Wohnwende – Wohnungen müssen raus aus dem Markt

Von Knut Unger

Für Gemeinwirtschaft und die gesellschaftliche Kontrolle des Eigentums
Neben dem globalen Klima, der globalen Sicherheit und der globalen Finanzarchitektur befinden sich auch die Wohnverhältnisse fast überall in einer Dauerkrise. Das Wohnen wird für immer mehr Menschen unerschwinglich. 400000 Wohnungen wollte die Bundesregierung jährlich neu bauen, davon 100000 Sozialwohnungen. Es ist die einzige bedeutend aussehende Antwort der Ampel auf das Wohnungsmarktversagen. Sie ist und bleibt schon im Anlauf gescheitert.

Aus sozialen und aus ökologischen Gründen brauchen wir eine radikal andere Wohnungspolitik. Verteilung, Bewirtschaftung und die Erneuerung des gesamten Wohnungsbestands müssen strikt am Gemeinwohl ausgerichtet werden. Das kann nur gelingen, wenn die Mieten konsequent gedeckelt, Wohnraum sozial umverteilt, nachhaltig bewirtschaftet und demokratisch verwaltet wird.
Die Grundlage dafür bietet das Grundgesetz: Nach Art.14 GG muss der Gebrauch des Eigentums zugleich dem Allgemeinwohl dienen. Und für die Wirtschaftsbereiche, in denen das nicht gelingt, hat uns das Grundgesetz Artikel 15 an die Hand gegeben. Die Gesetzgeber können Grund und Boden sowie die Produktionsmittel der Immobilienfinanzindustrie in Gemeineigentum oder eine andere Form der Gemeinwirtschaft überführen.

Einseitig renditeorientierte Anbieterstruktur

In den letzten Jahrzehnten wurden ehemals gemeinnützige und öffentliche Wohnungsunternehmen mit mehr als 1,2 Millionen Wohnungen an die Finanzmärkte veräußert und damit privatisiert. Die betroffenen Wohnungsbestände werden von ihren Eigentümern dazu missbraucht, das Einkommen der Mieter:innen und soziale Transferleistungen in großem Stil für die Umverteilung an die Finanzanleger abzuschöpfen und die Wohnkosten anzutreiben. Zudem ist die stark verschuldete finanzialisierte Wohnungswirtschaft im Zuge der Zinswende in riskante Fahrwasser geraten. Nach Jahrzehnten der Privatisierung von Gewinnen droht nun wieder eine Sozialisierung der Verluste.
Ein nicht der Renditelogik unterworfener Wohnungssektor in relevanter Größenordnung ist nicht mehr existent. Es wird immer deutlicher, dass die bestehende wohnungswirtschaftliche Anbieterstruktur bei der Versorgung der durch Zuwanderung und Flucht wachsenden Bevölkerung ebenso versagt wie bei dem sozialen und klimagerechten Umbau unserer Städte.
Wir benötigen dringend eine auf sozialökologische Wohnungsversorgung verpflichtete Alternative, die groß und leistungsfähig genug ist, die erforderlichen Transformationsprozesse anzutreiben und Krisenentwicklungen in der Wohnungswirtschaft aufzufangen.

Sondervermögen für eine neue Wohnungsgemeinwirtschaft!

Um die erforderliche Wohnwende einzuleiten, müssten auf allen staatlichen Ebenen die Weichen neu gestellt werden. Große Immobilienvermögen und verbundene Produktionsmittel sollten bundesweit durch ein Gesetz gemäß Art.15 GG mittels Ausübung von Vorkaufsrechten und durch Enteignung dauerhaft in ein gemeinwirtschaftliches, demokratisch kontrolliertes Sondervermögen des Bundes und der Länder überführt werden. Die Höhe der Vorkaufs­rechtspreise und Entschädigungen soll sich an einem neu zu schaffenden sozialen Ertragswert orientieren.
Das Sondervermögen könnte zunächst mit 100 Milliarden Euro aus Haushaltsmitteln ausgestattet werden. Die Mittel sollten ausschließlich für die Beschaffung und klimagerechte Erneuerung des gemeinwirtschaftlichen Wohnungsbestands eingesetzt werden. Diese Ausgaben sind, anders als Zuschüsse an private Bauherren oder Kredite für Sozialwohnungen, nicht konsumtiv, sondern investiv. Sie ermöglichen Entlastungen der öffentlichen Haushalte. Sie erhöhen das öffentliche Vermögen auf Dauer.

Die Neue Wohnungsgemeinwirtschaft soll folgenden Prinzipien folgen:
– Dauerhaftes Gemeineigentum in demokratischer Verwaltung, z.B. in der Form von Anstalten öffentlichen Rechts. Ausschluss der Privatisierung und jeder Renditeausschüttung.
– Verpflichtung zur sozial gerechten Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit bedarfs- und umweltgerechten Wohnungen zu leistbaren Mieten, Vorrang der Versorgung unterversorgter Haushalte und diskriminierter Bevölkerungsgruppen.
– Beschaffung von Wohnungen durch die offensive Wahrnehmung öffentlicher Vorkaufsrechte, Vergesellschaftung i.S. von Art.15 GG und Neubau.
– Verpflichtung auf schnelle Erreichung von Klimaneutralität.
– Mieten unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmieten bzw. der örtlich zulässigen Mieten.
– Mietermitbestimmung auf allen Ebenen.

Soziale Ertragswerte

Damit es nicht zu gesetzlichen Enteignungen im großen Umfang kommen muss, können preislimitierte öffentliche Vorkaufsrechte zugunsten der Wohnungsgemeinwirtschaft geschaffen werden. Zu diesem Zweck sollten kommunale Rechte zum Erlass von Vorkaufsrechtsatzungen erweitert und leichter anwendbar werden. Bei der Veräußerung von Anteilen oder Immobilien von Wohnungsunternehmen sollten Bund oder Länder generell ein Vorkaufsrecht erhalten, wobei im Falle einer dauerhaften Überführung in die Gemeinwirtschaft bei der Preisbildung von einem neu einzuführenden sozialen Ertragswert auszugehen ist. Dieser soll sich an der zu erwartenden Einkommensentwicklung der Bevölkerung über einen zu bestimmenden begrenzten Zeitraum orientieren.

Anschub für die Wohnungsgemeinnützigkeit

Trotz des großen Vergesellschaftungspotenzials ist die Neue Wohnungsgemeinwirtschaft nur Teil der sozialen Transformation der Wohnungsanbieter. Wenn sich ein sozialisierungsreifes Unternehmen mit seinem gesamten Vermögen freiwillig und dauerhaft an Regeln bindet, die denen der Wohnungsgemeinwirtschaft nahekommen, sollte es damit die Vollvergesellschaftung abwenden können.
Diese Option könnte zum Motor dafür werden, dass sich viele Unternehmen den Regeln einer steuerbegünstigten Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit unterwerfen, für deren Aufbau es ohne gesetzlichen Vergesellschaftungsdruck kaum eine Chance gibt. Der wesentliche Unterschied der Neuen Wohnungsgemeinwirtschaft zur Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit besteht darin, dass in letzterer das Privateigentum erhalten und die Rendite lediglich beschränkt, aber nicht ausgeschlossen wird.
Sowohl die gemeinwirtschaftlichen als auch die gemeinnützigen Unternehmen sollten von der Körperschafts- und Umsatzsteuer befreit werden und begünstigten Zugang zu öffentlichen Fördermitteln erhalten.

Das Privateigentum an Wohnungen neu regulieren

Auch wenn der gemeinwirtschaftliche und gemeinnützige Anteil der Wohnungsanbieter stark ausgebaut werden kann, wird die große Mehrzahl der Wohnungen und Mietwohnungen weiterhin in privatem Eigentum bleiben. Dieses Eigentum muss generell wesentlich besser vor Missbrauch und Fehlentwicklungen geschützt werden. Für alle Wohnungen im Bundesgebiet sollten deshalb die verfügungsberechtigten Eigentümer:innen in einem öffentlich zugänglichen, elektronischen Register erfasst werden.
Die registrierten Verfügungsberechtigten sollten zu Mindestanforderungen bezüglich ihrer Erreichbarkeit verpflichtet werden. Sie müssten ihre Anteilseigner offenlegen. Sie sollten verpflichtet sein, einen Teil der Mieteinnahmen in die Instandhaltung und ökologische Bauerneuerung zu investieren oder in entsprechende zweckgebundene und über das Wohnungsregister offenzulegende Rücklagen einzuzahlen. Auch Leerstand, Zweckentfremdung und Kurzzeitvermietung sollten registriert werden. Zumindest größere Eigentümer sollten zu einer Sozial- und Umweltberichterstattung verpflichtet sein und bei der Wohnungsvergabe öffentlich-rechtlichen Regeln folgen.

Bundesweiter Mietendeckel

Das bestehende Vergleichsmietensystem regelt lediglich die Modalitäten eines auf Dauer hingenommen oder beabsichtigten Mietenanstiegs. Unter den Bedingungen wachsender Ungleichheit bei begrenztem Angebot treiben die zahlungsfähigste Nachfrage und die renditeorientiertesten Anbieter die Mietpreise. Um diese Situation zu beenden reicht es nicht aus, die Mieten temporär zu stoppen, zumal damit die weniger renditerorientierten Anbieter bestraft würden. Die Mieten müssen flächendeckend auf lokal vertretbare Höchstwerte gedeckelt werden. Die lokalen Miethöchstwerte sollten so festgesetzt werden, dass sie in der Regel ausreichen, die Kosten eines nicht-spekulativen Eigentümers und eine begrenze Rendite zu decken. Es muss auch für modernisierte Wohnungen und Neubauten Höchstmieten geben. Mieten, die über der Obergrenze liegen, müssen abgesenkt werden. Für Härtefälle unter den Vermietern muss es Ausgleichsfonds geben.

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Der Autor: Knut Unger ist Sprecher des Mietervereins Witten