„Es konnte mir nicht in den Sinn kommen, in das ,Kapital’ den landläufigen Jargon einzuführen, in welchem deutsche Ökonomen sich auszudrücken pflegen, jenes Kauderwelsch, worin z.B. derjenige, der sich für bare Zahlung von andern ihre Arbeit geben läßt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird. Auch im Französischen wird travail im gewöhnlichen Leben im Sinn von „Beschäftigung“ gebraucht. Mit Recht aber würden die Franzosen den Ökonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail nennen wollte.“
Die Sätze schrieb Friedrich Engels im Vorwort zur dritten Auflage des Kapitals von Karl Marx. Seit 170 Jahren ist das Kauderwelsch vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Welt und hält sich hartnäckig. Auch für Karl Marx war Arbeitskraft ganz nüchtern eine Ware, die von dem einen verkauft und von dem anderen gekauft wird. Die Ware Arbeitskraft befindet sich jedoch überhaupt nur auf dem Markt, weil der Anbieter keine anderen Waren verkaufen kann und so gezwungen ist, seine Arbeitskraft gegen Geld zu tauschen. Die Menschen, die „Arbeit nehmen“, haben gar keine andere Wahl, als tag täglich dem Verkauf ihrer Kraft zuzustimmen und haben nur einen ganz geringen Einfluss darauf, wie hoch der Preis dafür ist.
Über Generationen hinweg haben es deutsche Unternehmen, Arbeitsrechtler, Medien und Politiker geschafft, dieses Verhältnis sprachlich umzudrehen und die Gehirne der Menschen damit zu füttern, dass ein Arbeitgeber der Menschheit einen Gefallen tut, ihrer überschüssigen Arbeitskraft großzügig die Möglichkeit gibt, sich an Arbeitsplätzen abzuarbeiten. Folgerichtig wird der, der sich dort abarbeiten darf, dann auch Arbeitnehmer genannt.
Im deutschen Sprachraum wurden die abhängig Beschäftigten noch bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts als Gesinde, Dienstbothen oder Dienstgesinde benannt. Ihren Arbeitsauftrag gaben ihnen meistens Männer als „Herren“, die auch Herrschaft, Hausvater, Dienstherr, Diensthälter oder Gesindhälter genannt wurden. Damals bestand auch schon eine große Anzahl unterschiedlicher Rechtsverhältnisse, die dringend neu gestaltet und vor allem vereinheitlicht werden mussten. Dafür waren auch neue Begriffe erforderlich.
Im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis wurde nun der Begriff „Dienstvertrag“ eingeführt. Im deutschsprachigen Teil der K.u.K. Monarchie Österreich-Ungarn tauchte um das Jahr 1800 zum ersten Mal für die beiden Vertragsparteien die Bezeichnungen „Dienstgeber“ und „Dienstnehmer“ auf. Die Untergebenen hatten zu verstehen, dass dem Herren zu dienen eine Gnade war, die ihnen gewährt wurde, nach dem Motto: der Herr gibt den Dienst, der Untergebene nimmt das Dienstverhältnis an.
50 Jahre später, mit dem Entstehen der kapitalistischen Industriegesellschaft wandelten sich die Begriffe erneut und wurden auch zur Benennung des Lohnarbeitsverhältnisses benutzt. Damals trat erstmals das Wortpaar Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf und wurde auch in den Rechtsquellen und Verordnungen verwandt.
Wie so oft ist bei vielen Begriffen, die bei uns geschaffen werden, ein biblischer Hintergrund zu erkennen. Hier schwingt die biblische Wendung „Geben ist seliger als nehmen“ bei diesem Begriffspaar als Hintergrundrauschen unterschwellig immer mit.
Trotz der widersprüchlichen Bedeutung des Begriffspaares ist seine Anwendung bis heute immer weiter angestiegen und wird inflationär verwandt, nicht nur deutschlandweit.
Trotz inflationären Gebrauchs bleiben die Begriffe ungenau
Das Wortpaar Arbeitgeber und Arbeitnehmer kehrt die tatsächlichen Verhältnisse völlig um, weil es denjenigen Menschen der die Arbeit leistet, gibt und verkauft, zum Arbeitnehmer degradiert und denjenigen Menschen, der sie nimmt, bezahlt und von ihr profitiert, zum Arbeitgeber erhebt. Dabei scheint es recht einfach zu sein.
- Die Beschäftigen stellen ihre Arbeitskraft zur Verfügung. Arbeitskraft ist, zumindest für den nichtarbeitenden eine Ware, die man gegen Lohn oder Gehalt verkauft und nur deswegen existiert, weil der Arbeiter nichts anderes hat was er gegen Geld verkaufen könnte.
- Das geschieht gegenüber Leuten, die genug Geld haben um sich Arbeitskraft kaufen zu können. Diese nehmen also die Arbeitskraft eines anderen und bezahlen dafür.
- Das einzige Kapital eines Arbeiters ist seine Arbeitskraft die er verkaufen kann. Ein anderer nimmt und bezahlt sie. Demnach ist derjenige der seine Arbeitskraft verkauft der Arbeitgeber und derjenige der sie kauft der Arbeitnehmer.
- Wenn man den Begriff Arbeit in seiner abgeleiteten institutionellen Bedeutung als Arbeitsstelle begreift, dann ist der Arbeitgeber derjenige, der die Arbeitsstelle zur Verfügung stellt, also „Arbeitsplätze schafft“, doch unterschlägt man, dass diese Arbeitsstelle, sei es in Form von Maschine oder Computersoftware, ja auch erst durch Arbeit geschaffen werden musste.
- Die sprachliche Perspektivierung, soll für eine bestimmte Denkhaltung stehen. Beispielsweise, dass es ohne Arbeitgeber keine Arbeit gebe und diese Annahme als die allgemein gültige zementieren.
- Weiterhin soll das sprachliche Verhältnis Arbeitgeber – Arbeitnehmer suggerieren, dass der Arbeitgeber etwas gibt, der Arbeitnehmer etwas nimmt. Der Begriff Arbeitgeber strahlt insofern eine gönnerhafte, der Begriff Arbeitnehmer eine ausnutzerische Konnotation (direkte Nebenbedeutung eines Wortes) aus.
- Das sprachliche Verhältnis spiegelt den Zustand wider, der immer systembedingt und der Konkurrenz geschuldet dafür sorgt, dass ein großes vorgehaltenes Angebot von Arbeitskräften auf eine erheblich kleinere Nachfrage trifft.
- Der Begriff Arbeitnehmer scheint auch in dem Sinne missverständlich, da doch diejenige Arbeitsperson, die man als Arbeitnehmer bezeichnet, eben nicht Arbeit, sondern Lohnzahlungen dafür in Empfang nimmt, dass sie ihre Arbeitskraft dem Vertragspartner zur Verfügung stellt.
- Auch verdunkelt der Begriff Arbeitnehmer, dass es sich um Menschen handelt, die ihre Arbeitskraft zur Sicherung ihrer Existenz verkaufen müssen, weil sie selbst über keine Produktionsmittel verfügen.
- Weiter lässt der Begriff Arbeitnehmer die gesellschaftliche bedingte Abhängigkeit aus dem Blick, die sich historisch durch den fortschreitenden Prozess der Arbeitsteilung ergeben hat und dass die Arbeiterkräfte eben diese Gesellschaft erst ermöglichen
und
nicht zuletzt verschleiern diese Begrifflichkeiten, dass die Arbeit durch die Beschäftigten erbracht wird und sie den Wert im Unternehmen schaffen: Der Arbeitnehmer stellt dem Kapitaleigner, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung. Der Arbeitnehmer verkauft seine Arbeit dem Arbeitgeber, der die Produktionsmittel zur Verfügung stellt.
Obwohl die Begriffe schleierhaft und ungenau sind, wurden sie im deutschen Arbeitsrecht in Stein gemeißelt und werden mittlerweile sogar EUweit angewandt.
Begriffe finden Eingang in Recht und Rechtsprechung
In Deutschland definiert seit April 2017 der Paragraf 611a Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), dass der Arbeitnehmer durch den Arbeitsvertrag in den Diensten eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet wird. Indiz hierfür ist, dass jemand nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.
Nach einer Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist nun auch die (Außen-)GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) arbeitgeberfähig, so dass eine GbR und nicht die einzelnen Gesellschafter als Arbeitgeber zu verklagen sind, sofern die GbR als Vertragspartner aufgetreten ist.
In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) wurden die Arbeitnehmer bis zur Einführung des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG) im Jahr 1995 als „abhängig Beschäftigte“ bezeichnet. In der ESVG wird dann nur noch der Begriff Arbeitnehmer genutzt.
Selbst im EU-Recht steht der Begriff des Arbeitnehmers in Artikel 39 Absatz 1 des Europäischen Gemeinschaftsvertrags (EGV). Arbeitnehmer im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist jeder abhängig Beschäftigte, der eine weisungsgebundene Tätigkeit ausübt und für diese ein Entgelt bezieht, das nicht als völlig unwesentlich bezeichnet werden kann. Auch ist es nicht notwendig, dass der Arbeitnehmer damit seine Existenz bestreiten kann. Es reicht unter Umständen bereits, wenn z. B. einem Praktikanten Unterkunft und Verpflegung gewährt werden.
Betriebsverfassungsgesetzes gibt Auskunft, wer als Arbeitnehmer anzusehen ist…
Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
§ 5 Arbeitnehmer
„(1) Arbeitnehmer (Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) im Sinne dieses Gesetzes sind Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, unabhängig davon, ob sie im Betrieb, im Außendienst oder mit Telearbeit beschäftigt werden. Als Arbeitnehmer gelten auch die in Heimarbeit Beschäftigten, die in der Hauptsache für den Betrieb arbeiten. Als Arbeitnehmer gelten ferner Beamte (Beamtinnen und Beamte), Soldaten (Soldatinnen und Soldaten) sowie Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, die in Betrieben privatrechtlich organisierter Unternehmen tätig sind.
(2) Als Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes gelten nicht
1.in Betrieben einer juristischen Person die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist;
2. die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft oder die Mitglieder einer anderen Personengesamtheit, soweit sie durch Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung der Personengesamtheit oder zur Geschäftsführung berufen sind, in deren Betrieben;
3. Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art bestimmt ist;
4. Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient und die vorwiegend zu ihrer Heilung, Wiedereingewöhnung, sittlichen Besserung oder Erziehung beschäftigt werden;
5. der Ehegatte, der Lebenspartner, Verwandte und Verschwägerte ersten Grades, die in häuslicher Gemeinschaft mit dem Arbeitgeber leben.
(3) Dieses Gesetz findet, soweit in ihm nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, keine Anwendung auf leitende Angestellte. Leitender Angestellter ist, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb
1. zur selbständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt ist oder
2. Generalvollmacht oder Prokura hat und die Prokura auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend ist oder
3. regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt, wenn er dabei entweder die Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflusst; dies kann auch bei Vorgaben insbesondere aufgrund von Rechtsvorschriften, Plänen oder Richtlinien sowie bei Zusammenarbeit mit anderen leitenden Angestellten gegeben sein.
Für die in Absatz 1 Satz 3 genannten Beamten und Soldaten gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.
(4) Leitender Angestellter nach Absatz 3 Nr. 3 ist im Zweifel, wer
1. aus Anlass der letzten Wahl des Betriebsrats, des Sprecherausschusses oder von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer oder durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung den leitenden Angestellten zugeordnet worden ist oder
2. einer Leitungsebene angehört, auf der in dem Unternehmen überwiegend leitende Angestellte vertreten sind, oder
3. ein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt erhält, das für leitende Angestellte in dem Unternehmen üblich ist, oder,
4. falls auch bei der Anwendung der Nummer 3 noch Zweifel bleiben, ein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt erhält, das das Dreifache der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch überschreitet.
…und wo ist der Arbeitgeber definiert?
Eine allgemeingültige gesetzliche Definition für den Begriff des Arbeitgebers gibt es nicht. Er lässt sich mittelbar aber aus dem Begriff des Arbeitnehmers ableiten. So ist nach der Rechtsprechung des BAG Arbeitgeber derjenige, der mindestens einen Arbeitnehmer oder eine arbeitnehmerähnliche Person beschäftigt, der die Dienstleistungen vom Arbeitnehmer kraft des Arbeitsvertrags fordern kann und damit die wirtschaftliche und organisatorische Dispositionsbefugnis über die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und den Nutzen aus ihr hat.
Ansonsten muss man ganz schön lange suchen. Gesetzlich beschrieben wird der Arbeitgeber im Betriebsverfassungsgesetz, Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Dort sind Arbeitgeber natürliche und juristische Personen sowie rechtsfähige Personengesellschaften, die Arbeitnehmer beschäftigen.
I. Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
Arbeitgeber im Sinne des Betriebsverfassungsrechts ist der Inhaber des Betriebs. Gehört der Betrieb einer juristischen Person (z.B. einer GmbH oder einer Aktiengesellschaft), dann ist diese juristische Person (das heißt die GmbH bzw. die Aktiengesellschaft) Arbeitgeber. Im Betriebsverfassungsgesetz wird der Arbeitgeberbegriff in zweifacher Weise gebraucht: Zum einen ist der Arbeitgeber Vertragspartner des Arbeitnehmers und zum anderen ist er Organ der Betriebsverfassung. Dabei sind dort die Begriffe Unternehmer und Arbeitgeber deckungsgleich und bezeichnen lediglich unterschiedliche Rechtsbeziehungen, Funktionen und Tätigkeiten derselben Person.
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II. Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)
§ 2 Begriffsbestimmungen
(1) Maßnahmen des Arbeitsschutzes im Sinne dieses Gesetzes sind Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen bei der Arbeit und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren einschließlich Maßnahmen der menschengerechten Gestaltung der Arbeit.
(2) Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes sind: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten, arbeitnehmerähnliche Personen im Sinne des § 5 Abs. 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes, ausgenommen die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten, Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter, Soldatinnen und Soldaten und die in Werkstätten für Behinderte Beschäftigten.
(3) Arbeitgeber im Sinne dieses Gesetzes sind natürliche und juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften, die Personen nach Absatz 2 beschäftigen.
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III. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
§ 6 Persönlicher Anwendungsbereich
(2) Arbeitgeber (Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen) im Sinne dieses Abschnitts sind natürliche und juristische Personen sowie rechtsfähige Personengesellschaften, die Personen nach Absatz 1 beschäftigen. Werden Beschäftigte einem Dritten zur Arbeitsleistung überlassen, so gilt auch dieser als Arbeitgeber im Sinne dieses Abschnitts. Für die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten tritt an die Stelle des Arbeitgebers der Auftraggeber oder Zwischenmeister.
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Im rechtlichen Bereich werden die Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Vertragspartner des Beschäftigungsverhältnisses definiert und der Arbeitgeber leitet sich mittelbar aus dem Begriff des Arbeitnehmers ab. Es stellt sich aber dennoch die Frage, ob das Wortpaar ein Unwort ist.
Wortpaar Arbeitnehmer/Arbeitgeber – ein Unwort?
Wie in jedem Jahr, so hatte sich die Jury der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung auf das „Unwort des Jahres“ 2013 geeinigt. Es war auf den Begriff „Sozialtourismus“ gefallen. Doch erstmalig wurde in dem Jahr von der Jury eine weitere Kategorie eingeführt, um die Vorschläge, die den prominenten und jährlich wechselnden Gästen besonders am Herzen liegen, besser würdigen zu können. Es war das persönliche Unwort des jeweiligen Gastes, das den Kriterien der Jury genügen kann, aber nicht unbedingt muss.
Gast in der sprachkritischen Jury war in dem Jahr der Schriftsteller Ingo Schulze. Er hingegen bezeichnet die Dichotomie (Zweigliedrigkeit, Zweiteilung) „Arbeitgeber“/“Arbeitnehmer“ als sein persönliches Unwort des Jahres. Zur Begründung führt Schulze seinen Text aus dem Jahr 2010 an:
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Ingo Schulze
Arbeitgeber/Arbeitnehmer
„Wenn es keine Arbeitgeber gibt, gibt es auch nichts zu arbeiten. So einfach ist das“, sagte A.
„Das ist nicht dein Ernst?“, erwiderte B.
„Doch, wieso denn nicht?“
„Haben wir nicht schon in der Schule gelernt, dass das nicht stimmt?“, fragte B.
Das Gesicht von A., der ebenfalls aus dem Osten stammte, erstrahlte. „Na, und wohin hat das, was wir in der Schule gelernt haben, geführt?“, fragte er und gab gleich selbst die Antwort. „In den Abgrund!“
„Wie kannst du nur das Wort für die Sache nehmen?“, sagte B. und schüttelte den Kopf. „Das ist doch eine grundsätzliche Verwechslung!“
„Ohne Arbeitgeber keine Arbeit. Je besser es den Arbeitgebern geht, umso mehr Arbeit gibt es“, beharrte A.
B. griff sich an den Kopf. „Überall kannst du lesen, was das für ein Humbug ist. Was du fälschlicherweise „Arbeitnehmer“ nennst, ist in Wirklichkeit jemand, der seine Arbeitskraft verkaufen muss, um leben zu können, weil er selbst keine Produktionsmittel besitzt. Das hat mit gesellschaftlicher Arbeitsteilung zu tun. Dein „Arbeitnehmer“ gibt seine Arbeitskraft demjenigen, der die Produktionsmittel besitzt, also jemandem, den man zu Recht Arbeitnehmer nennen sollte. Du kannst ihn aber auch Unternehmer, Ausbeuter oder Eigentümer nennen, nur bitte nicht Arbeitgeber!“
A. lächelte.
„Bis 1999“, fuhr B. fort, „nannte man sie offiziell noch ‚abhängig Beschäftigte’. Die Volkswirtschaftler sprechen vom ‚Anbieter des Produktionsfaktors Arbeit’, und vom ‚Nachfrager nach dem Produktionsfaktor Arbeit’.“
A. lächelte immer noch. „Also zunächst einmal bin ich derjenige, den alle verstehen, wenn ich von Arbeitnehmer spreche“, sagte er, „und du bist es, der mit seinem Neusprech Verwirrung stiftet. Denn die Bedeutung eines Wortes – und das wirst du wohl nicht bestreiten wollen – bestimmt sich doch daher, wie wir es im Alltag verwenden. Nicht mal jene Parteien, die vorgeben, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, verwenden es in deinem Sinn. Selbst die haben kapiert, dass Arbeitgeber Arbeitgeber sind und Arbeitnehmer Arbeitnehmer.“
B. verdrehte die Augen. „Ich habe dir doch gerade erklärt, warum das nicht stimmt. Und statt zu argumentieren, kommst du mir damit, dass die meisten diese Worte falsch gebrauchen! Sie so zu verwenden ist tatsächlich ein Skandal oder lächerlich oder Absicht oder ganz einfach eine Dummheit. Ein Wort hat doch eine enge Beziehung zu dem, was es ausdrückt, eine – wie nennt man das – eine aufschließende Qualität. Und wenn die einen als Geber und die anderen als Nehmer bezeichnet werden, stellt das die Beziehung einfach auf den Kopf. Ich weiß nicht, wie man das anders sehen soll!?“
„Willst du behaupten, ich sei ein Demagoge?“, fragte A.
„Alle, die es in diesem Sinne verwenden sind darauf reingefallen oder machen es sich bewusst zunutze. Du siehst ja an dir, wohin das führt.“
„Dann erkläre mir doch bitte mal, warum man dann die Arbeitgeber immer und überall anbettelt, mehr zu investieren, sich hier oder da niederzulassen und mehr Arbeitsplätze zu schaffen? Sonst müsste man doch sagen, liebe Arbeiter, arbeitet alle mehr, dann wird alles besser.“
„Mein Gott!“, rief B. „Das Geld, die Maschinen etc., das ist doch nicht vom Himmel gefallen, das ist doch auch mal erarbeitet worden. Aber ohne diejenigen, die ihre Arbeitskraft verkaufen, die ihre Arbeit geben, entsteht nichts. Auch die Ingenieure, auch die Erfinder sind doch welche, die ihre Arbeit geben. Oder sie gründen eine eigene Firma, aber dann brauchen sie andere, die ihnen helfen, die ihnen ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Hörst du nicht den Unterton in Arbeitgeber, der Herr, der ohne Not etwas gibt, obwohl er es nicht nötig hat, und der Arbeiter, der dir Arbeit dankbar entgegennimmt?“
„Das ist ja nicht meine Erfindung. Die Begriffe stehen schon im Grimmschen Wörterbuch.“
„Da ist der Arbeitgeber aber einer“, sagte B., „’der für sich arbeiten lässt, die Arbeit bestellt und zahlt’, und der Arbeitnehmer einer, ‚der die aufgetragene Arbeit annimmt’.“
„Aber dort steht nicht, dass die Begriffe irreführend sind, wie du es behauptest.“
„Nein, leider nicht“, sagte B. „Aber nimm das Englische oder Französische, da gibt es den ‚employee’ beziehungsweise den „employée“. Das darf man doch nicht mit ‚Arbeitnehmer’ übersetzen!“
„Mal angenommen“, sagte A., „ich würde mich darauf einlassen. Warum verwenden es trotzdem alle in meinem Sinn? Weil sich in der Sprache das Richtige durchsetzt, der Abschied vom Klassenkampf!“
„Wer sich der offiziellen Terminologie ergibt – und das solltest du wissen – steht von vorn herein auf verlorenem Boden.“
A. schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er schließlich. „So einfach ist das nicht.“
„Doch, so einfach ist das“, sagte B.
„Ist es nicht“, erwiderte A.
„Ist es doch!“, beharrte B.
Und weil A. das erste Wort hatte, soll B. nun das letzte haben.
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Schade, dass Ingo Schulze sich damals mit der Dichotomie „Arbeitgeber“/“Arbeitnehmer“ als sein persönliches Unwort des Jahres in der Jury nicht durchsetzen konnte – das Wortpaar ist ein Unwort!
Das Schlusswort in unserem Zusammenhang hat Friedrich Engels mit seinem Vorwort zur dritten Auflage des Kapitals:
„Es ist also in dieser dritten Auflage kein Wort geändert, von dem ich nicht bestimmt weiß, dass der Verfasser selbst es geändert hätte. Es konnte mir nicht in den Sinn kommen, in das Kapital den landläufigen Jargon einzuführen, in welchem deutsche Ökonomen sich auszudrücken pflegen, jenes Kauderwelsch, worin z.B. derjenige, der sich für bare Zahlung von andern die Arbeit geben lässt, der Arbeitgeber heißt und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird. Auch im Französischen wird travail im gewöhnlichen Leben im Sinn von > Beschäftigung < gebraucht. Mit Recht aber würden die Franzosen den Ökonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail und den Arbeiter receveur de travail nennen wollte.“
Quellen: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Haufe, MEW 23, S. 34, ArbSchG, BetrVG, AGG Bild: 123rf cco