„Wie es ist, bleibt es nicht“ – der Kampf um das BAföG hat Geschichte

„1. Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muss allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen.

2. Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muss zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen ethnischen oder religiösen Gruppen beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.“

ALLGEMEINE ERKLÄRUNG DER MENSCHENRECHTE, ARTIKEL 26

In wessen Interesse und zu welchen Zwecken gelernt, gelehrt und geforscht wird, ist gesellschaftlich umkämpft und seit jeher mit der Frage des Zugangs zu den entsprechenden Institutionen untrennbar verbunden. Das BAföG stellt einen immensen zivilisatorischen Fortschritt in dieser Kontroverse dar, der dringend auszuweiten ist.

Der Besuch einer Universität war von Beginn an wesentlich dem Adel und dem Großbürgertum vorbehalten und diente zunächst vorrangig der Bildung der gesellschaftlichen Eliten und somit der Reproduktion des Machterhalts eben dieser gesellschaftlichen Schicht. Durch die Revolution 1918/19 konnte zwar formal ein gleicher Zugang zu den Universitäten erreicht werden, die Universitäten blieben aber von einem elitären Charakter geprägt und systemimmanente soziale Hürden sowie Selektionsmechanismen (z.B. das Arbeiten neben dem Studium, Latein oder Altgriechisch als Zugangsvoraussetzung, Armut in der Familie) blieben weitestgehend bestehen. In der Weimarer Republik war der Anteil an Frauen und Arbeiterkindern an den Universitäten folglich weiterhin äußerst gering. Die Einrichtung von Vereinen zur finanziellen Unterstützung wie der „Studentenhilfe e.V.“ und von Studentenwohnheimen ermöglichten allerdings kleinen Teilen des Beamtentums den Hochschulzugang.

Hochschulzugang für alle – Eine Konsequenz aus dem Faschismus

Insbesondere der Elitarismus bildete den Nährboden für die 1933 vollzogene Selbstgleichschaltung der Universitäten. Auf dieser Grundlage wurden der systematische Ausschluss und die Verfolgung bis hin zur Ermordung jener Universitätsmitglieder forciert, welche nicht dem sozialchauvinistischen und rassistischen Menschenbild der Nazis entsprachen. Zugang zu den Universitäten erhielten nur diejenigen, die der propagierten „Volksgemeinschaft“ ideologisch zuträglich waren.

Aus der Mitverantwortung der Hochschulen an den faschistischen Verbrechen zog die britische Besatzungsmacht unter Mitwirkung von Antifaschist:innen aus Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Wissenschaft im sogenannten „Blauen Gutachten für die Hochschulreform“ von 1948 folgende Konsequenz: „Mit allen Mitteln muß danach getrachtet werden, daß entsprechend der Veränderung der Struktur der Gesellschaft begabte Kinder aus dem Arbeiterstand in weit stärkerem Maße als bisher den Zugang zur Hochschule finden. […] Voraussetzung ist allerdings, daß die aus dem Arbeiterstand stammenden Studierenden sich nicht einfach dem neuen Milieu anpassen und darin untergehen, sondern sich vielmehr als stark genug erweisen, das Milieu mitzuformen.“

Diese antifaschistische Konsequenz findet sich im Grundgesetz u.a. im Recht auf Bildung und im Recht auf freie Berufswahl wieder.

Das Ideal wird widerspruchsreich erkämpft

Während in der DDR die Zuwendungen für Studierende stetig stiegen und schon 1962 80% ein Grundstipendium erhielten, blieb das Bildungssystem in der BRD, allerdings politisch gewollt, zunächst fortgesetzt sozial selektiv. Durch den unzureichend geöffneten Hochschulzugang blieb die Hochschulbildung primär ein Privileg der Kinder aus einkommensstarken Elternhäusern. Dieser Umstand sorgte jedoch keineswegs für Ruhe unter den Studierenden. Die Unzufriedenheit über die Abhängigkeit respektive Bevormundung durch das Elternhaus, sowie die unzureichende Alternative des selektiven Stipendienwesens wuchs und es wurde nach einer staatlichen Alternative verlangt. Nach jahrelanger Auseinandersetzung zwischen Studierenden, Hochschulen und der Regierung um eine bundesweit einheitliche Studienfinanzierung wurde 1957 das Honnefer Modell eingeführt, aber nicht gesetzlich verankert. Etwa 15-19% der Studierenden konnten, nach einem Bewerbungs- und Auswahlprozess, dieses Finanzierungsmodell in Anspruch nehmen. Die Anfangsförderung war auf die Vorlesungszeit beschränkt und galt für die ersten drei Semester. Für die anschließende Hauptförderung musste sich dann erneut beworben werden – mit Leistungsnachweisen. Beide Förderungen mussten in Teilen zurückgezahlt werden. Aufgrund der Willkürlichkeit und der unzureichenden staatlichen Finanzierung dieses Modells kam es immer wieder zu Protestkundgebungen und Vorlesungsstreiks.

Zur weitreichenderen Umsetzung der im Blauen Gutachten gefassten Konsequenzen bedurfte es der Auf- und Umbrüche der 1960er Jahre. Teil dieser Auseinandersetzungen war die vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) aufgestellte Forderung nach einem Studienhonorar, also einer nicht zurückzuzahlenden Ausbildungsvergütung. Als Reaktion auf diese Forderung und die damit einhergehenden Proteste wurde unter der sozial-liberalen Koalition Willy Brandts 1971 das BAföG als staatliche und erstmals rechtlich einklagbare Förderung eingeführt. Unter anderem die Gewährung als Vollzuschuss führte dazu, dass eine erhebliche soziale Öffnung und damit eine Demokratisierung der Hochschulen gelang. 1972 bezogen 44,6% der Studierenden BAföG. Von 1971 bis 1974 wurde BAföG als Vollzuschuss gezahlt, danach nur noch als Teildarlehen. Schon im Vorhinein war das neue BAföG-Gesetz in der Studierendenschaft auf Kritik gestoßen. Die Finanzierung wurde von den Studierenden als unzureichend angesehen und vor allem die Abhängigkeit vom Einkommen der Eltern als im Widerspruch stehend zu mündiger Persönlichkeitsentfaltung und dem Recht auf freie Berufswahl kritisiert.

Roll-Back: Neoliberalisierung der Studienfinanzierung

1982 kam es unter der liberal-konservativen Regierungskoalition aus FDP und CDU/CSU zu massiven Kürzungen des Sozialstaates insgesamt und das BAföG wurde in ein Volldarlehen umgewandelt. Alle Studierenden, die BAföG bezogen, mussten dieses nun vollständig zurückzahlen. Als weitere Einschränkung des Hochschulzuganges wollten CDU/CSU Studiengebühren nach US-amerikanischem Vorbild einführen. Dies konnte durch zahlreiche Proteste von Schüler:innen, Studierenden und anderen Hochschulangehörigen, Gewerkschaften sowie Aktiven in der außerparlamentarischen Opposition verhindert werden. Ausgehend von Studierenden der Freien Universität Berlin begann 1988 ein bundesweiter Streik gegen die durch die Einsparungen zunehmend prekären Studien- und Lebensbedingungen an den Hochschulen. Der Streik bewirkte die teilweise Rücknahme geplanter Sparmaßnahmen und ein vom damaligen Bildungsminister Möllemann eingesetzter Ausschuss kam zu dem Schluss, dass das BAföG dringend angepasst werden müsse. Mit der sogenannten Wiedervereinigung stand der Anspruch auf ein Vollstipendium für alle Studierenden, wie er in der DDR realisiert war, wieder neu auf der politischen Tagesordnung. Um diesen Anspruch schnellstmöglich einzuhegen, wurde 1991 ein integrativ reformiertes BAföG verabschiedet. Dieses Modell wurde zu 50% staatlich vollbezuschusst und war zu 50% ein rückzuzahlendes Darlehen. Für die „neuen Bundesländer“ war diese Änderung ein massiver Rückschritt – für die Studierenden aus den „alten Bundesländern“ eine Verbesserung. In den Folgejahren schränkte die CDU/FDP-Regierung die Fördermöglichkeiten allerdings empfindlich ein, so dass 1998 schließlich nur noch 12,6 Prozent der Studierenden BAföG erhielten. Im selben Jahr führte, erfasst vom neoliberalen Unverständnis der Bildung als „Investition in das eigene Humankapital“, die SPD-Grüne-Koalition eine erneute BAföG-Reform durch. Damit die Ausbildung von höher Qualifizierten und dringend benötigten Facharbeiter:innen gelingen konnte, wurde die Deckelung der Darlehensrückzahlungen auf 10.000 € beschränkt, bei gleichzeitig forciertem Druck, die Studiendauer drastisch zu verkürzen. Mit der Einführung des Bachelor-Master-Systems kam es nicht nur zur leistungsorientierten Neuausrichtung der Studiengänge, sondern auch zur Einführung der Förderhöchstdauer des BAföG in Abhängigkeit von der Regelstudienzeit sowie zur Erbringung von Leistungsnachweisen als Bedingung für die BAföG-Berechtigung.

Die Konsequenzen aus der Befreiung heute verwirklichen

Im Zuge der Einführung des Bachelor-Master-Systems wurden 2006 über Verwaltungsgebühren in Deutschland wieder Studiengebühren eingeführt. Beides diente der inhaltlichen Abkehr von der allgemeinwohlorientierten Zwecksetzung von Studium und Lehre hin auf marktkonforme „Employability“. Insbesondere die Studiengebühren standen als soziales Selektionsinstrument mit inhaltlich kultureller Lenkungsfunktion im Zentrum der studentischen Kritik. Im Zuge der Auseinandersetzung um die Abschaffung der Studiengebühren sind auch die Debatten über die Notwendigkeit einer grundlegenden BAföG-Reform wieder dahingehend geweitet worden, den Zugang zur Hochschule für Alle zu öffnen. Bislang blieb es jedoch bei Reförmchen. Die kleinteiligen Änderungen wie die minimale Anhebung der Bedarfssätze, die Erhöhung der Freibeträge oder des Wohnkostenzuschlags sind vollkommen unzureichend und gehen an der eigentlichen Grundproblematik vorbei: Die soziale Herkunft bestimmt noch immer über den Bildungsabschluss. Das aktuelle BAföG ist dem Honnefer Modell wesentlich näher als der Erfüllung des Menschenrechtes auf Bildung für Alle.

Dabei lässt sich aus den historischen Kämpfen der Arbeiterbewegung, der Studierenden- und Auszubildenden-Bewegung von 1968 und dem Kampf für die Gebührenfreiheit des Studiums einiges lernen: Stets stand die gesellschaftlich verallgemeinerbare Bedeutung allgemeinwohlorientierter, emanzipatorischer und daher sozial offen zugänglicher Bildung und Wissenschaft im Fokus, wodurch es gelang, große Teile der Gesellschaft in die gemeinsam zu führende Auseinandersetzung zu involvieren. Vieles spricht dafür, dass auf diese Weise auch eine weitreichende Reform wie das „BAföG für Alle“ zu erreichen ist. Denn die Verwirklichung der im „Blauen Gutachten“ und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gefassten Ansprüche an eine egalitäre Hochschulbildung ist heute mehr denn je nicht zuletzt auch ein antifaschistisches Gebot der Stunde.

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Anlässlich der aktuellen Reform beleuchten wir in den nächsten Wochen das Thema BAföG aus verschiedenen Perspektiven. Dies ist ein Auszug aus der Broschüre “BAföG für Alle! Argumente für die bedarfsdeckende, elternunabhängige, herkunftsunabhängige, unbefristete, rückzahlungsfreie Studienförderung”. Sie wurde erarbeitet von Studierenden verschiedener Fächer aus Hamburg und ist frei verfügbar unter: https://bafög-für-alle.de/argumente/.

 

 

 

 

 

 

Der Beitrag erschien auf https://critica-zeitung.de/   cco

Bild: advopedia