungen so eng gefasst, dass die deutsche Staatsangehörigkeit für viele unmöglich wurde. Modernisierung wurde im Gesetzgebungsverfahren dann doch mit Nützlichkeit vermischt: Eingebürgert werden sollen nur diejenigen, die arbeiten.

Bis zur Gesetzesänderung war es möglich, dass von der eigentlich geforderten Sicherung des Lebensunterhalts durch eigene Erwerbstätigkeit abgesehen wurde, wenn die Betroffenen den Bezug von (ergänzenden) Sozialleistungen nicht selbst zu vertreten hatten. Nun sind aber die Ausnahmen von der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung derart eng gefasst, dass eine große Zahl Menschen, und manche sogar auf Dauer, nicht eingebürgert werden. Das sind zum Beispiel Alleinerziehende oder in Teilzeit tätige Eltern; Menschen, die Angehörige pflegen und deshalb keine Vollzeitbeschäftigung ausüben können; Kranke und Menschen mit Behinderung, die wegen der Beeinträchtigung nicht den Lebensunterhalt sichern können; Rentner*innen mit aufstockenden Leistungen. Nur in Fällen der »besonderen Härte« sind Ausnahmen im Ermessen der Behörden möglich. Die Schwelle dieser besonderen Härte ist allerdings sehr hoch, der gesetzliche Anspruch auf eine Einbürgerung ist vielen Personengruppen somit verwehrt.

Zwar ist das neue Staatsangehörigkeitsrecht in einigen Punkten ein Meilenstein für Deutschland, doch hat sich die Nützlichkeitsdebatte auch in diesem Bereich durchgesetzt.

Sichere Zugangswege nach Deutschland: Trotz Verbesserungen noch immer zu wenige Wege

»Wir werden die geordneten Verfahren des Resettlement anhand der vom UNHCR gemeldeten Bedarfe verstärken. Wir werden ein humanitäres Aufnahmeprogramm des Bundes in Anlehnung, an die bisher im Zuge des Syrien-Krieges durchgeführten Programme verstetigen und diese jetzt für Afghanistan nutzen.« (Koalitionsvertrag, Seite 113)

Die Ampel-Regierung trat 2021 mit dem Ziel an, sichere und geordnete Zugangswege für Schutzsuchende zu stärken. Im Koalitionsvertrag wurde angekündigt, das Resettlement auszubauen und ein humanitäres Aufnahmeprogramm für Afghanistan nach dem Vorbild früherer Syrien-Programme zu verstetigen. Doch in der Praxis blieben die Ergebnisse weit hinter den Erwartungen zurück. Die Zahl der legalen Einreisewege bleibt begrenzt, und viele Schutzsuchende werden weiter in Unsicherheit gelassen.

Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan: Weitgehend wirkungslos

Ein besonders ambitioniertes Vorhaben war das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan, das monatlich 1.000 Afghan*innen eine sichere Flucht vor dem Taliban-Regime ermöglichen sollte. Doch seit dem Start im Oktober 2022 konnten bis Dezember 2024 lediglich 1.020 Personen aufgenommen werden. Seit Sommer 2024 wurden keine neuen Aufnahmezusagen mehr erteilt, und Nichtregierungsorganisationen wurden gebeten, keine weiteren Fälle mehr einzureichen.

Das Programm wird nun nur noch abgewickelt. Etwa 2.000 Afghan*innen, die bereits eine Aufnahmezusage erhalten haben, sollen noch nach Deutschland geholt werden, während rund 17.000 Menschen, die sich bereits im Antragsverfahren befanden, ohne Perspektive zurückgelassen werden. Damit bleibt das Bundesaufnahmeprogramm, das einst als große Hoffnung galt, weitgehend wirkungslos.

Während das Bundesaufnahmeprogramm scheiterte, konnten über andere rechtliche Wege bis Ende 2024 insgesamt etwa 35.000 Afghan*innen nach Deutschland kommen. Das ist eine beachtliche Zahl, doch diese überlebenswichtigen Maßnahmen waren einzelfallbezogen und oft auf individuelle Rettungsaktionen oder Sondergenehmigungen angewiesen.

Die Bundesregierung stellte in den Jahren 2022 bis 2025 zwar insgesamt mehrere tausend Plätze für Resettlement und humanitäre Aufnahme zur Verfügung, im internationalen Vergleich  auf einem recht hohen Niveau. Die zugesagten Plätze reichen jedoch bei weitem nicht aus, um dem tatsächlichen Bedarf gerecht zu werden, insbesondere angesichts der globalen Krisen und Konflikte, die weiterhin Menschen zur Flucht zwingen.

Die Zukunft der humanitären Aufnahmeprogramme ist ungewiss. Besonders besorgniserregend ist, dass CDU und CSU in ihrem Wahlprogramm angekündigt haben, alle freiwilligen Aufnahmeprogramme zu beenden. Sollte diese Forderung nach der Bundestagswahl umgesetzt werden, würde dies Schutzsuchenden endgültig die Möglichkeit nehmen, auf legalem Weg nach Deutschland zu gelangen. Auch muss die künftige Bundesregierung bis Sommer 2025 neue Zusagen für das UN-Resettlement-Programm machen. Ob dies im bisherigen Umfang geschieht oder ob sich die Tür für legale Zugangswege noch weiter schließt, bleibt abzuwarten.

Größte Asylrechtsverschärfung der EU

»Wir setzen uns für eine grundlegende Reform des Europäischen Asylsystems ein. Unser Ziel ist eine faire Verteilung von Verantwortung und Zuständigkeit bei der Aufnahme zwischen den EU-Staaten. Wir wollen bessere Standards für Schutzsuchende in den Asylverfahren und bei der Integration in den EU-Staaten.« (Koalitionsvertrag, Seite 112)

In die Legislatur der Ampel-Regierung fiel die größte Asylrechtsverschärfung der EU: Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Auch die Bundesregierung stimmte den massiven Verschärfungen zu, die Haftlager an den Außengrenzen – selbst für Kinder -, mehr Freiheitsbeschränkungen für Asylsuchende sowie eine Senkung der Anforderungen an sogenannte sichere Drittstaaten und sichere Herkunftsstaaten vorsehen. PRO ASYL kritisierte die Einigung als einen historischen Tiefpunkt.

Dabei hatte die Ampel-Regierung versprochen, sich für eine »grundlegende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems« einzusetzen, die zu einer fairen Verteilung von Asylsuchenden zwischen den Mitgliedstaaten sowie zu besseren Standards im Asylverfahren führen und das Elend an den Außengrenzen beenden würde. Doch genau das wird mit der Reform nicht erreicht werden. Die neuen verpflichtenden Grenzverfahren führen den »Hot Spot«-Ansatz weiter, mit dem möglichst viele schutzsuchende Menschen an den Außengrenzen festgehalten werden sollen. Das führt schon jetzt dazu, dass die Menschen in oft unwürdigen Zuständen an den Außengrenzen leben und nicht ausreichend medizinisch versorgt und rechtlich beraten werden können. Auch wird die Reform nicht für mehr Fairness zwischen den Mitgliedstaaten führen. Denn im Kern hält die Reform an den unfairen Dublin-Regelungen für die Zuständigkeitsklärung fest, womit im Regelfall die EU-Außengrenzstaaten für die Durchführung von Asylverfahren zuständig sein werden. Nur in Ausnahmefällen soll es zu Solidaritätsmaßnahmen zwischen den EU-Staaten kommen. Und ob tatsächlich Asylsuchende aufgenommen oder nur Geld gezahlt wird, ist komplett dem einzelnen Mitgliedstaat überlassen. Mehr Informationen zur GEAS-Reform findet sich in diesem FAQ.

Auch die Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland wurde von der Ampel-Regierung bereits vorangetrieben, unter anderem mit einem – am Tag des Ampel-Bruchs beschlossenen – Umsetzungsgesetzentwurf. Mit diesem Entwurf wurde deutlich, dass die Reform auch in Deutschland zu erheblichen Verschärfungen führen wird, gerade im Bereich der Freiheitsbeschränkung und Haft. Ohne die FDP hatten SPD und die Grünen nach dem Bruch der Ampel dann aber keine Mehrheit mehr im Parlament für den Entwurf.

Die Zustimmung der Bundesregierung zur GEAS-Reform ist wohl eine der größten Enttäuschungen, denn im Laufe der Verhandlungen hat die Ampel-Regierung Stück für Stück menschenrechtliche Positionen aufgegeben. Die Konsequenzen werden wir ab Juni 2026 sehen, wenn die neuen Gesetze in der Praxis angewendet werden.

Außengrenzen: Keine Spur vom Kampf gegen Pushbacks

»Wir wollen irreguläre Migration wirksam reduzieren und Ursachen für die lebensgefährliche Flucht bekämpfen. Wir wollen die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen beenden.« (Koalitionsvertrag, Seite 112)

»Es ist eine zivilisatorische und rechtliche Verpflichtung, Menschen nicht ertrinken zu lassen. Die zivile Seenotrettung darf nicht behindert werden. Wir streben eine staatlich koordinierte und europäisch getragene Seenotrettung im Mittelmeer an und wollen mit mehr Ländern Maßnahmen wie den Malta-Mechanismus weiterentwickeln.« (Koalitionsvertrag, Seite 113)

Die Farbe der Unterschriften unter dem Koalitionsvertrag war noch nicht getrocknet, da schien das Ziel, illegale Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen zu beenden, auch schon vergessen. Dabei wäre die angekündigte wertebasierte Außenpolitik (Seite 6), die internationalen Konventionen achtet und europäische Gesetze verteidigt, genau die Antwort gewesen, um auf das menschenverachtende Kalkül Lukaschenkos und die um sich greifende humanitäre Notlage an der östlichen EU- Außengrenze zu Belarus zu reagieren. Ein Vorstoß in diese Richtung blieb ebenso aus wie politische Initiativen, um gegen die Pushback-Gesetze vorzugehen, mit denen völkerrechtswidrige Zurückweisungen in immer mehr EU-Mitgliedsstaaten einen legitimen Anstrich bekommen. Und so wundert es nicht, dass auch auf EU Ebene der Widerstand der Bundesregierung gegen rechte Hardliner*innen bröckelte, die auch dort nunmehr den Ton angeben.

Auch an den eigenen Binnengrenzen weicht die Bundesregierung die Achtung europäischer Gesetze und Konventionen auf. Trotz eindeutiger Rechtsprechung des EuGHs hält sie nicht nur an den Binnengrenzkontrollen zu Österreich fest, sondern weitete diese bis September 2024 sogar auf sämtliche deutschen Schengen-Binnengrenzen aus. Das ist nichts weniger als der Ausstieg aus dem grenzkontrollfreien Schengenraum, einer zentralen Errungenschaft der europäischen Gemeinschaft. Parallel zeichnen Berichte und Statistiken ein alarmierendes Bild. Wiederholt erreichen auch PRO ASYL Schilderungen, dass Menschen, die versucht haben, einen Asylantrag zu stellen, an deutschen Grenzen abgewiesen wurden (siehe Pushbacks auch an deutschen Grenzen?).

Keine Fortschritte bei der europäischen Seenotrettung

14. Juni 2023: Vor der griechischen Küste ertrinken mehr als 600 Menschen, unter den Überlebenden ist keine Frau, kein Kind. Sowohl die griechische Küstenwache als auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex sind 15 Stunden vor dem Untergang über das in Seenot geratene Schiff Adriana mit rund 750 Menschen an Bord informiert. Frontex löst keinen Mayday-Rettungsruf aus, und die griechische Küstenwache ergreift viel zu spät Rettungsmaßnahmen – und diese sind dann auch noch ungeeignet.

In den Jahren 2021 bis Ende 2024 starben laut UNHCR mindestens 13.182 Menschen auf der Flucht über das Meer nach Europa oder werden seit der Überfahrt vermisst – viele hätten gerettet werden können. Leider wurden die in Aussicht gestellte »staatlich koordinierte und europäisch getragene Seenotrettung im Mittelmeer« sowie die parlamentarische Kontrolle der europäischen Grenzschutzagentur Frontex (Seite 112) nicht verwirklicht.

Einen Lichtblick gab es: So beschloss der Haushaltsausschuss 2022 eine Förderung der zivilen Seenotrettung über das Auswärtige Amt für die Jahre 2023 bis 2026 mit jährlich zwei Millionen Euro. In Anbetracht der hohen Kosten, die für die Rettungsaktionen anfallen, ist die Summe vergleichsweise gering, dennoch ging von der Förderung ein klares Signal gegen die ansonsten gängige Kriminalisierung aus. Doch  Bundeskanzler Olaf Scholz distanzierte sich  bereits im Oktober 2023 von der Förderung, vorangegangen war laut Medienberichten eine Beschwerde der Postfaschistin Meloni.

Prüfung der Auslagerung von Asylverfahren und Fokus auf Kooperationen mit Drittstaaten

»Deshalb setzen wir uns für rechtsstaatliche Migrationsabkommen mit Drittstaaten im Rahmen des Europa- und Völkerrechts ein. Wir werden hierfür prüfen, ob die Feststellung des Schutzstatus in Ausnahmefällen unter Achtung der GFK und EMRK in Drittstaaten möglich ist.« (Koalitionsvertrag, Seite 112)

»Wir wollen neue praxistaugliche und partnerschaftliche Vereinbarungen mit wesentlichen Herkunftsländern unter Beachtung menschenrechtlicher Standards schließen.« (Koalitionsvertrag, Seite 112)

Auslagerung von Asylverfahren intensiv geprüft

Die Auslagerung von Asylverfahren ist schon lange ein besonders umstrittener Vorschlag. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung wurde trotzdem ein Prüfauftrag aufgenommen: Geprüft werden soll, ob die Feststellung des Schutzstatus in Ausnahmefällen unter Achtung der GFK und EMRK in Drittstaaten möglich ist. Die Ministerpräsidentenkonferenz trug der Ampel-Regierung im November 2023 auf, die Prüfung auszuweiten.

Die Bundesregierung hat den Prüfauftrag umgesetzt, aber bis jetzt nicht abgeschlossen. Das Bundesinnenministerium (BMI) führte im ersten Halbjahr 2024 Sachverständigenanhörungen durch, um zu klären, ob Deutschland Asylverfahren in Drittstaaten auslagern kann. Eine deutliche Mehrheit der Expert*innen – darunter auch PRO ASYL – zeigte sich kritisch und lehnte die diskutierten Modelle ab. Die Expert*innen machten deutlich, dass eine Auslagerung des Flüchtlingsschutzes weder zielführend noch realistisch umsetzbar ist, sowohl aus rechtlichen als auch aus praktischen Gründen.

In der Praxis bestätigte sich die Einschätzung der angehörten Expert*innen gleich mehrfach: Der UK-Ruanda-Deal wurde im Juli 2024 von der neuen britischen Regierung unter Premierminister Keir Starmer endgültig gestoppt, nachdem er zuvor aufgrund rechtlicher Hürden lange nicht in Gang gekommen war. Damit fand unter dem Deal keine einzige Abschiebung nach Ruanda statt.

Und auch der Plan der italienischen Regierung, extraterritoriale Asylverfahren in dem Nicht-EU-Staat Albanien durchzuführen, scheiterte bisher an italienischen Gerichten: Bei allen drei Versuchen mussten die nach Albanien überstellen Asylsuchenden aus den Haftzentren entlassen und nach Italien gebracht werden.

In einem Sachstandsbericht fasste das Bundesinnenministerium im Juni 2024 die Ergebnisse der Sachverständigenanhörungen vorläufig zusammen. Die Veröffentlichung des BMI-Berichts mit einem abschließenden Votum der Bundesregierung steht noch aus.

Migrationsabkommen als Teil der Rückführungsoffensive

Zentraler Bestandteil der im Koalitionsvertrag anvisierten Kooperationen mit Drittstaaten ist die Erhöhung der Anzahl von Abschiebungen von abgelehnten Asylsuchenden. Gleichzeitig sollen zusätzliche legale Einreisemöglichkeiten geschaffen werden. Für beide Aufgaben wurde 2023 das Amt des Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung für Migrationsabkommen geschaffen, das beim BMI angesiedelt ist und mit Joachim Stamp (FDP) besetzt wurde.

Seit Stamps Amtsantritt im Februar 2023 hat die Bundesregierung nach eigenen Angaben mehrere Migrationsabkommen mit Drittstaaten abgeschlossen, unter anderem mit Georgien, Kenia, Usbekistan, Marokko und Kolumbien. Seit März 2023 ist ein Migrationsabkommen mit Indien in Kraft. Zusätzlich führe man Gespräche mit Moldau, Kirgisistan, den Philippinen, Ghana und dem Irak »in Vorbereitung einer Migrationspartnerschaft«. Insbesondere der starke Fokus auf Abschiebungen, die teilweise eben nicht »unter Beachtung menschenrechtlicher Standards« stattfinden, ist sehr kritisch zu beurteilen.

 

 

 

 

 

Quelle und weitere Infos: https://www.proasyl.de/
Bild: nord-dgb.de