Die Grenzen gewerkschaftlichen Whistleblowings

Gewerkschaftliche Whistleblower agieren in der Regel in einem Graubereich. Zwar kann es im öffentlichen Interesse sein, interne Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen, jedoch ist der Schutz von Whistleblowern gesetzlich nicht klar geregelt, denn die entsprechende EU-Richtlinie hat Deutschland noch nicht umgesetzt.

Wenn Gewerkschaftsaktivisten die alltäglichen Widersprüche wie ständige Überlastung und enormen Personalmangel nicht mehr aushalten und auf die Missstände aufmerksam machen, werden sie nicht nur mit dem Arbeitsplatzverlust bedroht. Zunehmend greifen die Unternehmen auch auf die Schadensersatzforderungen an den Whistleblower zurück, die immer öfter auch vollstreckt werden und stellen Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Tatverdachts der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen.

Am Beispiel der Arbeitsbedingungen in den Bildungs- und Sozialeinrichtungen wird im Folgenden aufgeführt, was gewerkschaftliche Whistleblower beachten sollten und die Rolle, die viele Gewerkschaften in so einem Konflikt ihrer Mitglieder mit den Unternehmen oft einnehmen.

Die Ideologie der Privatisierung gesellschaftlicher Ebenen hat schon lange auch den dritten Sektor der Volkswirtschaft, die Bildungs- und Sozialeinrichtungen erreicht, mit fatalen Folgen für die Beschäftigten in diesem Bereich.

Da geht es nicht um ein Unbehagen, sich den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen, als Verkäufer sozialer Produkte auftreten zu müssen, bei denen das eigentlich Menschliche zu einem Wettbewerbsfaktor der Markt- und Konkurrenzwirtschaft wird, in denen Zuneigung, Aufmerksamkeit, Hilfe, Sicherheit, Ehrlichkeit und Authentizität zu verkaufen bzw. zu erwerben sind. Es hat sich ein Geld-Hilfe-Geld Verhältnis entwickelt, das nicht nur erfordert, sich dem Diktat der betriebswirtschaftlichen Kenn- und Schlagzahlen verpflichtet zu fühlen, sondern es geht um Entfremdungsprozesse, die die Beschäftigten völlig zerstören können.

Entfremdung und Verdinglichung prägen das Alltags- und Arbeitsleben, aus der Beziehungsarbeit wird eine Geschäftsbeziehung.

Diese Entwicklung hat große Auswirkungen auf die betriebliche Gewerkschaftsarbeit und erzwingt nicht nur eine Herausforderung für den gewerkschaftlichen Part in der Arbeitssicherheit und Arbeitsgesundheit, der betrieblichen Eingliederungsmaßnahmen und Mitgliederbetreuung, sondern hat Auswirkungen auf Betriebsabläufe und Individualisierungsprozesse bei den Beschäftigten, die einer solidarischen Organisierung nachhaltig schaden können.

Gewerkschaftsaktivisten, die auf die Missstände aufmerksamen machen, werden zunehmend nicht nur mit Arbeitsplatzverlust bedroht. Unternehmen greifen immer häufiger auf die Schadensersatzforderungen an den Whistleblower zurück, die immer öfter auch vollstreckt werden oder stellen Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Tatverdachts der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen.

Was gewerkschaftliche Whistleblower beachten sollten

Anhand des Beispiels von den Sozialkonzernen, bei denen es gängige Praxis ist, die öffentlichen Fördermittel, die zweckgebunden für die Personalkosten bestimmt sind, zweckentfremdet für andere Ausgaben oder für „Rücklagen“ zu verwenden, soll gezeigt werden, welche Schwierigkeiten sich für gewerkschaftliche Whistleblower ergeben können.

In den stationären und ambulanten Einrichtungen der privaten oder vorgeblich gemeinnützigen Sozialkonzerne ist der zweckentfremdete Einsatz von öffentlichen Fördermitteln mittlerweile üblich geworden und geht zu Lasten der Beschäftigten, der Patienten und Klienten.

Gewerkschaftliche Whistleblower sollten sich darüber im Klaren sein, dass

  • ein direktes Vorgehen gegen die Zweckentfremdung von Fördermitteln nicht möglich ist.
  • eher die zuständigen Aufsichtsbehörden anzugehen sind und ihnen mit entsprechenden Nachweisen zu belegen, dass die Fördermittel nicht zweckentsprechend verwendet wurden. Das zwingt dann die Aufsichtsbehörde zur Prüfung der Angelegenheit von Amts wegen.
  • das Ergebnis dieser Prüfung dann die Aufhebung der Fördermittelbescheide sein kann sowie eine Rückforderung und ggf. die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen – teilweise auch persönlich gegen die Verantwortlichen im Sozialkonzern.
  • es sich darüber hinaus auch um einen Straftatbestand handeln dürfte.
  • man in diesem Zusammenhang durchaus daran denken kann, eine Strafanzeige wegen Subventionsbetruges nach § 264 StGB zu stellen. Dieses würde ebenfalls bewirken, dass die Aufsichtsbehörde aktiv wird und den Sachverhalt prüft.

 

Dieses Vorgehen bei der Skandalisierung kann jedoch schnell arbeitsrechtliche Konsequenzen haben und ggf. auch ein eigenes Ermittlungsverfahren für den gewerkschaftlichen Whistleblower nach sich ziehen, weil:

  • wenn ein Strafverfahren, welches auf eine Anzeige des Beschäftigten hin eingeleitet wurde, eingestellt wird, so hat der Beschäftigte mit einer (fristlosen) Kündigung zu rechnen.
  • es teilweise sogar sein kann, dass – unabhängig von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens – eine fristlose Kündigung ausgesprochen wird, da der Beschäftigte Daten, die er im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses erhalten hat, öffentlich gemacht hat. Hier läge dann ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht vor.
  • es andererseits aber auch sein kann, das bei Kenntnis einer Straftat ein eigenes Strafverfahren gegen den Beschäftigten eingeleitet wird, wegen sogenannter Strafvereitelung, wenn keine Anzeige gegen die Verantwortlichen im Sozialkonzern erstattet wurde und durch andere Umstände das strafbare Verhalten des Unternehmens den Ermittlungsbehörden bekannt wird.

Grundsätzlich urteilen aktuell die Arbeitsgerichte im Rahmen des Widerspruchs gegen die fristlose Kündigung wegen einer Strafanzeige gegen Verantwortliche im Unternehmen danach, dass im Zweifel die Loyalität gegenüber dem Anstellungsträger wegen der „vertraglichen Rücksichtnahmepflicht“ Vorrang gegenüber dem Rechtstaat hat.

Insofern würde arbeitsrechtlich eine fristlose Kündigung ggf. einer gerichtlichen Überprüfung standhalten.

Anders jedoch im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Hier kommt es nicht auf diese Loyalität an.

Ein weiteres eigenes Ermittlungsverfahren gegen den Beschäftigten kann die Verwendung der betriebsinternen Daten nach sich ziehen, wegen des Verdachts des Verstoßes gegen § 17 I Unlauterer Wettbewerb-Gesetz (UWG -Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen). Ob es dabei zu einer Verurteilung kommt, kann nicht gesagt werden. Insofern müssten die Ermittlungsergebnisse immer erst abgewartet werden.

Eine rechtliche Möglichkeit, das Unternehmen im Hinblick auf die Verwendung der Fördermittel dazu zu zwingen, das fehlende Personal einzustellen, damit die Fördermittel korrekt verwendet werden, besteht somit nicht.

So bleibt nur die Möglichkeit eines „diplomatischen Gesprächs“ mit dem Unternehmen, in dessen Verlauf diplomatisch vermittelt wird, dass die Aufsichtsbehörde eingeschaltet werden könnte, aufgrund der gegebenen Umstände, aber die Besetzung der freien Stellen und die korrekte Fördermittelverwendung dieses nicht mehr nötig machen würde.

Diese interne Klärungsmöglichkeit wird zunehmend auch von den Arbeitsgerichten favorisiert.

Das Bundesarbeitsgericht selbst hat im Fall des Loyalitätskonflikts des Beschäftigten zwischen Erstattung einer Strafanzeige gegen das Unternehmen und die Verwendung von betriebsinternen Daten im Sinne des Whistleblowings gegen den Beschäftigten entschieden. Nach einem Urteil vom 07. Dezember 2006 – 2 AZR 400/05 – kann eine kündigungsrelevante Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten vorliegen, wenn ein Beschäftigter Strafanzeige gegen das Unternehmen erstattet, ohne zuvor eine innerbetriebliche Klärung versucht zu haben. Handelt es sich bei den dem Unternehmen zur Last gelegten Vorfälle jedoch um schwerwiegende Vorwürfe und sind die betreffenden Straftaten vom Betrieb selbst begangen worden, so braucht der Beschäftigte regelmäßig jedoch keine Versuch der innerbetrieblichen Klärung zu unternehmen.

Im Ergebnis heißt das jedoch, dass es auf den Einzelfall ankommt, ob eine solche betriebsinterne Klärung unternommen werden muss oder nicht.

Für den gewerkschaftlichen Whistleblower bedeutet das alles, dass er selbst keine rechtlichen Möglichkeiten hat, auf den Betrieb einzuwirken mit dem Ziel, dass dieser Fördermittel zweckentsprechend verwendet und weiteres Personal einstellt. Vielmehr würde eine Meldung an die Aufsichtsbehörde bzw. eine Strafanzeige aus Gründen der arbeitsrechtlichen Loyalität gegenüber dem Unternehmen und der Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich zu verwendender Daten ggf. eine fristlose Kündigung und/oder ein eigenes strafrechtliches Ermittlungsverfahren nach sich ziehen können.

Unabhängig davon, dass Gewerkschaftsaktivisten sich eventuell selbst strafbar machen, wenn sie trotz Kenntnis über einen Subventionsbetrug diesen nicht zur Anzeige bringen (sofern das Verhalten des Beschäftigten  den Ermittlungsbehörden bekannt werden sollte), besteht die Möglichkeit, dass eine solche fristlose Kündigung vor einem Arbeitsgericht Bestand haben wird.

Die Gewerkschaften

Die Arbeit in den Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereichen ist, wie die Care-Arbeit insgesamt, eingebettet in ein System korporatistischer Regulierung und marktlich-wettbewerblicher Steuerung, mit vielfältigen horizontalen und vertikalen Arenen der Aushandlung von Entgelten und Arbeitsbedingungen.

Die isolierten Arbeitsrechtssysteme, Akteursstrukturen, Verhandlungsszenarien und Handlungsroutinen haben nicht nur eine aufgesplitterte Landschaft tariflicher Abschlüsse und Vereinbarungen hervorgebracht, sondern dieses verbändegeprägte Institutionensystem trägt dazu bei, dass die Verhandlung und Durchsetzung arbeitspolitischer Interessen in der Care-Arbeit gegenüber der Politik, aber auch gegenüber anderen Wirtschaftsbranchen zurzeit erheblich erschwert ist.

Das System der Arbeitsbeziehungen ist historisch gewachsen und letztlich das Ergebnis einer zwischen Staat, vorgeblich gemeinnützigen Sozialkonzernen und Wirtschaft verhandelten Ordnung.

Die Gewerkschaften haben tatenlos zugeschaut, als das Kapital antrat, sich in die Care-Wirtschaft einzukaufen und sie durch betriebswirtschaftliches Management, Budgetierung und Pflegesatzverhandlungen aufzuwerten, mit dem Preis der Abwärtsspirale bei Entgelten und Arbeitsbedingungen.

Die Ökonomisierung von Care-Arbeit ist aber nicht allein das Ergebnis der Einführung marktlich-wettbewerblicher Mechanismen in den Bildungs- und Sozialsektor, sondern die Abwärtsspirale von Löhnen und Arbeitsbedingungen wurde auch durch das Zusammenwirken von branchenspezifischer Regulierung und Steuerung möglich. Sie war immer schon eingebettet in einen fragmentierten und desorganisierten institutionellen Rahmen zur Aushandlung von Entgelten und Arbeitsbedingungen.

Das wichtigste Anliegen der Gewerkschaften ist und war immer schon, den Faktor Arbeit zu kartellieren und Vollbeschäftigung zu erreichen und dabei sollte es um jede Stelle gehen, die, wenn möglich, mit einem Mitglied besetzt ist.

Für den Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich bzw. dem gesamten Care-Bereich scheint das nicht mehr zu gelten. Obwohl die zuständigen Gewerkschaften die Ausbeutung und Überlastung der Beschäftigten anprangern, lassen sie es zu, dass Betrügereien mittlerweile systematisch ablaufen können. Ihnen ist bekannt, dass in den einzelnen Einrichtungen Stellen nicht besetzt sind und die meist öffentliche Finanzierung dafür weiterläuft, mit Wissen und Duldung der Beteiligten.

Die Gewerkschaften scheuen sich, das kriminelle Vorgehen der Unternehmen zu skandalisieren und die Aufsichtsgremien und -behörden zu informieren. Sie haben Angst, dass die Betriebe, die zu Unrecht kassierten öffentlichen Personalkosten zurückzahlen müssen und die Einrichtung in die Insolvenz gehen muss, mit dem größeren Verlust von Arbeitsplätzen als bei der Nichtbesetzung.

Sie haben seit vielen Jahren dabei nur zugeschaut, wenn der Anstellungsträger schlechter bezahlte Leiharbeitskräfte über eigene Sozialdienstleistungsgesellschaften eingesetzt hat und den Konflikt dahin ausrichtet, darüber intern zu streiten, ob die outgesourcten Beschäftigten zu ihrer oder einer anderen Gewerkschaft gehören.

Sie lassen ihre Mitglieder meistens im Regen stehen, die immer wieder mit Kündigung, Geschäftsgeheimnisverrat und Schadensersatzleistungen von den Unternehmen bedroht werden, wenn sie als Whistleblower die zuständigen Stellen informieren oder an die Öffentlichkeit gehen.

Europäische Richtlinie zum Whistleblowerschutz: 23 von 27 Mitgliedsstaaten haben Richtlinie bisher nicht umgesetzt

Im Regen stehen gelassen werden auch die Whistleblower EU-weit in Wirtschaft, Politik und Verwaltung. 23 von 27 Mitgliedsstaaten haben die Richtlinie zum Whistleblowerschutz bisher nicht umgesetzt, die Frist dazu war am 17. Dezember letzten Jahres abgelaufen. Ende Januar 2022 hatte die EU-Kommission Schreiben an die 23 Staaten versandt, in denen die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren mitgeteilt wurde.

Nach wie vor stehen die Unternehmen und deren politisches Personal auf der Bremse, damit ihnen nicht auf die Finger geschaut wird und sie zur Verantwortung für ihr Handeln gezogen werden können.

 

 

 

 

 

Quellen: http://www.whistleblower-net.de/  und www.anstageslicht.de

 Bild: 20zwoelf.de