Wie die erste deutsche Sozialisierungskommission scheiterte

Von Dietmar Lange

1918 trat in Berlin schon einmal eine Expertenkommission zusammen, um Sozialisierungen in Angriff zu nehmen – doch vergesellschaftet wurde am Ende nichts. Was die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« aus dieser Erfahrung lernen kann.

Mit ihrem erfolgreichen Volksbegehren zur Vergesellschaftung der Berliner Bestände großer Immobilienkonzerne hat es die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« geschafft, die Sozialisierung von Unternehmen wieder zum Gegenstand politischer Debatten zu machen. Die neue rot-grün-rote Berliner Landesregierung unter Bürgermeisterin Franziska Giffey kündigt im Koalitionsvertrag an, in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit eine »Expertenkommission zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens« einzusetzen. Die Initiative soll auch darin vertreten sein und hat auf einer Pressekonferenz am 21. Januar 2022 bereits ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme erklärt. Zugleich äußerte einer ihrer Sprecher die Befürchtung, die Expertenkommission könnte ein Ort werden, »wo viel geredet wird, ohne dass Ergebnisse dabei rumkommen«.

Dass solche Befürchtungen nicht unbegründet sind, zeigt das Schicksal der ersten deutschen Sozialisierungskommission, die nach der Revolution im November 1918 eingerichtet wurde. Die Kommission tagte insgesamt vier Monate, sozialisiert wurde am Ende aber nicht.

Sie galt daher den Zeitgenossen als bloßes »Beruhigungspulver«, mit dem entsprechende Erwartungen und Bestrebungen in der Arbeiterklasse ruhig gestellt werden sollten – als »Wandschirm, hinter dem nichts geschieht«.

Letzteres ist allerdings nicht ganz richtig. Tatsächlich wurden in der Kommission lebhafte Debatten geführt und Vorschläge für die Sozialisierung ganzer Industriezweige ausgearbeitet. Die Gründe ihres Scheiterns lohnen einen genaueren Blick.

Revolution und Sozialisierung

Die Voraussetzungen für eine Sozialisierung ganzer Wirtschaftszweige waren in der deutschen Geschichte nur selten so günstig, wie in den ersten Monaten nach dem Sturz des Kaisers am 9. November 1918 (mit Ausnahme vielleicht der Zeit direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs und im besonderen Fall der DDR). Im gesamten Land hatten sich Arbeiter- und Soldatenräte gebildet, die die staatlichen Behörden unter ihre Aufsicht stellten und faktisch die politische Macht in den Händen hielten.

In Berlin trat eine rein sozialistische Übergangsregierung zusammen – der Rat der Volksbeauftragten. Dieser setzte sich zusammen aus Mitgliedern der Mehrheitssozialdemokratischen Partei (MSPD) und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD), die 1917 aus der Opposition gegen den Kriegskurs der SPD-Mehrheit hervorgegangen war. Beide Parteien beriefen sich auf das Erfurter Programm der SPD von 1890, das die »Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln … in gesellschaftliches Eigentum und die Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische, für und durch die Gesellschaft betriebene Produktion« anstrebte.

In der Tat beschloss der Rat der Volksbeauftragten auf Antrag der USPD am 18. November 1918, »daß diejenigen Industriezweige, die nach ihrer Entwicklung zur Sozialisierung reif sind, sofort sozialisiert werden sollen«. Hierfür sollte eine Kommission entsprechende Vorschläge ausarbeiten. Ihr sollten sowohl »hervorragende Nationalökonomen« angehören als auch Vertreter der Arbeitenden und sogar der Unternehmer – den »Praktikern des wirtschaftlichen Lebens«, wie es in der diesbezüglichen Proklamation heißt.

Was die Regierung hier wenige Tage nach der Revolution beschloss, macht zweifellos den Eindruck einer entschlossenen und weitgehenden Maßnahme. Doch der Umstand, dass Vertreter der Unternehmer Vorschläge zu ihrer eigenen Vergesellschaftung mit ausarbeiten sollten, deutet bereits auf einen grundsätzlichen Widerspruch in der Herangehensweise der neuen Machthaber hin. Diese meinten nämlich, auf die Expertise und Mitarbeit der »Praktiker« des alten Regimes nicht verzichten zu können – aus Furcht, ansonsten chaotische Zustände zu befördern.

Dies galt auch für ihr Verhältnis zum kaiserlichen Beamtenapparat. Die Staatssekretäre und höheren Beamten blieben zumeist auf ihren Posten. Aus deren Kreisen regten sich die ersten Widerstände gegen den Beschluss, dessen offizielle Verlautbarung sie zunächst verhinderten. Ihre Einwände äußerten sie vor allem als Bedenken praktischer Natur: »Die Schwierigkeiten der Demobilisation sind so groß, daß man in ihr nicht auch die Lösung der neuen Wirtschaftsordnung anfassen kann«, wandte auf einer Kabinettssitzung am 21. November 1918 der Staatssekretär Joseph Koeth ein, der das in wirtschaftlichen Fragen wichtige Demobilmachungsamt leitete. Er stieß damit bei den Volksbeauftragten auf offene Ohren. Auch die Mehrheitssozialdemokraten Gustav Bauer und Philipp Scheidemann warnten nun vor »russischen Zuständen«.

Dennoch wurde die Sozialisierungskommission schließlich mit einiger Verzögerung einberufen. Allerdings war nun nicht mehr von einer »sofortigen« Sozialisierung die Rede. Zudem wurde sie auf Betreiben von Staatssekretär August Müller, einem rechten Mehrheitssozialdemokraten, dem Reichswirtschaftsamt unterstellt.

Expertenrat statt Selbsthilfe

Mit Karl Kautsky und Rudolf Hilferding gehörten der Kommission zwei der bekanntesten marxistischen Theoretiker jener Zeit an (beide USPD). Daneben bestand sie vor allem aus bürgerlichen und sozialistischen Professoren und Doktoren, darunter der Sozialwissenschaftler Ernst Francke, der zusammen mit Kautsky den Vorsitz innehatte. Wirtschaftswissenschaftler hatten einen großen Anteil – unter anderem wurde wenig später der bekannte österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter in die Kommission berufen.

Die Arbeiterschaft vertraten der Vorsitzende des Bergarbeiterverbandes Otto Hué und Paul Umbreit von der Generalkommission der freien Gewerkschaften. Beide waren Befürworter des Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommens (ZAG) zwischen Gewerkschaften und Unternehmern. Die Unternehmer hatten darin den Gewerkschaften mehr Mitbestimmung eingeräumt. Dafür sollten diese jedoch auf weitergehende Sozialisierungsforderungen verzichten. Die Unternehmerseite in der Kommission repräsentierte Theodor Max Vogelstein von der Auer Gesellschaft, zuvor Direktor der Kriegsmetall AG und später Bankier.

Die Kommission bestand also keinesfalls aus radikalen Elementen. Ihre Mitglieder, auch die der USPD, verschlossen sich ebenso wenig wie die Volksbeauftragten den aufkommenden Bedenken aus Beamten- und Unternehmerkreisen. Auch sie trieb in den ersten Monaten die Angst vor wirtschaftlichem Chaos und Zusammenbruch um. In ihrer ersten öffentlichen Verlautbarung am 11. Dezember 1918 erklärte die Kommission: »Sie ist sich bewußt, daß die Vergesellschaftung der Produktionsmittel nur in einem länger währenden organischen Aufbau erfolgen kann. Erste Voraussetzung aller wirtschaftlichen Reorganisation bildet die Wiederbelebung der Produktion.«

Unternehmen, die für die Exportindustrie wichtig waren, sollten daher zunächst ausgespart bleiben, ebenso die Banken, um die Kreditvergabe nicht zu gefährden (davor hatte der Chef der Deutschen Bank, Paul Mankiewicz, gewarnt). Stattdessen ermahnten auch die linken Kommissionsmitglieder die Arbeitenden bei öffentlichen Auftritten zur Wiederaufnahme der Produktion und verurteilten »wilde Sozialisierungen« sowie Eingriffe in die Betriebsabläufe durch die Arbeiterräte. Auf dem Ersten Reichsrätekongress im Dezember 1918, auf dem sich die Delegierten der Arbeiter- und Soldatenräte des gesamten Landes versammelten, warnte Hilferding angesichts sich ausbreitender Streiks: Die Revolution »darf sich nicht auflösen in eine Lohnbewegung, und sie darf sich nicht auflösen in eine Anarchie, in eine ungeordnete und produktionsstörende Bewegung«.

Diese Äußerungen zeigen einen unter den altgedienten Sozialdemokraten weit verbreiteten Anspruch von Disziplin an die Bewegung. Aus diesem Grund witterten sie in der unübersichtlichen und chaotischen Situation der Revolutionszeit weniger Chancen als Gefahren. Das spontane Aufbegehren der Arbeitenden sollte von einer wissenschaftlich gründlich geplanten Entwicklung abgelöst werden, die jedoch in den Händen von Experten zu liegen hatte und von den Arbeitenden vor allem eins verlangte: geduldiges Stillhalten.

Nicht zuletzt verstand die Kommission ihre Arbeit auch als Beitrag zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung. Das Kommissionsmitglied Emil Lederer erklärte im Januar 1919 auf einer Sitzung mit dem Zentralrat, dem auf dem Rätekongress gewählten Exekutivorgan der Räte: »Nur die Hoffnung auf die Arbeiten der Kommission verhüte an vielen Stellen, was an einigen immerhin schon geschehe: Selbsthilfe der Arbeiterschaft.«

Kleinkrieg mit der Bürokratie

Allerdings verstand sich die Kommission keinesfalls als bloßes Feigenblatt der Regierung. Sie wollte die ihr gestellte Aufgabe gewissenhaft angehen. Dabei kam es jedoch schon bald zu Konflikten mit den Ämtern, deren Ressorts die Arbeit der Kommission berührte – vor allem dem Demobilmachungsamt, dem Reichswirtschaftsamt und dem Reichsschatzamt.

Bereits auf den ersten Sitzungen Anfang Dezember 1918, auf denen der Arbeitsplan und die Stellung zu den Behörden behandelt wurden, pochten die Kommissionsmitglieder auf ihre Unabhängigkeit und lehnten eine Eingliederung in den Behördenapparat ab. Die Ämter sollten ihr vielmehr das benötigte Material beschaffen und Fragen zur wirtschaftlichen Situation beantworten. Damit traf sie auf viele Widerstände. Die Kommissionsmitglieder klagten wiederholt über ungenügende Räumlichkeiten, mangelndes Büromaterial sowie unzureichende technische Hilfskräfte und finanzielle Mittel. Anfragen wurden ignoriert und die Beamten begegneten der Kommission mit Geringschätzung und Missachtung.

Zum Teil hingen diese Probleme mit den nicht geklärten Befugnissen der Kommission zusammen. Sie selbst beanspruchte Autonomie und beabsichtigte, die Leitlinien der wirtschaftlichen Umgestaltung zu entwickeln. Die Beamten hingegen betrachteten die Kommission als einen institutionellen Fremdkörper, dem sie höchstens Gutachterfunktionen zugestanden. Vor allem aber verfolgten die Ämter eigene Pläne zur Neuordnung der Wirtschaft, in die sie sich nicht hineinreden lassen wollten und die sie vor der Kommission geheim hielten.

Das Demobilmachungsamt unter Koeth, das auf Betreiben der Privatunternehmer eingerichtet worden war, begann schon bald die bestehenden Zwangsgesellschaften der Kriegszeit aufzulösen. Damit drängte es den Einfluss des Staates zurück und stellte faktisch den unregulierten Zustand der Vorkriegszeit wieder her. Die Kommission protestierte gegen diese Entwicklung, konnte aber keinen Einfluss auf sie nehmen. Das Reichswirtschaftsamt war mit diesem Vorgehen zwar ebenfalls nicht einverstanden. Es wollte den staatlichen Einfluss über Absatz und Preisgestaltung beibehalten und ausbauen. Jedoch dachte es nicht an eine Ausschaltung des privaten Unternehmertums, wie es die Mehrheit der Kommission für einzelne Industriezweige durchaus anvisierte.

Auch die politischen Rahmenbedingungen verschärften sich um die Jahreswende 1918/19. Nach blutigen Kämpfen zwischen Truppen des kaiserlichen Offizierskorps und revolutionären Einheiten Ende Dezember 1918 in Berlin traten die USPD-Mitglieder aus allen Regierungsämtern zurück und verweigerten ihre Mitarbeit im Zentralrat. Damit schnitten sie sich faktisch selbst von jedem politischen Einfluss ab. Die verbliebene MSPD-Regierung ging in der Folgezeit im Bündnis mit den alten Militärs immer gewaltsamer gegen die radikale Linke sowie Streikende vor. Und auch gegenüber der Sozialisierungskommission wurde der Ton nun rauer.

Staatssekretär Müller aus dem Reichswirtschaftsamt erklärte auf einer Pressekonferenz am 24. Januar 1919, »daß die Einsetzung der Sozialisierungskommission ein unglücklicher Beschluß gewesen sei, und daß diese Institution mit den zu weitgehenden Erwartungen, die sich daran knüpften, viel dazu beigetragen habe, eine Sozialisierungswut zu schaffen, der das Wort ›Sozialisierung‹ nichts weiter sei als eine neue Formel für sonst nicht gerechtfertigte Lohnforderungen«. Die Kommission erbat eine Aussprache, doch die Regierung verweigerte diese mit der Begründung, sie habe keine Zeit.

Erst als die Kommission unter diesen Umständen am 3. Februar ihren Rücktritt ersuchte, erhielt sie eine Bestallungsurkunde, die sie gegenüber den Ämtern legitimierte und diese zur Auskunft verpflichtete. Allerdings war darin auch eine folgenschwere Passage enthalten, die von den Kommissionsmitgliedern verlangte, den Gang ihrer Verhandlungen als Amtsgeheimnis zu behandeln, und ihnen Verschwiegenheit auferlegte.

Sozialisierung des Bergbaus

Die erste Aufgabe der Kommission bestand darin, festzustellen, »welche Industriezweige nach ihrer Entwicklung zur Vergesellschaftung reif sind, und unter welchen Bedingungen dies geschehen kann«. Als »reif« für die Vergesellschaftung galten solche Branchen, die sich durch einen hohen Grad an Konzentration und Marktmacht der darin agierenden Unternehmen auszeichneten und die eine zentrale volkswirtschaftliche Bedeutung besaßen. Als solche identifizierte die Kommission vor allem die Rohstoffgewinnung – und darin insbesondere den Kohlebergbau, der den wichtigsten Energieträger jener Zeit lieferte.

Die Sozialisierung des Bergbaus drängte auch aufgrund einer wachsenden Streikwelle in den Berg- und Tagebaurevieren und eigenen Initiativen lokaler Arbeiterräte auf die Tagesordnung. Auch der Reichsrätekongress hatte die Regierung mit der sofortigen Einleitung entsprechender Schritte beauftragt. Die Regierungsmitglieder verwiesen jedoch zunächst auf die laufenden Arbeiten der Kommission. Diese befasste sich damit im Dezember 1918 und Januar 1919 in mehreren Beratungen mit Vertretern staatlicher und privater Unternehmen sowie der Bergarbeiter. Am 15. Februar legte sie der Regierung schließlich einen Bericht vor, der ein Mehrheits- und ein Minderheitsvotum enthielt.

Die Mehrheit der Kommission sprach sich für eine Sozialisierung des gesamten Bergbaus aus. Alle Bergwerksbetriebe sollten zugunsten einer Deutschen Kohlegemeinschaft enteignet werden. Diese sollte jedoch kein Staatsbetrieb werden, da diese als zu bürokratisch und unproduktiv erachtet wurden, sondern eine selbständige juristische Körperschaft. An ihrer Spitze sollte ein Kohlenrat stehen, paritätisch zusammengesetzt aus Vertretern der Arbeiterschaft, der Betriebsleitungen, der Konsumenten (industriellen Abnehmern und Verbraucherorganisationen) und des Staates. Dass sich die Kommission dabei auch nicht den anfangs skeptisch beäugten Forderungen der Arbeiterräte verschloss, zeigen die von ihr formulierten Grundsätze der »Demokratie in den Betrieben«: So sollten auf jeder Stufe der Produktionsleiter Arbeiterräte die Arbeitsbedingungen kontrollieren.

Die Minderheit, bestehend aus Francke und dem Unternehmensvertreter Vogelstein, wollte hingegen die privaten Unternehmen erhalten und sah eine Organisation zur Absatz- und Preiskontrolle ähnlich den Kriegsgesellschaften vor. Damit hatten ihre Vorstellungen mehr mit den Plänen des Reichswirtschaftsministierums gemein, an dessen Spitze nun Rudolf Wissel (MSPD) stand. Dieses hielt den Bericht zunächst unter Verschluss und veröffentlichte ihn erst, nachdem es am 2. März 1919 ohne Rücksprache mit der Kommission eine den eigenen Vorstellungen entsprechende Gesetzesvorlage in die in Weimar tagende Nationalversammlung eingebracht hatte. Der Bericht der Sozialisierungskommission gelangte also erst an die Öffentlichkeit, als er keinen Einfluss mehr auf das Gesetzgebungsverfahren nehmen konnte.

Zerwürfnis mit der Regierung

Diese Vorgänge steigerten das Misstrauen der Kommissionsmitglieder gegenüber der Regierung. Sie setzten auch aufgrund der neuen politischen Mehrheitsverhältnisse – die Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 hatten keine sozialistische Mehrheit hervorgebracht – nicht mehr auf entschiedene Sozialisierungsmaßnahmen durch die zentralen staatlichen Behörden. Stattdessen richteten sich ihre Hoffnungen vermehrt auf entsprechende Bestrebungen in den Kommunen und Gemeinden.

Kautsky führte hierzu auf dem Zweiten Reichsrätekongress im April 1919 aus: »Die großen Städte haben dabei die Aufgabe, in der Sache der Sozialisierung voranzugehen. In ihnen sind die Arbeiter am stärksten, sie sind die Zentren der Intelligenz des Landes, ihre Verhältnisse sind eher zu durchschauen, als die des ganzen Reiches, sie müssen die neuen Organisationsformen der Sozialisierung zuerst entwickeln und damit zu Wegweisern für den gesamten Sozialisierungsprozeß werden.« Große Bedeutung maß er dabei dem Wohnungsbau zu, der in der Kriegszeit so gut wie zum Erliegen gekommen war.

Auch die Sozialisierungskommission befasste sich mit der Wohnungswirtschaft. Um für die Städte und Gemeinden die nötigen rechtlichen Grundlagen zu schaffen, erarbeitete sie einen Entwurf für ein Rahmengesetz zur Kommunalisierung. Dieses veröffentlichte die Kommission am 18. März auf eigene Faust, was zum endgültigen Zerwürfnis mit dem Reichswirtschaftsministerium führte. Wissel verlangte nun, dass die Kommission nichts mehr ohne seine Zustimmung veröffentlichen dürfe und drohte damit, die Zusammenarbeit aufzukündigen. Die Kommissionsmitglieder sahen sich daraufhin nicht mehr in der Lage, ihre Arbeit fortzusetzen, und traten am 7. April 1919 geschlossen zurück.

Neben dem Bergbaubericht und dem Gesetzentwurf zur Kommunalisierung hatte es die Sozialisierungskommission noch geschafft, Vorschläge für eine Sozialisierung der Hochseefischerei abzuschließen. Alle weiteren laufenden Arbeiten, etwa zur Sozialisierung des Versicherungswesens und der Hypothekenbanken, führte sie nicht mehr zu Ende. Ohnehin blieben alle ihre Pläne auf dem Papier. Keiner davon erlangte praktische Bedeutung.

Nach dem Kapp-Putsch 1920 sah eine Vereinbarung zwischen Regierung und Gewerkschaften zwar vor, die Sozialisierung des Bergbaus aufgrund des im Vorjahr verfassten Berichtes wieder in Angriff zu nehmen und eine zweite Sozialisierungskommission einzuberufen. Die Sozialisierungsbewegung ebbte jedoch nach der Niederschlagung der Roten Ruhrarmee ab. Die neue Kommission tagte noch einige Jahre von der Öffentlichkeit kaum beachtet, bis ihr der Reichstag 1923 den Etat strich – mit der Begründung, sie sei ohne parlamentarischen Beschluss zustande gekommen.

Gründe des Scheiterns

Die Arbeit der Sozialisierungskommission war von einem grundlegenden Widerspruch geprägt. Einerseits machte sie sich tiefgreifende Veränderungen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zum Programm und wollte diese gar in wichtigen Bereichen abschaffen. Andererseits verfolgte sie zugleich die Maxime, das Wirtschaftsleben und den Gang der Produktion unter keinen Umständen zu stören. Eingriffe und Initiativen »von unten« durch die Arbeiterräte lehnte sie daher ab. Sie trug sogar dazu bei, diese zu diskreditieren. Allerdings zeigte sich hier auch ein gewisser Lernprozess vor allem bei ihren USPD-Mitgliedern Kautsky und Hilferding, die mit wachsender Enttäuschung über die Regierung auch dezentrale Sozialisierungsmaßnahmen zu befürworten begannen und die Öffentlichkeit stärker einbezogen.

Dieser innere Widerspruch der Kommission war letztlich aber nicht der Hauptgrund ihres Scheiterns. Eine gewichtigere Rolle spielte die Obstruktionshaltung und Sabotagepraxis der wichtigsten wirtschaftspolitischen Behörden, die ihre eigenen Pläne verfolgten. Während die Kommission noch darum kämpfte, angemessene Räumlichkeiten sowie materielle und finanzielle Ausstattung zu erhalten, sorgten diese bereits für vollendete Tatsachen.

Nun befinden wir uns heute im Unterschied zu 1918/19 nicht in einer revolutionären Situation. Massenhafte Mietstreiks und »wilde Sozialisierungen« der Wohnungskonzerne »von unten« sind nicht zu erwarten. Dennoch sollte klar sein, dass die Beratungen einer Expertenkommission Basisorganisierung und Mieterproteste nicht ersetzen können. Die Kommission kann im besten (und gar nicht so unwahrscheinlichen) Falle detaillierte Vorschläge für die Umsetzung des Volksbegehrens, vielleicht sogar schon einen Entwurf für eine Gesetzesvorlage liefern, und so die Legitimation der Vergesellschaftung steigern.

Die Geschichte der Sozialisierungskommission weist uns jedoch noch auf einen weiteren Knackpunkt hin: die Zusammenarbeit mit der Verwaltung. Die Arbeit einer solchen Kommission erfordert, dass die Öffentlichkeit über die Beratungen und ihre Ergebnisse informiert wird, was leicht mit dem behördlichen Anspruch auf vertrauliche Behandlung von Amtsgeheimnissen in Konflikt geraten kann.

Letztlich ist für einen praktischen Erfolg der Sozialisierung zentral, dass die zuständigen Behörden auf eine produktive Zusammenarbeit mit der Kommission verpflichtet werden und nicht etwa ihr eigenes Süppchen zusammen mit der Immobilienlobby kochen. Das die SPD, die unter Franziska Giffey keinen Hehl aus ihrer Ablehnung des Volksbegehrens macht, sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen gesichert hat, lässt in dieser Hinsicht nichts Gutes erwarten.

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Autor:

Dietmar Lange ist Historiker und Mitherausgeber der Zeitschrift »Arbeit – Bewegung – Geschichte«.

 

 

 

 

 

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