Die Tarifverhandlungen im Metallbereich laufen zurzeit auf vollen Touren. Vielleicht sollte die IG Metall doch noch die folgenden Fakten berücksichtigen und ihre schüchterne Forderung von 4 Prozent noch einmal überdenken.
Die Großkonzerne der Metallbranche wie BMW, Daimler, Volkswagen und Zulieferer wie Continental sind mit riesigen Finanzpolstern in die Krise gegangen. Insgesamt war das das Eigenkapital der DAX-Konzerne im Geschäftsjahr 2019 um vier Prozent auf 656 Milliarden Euro angewachsen, dies entspricht einer durchschnittlichen Eigenkapitalquote von 34,5 Prozent. Im selben Jahr stieg der operative Cashflow – das ist eine Kennzahl, die sowohl die Innenfinanzierungskraft als auch die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens anzeigt – um rund elf Prozent, was die liquiden Mittel auf 142,8 Milliarden Euro erhöhte. Davon verfügte Volkswagen über knapp 31 Milliarden, die Telekom über 23 und Daimler über 13 Milliarden.
Schon kurz nach den ersten Maßnahmen zu Pandemiebekämpfung der Bundesregierung und der Länder hat die organisierte Metall- und Elektrounternehmerschaft „Gesamtmetall“ im Mai 2020 ihre Vorstellungen von einer drastischen Deregulierung der Arbeits- und Sozialverfassung in der Schrift »Vorschläge für die 2. und 3. Phase der Corona-Krise« vorgelegt. Sie verlangt darin die weitere Aushöhlung des Sozialstaates, massive Eingriffe in die Arbeits- und Sozialrechte der Beschäftigten, wie auch Einschnitte in der Alterssicherung, der Arbeitsmarktpolitik und das Arbeitszeitrecht. Auch werden die betriebliche Mitbestimmung und die Schutzregeln des Arbeits- und Gesundheitsschutzes auf den Prüfstand gestellt, fehlen darf auch nicht die gebetsmühlenartigen Forderungen der vergangenen Jahrzehnte nach Bürokratieabbau und Verzicht auf überzogene Regulierungen.
Mittlerweile ist bekannt, dass wie in vorherigen Krisen auch diesmal der größte Teil der Staatsmilliarden der Privatwirtschaft, vor allem den Großkonzernen zugute kam, ohne eine Arbeitsplatzsicherung für die Beschäftigten zu garantieren.
Die Vorschläge von Gesamtmetall werden im Folgenden in Auszügen dargestellt.
„I. Wichtigste wirtschaftspolitische Maßnahmen
Anschub durch Bürokratieabbau
Schon vor der Corona-Krise war die Bürokratie für viele Unternehmen und Investoren ein Investitionshemmnis. Diese Hürden müssen nun erheblich verringert werden. Der Abbau bürokratischer Vorschriften entlastet die Unternehmen – und kostet zudem den Staat kein Geld. Ein Beispiel hierfür sind die Planungs- und Genehmigungsverfahren für Investitionen, die deutlich verkürzt werden sollten.
Zusätzliche Belastungen unbedingt vermeiden
Klimaschutz ist für die Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie ein wichtiges Anliegen. Dennoch ist es nötig, dass auf eine weitere Verschärfung der Klimaschutzziele, insbesondere durch die EU-Kommission verzichtet wird. Denn kein Unternehmen kann in der jetzigen Phase die Belastungen der Krise und schärfere Klimaschutzvorgaben gleichzeitig schultern. Um die Liquidität der krisengeschüttelten Unternehmen zu sichern, muss der Staat auf die Erhöhung von Steuern und Abgaben verzichten. Das gilt für die Einführung einer Vermögensteuer oder die Verschärfung der Erbschaftsteuer ebenso wie für Beitragserhöhungen in der Sozialversicherung. Jeder zusätzliche Euro an Belastungen gefährdet Unternehmen und Beschäftigung und konterkariert die Rettungsmaßnahmen der Politik.
Mit einem Konjunkturprogramm das Wiederhochfahren der Wirtschaft anschieben
Um die inländische Nachfrage anzukurbeln, wird ein umfangreiches staatliches Konjunkturprogramm immer wichtiger. Dabei kommt es auf Schnelligkeit an, denn die Unternehmen der Metall- und Elektro[1]Industrie und ihre Mitarbeiter, das Herz der deutschen Wirtschaft, brauchen jetzt Unterstützung. Sinnvolle Ansatzpunkte für staatliche Maßnahmen sind z.B. Investitionen in die digitale Infrastruktur und die Verkehrsinfrastruktur. Hilfreich sind auch Kaufanreize für die Bürger, um den privaten Konsum zu stärken. Eine Kaufprämie für alle modernen, emissionsarmen Pkw hilft der Automobilindustrie und ihrem breiten Netzwerk an Zuliefer- und Servicebetrieben. Ebenso notwendig sind steuerliche Entlastungen für Bürger und Unternehmen. Dazu zählt insbesondere eine vollständige und sofortige Abschaffung des Solidaritätszuschlags.
Mittelfristiges Programm zur Förderung des Wachstums starten
Kurzfristig wirkende Konjunkturprogramme müssen ergänzt werden durch ein mittelfristig angelegtes Programm zur Förderung des Wirtschaftswachstums. Schon vor der Corona-Krise war das Wachstum des Produktionspotenzials zu gering. Gründe hierfür sind die fortgesetzte Investitionsschwäche, die andauernde Produktivitätsschwäche und fehlende Fachkräfte in Deutschland.
Ziel dieses Programms muss es deshalb sein, die Investitionsschwäche zu überwinden, zum Beispiel durch staatliche Investitionen und Abschreibungserleichterungen für private Investitionen. Gleichzeitig muss die Innovationsfähigkeit der Unternehmen gestärkt werden. Dazu kann eine deutliche Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung beitragen. Insgesamt gilt es, die Standortbedingungen in Deutschland in Ordnung bringen. Dazu gehört eine Reform des EEG, um die Energiepreise zu senken ebenso wie eine allgemeine Steuerreform und die weitere Entlastung der Bürger und Unternehmen von Bürokratie (u.a. Dokumentationen, Berichtspflichten).
Koordinierung der Maßnahmen auf europäischer Ebene
Kaum ein anderes Land profitiert weltweit so sehr von offenen Grenzen, offenen Märkten und der Globalisierung wie Deutschland. Deshalb sind funktionierende internationale Wertschöpfungs- und Lieferketten für die Metall- und Elektro-Industrie unabdingbar. Um diese wieder herzustellen, ist ein koordiniertes Vorgehen in Europa beim Wiederhochfahren aus dem Lockdown Voraussetzung. Dazu zählt auch, einen reibungslosen Luft-, See- und Landverkehr sicherzustellen, um den internationalen Warenaustausch und grenzüberschreitendes Arbeiten zu gewährleisten.
Eigenständige europäische Fertigung bei (lebens-) wichtigen Gütern aufbauen.
Eine Lehre aus der Corona-Krise ist, dass Deutschland und die Europäische Union bei der Herstellung von Gütern, die z.B. für die medizinische Versorgung oder für die Bewältigung von Katastrophen erforderlich sind, mehr Unabhängigkeit schaffen müssen. Eine solche Initiative soll aber nicht die Bedeutung der Globalisierung für das Exportland Deutschland begrenzen und keinesfalls grenzüberschreitende Lieferketten gefährden, die für den Absatz und für die Wettbewerbsfähigkeit gerade der weltweit tätigen M+E-Industrie unerlässlich sind.
Staat muss trotz allem zurückhaltend agieren
Weltweit hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass ein funktionierender, gut organisierter und verlässlicher Staat als Krisenhelfer gebraucht wird. Kaum ein anderes Land ist bislang so gut durch die Krise gekommen wie Deutschland. Auch als Krisenhelfer soll der Staat aber so wenig wie möglich in Marktprozesse und unternehmerische Entscheidungen eingreifen. Falls im Rahmen der Krisenbewältigung staatliche Beteiligungen an Unternehmen nötig sind, so müssen diese so bald wie möglich wieder abgebaut werden.
II. Belastungsmoratorium
Maßnahmen des Koalitionsvertrags, die jetzt unterbleiben sollten
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD enthält noch eine Reihe von politischen Projekten, die bis heute nicht umgesetzt sind. Angesichts der tiefsten wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Krise der Nachkriegszeit ist ein Belastungsmoratorium notwendig. Die folgenden Projekte dürfen nicht weiterverfolgt werden:
Die Grundrente
Die von der großen Koalition angestrebte Einführung einer Grundrente ist inhaltlich völlig verfehlt. Sie ist keine Versicherungs-, sondern eine neue Sozialleistung. Sie schützt nicht vor Altersarmut, schafft unter den Beitragszahlern neue Ungerechtigkeiten und verletzt das Äquivalenzprinzip. Die Grundrente ist zu[1]dem unverhältnismäßig teuer. Sie belastet dauerhaft entweder die Rentenkasse oder den Steuerhaushalt und kostet so Finanzmittel, die in Zukunft dringend für wichtigere Aufgaben benötigt werden. Sie ist eine nicht-gegenfinanzierte Bürde für die nächsten Generationen, die ohnehin die Last der Corona-Krise finanziell stemmen müssen.
Die Einschränkung von Befristungen (mit und ohne Sachgrund)
Die geplante Einschränkung von Befristungen ist inhaltlich fehlgeleitet. Deutschland braucht angesichts der nun wieder deutlich steigenden Arbeitslosigkeit mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt. Die Einschränkung von Befristungen ist das Gegenteil von Flexibilität. Wenn der Gesetzgeber im Bereich der Befristungen tätig werden soll, dann wäre es sinnvoll, mehr Rechtssicherheit für Befristungen mit Sachgrund zu schaffen.
Experimentierräume Arbeitszeit
Die Corona-Krise hat bewiesen, dass ein Festhalten an starren Arbeitszeiten nicht länger nötig, noch im Sinne von Unternehmen und Beschäftigten ist. Auch hier ist mehr Freiheit möglich. Die bislang im Koalitionsvertrag geplanten Experimentierräume für Arbeitszeit für tarifgebundene Unternehmen sind dagegen eine mutlose Mogelpackung, die keinem Unternehmen und keinem Beschäftigten nützt. Sie sind weder eine Hilfe beim Wiederhochfahren der Wirtschaft (2. Phase) noch bei der Wiederherstellung (3. Phase). Wichtiger ist es stattdessen, die Arbeitszeit für alle Unternehmen richtig zu flexibilisieren. Die gesetzlichen Spielräume für die Arbeitszeitgestaltung müssen erweitert werden, um dadurch Arbeit flexibler zu gestalten und wirtschaftliches Wachstum zu beschleunigen.
Maßnahmen der jüngeren Regierungsjahre, die – wenn möglich – rückgängig gemacht werden sollten
Der Gesetzgeber sollte die tiefen Einschnitte durch die Corona-Pandemie als Chance begreifen, vorherige politische Entscheidungen zu überdenken. Im Rück[1]blick wird deutlich, dass der massive Ausbau der Sozialausgaben der vergangenen Jahre den zukünftigen finanziellen Spielraum Deutschlands erheblich einschränkt und seiner Wettbewerbsfähigkeit in der kritischsten Phase der Nachkriegsgeschichte schadet.
Sofern rechtlich möglich sollten die folgenden Maß[1]nahmen rückgängig gemacht werden:
Die 48-Prozent-Haltelinie beim Rentenniveau
Die 48-Prozent-Haltelinie stabilisiert künstlich das Rentenniveau. Doch nicht Altersarmut ist Deutschlands Problem, sondern die demografische Entwicklung und damit die mittel- und langfristige Finanzierung der gesetzlichen Rente. Eine Rückkehr zum demografischen Faktor ist zwingend notwendig.
Die Rente mit 63
Die abschlagsfeie Rente mit 63 ist teuer, inhaltlich verfehlt und entzieht Deutschlands Unternehmen wichtige Fachkräfte. Sie sollte vorzeitig beendet werden.
Die Mütterrenten I und II (wenn verfassungsrechtlich möglich)
Die milliardenschweren Mütterrenten I und II müssen ebenfalls vorzeitig beendet werden. Die Mütterrenten beruhen nicht auf Versicherungsbeiträgen, sind enorm teuer (ca. 10 Mrd. Euro/Jahr) und entziehen Beitragsmittel, die dringend zur Stabilisierung des Rentenbeitragssatzes benötigt werden.
Die Parität der Krankenversicherungsbeiträge
Die Wiedereinführung der Parität bei den Krankenversicherungsbeiträgen war falsch. Sie entzieht den Unternehmen dringend benötigte Liquidität, belastet den Faktor Arbeit zusätzlich und erschwert in wirtschaftlich schlechten Zeiten die Wiedereinstellung von Arbeitnehmern.
Die Einschränkungen bei der Arbeitnehmerüberlassung
Eine der Folgen der Corona-Krise ist eine deutliche Zunahme der Arbeitslosigkeit in Deutschland. In der Vergangenheit hat sich die Zeitarbeit als ein wirksames Mittel zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit bewährt. Die in den vergangenen Jahren erfolgten Einschränkungen bei der Arbeitnehmerüberlassung müssen deshalb rückgängig gemacht werden.
Die Mindestlohn-Dokumentationspflichten
Die Einführung der Mindestlohn-Dokumentationspflichten hat in vielen Teilen der deutschen Wirtschaft für ein heilloses Durcheinander und eine überproportionale Zunahme bürokratischer Belastungen gesorgt. Diese wieder abzuschaffen, ist ein sinnvoller und überfälliger Beitrag zur Entlastung der Wirtschaft.
Zusatzpunkte
Die steuerliche Forschungsförderung
Die mittlerweile eingeführte steuerliche Forschungsförderung ist ein guter und wegweisender Beschluss, greift aber in der jetzigen wirtschaftlichen Krise viel zu kurz. Die steuerliche Forschungsförderung muss mit Blick auf die Anreizwirkung auf Forschungsinvestitionen nach der Krise deutlich ausgeweitet und aufgestockt werden. Notwendig ist mindestens eine Verdoppelung der beschlossenen Fördersumme von bisher 500.000 Euro pro Unternehmen und Jahr.
III. Einstellungen müssen erleichtert und das Arbeitsrecht angepasst werden
Erleichterungen von Einstellungen
Für die dauerhafte Finanzierung der öffentlichen Haushalte ist ein hoher Beschäftigungsgrad auf dem Arbeitsmarkt zwingend notwendig. Ziel des staatlichen Handelns muss es daher sein, das hohe Beschäftigungsniveau vor der Krise schnell wieder zu erreichen. Dies erfordert neben anderen Maßnahmen auch Anpassungen beim Arbeitsrecht.
Das Befristungsrecht darf nicht eingeschränkt, sondern muss erleichtert werden, denn es ist ein zwingend not[1]wendiges Flexibilitätsinstrument der Unternehmen Insbesondere die sachgrundlose Befristung hat sich als Instrument für einen schnellen Aufbau der Beschäftigung in Nachkrisenzeiten nachweislich bewährt. Nötig ist zudem die rechtssichere Gestaltung der Sachgrundbefristung durch weitere und rechtssicher konkretisierte Sachgründe.
Sinnvoll ist auch die Erleichterung bzw. Beschleunigung von Einstellungen durch Anpassung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretungen (insbesondere § 99 BetrVG). Der Arbeitsmarkt wird zudem von erleichterten Möglichkeiten zum rechtssicheren Drittpersonaleinsatz im Rahmen von Werkverträgen und der Arbeitnehmerüberlassung profitieren. Dazu zählen insbesondere der Abbau der Hürden durch die AÜG-Reform aus dem Jahr 2017 sowie verbindliche und klare Regelungen für das Statusfeststellungsverfahren und die Abgrenzung zwischen Fremd- und Eigenpersonaleinsatz
Arbeits- und sozialrechtliches Gesamtpaket nötig
Die Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie benötigen nicht nur ein Belastungsmoratorium für das Arbeitsrecht, sondern auch ein arbeits- und sozialrechtliches Paket zur Erleichterung und zum Anreiz von Einstellungen!
Wichtige Bestandteile eines solchen Pakets sind der Verzicht auf Einschränkungen des Direktionsrechts, etwa durch Ansprüche auf das sogenannte Homeoffice. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die Arbeitgeber mit den Themen Homeoffice und mobiles Arbeiten verantwortungsvoll umgehen und einvernehmlich Lösungen für die Beschäftigten anbieten.
Eine Zeit der Wiederherstellung benötigt ein zeitgemäßes Arbeitszeitrecht. Zum Beispiel schafft die Einführung einer Wochenarbeitszeit kurzfristige Reaktionsmöglichkeiten, etwa bei Nachfrageänderungen oder Personalausfällen. Nötig sind zudem unkonditionierte Öffnungsklauseln für die Tarifvertragsparteien, um passgenaue Modelle der Ruhezeit vereinbaren zu können. Jede weitere bürokratischen Belastung der Unternehmen durch Ausweitung der Auszeichnungspflichten ist zu unterlassen.
Auch die Betriebsverfassung muss auf Krisen zeitgemäß reagieren können. Die jüngst beschlossenen, aber zunächst befristeten virtuellen Beratungs- und Beschlussmöglichkeiten müssen unbefristet gelten. Auch ist eine Beschleunigung der Verfahren nach § 87 BetrVG erforderlich, etwa bei Verkürzung und Verlängerung der Arbeitszeit, bei der Gefährdungsbeurteilung und beim Gesundheitsschutz. Mitbestimmungsmöglichkeiten, die in diesem Kontext zur Bewältigung der Krise ergriffen werden, sollten mit kurzen Fristen versehen werden, um eine schnelle Durchführung der erforderlichen Maßnahmen zu fördern.
Insbesondere muss auf eine Ausweitung der Mitbestimmung über den Hebel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes verzichtet werden. Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG muss auf seinen Kern beschränkt bleiben und darf nicht als „Supermitbestimmungsrecht“ bei anderen Themen wie etwa der Arbeitszeit, dem mobilen Arbeiten, dem Homeoffice oder der Personalbemessung zur Anwendung kommen.
Der Kündigungsschutz muss rechtssicher ausgestaltet werden. Vor allem die §§ 17 ff. des Kündigungsschutzgesetzes müssen überarbeitet werden, um die dringend notwendige Rechtssicherheit bei Verfahren der Massenentlassung wiederherzustellen. Im Datenschutzrecht soll klargestellt werden, dass die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung zur Bewältigung und Vermeidung von Pandemiefällen und zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten immer dann zulässig ist, wenn ein entsprechendes betriebliches Interesse vorliegt.
V. Spielräume beim Arbeits- und Gesundheitsschutz notwendig
Was jetzt dringend nötig ist:
Für die Bekämpfung der Corona-Pandemie kommt dem Infektionsschutz eine besondere Bedeutung zu. Den Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie ist der Schutz der eigenen Mitarbeiter ein wichtiges An[1]liegen. Doch die Produktionsbedingungen zwischen Unternehmen unterschiedlicher Größe und unter[1]schiedlicher Branchen sind höchst unterschiedlich. Wichtig ist es deshalb, den Unternehmen möglichst große Spielräume bei der Umsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen einzuräumen und die unternehmerische Freiheit nicht (oder minimal) durch Vorgaben im Arbeitsschutz einzuschränken.
Deshalb ist es äußerst wichtig, die Vorgabe bzw. Empfehlung von Schutzmaßnahmen zeitlich zu befristen. Die Überwachung des Arbeitsschutzes in den Betrieben muss pragmatisch und mit Augenmaß durchgeführt werden. Dabei soll die generelle Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen im Vordergrund stehen und nicht etwa „State of the Art“ im Arbeitsschutz. Die konkrete betriebliche Situation bzw. die Arbeits- und Produktionsbedingungen müssen berücksichtigt werden.
Sinnvoll ist es, technische Alternativlösungen mit vergleichbarem Schutzniveau zuzulassen. So kann statt einer Acryl-/Plexiglasscheibe auch ein mit flüssigkeitdichter Folie oder anderem Material bespannter Holzrahmen die gleiche Schutzwirkung haben.
Notwendig ist auch, beim Arbeitsschutz unnötige Bürokratie wenn möglich dauerhaft abzubauen. Dazu zählt auch, unnötige Formalismen zu vermeiden und bestehende Dokumentationsanforderungen zu verringern.
Technische, organisatorische und personenbezogene Maßnahmen müssen in der Corona-Pandemie gleich[1]rangig betrachtet werden, also eine Aussetzung des „TOP-Prinzips“. Insgesamt gilt, dass die Maßnahmen schnell und wirtschaftlich umgesetzt werden sollen. Eine übertriebene Gründlichkeit oder Perfektionismus dürfen nicht im Vordergrund stehen, schließlich sind Industriebetriebe weder Labore noch Krankenhäuser.
Das Prinzip „mit allen geeigneten Mitteln“ in der Gesetzlichen Unfallversicherung sollte zurückgestellt werden.
Eine wichtige Maßnahme ist es zudem, die berufsgenossenschaftlichen Seminar- und Schulungsangebote verstärkt zu digitalisieren – auch oder gerade über die Corona-Krise hinaus. Generell soll die Digitalisierung in der Gesetzlichen Unfallversicherung vorangetrieben und umgesetzt werden.
Was auf gar keinen Fall gemacht werden darf:
Für die Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie und ihre Mitarbeiter ist die Corona-Pandemie ein massiver, nie zuvor da gewesener wirtschaftlicher Ein[1]schnitt. Um die Folgen der Krise abzumildern und ein Wiederhochfahren der Produktion nicht zu behindern, ist jetzt vor allem ein besonnenes staatliches Handeln mit einem besonderen Augenmerk auf die heterogenen Nöte unterschiedlicher Unternehmen in unterschiedlichen Branchen notwendig.
Deshalb soll grundsätzlich auf normative Regelungen so weit wie möglich verzichtet werden. Ansätze wie eine generelle Corona-Verordnung werden der betrieblichen Realität ebenso wenig gerecht wie eine seit langem diskutierte „Anti-Stress-Verordnung“ oder Vergleichbares.
Es ist auch nicht sinnvoll, Regelungen zu Fachkräften für Arbeitssicherheit und zu Betriebsärzten zu verschärfen. Hierzu zählen unter anderem das Arbeitssicherheitsgesetz, die DGUV Vorschrift 2 oder die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge.
Corona-bedingte betriebliche Schutzmaßnahmen dürfen nicht über die Corona-Pandemie hinaus im gesetzlichen Arbeitsschutz institutionalisiert werden, denn das Virus ist letztendlich Teil des allgemeinen Lebensrisikos und keine originär arbeitsbedingte Gefährdung. Daher dürfen die Arbeitgeber zum Beispiel auch nicht zum Ersatz des öffentlichen Nahverkehrs, beispielsweise durch die Einrichtung oder Ausweitung von Werksverkehr verpflichtet werden.
Regelungen zur Mitbestimmung dürfen nicht über den Hebel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ausgeweitet werden. In Bereichen wie der Digitalisierung, dem sogenannten Home Office, dem mobilen Arbeiten oder auch bei Initiativrechten der Betriebs- und Personalräte kann die Corona-Krise kein Anlass für eine Ausweitung der Mitbestimmung sein.
Nicht akzeptabelwäre ein über das bestehende Recht hinausgehender Rechtsanspruch auf Arbeitsverweigerung bei entsprechender Gefährdungslage (siehe Frankreich, Italien).
Neue oder verstärkte Solidarmaßnahmen/-mechanismen zwischen den Unfallversicherungsträgern müssen vermieden werden. Dazu zählt beispielsweise eine mittelbare Umverteilung über Berufsgenossenschaftsbeiträge von der Industrie zum Dienstleistungsbereich.
Die Arbeitsstättenverordnung darf nicht auf das mobile Arbeiten erstreckt werden, zum Beispiel unter dem „Deckmantel“ einer erforderlichen Klarstellung.
Ebenso wenig dürfen gesellschaftliche Aufgaben, insbesondere Aufgaben des Gesundheitssystems (Krankenversicherung, Gesundheitsämter etc.), auf die Arbeitgeber abgewälzt bzw. in die betriebliche Sphäre verlagert werden.
VII. Grenzüberschreitende Mobilität nicht behindern
Überarbeitung des Arbeitsprogramms der EU-Kommission / Belastungsmoratorium in der EU-Sozialpolitik
Der EU kommt in der Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie eine besondere Bedeutung zu. Um das Wiederhochfahren der Wirtschaft und die Bewältigung der Corona-Schäden nicht zusätzlich zu belasten, muss die EU-Kommission im Sinne eines Belastungsmoratoriums ihr Arbeitsprogramm vollständig überarbeiten und insbesondere auf die folgenden Vorhaben verzichten:
» Die geplante EU-Arbeitslosenrückversicherung würde strukturell immer die Mitgliedstaaten bestrafen, die durch erfolgreiche nationale Reformbemühungen für robuste Arbeitsmärkte sorgen.
» Der angekündigte EU-Rahmen für nationale Mindestlöhne würde erheblich in nationale Kompetenzen und die Tarifautonomie eingreifen, da es in den allermeisten EU-Ländern entweder schon einen gesetzlichen Mindestlohn gibt oder eine sehr hohe Tarifbindung für geltende Tarifverträge.
» Die angekündigten Legislativmaßnahmen zur Herstellung von Entgelttransparenz sind überflüssig, da das Prinzip des gleichen Entgelts in den EU- und nationalen Rechtsvorschriften bereits angemessen verankert ist.
» Die Revision der Richtlinie zu nicht-finanziellen Berichtspflichten wird neue Berichtspflichten zu Umwelt- und Sozialstandards der Unternehmen verursachen und damit neue Bürokratie und weitere Kosten.
» Eine neue EU Lieferketten-Richtlinie mit neuen Vorgaben für die Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards in der gesamten Lieferkette eines Unternehmens würde – je nach Ausgestaltung – erhebliche Rechtsunsicherheit für die europäische Wirtschaft und hohe Haftungsrisiken generieren.
In Bezug auf den Green Deal müssen insbesondere die Grenzwerte bei den CO2-Emissionen für die Automobilindustrie, wenn nicht komplett überarbeitet, so doch dringend in Bezug auf die Sanktionsmechanismen überarbeitet werden. Den Unternehme dürfen durch eine wegen der Krise auf Halde stehenden Fahrzeug[1]flotte keine Strafzahlungen wegen Überschreitung der Grenzwerte für die gesamte Fahrzeugflotte auferlegt werden.
Was wir wollen:
Notwendig ist die Revision des Schengener Grenzkodex (VO 2016/399), um nationale Alleingänge bzgl. der Grenzschließungen innerhalb des EU-Binnenmarktes künftig zu verhindern. Die freie Arbeitnehmermobilität muss im Schengenraum auch in Krisenzeiten gewährleistet werden ebenso wie der freie Warenverkehr für die Lieferketten der Unternehmen.
Ebenso wichtig ist die vollständige Überarbeitung und Vereinfachung der EU-Entsende-Regeln, insbesondere brauchen wir für alle Dienst- bzw. Geschäftsreisen – mit und ohne Dienstleistungsbezug – Erleichterungen und Ausnahmen bei den arbeits- und sozialrechtlichen Vorgaben, die in den Mitgliedstaaten einheitlich umzusetzen sind. Auf die Bescheinigung A1 sollte bei kurzen Auslandseinsätzen bis zu einer Woche verzichtet werden.
Dringend nötig ist zudem die Neuausrichtung des EU-Budgets: neben Finanzhilfen zum Wiederaufbau der Wirtschaft (Kreditprogramme, Investitionsprogramme) sollte das gesamte Budget noch einmal hinsichtlich der richtigen Schwerpunktsetzung untersucht werden (Stichwort: Transformation der Wirtschaft).
Für den wirtschaftlichen Neustart nach der Krise ist der zügige Ausbau des Digitalen Binnenmarktes von großer Bedeutung. Dazu zählen neben der Herstellung der notwendigen Infrastruktur durch ein flächendeckendes Internet/G5-Netz insbesondere auch die Digitalisierung der Bildung in allen Bereichen wie z. B. durch den flächendeckenden Ausbau von eLearning in Schulen und Hochschulen sowie bei der Berufsausbildung und Weiterbildung in den Unternehmen“.
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© Gesamtmetall Mai 2020
Quelle und Bild: gesamtmetall-vorschlaege-fuer-die-corona-krise.pdf und https://www.gesamtmetall.de/