Wahlkampfthema Bürokratieabbau – mit der Kettensäge oder wie?

Von Suitbert Cechura

Der Staat soll im eigenen Betrieb rücksichtslos aufräumen, fordern alle Parteien. Ein eigenartiges Wahlversprechen!

Die Forderung nach Bürokratieabbau findet sich in den Wahlprogrammen aller Parteien, die Chancen haben, in den Bundestag einzuziehen. AfD: „Bürokratische Überregulierung und planwirtschaftliche Fehlsteuerung würgen Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit ab.“ CDU: „Ein zentrales Hindernis für wirtschaftliches Wachstum ist die wachsende Bürokratie.“ SPD: „Bürokratieabbau jetzt“. Bündnis 90/Grüne: „Wir Grüne im Bundestag gehen den Bürokratieabbau umfassend und konsequent an.“ BSW: „Rentenkürzungen und Bürokratie-Irrsinn der Ampel stoppen“.

Es könnte natürlich der Verdacht aufkommen, dass sie einfach den Erfolg eines Donald Trump kopieren wollen, der sonst gern der populistischen Untergrabung des Rechtsstaates verdächtigt wird. Trump hatte ja eine Effizienzkommission seines Kumpels Elon Musk versprochen. Die Staatsausgaben sollten eingedämmt werden und dazu gibt es jetzt mit dem Department of Government Efficiency die entsprechende Einrichtung, die der Milliardär leitet. „Um Personal abzubauen, stellt der aber erst mal Personal ein“, kommentiert der „Spiegel“. Ohne Bürokratie kann ja kein geordneter Abbau beginnen!

Aber das hehre Ziel Bürokratieabbau bleibt natürlich in Kraft. Trump hatte übrigens auch einen Vorgänger: In Südamerika machte Präsident Milei in Gestalt eines Kettensägenanarchisten Furore. Der Wille, radikal mit der Bürokratie zu aufräumen, kam bei den Wählern gut an. Und so eine billige Tour, die Unzufriedenheit im Wahlvolk aufzugreifen, kann sich natürlich kein Politiker entgehen lassen.

Bürokratie: Umsetzung von Gesetzen und Verordnungen

Bürokratie fällt nicht vom Himmel und ist kein Subjet, das unabhängig von der Politik existiert. Im Gegenteil, Bürokraten setzen das um, was Politiker mit ihren Gesetzen und Verordnungen auf den verschiedenen politischen Ebenen beschlossen haben – sei es im Rahmen der EU, des Bundes, der Länder oder der Kommunen. Mit ihrer Bürokratiekritik distanzieren sich also die Politiker von ihrem eigenen Werk. Was konkret von den Regelungen weg soll oder falsch ist, darauf lassen sich diese Kritiker gar nicht erst ein, wenn sie das Zuviel beklagen. Es soll einfach ein Wasserkopf weg, der sich irgendwie gebildet hat und die Politik am Regier hindert und dazu auch noch Geld kostet.

Dabei reden die existierenden Gesetze und Verordnungen eine beredte Sprache über die Gesellschaft, in der wir leben. Kauf und Verkauf ist jedem Bürger geläufig, er praktiziert dieses Verhältnis jeden Tag, ohne sich groß darüber Gedanken zu machen. Doch dieses Verhältnis füllt gleich ein ganzes Gesetzeswerk, das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Das fängt mit der Regelung an, wer überhaupt einen Vertrag schließen kann, also geschäftsfähig ist – kleine Kinder nicht, größere eingeschränkt und auch manchen Erwachsenen wird die Geschäftsfähigkeit abgesprochen. Geregelt ist, wann ein Vertrag ein Vertrag ist, zu was sich der Verkäufer mit dem Verkauf verpflichtet und welche Pflichten der Käufer eingeht. Es folgen Bestimmungen, wann man wo gegen wen klagen kann etc. pp. – hier wird auch noch an die hinterletzten Möglichkeiten gedacht, was das Auftreten von Kollisionen betrifft.

Dieser ganze bürokratische Kram verdankt sich der Gegensätzlichkeit der Interessen, die beim Vertrag aufeinanderstoßen. Man muss etwa nur in die Regelungen zu Produktion und Vertrieb von Lebensmitteln schauen: Da werden die Verkäufer von Leberwurst verpflichtet, dass in ihrer Wurst zumindest ein geringer Teil an Leber enthalten ist. Der Hersteller muss zudem draufschreiben, was sonst noch drin ist, schließlich fallen bei der Herstellung und Konservierung noch eine ganze Reihe von Stoffen an, die beim Verzehr nicht unbedingt verträglich sind. Nicht alles muss aufgeführt werden, denn sonst würde das Produkt ja niemand mehr kaufen; aber einiges ist verbindlich vorgeschrieben, schließlich soll der Käufer nicht völlig hinters Licht geführt werden. Selbst die Größe der Schrift und die Aufmachung solcher Angaben („in gut lesbarer Schrift“) ist geregelt.

Der Käufer wird seinerseits zur Zahlung verpflichtet, wobei Vieles zu regeln ist. Zur Beschleunigung des Handels wird der Kauf oft auf Rechnung abgeschlossen. Zahlungsfristen, Mahnungen, Pfändungen und Zwangsvollstreckung kündigen davon, dass auch Käufer versuchen, sich den Verpflichtungen zu entziehen; Diebstahl und Betrug existiert natürlich ebenso auf dieser Seite. Mit all den gesetzlichen Regelungen sind solche und andere Vergehen natürlich nicht aus der Welt geschafft. Sie gehören jetzt als dysfunktionale Tatbestände zum kapitalistischen Alltag dazu, die mit entsprechenden Regelungen und Gesetzen, mit Behörden und Kontrollgremien und am Schluss mit Polizei und Gerichten im Griff gehalten werden sollen, so dass sie das nationale Geschäftsleben nicht stören. Gewalt ist also selbstverständlicher Teil dieser Verhältnisse – und notwendig, um sie haltbar zu machen. So steht nicht nur in Filmen über den Drogenhandel ein Gunman hinter den Akteuren beim Austausch von Ware und Geld, das Gleiche gilt auch für den normalen Handel.

Von daher ist es reine Ideologie, wenn in den Medien oder auch in der Wirtschaftswissenschaft von der Trennung von Markt und Staat die Rede ist. Der Markt basiert auf der Gewalt, die diese Eigentumsverhältnisse sichert. Dass dies alles friedlich erscheint, liegt am Gehorsam der Bürger, die sich in das Verhältnisse fügen und dort ihren Vorteil suchen.

Der alltägliche Kampf ums Geld

Ob beim Bäcker, im Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter oder zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, immer geht es ums Geld, um das alle in dieser Gesellschaft konkurrieren. Sei es, dass sie möglichst viel bekommen oder nur wenig hergeben wollen. Allen geht es ums Geld, das die Verfügungsmacht über Güter wie Menschen darstellt, denn so gut wie alles ist käuflich, ob es nun das tägliche Brot oder die Arbeitskraft ist. Und in der Konkurrenz um Geld scheiden sich die Klassen: Die einen verfügen über genug davon und geben es aus, um es zu vermehren. Die anderen auf Geld angewiesen, um an das zu kommen, was sie zum Leben brauchen. Das macht sie erpressbar.

Diejenigen, die über Geld als Kapital verfügen, können nicht nur die Preise ihrer Waren bestimmen, sondern auch die Bedingungen, zu denen sie bereit sind, Menschen zu beschäftigen. In ihrer Kalkulation kommen die Aufwendungen für Löhne und Gehälter als Kosten vor, die es gilt, gering zu halten. Ihre Verausgabung muss sich lohnen, die Leistung der Beschäftigten muss mehr erbringen als sie kosten. Früher hieß das einmal Ausbeutung, heute Schaffung von Arbeitsplätzen. Zwischen den Klassen von Kapitalisten und Arbeitnehmern gibt es auch noch Menschen, die andere für sich arbeiten lassen, aber mangels Kapital selber arbeiten müssen und das oft nicht zu knapp – siehe den Bauernstand, der immer zu klagen hat, weil er kaum auf seine Kosten kommt. Daneben gibt es auch das Heer von Staatsdienern, deren Kosten der Staat in Relation zum Arbeitsmarkt setzt. Entsprechend verdienen kleine Beamte wenig, hohe viel, Arbeitsplatzsicherheit soll die Loyalität sichern.

Bürokratieabbau: Förderung des Wirtschaftswachstums

Wem der Bürokratieabbau dienen soll, daraus wird bei der Werbung um den Wähler kein Geheimnis gemacht. Schließlich ist der Bürger vom Wachstum der Wirtschaft abhängig, also von der Vermehrung des Reichtums derer, die schon über viel Reichtum verfügen. Beschränkt wird die wirtschaftliche Tätigkeit in vielen Gesetzen, weil der Drang nach Vermehrung des Geldes nicht nur die Arbeitskraft und die Natur ruiniert, sondern auch – unabhängig vom unmittelbaren Produktionsbereich – alle Bürger ausreichend mit Giftstoffen in der Atemluft, in der Kleidung, in den Lebensmitteln etc. versorgt. Das trostlose Ergebnis, das trotz bzw. mit der staatlichen Regulierung zustandekommt, ist am Klimawandel, am Artensterben oder den „Zivilisationskrankheiten“ abzulesen.Wenn nun der Abbau von Bürokratie auf die Wahlkampfbanner geschrieben wird, dann sollen offenbar Beschränkungen für die Unternehmen in großem Umfang wegfallen. Kurz gesagt: Mehr Rücksichtslosigkeit ist verlangt.

Dass dies vermehrte Armut, größere Schädigungen im Umgang mit der Natur und den Einwohnern der Industriestandorte bedeutet, entdecken deutsche Journalisten allerdings nur in Argentinien oder den USA. Für die deutsche Wirtschaft wird der Kahlschlag von allen Seiten begrüßt, er kann anscheinend gar nicht radikal genug ausfallen, wird auch aufs Pedantischste bilanziert: „Weniger Papierkram von Bundestag beschlossen… Unter anderem soll für deutsche Staatsangehörige in Hotels die Meldepflicht entfallen.“ In gewohnter Manier wird die staatliche Leistung durch die Journaille in eine Leistung für den Bürger übersetzt. Allenfalls äußern die Leitmedien Bedenken, dass die Politiker zu zögerlich zur Tat schreiten könnten: „Wenn man nur oft genug über Bürokratieabbau redet, fällt es nicht so auf, wenn man wieder ein paar komplizierte Vorschriften erlässt.“ Und so können Politiker hierzulande sogar noch mit größerer Rücksichtslosigkeit gegenüber ihrer Klientel werben.

Die Entfesselung der Staatenkonkurrenz

Wenn unterschiedliche Staaten das Programm des Bürokratieabbaus verfolgen, dann sind sie offensichtlich unzufrieden mit dem Ergebnis der Konkurrenz ihrer Wirtschaft auf dem Weltmarkt. Dann rüsten sie sich – frei von früheren Beschränkungen – dafür, diesen Konkurrenzkampf für sich zu entscheiden oder ihre Stellung in ihm zu verbessern. Nicht nur mit Zöllen, sondern eben auch mit der Entfesselung der Macht des eigenen Kapitals soll der Erfolg der eigenen Nation gesichert werden – und das neben der Konkurrenz der Waffen, die ja auch enorm voran getrieben wird.

So rüstet sich die EU mit dem Programm „Omnibus“ dafür, dass ihre Kapitalisten sich nicht zu lange beim Ausfüllen von Formularen aufhalten aufhalten müssen, sondern zielstrebig der Profiterwirtschaftung und Markteroberung nachgehen. In dem EU-Programm „geht es um eine Verordnung, die sich am lateinischen Ursprung des Wortes (omnibus: für alle) orientiert: Berichtspflichten, die sich aus mehreren europäischen Umwelt- und Klimagesetzen ergeben, sollen in einem einzigen Gesetz gebündelt und entschlackt werden.“

Also: Green Deal war gestern! Und dass die Neuerungen auf Kosten von Otto Normalverbraucher oder der fleißigen Dienstkräfte gehen, ist dabei kein Geheimnis. Dennoch sollen die Wähler mit ihrem Wahlkreuzchen die Zustimmung dazu geben, dass in der Marktwirtschaft jetzt die entscheidenden Subjekte ungehemmter verfahren können. Die Bürger sollen ihren Ärger bei den Behörden, wo sie bei Gelegenheit ein Formular ausfüllen oder eine Bescheinigung abgeben müssen, in den allgemeinen Missstand „Zu viel Bürokratie!“ einordnen und sich darüber freuen, dass die Politik hier endlich Abhilfe schafft. Also Tatkraft zeigt. Wie es in den letzten Wahlkampfanalysen bei Overton hieß, sind eben heutzutage keine sozialen Wohltaten mehr zu erwarten; das Wahlvolk soll sich vielmehr für die spannende Frage interessieren, ob die Brandmauer hält. Die Parteien beeindrucken den Wähler damit, dass die Politik bereit ist, rabiat zur Tat zu schreiten. Notfalls mit einer Kettensäge. Ja dann Prost!

PS

Und was sagt die nationale Arbeitervertretung, der Deutsche Gewerkschaftsbund, zum Thema Bürokratieabbau? In den Wahlprüfsteinen 2025 kommt es nicht vor. Zumindest ist dem DGB aber der beabsichtige Kahlschlag im Unternehmerinteresse verdächtig, wie er Anfang 2024 in seinem Statement zu einem einschlägigen CDU/CSU-Antrag erklärte: „Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften verwahren sich gegen eine Ideologie, die jegliche staatliche Regulierung als unnötige Bürokratie betrachtet und Gesetze einseitig danach beurteilt, ob die Wirtschaft durch sie vermeintlich belastet wird. Wir sollten anerkennen, dass Bürokratie an sich nicht zwangsläufig schlecht ist. Sie dient oft dazu, klare Regeln und Standards festzulegen, die die Arbeitsabläufe strukturieren und die Rechte der Beschäftigten schützen.“ Weiter heißt es: „Pauschale Rufe nach Bürokratiebremse oder 1:1 Umsetzung befördern nicht weniger Bürokratie und bessere Gesetze, sondern bewirken das Gegenteil.“ Somit klingt doch an, dass auch die Gewerkschaft das Wachstum eines bürokratischen Wasserkopfs unter Umständen als Störung „unseres“ Wirtschaftslebens sieht. Offen für eine Standortinitiative, die Deutschland mit innovativen Ideen in der Staatenkonkurrenz wieder nach vorn bringt, ist die Gewerkschaft ja. In den Wahlprüfsteinen wird dazu eine politische Offensive gefordert: „Angesichts neuer geo- und handelspolitischer Herausforderungen formiert sich eine neue Phase der Globalisierung und erfordert neue, zukunftsfähige Strategien für eine offensive Industrie-, Innovations- und Dienstleistungspolitik, die klare Ziele für Wachstum, Investitionen und Innovationen in Deutschland und Europa politisch formuliert…“

 

 

 

 

 

 

Bildbearbeitung: L.N.