In den vergangenen 10 Jahren ist die Zahl der Menschen ohne Wohnung stetig angestiegen, mittlerweile sind rund 700.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung, knapp 50.000 davon sind obdachlos. Das ist eine ganze Großstadt voller Menschen, denen das Recht auf Wohnen verweigert wird. Hinzu kommt eine Dunkelziffer, die definitionsgemäß niemand genau abschätzen kann.
Die Menschen, die noch eine Wohnung haben, aber zunehmend mit ihrem Einkommen die gestiegenen Mieten nicht mehr aufbringen können und die Eigentumsverhältnisse ihrer Mietwohnung sich ändern, werden in den sogenannten Problemstadtteilen beim Anblick der wohnungs- und obdachlosen Menschen darauf aufmerksam gemacht, was ihnen beim Verlust der Wohnung drohen kann.
In ihrer prekären Wohnsituation müssen sie es aushalten, als Mieter unter unmenschlichen Bedingungen, in überbelegten und zu kleinen Wohnungen leben zu müssen, ohne sanitäre und hygienische Standards, oft ohne Gas und Strom, rechtlos und sich selbst überlassen.
Das Recht auf Wohnen bedeutet aber mehr, als bloß ein Dach über dem Kopf zu haben. Vielmehr zielt es auf ein Leben in Sicherheit, Frieden und Würde ab, das bei einem Leben in unsicheren Wohnverhältnissen nicht erfüllt ist.
In den letzten 40 Jahren haben sich die vormals gemeinnützigen kommunalen Unternehmen in ihrer Geschäftsführung und den Mietpreisen den profitorientierten Konzernen immer mehr angenähert, auch bedingt durch das Ende der Wohnungsgemeinnützigkeit 1989 und die massiven staatlichen Kürzungen. Die damalige Abschaffung der Steuerbegünstigungen für gemeinnützige Wohnungsunternehmen durch die CDU/FDP Regierung, ließ die Wohnkosten in die Höhe schießen. Mit dem Verlust der Gemeinnützigkeit fiel auch die Gewinnbeschränkung der kommunalen Wohnungsgesellschaften weg und öffnete der Privatisierung ihrer Bestände Tür und Tor.
Als dann die SPD/Grüne Bundesregierung schließlich die Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften steuerlich freistellte, nahm der öffentliche Ausverkauf erst richtig Fahrt auf.
Die Einführung der Schuldenbremse 2009 durch die große Koalition erhöhte den Spardruck bei den Städten und die kommunalen Wohnungsgesellschaften mussten die Überschüsse an die kaputt gesparten Kommunen abführen. Aber um diese Überschüsse zu erwirtschaften, erhöhten die vormals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen die Mieten vielfach so stark, dass auch sie selbst zu den schlimmsten Mietpreistreibern wurden.
Aus dem Bundes-, Landes- und kommunalen Wohnungsbesitz wurden insgesamt rund 1,1 Millionen Wohnungen in privates Eigentum überführt.
Lächerliche 2,3 Prozent der rund 23 Millionen Mietwohnungen sind heute noch in kommunalem Eigentum, damit können, im Gegensatz zu früher, die Kommunen nicht mehr regulierend in den Wohnungsmarkt eingreifen, sie haben kaum noch Möglichkeiten, leistbare Wohnungen in ausreichender Zahl vorzuhalten und dämpfend auf die Mietpreise einzuwirken.
Was den Städten bleibt, ist die individuelle Not etwas abzufedern, aber auch die Wohnraumsicherungsmaßnahmen haben unter den Sparmaßnahmen gelitten. Beihilfen werden nur noch als Darlehen gewährt und in allen Kommunen stöhnt man über die hohen Unterkunftskosten, die bei Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) übernommen werden müssen. Diese Zuschüsse halten schon lange nicht mehr mit der Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt Schritt. Immer mehr Menschen im Transferleistungsbezug bekommen von der Öffentlichen Hand weniger Geld für die Miete und Energie, als sie tatsächlich bezahlen müssen und rutschen in die Überschuldung, die ein direkter Schritt in die Zwangsräumung sein kann.
Wenn die Schulden zu groß geworden sind, die Klage gegen eine Räumung vergeblich war, greift in den großen Städten der früher noch funktionierende Räumungsvollstreckungsschutz immer seltener. Die Menschen werden zunehmend schneller geräumt.
Das staatliche Hilfesystem läuft nur bei einem entspannten Wohnungsmarkt rund, eben nur dann, solange die Vermieter mit den Wohnungen auf die einkommensschwachen Menschen angewiesen sind.
Zockerei mit Wohnraum
Zu den unveräußerlichen Menschenrechten gehören ohne Zweifel eine sichere Unterkunft und das Wohnen in Würde, auch in Deutschland. Bereits seit den 1990er Jahren läuft in den „abgehängten“ Stadtteilen des Ruhrgebietes die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen mit den „Steuersparmodellen, Kopplungsgeschäften und Zusatzaltersversorgungkonzepten“. Diese Zockerei mit Wohnraum hat fatalen Auswirkungen auf die Mieter und ist eine der Hauptursachen für das Entstehen von „Problemhäusern“ und für den Niedergang der Stadtteile insgesamt.
Ungewissheit für die Bestandsmieter
In der Regel kommen für die Mieter in den Mehrfamilienhäusern der Großstädte die Umwandlung in Eigentumswohnungen und der Verkauf ihrer Mietwohnung völlig überraschend. Trotz Vorkaufsrecht erfahren sie zuletzt davon. Fühlten sie sich als Mieter, zum Teil mit jahrzehntealten Mietverträgen sicher, auch im Alter noch dort zu wohnen, können sie bei Eigenbedarf des neuen Besitzers ihrer Wohnung nun schnell gekündigt werden.
Die ungewisse Situation kann für die Bestandsmieter einige Jahre andauern und ist gekennzeichnet durch:
- permanente Angst, die Wohnung und damit die vertraute Umgebung und soziale Kontakte zu verlieren
- unklare Besitzverhältnisse
- erhebliche Sicherheitsmängel, z.B. Haustür nicht mehr schließbar, fremde Personen halten sich im Haus
- über längeren Zeitraum die einzigen „regulären“ Mieter im Haus zu sein,
- Unsicherheit, ob sich wehren rechtlich in Ordnung ist z.B. ob eine Mietkürzung gerechtfertigt ist
- fehlende Ansprechpartner und Ratgeber
- nervende Einforderungen auf Reaktion auf Mängelanzeigen, Reparaturanliegen etc.
- Stigmatisierung, als die im Problemhaus verbliebenen Mieter
- zeitweise unerträgliche, andauernde Umbaumaßnahmen mit Lärm und Schmutzbelästigung als altbekannte Methode der „Entmietung“
- mit Drohungen leben müssen, unter Umständen brutalen „Entmietungsmethoden“ ausgeliefert zu sein
- ständige Ankündigung mietrechtlicher Schritte seitens der Wohnungseigentümer/Objektverwaltung
- die Situation ertragen, unter „Zwangsverwaltung“ zu stehen
- der anstehende Zwangsversteigerung verunsichert entgegen sehen, weil das Mietverhältnis bei Eigenbedarf des neuen Besitzers gekündigt werden kann
und
dass keine Investitionen im Haus und Umfeld mehr getätigt werden, alles verrottet und kaputt geht.
Neue Mieter sollen die Wohnung „abwohnen“
Für die Mieter, die auf billigen Wohnraum angewiesen sind und erst nach der Umwandlung in die Problemhäuser einziehen, ergeben sich zusätzlich noch andere Probleme, die zum Teil noch tiefergehend sind:
- einige Häuser werden komplett als Matratzenlager eingerichtet, die Miete wird pro Schlafplatz fällig und in z.B. 10-Familienhäusern sind bis zu 60 Personen untergebracht
- ihnen wird schnell bewusst, dass sie die Wohnung „abwohnen“ sollen, d.h. ohne dass investiert wird, zahlen sie überhöhe Mieten für eine miserable Wohnsituation und sind von Obdachlosigkeit bedroht
- die Wohnungen sind überbelegt, es gibt keine Privatsphäre
- einige Etagen werden direkt von zwielichtigen Unternehmen angemietet und an die prekären Beschäftigten weitermietet – der Verlust des Arbeitsplatzes zieht automatisch den Wohnungsverlust nach sich und macht die Menschen völlig abhängig
- das eigentliche Leben muss bei jedem Wetter auf die Straße und öffentliche Plätze verlegt werden
- Hygiene- und Reinigungsmaßnahmen sind nicht mehr durchführbar, da die Substanz der Wohnung das nicht mehr hergibt
- die Häuser können nicht mehr sicher verschlossen werden
- es gibt keine postalische Erreichbarkeit mehr, da die Briefkästen demoliert sind
- die Energieversorgung droht permanent eingestellt zu werden
- in einigen Häusern fehlen die Heizanlagen und -körper, so dass nicht mehr geheizt werden kann und Wasserleitungen zufrieren
- ständige Angst vor Brandstiftung, da auch die Flure und Treppen mit Sperrmüll und Kinderwagen zugestellt sind
- keine Entsorgung bei der Überbelegung mehr gewährleistet ist, der Müll türmt sich auf und bietet in einigen Fällen einen kärgliches Einkommen aus dem recycelten Abfall
- die Bewohner sind stigmatisiert und unterliegen ständiger Gängelung und Überprüfung durch Polizei- und Ordnungskräfte
und
die Vermieter installieren Kameras, angeblich um „Fremdpersonen“ zu identifizieren und die „Kriminalität zu bekämpfen“.
Damit solche menschenverachtende Situationen erst gar nicht entstehen können, hat der Mieterbund NRW Forderungen aufgestellt.
Forderungen des Deutschen Mieterbundes, Nordrheinwestfalen e.V. zum Bestandschutz
Die geschilderte Situation der Mieter muss aber nicht eintreffen – als Gegenmittel sollten die Forderungen des Deutschen Mieterbundes, Nordrheinwestfalen e.V. zum Bestandschutz endlich umgesetzt werden:
- „Die kommunale Wohnungsaufsicht sollte als „Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung“ verankert werden und nicht mehr unter die freiwilligen Aufgaben der Kommune fallen.
- Die kommunale Wohnungsaufsicht sollte die auf die Wohnungsaufsicht bezogenen Kompetenzen der Fachämter fallbezogen abfragen und bündeln (z.B. Ordnungsamt, Gesundheitsamt, Bauordnungsamt).
- Weiterhin sollten durch gemeinsame Konzepte von z.B. Wohnungsamt, Stadtplanungsamt und Sozialamt Strategien zur Entwicklung einzelner Quartiere erreicht werden. Ergänzend zu bisherigen Konzepten der integrierten Stadterneuerung sind hier fallbezogen auch Auffangkonzepte für wohnungswirtschaftlich problematische Quartiere zu entwickeln.
- Eine kleinräumige Wohnungsmarktbeobachtung von Problemimmobilienbereichen sollte innerhalb der Kommune als integraler Bestandteil kommunaler Wohnkonzepte bzw. der Aufgaben der Wohnungsaufsicht verankert werden.
- Eigentümer einer vermieteten Wohnung (Mietwohnungen und vermietete Eigentumswohnungen) sollten verpflichtet werden, eine ladungsfähige Anschrift im Inland zu hinterlegen, unter der sie erreichbar sind und ihnen Ordnungsverfügungen, Klagen oder andere Dokumente zur Durchsetzung rechtlicher Ansprüche rechtswirksam zugestellt werden können.
- Eigentumsübergänge auch sog. Share-Deals – müssen gemeldet werden.
- Es sollten auch für den Bereich der Verwaltung von Mietwohnraum Mindeststandards definiert werden, um eine ordnungsgemäße Verwaltung zu gewährleisten.
- Die Voraussetzungen für den Erlass einer Anordnung sollten nicht mehr davon abhängig gemacht werden, ob die Vornahme für den Eigentümer wirtschaftlich vertretbar und zumutbar ist.
- Ein Verstoß gegen „Mindestanforderungen“ führt zu einer starken Einschränkung des Gebrauchs der Wohnung. Er sollte dazu führen, dass die Verwaltung zur Sicherung der Mindestanforderungen eingreift.
- Die derzeit in § 40 Abs. 4 Wohnraumförderungs-/-nutzungsgesetz NRW (WFNG) vorgesehene Satzungsermächtigung zur Abwendung der Zweckentfremdung von Wohnraum sollte durch einen Genehmigungsvorbehalt der Kommune ersetzt werden und ergänzend eine Satzungsermächtigung vorsehen.
- Kooperationsvereinbarungen zwischen den örtlichen Jobcentern und Kommunen und örtlichen Mietervereinen können diese Gruppe der Mieterschaft dabei unterstützen, vermehrt ihre Rechte wahrzunehmen, insbesondere im Falle von Wohnungsmängeln, aber auch bei oftmals überhöhten Betriebskostenabrechnungen und Mieterhöhungen. Neben den wohnungspolitischen Effekten sind Einsparungen auf Seiten der Kommunen zu erwarten.
- Damit die Wohnungsaufsicht wirklich wirksam wird, werden Ersatzvornahmen unvermeidlich sein, so dass die Absicherung und Realisierung verauslagter Kosten gesichert werden muss.
- Zur Vermeidung von weiteren Fehlentwicklungen im vernachlässigten Wohnungsbestand, die im Wesentlichen durch Weiterverkäufe verschärft werden, sollte die Bildung von Instandhaltungsrücklagen für Wohngebäude oder/und Wirtschaftseinheiten1 nach deren Veräußerung im BGB geregelt werden.
- Wir fordern die Einführung eines für alle Mieter geltenden Kündigungsschutzes von einem bis zu drei Jahren bei Verkauf eines Wohnungsbestands analog zur Kündigungssperrfrist bei Umwandlung in Eigentum im Bürgerlichen Gesetzbuch. Zu beachten ist nämlich, dass Teilverkäufe von Beständen der Finanzinvestoren wieder zunehmen könnten (Erhöhung der Eigenkapitalquote).
- Verbandsklagen sollten auch in den Fällen möglich sein, in denen Vermieter gegen geltendes Recht und Rechtsprechung verstößt.
- Ist die Wirtschaftlichkeit von Betriebskosten in Frage gestellt, ist es nach aktueller BGH Rechtsprechung Sache des Mieters, den Nachweis der Unwirtschaftlichkeit zu erbringen. Eine Umkehr dieser Beweislast auf den Vermieter muss erfolgen.
- Die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für Wohnungsgenossenschaften, da sie einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der kommunalen Wohnungsprobleme in den vernachlässigten Gebieten leisten“.
Weitere Forderungen für eine zukünftige Wohnungspolitik
Die Proteste der Mieterinitiativen gegen Wohnungsnot und steigende Mieten haben mittlerweile auch bundesweit Gehör gefunden. Nun sollte es darum gehen, die nächsten Schritte zur Durchsetzung bezahlbaren Wohnraums für alle zu konzipieren und auf der Bundesebene kampagnenfähig zu machen.
Eine Kampagne für eine (Wieder-) Einführung der Wohnungsgemeinnützigkeit könnte da ein wichtiger Baustein bei der bundesweiten Vernetzung der Bewegung sein, zumal Mietervereine, Gewerkschaften und Mieterinitiativen die Forderung nach einer Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit (NWG) propagieren.
Durch Steuererleichterungen und den privilegierten Zugang zu Fördermitteln und Grundstücken soll ein gemeinnütziger Wohnungssektor entstehen, den es bis vor 30 Jahren schon einmal gab und der dann still und heimlich abgeschafft wurde. Dieser Sektor würde durch öffentliche und genossenschaftliche Unternehmen dominiert und von den Bewohnern der Wohnungen gesellschaftlich kontrolliert. Im Gegenzug müssten die begünstigten gemeinnützigen Unternehmen leistbare Mieten garantieren und soziale Belegungsrechte durch die Kommunen akzeptieren.
Während die Bauindustrie und die Immobilienwirtschaft nach wie vor die Ausweitung des Wohnungsbaus favorisieren, die staatlichen Förderungen und Steuervergünstigungen für sich sichern wollen, soll wie eh und je der Wohnungsbestand in privater Hand verbleiben.
Dem gegenüber setzen die Mietervereine und Gewerkschaften auf einen Mix von Bauen und Regulieren. Sie möchten den Wohnungsbau sowohl in privater als auch öffentlicher Hand durch staatliche Förderprogramme ausweiten und die hohen Mietsteigerungen, vor allem in den großen Städten durch eine verbesserte Mietpreisbremse oder moderate Mietendeckel eindämmen.
Die gemeinsame Forderung der Mietervereine, Gewerkschaften und Mieterinitiativen lautet, die sogenannte Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit (NWG) einzuführen, bei der durch Steuererleichterungen und den privilegierten Zugang zu Fördermitteln und Grundstücken ein gemeinnütziger Wohnungssektor entstehen soll.
Die neu entstandenen Mieterinitiativen in den großen Städten fordern weit mehr ein. Sie möchten eine grundlegende Änderung des privat dominierten Wohnungssektors und der Spekulation mit Häusern und Grundstücken ein Ende setzen. Durch Mietendeckel, Enteignungen, Zukäufen und Rekommunalisierungen soll der private Wohnungsmarkt abgebaut und der öffentliche Wohnungsbestand ausgebaut werden.
Für die betroffenen Mieter in den „Problemhäusern“ ist es wichtig, dass sie professionelle Hilfe und Unterstützung erhalten. Sie müssen gezielt aufgesucht und beraten werden. Bei ihnen muss angeschellt werden, um sie vor Ort zu unterstützen, ihnen zu helfen, sich zu organisieren und sich zu wehren.
Quellen: destatis, Deutscher Mieterbund/NRW e.V., Ruhrnachrichten, WAZ, Gewerkschaft BAU, Bericht von Betroffenen Bild: stadtmission nürnberg