Im Juni 2020 entschied sich die deutsche Regierung gegen eine Abwrackprämie für Verbrenner und subventionierte nur noch E-Autos.
Der vierte deutsche »Autogipfel« Mitte November verlängerte diese Subventionen und packte ein paar Milliarden Euro für die Konzerne drauf: 1,8 Milliarden für »nachhaltige Prozesse«, je eine Milliarde für einen »Zukunftsfonds Automobilindustrie« und für eine »Abwrackprämie« für Lastwagen. Die Ladeinfrastruktur soll ausgebaut werden, plus noch mehr Subventionen für (Batterie- und Chip-)Fabriken fließen.
Das ist eine Umsteuerung bisheriger Industriepolitik. Das Elektroauto bedeutet weiterhin subventionierten Individualverkehr – aber auf Basis verschlechterter Arbeitsbedingungen und niedrigerer Löhne.
Stop and go in der Pandemie
Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 waren die Autofabriken weltweit im Durchschnitt eineinhalb Monate geschlossen. Das passte den Konzernen gut in den Kram, kämpften sie doch seit 2018 mit einem »historischen Einbruch der Nachfrage«. Einige Fabriken in der BRD liefen lange vor Corona auf Kurzarbeit, seit September 2019 hatte diese sogar stark zugenommen. Der Shutdown baute Überkapazitäten ab, die Arbeitslosenversicherung bezahlte einen Teil der Löhne.
Im zweiten Lockdown Ende 2020 wurde in den Autofabriken weitergearbeitet. Die Absätze hatten sich relativ rasch vom heftigen Einbruch im Frühjahr erholt – aber nicht so, dass die Fabriken stark ausgelastet gewesen wären.
China-Boom
Aufs Jahr gerechnet sanken die Autoverkäufe global um zwölf Prozent, aber seit September lagen sie wieder im Plus. Zum Jahresende verkündeten die großen Konzerne Milliardenerträge. Daimler verbesserte sogar seinen Jahresgewinn und erhöht die Dividende.
Hinter den Absätzen steckt mal wieder China. Seit Mai 2020 liegen dort die Pkw-Verkäufe deutlich über Vorjahresniveau, allein im zweiten Halbjahr stiegen sie um durchschnittlich acht Prozent zum jeweiligen Vorjahresmonat. Im zweiten Halbjahr wurden über zwölf Millionen Pkw verkauft, also fast eine Million mehr als 2019 – damit absorbierte China fast ein Fünftel der globalen Jahresproduktion (das entspricht ungefähr dem Anteil an der Weltbevölkerung).
Nirgendwo gibt es mehr Luxuswagenkäufer. Während weltweit der Absatz bei Daimler im zweiten Quartal um 20 Prozent einbrach, stieg er in China um 22 Prozent. BMW war weltweit bei minus 25 Prozent, aber bei plus 17 Prozent in China. Noch viel abhängiger ist Volkswagen, dessen China-Geschäft bald die Hälfte vom gesamten Absatz ausmachen wird.
Fehlende Mikrochips
Mitte Januar 2021 fehlten plötzlich Mikrochips. Bis zu 100 davon werden in einem Pkw verbaut – in teuren Autos mehr, in Kleinwagen weniger. Mit den vorhandenen Chips wurden die profitablen Luxuskarossen bestückt, während zehntausende ArbeiterInnen der Klein- und Kompaktwagen-Produktionen bei Ford Saarlouis, Daimler Rastatt, Volkswagen Wolfsburg … in Kurzarbeit geschickt wurden.
Die Auto-Multis hatten im ersten Lockdown ihre Chip-Bestellungen reduziert. Als die Nachfrage wieder anzog, konnten die Chiphersteller nicht so schnell umsteuern. Und für sie ist die Konsumelektronik der wichtigere Kunde (z. B. macht der weltgrößte Chip-Auftragsfertiger TSMC nur drei Prozent seines Umsatzes in der Autoindustrie). Außerdem wirkt sich der Klimawandel negativ aus. Die Chipherstellung braucht sehr viel Wasser, das wird immer knapper.1
Die Organisation der Teileversorgung sei »vierdimensionales Schach den ganzen Tag lang«, verzweifelte ein Automanager. Schon ab Ende Januar standen deswegen weltweit viele Autofabriken still.
Diese Situation war neu, aber alle schienen so weiterzumachen wie bisher: Volkswagen schob mal wieder alles auf seine Zulieferer (s. u. zu Prevent!) und verlangte Schadenersatz von Bosch und Conti. Der Verband der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik (VDE) forderte Geld, sprich »Aufbau eigener Mikroelektronikfertigungen« im Rahmen einer »europäisch abgestimmten Industriepolitik«. Eine Chipfabrik kostet weit mehr als eine Autofabrik. Wirtschaftsminister Altmaier schrieb Briefe und bat TSMC Ende Januar, die deutsche Autoindustrie zu priorisieren (die taiwanesische Firma hatte bereits vorher angekündigt, mit fast 30 Milliarden Dollar die Investitionen in den Ausbau der Automotive-Kapazitäten gegenüber 2020 zu verdoppeln). Anfang Februar wurden Milliardensubventionen »für den Aufbau einer europäischen Chipindustrie« angekündigt – während gerade europäische Unternehmen in dieser Branche von asiatischen und amerikanischen Firmen übernommen werden.
Neue Batteriefabriken in Westeuropa
»Corona« war ein Augenöffner für die Automanager: Die Auslagerung der Produktion von Teilen der »Kernkompetenz« birgt ein großes Risiko. Die Verbrennungsmotoren deutscher Hersteller werden bis heute weitgehend lokal bzw. regional produziert. Im ersten Halbjahr 2020 konnten aber einige E-Autos nicht produziert werden, weil Batteriezellen aus Asien fehlten – teils wegen der Pandemie, teils wegen fehlender Kapazitäten. VW-Chef Diess hält den Bau von 40 Batteriefabrken in Europa für nötig; etwa zwei Dutzend sind im Bau oder angekündigt.
Bei Akkuzellen macht das Material die Hälfte der Kosten aus, bei einem Verbrennungsmotor nur 20 Prozent. Die Fertigung eines Elektromotors ist stärker automatisiert; statt 1400-2500 Teilen beim Verbrenner müssen ArbeiterInnen nur 200-250 Teile zusammenbauen. Ein erster grober Vergleich: Für die jährliche Produktion von einer Million Verbrennungsmotoren braucht man 4000 ArbeiterInnen; für eine Million E-Motoren und Batterien braucht man etwa 2000-3000 ArbeiterInnen. Der Einbau eines vor Ort gefertigten 8000 Euro teuren Akkus ist weniger riskant als sein Transport über die Weltmeere (das vergleichbare Teil im Verbrenner, der Antriebsstrang, kostet 1500 Euro). Zusammengefasst heißt das, dass momentan die Lohnkosten weniger entscheidend sind; denn die Kosten pro Kilowattstunde Speicherkapazität konnte man in den letzten zehn Jahren vor allem über Einsparungen bei Materialien und Prozessen inflationsbereinigt um 89 Prozent senken. Gerade beginnen sie die Kosten von 100 Dollar pro Kilowattstunde zu unterschreiten. Erst dann sind E-Autos vom Preis her angeblich »ohne Subventionen konkurrenzfähig« zum Verbrenner.2
In Deutschland werden aktuell Kapazitäten für 82 Gigawattstunden im Jahr aufgebaut: Sechs neue Fabriken mit je 2000 ArbeiterInnen, die meisten im Osten. Damit ließen sich 1,7 Millionen Elektroautos antreiben. Auch in Schweden, Frankreich und England werden Batteriefabriken gebaut. Alle deutschen Multis rüsten Fabriken für E-Autos um.
Ausweitung des »Dieselskandals« und weitere Verbrechen
Nach Razzien bei Fiat-Chrysler und der Schwester Iveco kam im Sommer heraus, dass vor allem zwei Wohnmobilmotoren im Ducato die Stickoxidgrenzwerte im Fahrbetrieb um das Sieben- bis Zehnfache überschreiten. Fiat hat die Motoren so programmiert, dass sie die Abgasreinigung nach dem Prüfzyklus abschalten (dieser dauert 20 Minuten, die Abschaltung passiert nach 22 Minuten). Knapp die Hälfte der 600 000 Wohnmobile in Deutschland hat eine Fiat-Basis.
Auch bei Continental gab es im Sommer eine Razzia im Zusammenhang mit dem »Dieselskandal«. Kurz danach begann der Prozess gegen den ehemaligen Audi-Chef Rupert Stadler in München. Dort wurde u. a. folgender Satz aus einer E-Mail vorgelesen: »Ganz ohne Bescheißen werden wir es nicht schaffen…« (FAZ, 30.9.20). Mitte Januar 2021 lag der Süddeutschen dann schwarz auf weiß vor, wie Volkswagen über einen Milliarden-Deal mit den US-Behörden verhinderte, dass noch mehr »schwerwiegende und belastende Umstände« öffentlich wurden. Statt 35 Milliarden Schadenersatz wären bei Veröffentlichung voraussichtlich 170 Milliarden Euro angefallen – »VW wäre wohl Pleite gegangen« (SZ, 12.1.21).
Um einen weiteren Skandal ist es erstaunlich schnell still geworden. Im Juli 2020 wurden 50 Stunden heimlicher Aufnahmen aus 35 Meetings bei Volkswagen zwischen Januar 2017 und Februar 2018 öffentlich. Dabei ging es um den VW-Zulieferer Prevent, der seit Jahren versucht, in Volkswagens »Krieg gegen die Zulieferer« gegenzuhalten (was die Arbeiter bei Neue Halberg Guss in ihrem gewerkschaftlichen Streik 2018 heftig zu spüren bekamen). In den Mitschnitten ist zu hören, wie Volkswagen Prevent mit Mitteln »am Rande der Illegalität« bekämpfen wollte.
Kurz nach Veröffentlichung des Audios kam heraus, dass die Staatsanwaltschaft gerade einen Brandanschlag auf das Haus des mutmaßlichen Whistleblowers im Mai untersuchte. Mitte August fanden dann Feuerwehrleute sechs Kilometer vom Haus entfernt seine verkohlte Leiche in einem abgebrannten Fahrzeug auf einem Feldweg. »Vieles deutet auf einen Suizid hin«, lässt sich eine Staatsanwältin zitieren. Das Gutachten zum abgebrannten Wagen lässt derweil auf sich warten…
»Dieselgate« führt nicht dazu, dass die Unternehmer endlich für ihre Verbrechen bezahlen. Sie streichen ihr Geschäftsmodell nur »grün« an und tun so, als ob es ihnen plötzlich ums Klima geht.
Kritik des Elektroautos
Wegen der Subventionen von bis zu 9000 Euro haben sich die Verkäufe von reinen Elektroautos3 in der BRD wie erwartet verdoppelt. Die Regierung sieht sich im Plan, 2030 sollen sieben bis zehn Millionen Elektrofahrzeuge zugelassen sein, was jährlich plus eine Million bedeuten würde. Die Mehrzahl der Neuzulassungen sind Firmenwagen: 51,2 Prozent der E- und 63 Prozent von allen Autos; in Österreich macht der Firmen-Anteil bei E-Autos sogar 81 Prozent aus. Volkswagen soll nach einer Berechnung von Greenpeace ein Fünftel seiner E-Autos selbst zugelassen haben.
Fast alle Automultis pushen das E-Auto und distanzieren sich medial vom »Verbrenner«4: »Daimler und Mercedes-Benz, die Erfinder des Automobils, entwickeln keine neuen Verbrennungsmotoren mehr« (FAZ, 17.12.20), dasselbe bei Audi (FAZ, 16.3.21). Der Continental-Chef kündigte an, in den nächsten Jahren keine Hochdruckpumpen und Injektoren für Benzin- und Dieselmotoren mehr herzustellen. Toyota baut in Japan eine »Woven City«, wo alles mit allem klimaneutral vernetzt und das E-Auto ein entscheidendes Puzzleteil sein soll. Auch Paris und Singapur planen die Umstellung auf »autonome Systeme« mit dem E-Auto im Zentrum. Automultis wollen zu »Mobilitätskonzernen« werden (man kauft kein Auto, sondern mietet sich ein »Mobilitätspaket«), »Start-ups« rechnen sich Chancen aus und werden über Börsenspekulation (USA) oder Staatsgeld (China) in den Markt geschoben.5 Volkswagen und Bosch gründen neue Software-Unternehmen, weil »Software« neben der Batterie die neue »Kernkompetenz« bei E-Autos sei. Sie rechnen der Batterie 40 Prozent der Wertschöpfung zu und der Software in Zukunft 60 Prozent. Es wäre allerdings nicht das erste Mal, dass sie sich verrechnet haben.
Der chinesische Staat schreibt vor, dass zehn Prozent der verkauften Autos eines Unternehmens Elektroautos sein müssen. Die Quote soll jedes Jahr um zwei Prozent steigen – das hetzt die deutschen Multis mit ihrer Abhängigkeit vom chinesischen Markt.
Das E-Auto bringt keine ökologische Erneuerung
Es gibt inzwischen sehr saubere Dieselmotoren mit einer nahezu vollständigen Stickoxid-Reduktion (der Motor soll sogar die Luft reinigen, wenn man bei ungünstigen Wetterverhältnissen unterwegs ist). Doch bei den neuen EU-Abgasgrenzwerten geht es nur am Rande um bessere Luft – sie sollen vor allem den Absatz ankurbeln.
Subventionen für E-Autos und Gesetze täuschen das »Green« im »Deal« nur vor: Ein Konzern, der viele auf dem Papier als »emissionsfrei« geltende Elektroautos verkauft, kann im Gegenzug mehr schmutzige Verbrenner (vor allem SUVs) absetzen; denn anstatt Grenzwerte für die CO2-Emissionen jedes Autos festzulegen, wird mit einer Durchschnittszahl gearbeitet. Zudem können Konzerne CO2-Emissionen kaufen – ein praktisch unreguliertes Schlupfloch. Volkswagen ging zum Beispiel mit verschiedenen Elektroautoherstellern in einen »Pool«. Mit den »Null-Emission«-Autos der anderen Hersteller wird dann der durchschnittliche Flottenverbrauch gedrückt. Die schmutzigsten fünf Prozent dürfen sie rausrechnen, in dem Fall waren das Bentley und Lamborghini. Volkswagen hatte Rückstellungen für CO2-Strafen von mehreren hundert Millionen Euro gebildet – durch »Pool« und Verrechnungen verfehlte man die Vorgaben nur um ein halbes Gramm, was nur 100 Millionen Euro Strafe bedeutete und sich in der Bilanz positiv bemerkbar macht (Auflösung der Rückstellungen). Greenpeace hat ausgerechnet, dass VW in Wirklichkeit 64 Prozent über dem Grenzwert liegt; BMW um 77 Prozent, Daimler um 84 Prozent. Somit müsste VW eigentlich 17 Milliarden Euro Strafe zahlen, BMW und Daimler 5,7 Milliarden. »Nicht geniale Ingenieurskunst hat die märchenhafte CO2-Reduktion ermöglicht, sondern harte Lobbyarbeit.«6
FiatChrysler (FCA) ging mit Tesla in einen Pool, die »Null-Emission«-Teslas wurden mit der Flotte von FCA verrechnet. Somit kann FCA weiterhin straffrei Maseratis verkaufen. Im Gegenzug erhielt Tesla 2019 von FCA fast zwei Milliarden Euro. 2020 nahm Tesla 1,6 Milliarden Dollar aus dem CO2-Handel ein und konnte zum ersten Mal einen Jahresgewinn verbuchen – wenn auch nur von 721 Millionen Dollar. Der »Autokonzern«, dessen Börsenwert höher als der von Volkswagen, Daimler und BMW zusammen ist, macht mit Autos keinen Gewinn. Nun verliert Tesla Marktanteile, muss die Preise senken – und baut trotzdem neue Fabriken.
Auch die Produktion des E-Autos ist keinesfalls »ökologischer«. Sie verbraucht mehr Energie. Der Abbau seltener Erden, von Kupfer, Kobalt und Nickel wird ausgeweitet. In den Graphitminen in China erkranken Arbeiter an Staublunge, Anrainer werden vertrieben. Die Bergwerke sind lebensgefährlich und verseuchen Grundwasser, Böden und Luft.
Die Lithiumproduktion ist Spielball geostrategischer Putschpolitik, das Verhältnis der Autoindustrie zu putschenden Militärs ist entspannt wie in den 70er Jahren. Elon Musk twitterte mit Bezug auf Bolivien, dass er putschen würde, »gegen wen immer wir wollen«. Das ist nicht zu unterschätzen bei einem Kapitalisten, der immer mehr Satelliten im All betreibt.
Angriffe auf die ArbeiterInnen
Vor dem Shutdown im März 2020 hatte es in den USA, Mexiko, Spanien, Italien … Streiks für Gesundheitsvorkehrungen und bezahlte Produktionsstopps gegeben. Bei Wiedereröffnung wurden Maßnahmen eingeführt, damit sich weniger Leute in den Hallen infizieren: Masken- und Abstandspflicht, Trennwände, versetzte Pausen, geschlossene Kantinen, Desinfektionsmittel … Die Büroleute gingen ins Homeoffice. In den Großfabriken wurden »Coronabeauftragte« installiert, die Infektionen nachverfolgen sollen. In den USA versuchten ArbeiterInnen selbst, »Sicherheitskomitees« zu organisieren.
Trotzdem steckten sich viele mit Covid-19 an, teilweise wurden Leute mit Symptomen nicht sofort nach Hause geschickt! Es gibt Betriebe, die Ansteckungen ziemlich genau verfolgen und bekannt geben, andere verschweigen das Ausmaß, teilweise ließen sogar Vorarbeiter verlautbaren, man solle nicht über Infizierte in seiner Nähe reden. In den meisten (Auto-)Fabriken Europas dürfte die Infektionsrate höher liegen als im gesellschaftlichen Durchschnitt.
Global ist die Situation teilweise deutlich schlimmer. In mexikanischen Zulieferbetrieben gibt es fast keine Schutzmaßnahmen. Die Bosse lassen im ärgsten Fall die älteren ArbeiterInnen sterben und stellen jüngere zu niedrigeren Löhnen ein.
Zentralisation und Auslagerung
Zentralisation des Kapitals einerseits, Verlagerung von Produktion andererseits waren immer die Antworten auf den Kampf der Autoarbeiter und die Krise des Autos. Gerade fand der Zusammenschluss des drittgrößten US-Konzerns, des zweitgrößten französischen und des größten italienischen Autokonzerns statt. Am Ende werden über 400 000 ArbeiterInnen jährlich acht bis neun Millionen Autos unter 14 Marken für den Konzern Stellantis (PSA-Opel und FiatChrysler) mit Sitz in Holland produzieren. Die ArbeiterInnen aller Marken wissen, dass die Fusion den Angriff auf ihre Bedingungen verschärft – sie führt die Belegschaften nicht zusammen, eher im Gegenteil werden Betriebe mit völlig unterschiedlichen Lohnniveaus in Konkurrenz zueinander gesetzt (Frankreich, Italien, Deutschland – Polen, Tschechien, Slowakei, Serbien – Marokko…). Während die Peugeot-ArbeiterInnen in Frankreich Überstunden und Wochenendschichten drücken, schieben die letzten Opelaner Kurzarbeit und kriegen ihre Renten gekürzt. Gekündigte könnten um ihre Abfindung gebracht werden: Die eigens für ehemalige Opelaner gegründete Firma Segula weigert sich, ihnen die Opel-Abfindungen zu zahlen.
Jeder große Konzern verlagert gerade verstärkt Fertigungsschritte von Deutschland nach Osteuropa und baut weitere Kapazitäten in den US-Südstaaten auf, z. B. Daimler nach Rumänien (AMG Automatikgetriebe) und Polen (Kurbelwellen, aber auch Batterien), MAN Steyr (Österreich) nach Polen und in die Türkei… Das wird viele kleine regionale Zulieferer hart treffen.
Volkswagen Tennessee hat die Belegschaft in zehn Jahren vervierfacht – der Lohn ist dort halb so hoch wie von Festangestellten in Deutschland. BMW baut mittlerweile alle superprofitablen SUVs im Niedriglohn-Bundesstaat South Carolina und ist größter exportierender Autokonzern in den USA.
Bei Daimler geht es zugleich in die andere Richtung: Der Konzern wird aufgeteilt in PKW und LKW. Das versetzt die Aktionäre in Euphorie (»Innovation!«, »Zukunftsstrategie!«) und die Belegschaften unter verschärften Druck. Denn ob Fusion oder Abspaltung, bei jeder Option müssen ArbeiterInnen gehen.
Auch Einführung und Durchsetzung des E-Autos folgen einer alten Strategie: Zunächst werden über Ausgliederungen und Neugründungen potenziell profitable von weniger und nicht profitablen Geschäftsfeldern geschieden, damit die ArbeiterInnen in Letzteren leichter abgeräumt werden können. Tesla ist dafür ein Beispiel: Im kalifornischen Hauptwerk verdienen Festangestellte rund 16 Euro die Stunde, Fluktuation und chronische Erkrankungen unter ArbeiterInnen sind überdurchschnittlich hoch. Wer in nachbarschaftlicher Entfernung in der alten (gewerkschaftlich organisierten) Busfabrik arbeitet, verdient 59 Euro die Stunde.
Die Einstiegsgehälter bei Tesla in Grünheide sollen nicht so krass weit unter dem Tariflohn liegen, aber das werden wir erst sehen – neben der Infrastruktur werden in Brandenburg auch die Löhne staatlich bzw. von der Arbeitsagentur subventioniert. Gleichzeitig wird das Daimlerwerk Marienfelde totgeschrumpft – und ArbeiterInnen »im besten Alter« nach Grünheide getrieben. Der ehemalige Werksleiter hat bereits bei Tesla angeheuert. Die Zeit fasste die Stellenbeschreibungen für ArbeiterInnen schön zusammen: »Fans für harte Arbeit gesucht« (27.9.20).
Lohnsenkungen durch Betriebsvereinbarungen
Vor »Corona« wurden Betriebsvereinbarungen zur Beschäftigungssicherung oft als »Knebelung des Managements« bezeichnet, die die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt ruiniere. Beim Absatzeinbruch im Lockdown waren diese Betriebsvereinbarungen schnell abgeräumt – nun werden neue geschlossen! Bei Porsche heißt Standortsicherung SOS – das ist schon krampfhaft dreist, denn bei keiner Marke sind Profitrate sowie Prämien und geplante Investitionen pro Beschäftigtem höher. Trotzdem gibt es neue Abstriche bei der betrieblichen Altersversorgung; ab 2022 wird die Betriebsrente auf ein »kapitalmarktorientiertes System« umgestellt.
Bei Daimler gibt es eine neue »Gesamtbetriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung und zur Senkung der Arbeitskosten«. Vorher wurde die Betriebsvereinbarung gekündigt, die betriebsbedingte Kündigungen bis 2030 ausgeschlossen hatte. Stellen werden nicht nachbesetzt. Die 35 000 Bosch-Beschäftigten im Raum Stuttgart bekamen eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. Ähnlich sieht es bei kleineren Zulieferern aus.
In den 1980er und 1990er Jahren wurden über formelle Arbeitszeitverkürzung (35-Stunden-Kampagne, Volkswagens »28,8-Stunden-Woche«) die Bedingungen nachhaltig verschlechtert und die Arbeit intensiviert. Die aktuellen Umbrüche haben mindestens die gleiche Dimension.
Digitalisierung
Die Mehrheit der ArbeiterInnen hat erfahren, dass sie durch »Digitalisierung« mehr Arbeit in derselben Zeit wie vorher erledigen müssen.7 Zum Beispiel hieß »schleifen und polieren« nach dem Lackofen vor zehn Jahren: Schmutz, Rinner usw. wegschleifen und die Stellen aufpolieren. Heute müssen zusätzlich die bearbeiteten Stellen auf einer Bildschirmgrafik am Computer markiert werden. Das ist nicht nur Extraarbeit, sondern man kann auch »getraced«, also »rückverfolgt« werden. Nichts lieben die ISO-Auditoren mehr als Anglizismen, die vernebeln, dass sie Arbeiterwissen stehlen.
Auch die nächste Stufe – der Einbau von RFID-Chips in jedes Teil – dient nicht der Steigerung von Qualität und Effizienz, sondern der Überwachung und Datensammlung. Kontrolleure und Manager brauchen dann nicht mehr in direkten Sichtkontakt mit ArbeiterInnen zu treten, sondern können vom Büro aus den »Status« verfolgen. Auf Basis der gewonnenen Daten spielen sie später mit den Maschinenparametern und mit den Beschäftigten.
Der Angriff auf die Verwaltungsangestellten ist bereits in vollem Gang. Die »Computerisierung« der letzten Jahrzehnte hat auf der Ebene der mittleren Hierarchie rationalisiert und in vielen anderen Bereichen wie Rechnungswesen und Planung Personal reduziert. Der jetzige Angriff ist eine Mischung aus IT-gestützter Verlagerung (in Länder mit niedrigeren Löhnen), Automatisierung und Funktionenhäufung: z. B. wird die zentrale Beschaffung und das Personalwesen nach Osteuropa verschoben. Routinearbeiten sollen von weniger Leuten nebenbei erledigt werden.
Das Ganze wird »integriert« mit Überwachungsprogrammen wie Microsoft Productivity Score. Das Programm schickt Daten zur Nutzung von Outlook, Excel, Powerpoint, Teams usw. an die jeweilige Konzernzentrale. So können Administratoren nachvollziehen, wie lange jemand ein Programm geöffnet hat, welche Daten er aufruft, mit KollegInnen teilt u.v.m.
Die neuen Pkws sind mittlerweile die gleichen Datenkraken wie Lkws und Lieferwagen. Was bei Letzteren schon lange zur Überwachung der FahrerInnen dient (in den USA sollen Amazon-FahrerInnen nun auch gefilmt werden), verkaufen sie dir als (Premium-)Gimmick, der sogar die Sicherheit erhöhe. In Wirklichkeit speichern und benutzen sie deine Stimme, deinen Blick, deine Gesten, deinen (Musik-)Geschmack, deine Kontakte, deine Fahrweise, deine Umgebung, deine Wege und Ziele …
Wo können wir ansetzen?
Die Angriffe auf die Arbeiterklasse haben eine massive Zunahme des Straßenverkehrs gebracht: Aus- und Verlagerungen sowie Just-in-time-Produktion führten zu mehr Lkws auf den Straßen und zu mehr Pendlerei. Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten schaffte die kollektive An- und Abreise größerer Arbeitergruppen mit Bussen und Zügen ab. So zwingen sie dir ein Auto auf – mehr ist vom »Gebrauchswert« nicht übrig geblieben (die vielbeschworene Freiheit der 60er Jahre: mit dem Motorrad durch die USA, mit dem 2CV nach Südfrankreich … heute stehst du im Stau, am Pannenstreifen – oder bist von einer der zahllosen Rückrufaktionen8 betroffen).
Der Privatkonsum am Auto geht seit Jahren zurück und muss mit allerlei Mätzchen hochgehalten werden (Pendlerpauschale <sic!>, Dienstwagen, Leasing, geplanter Verschleiß….). Die wenigsten jungen Leute wollen einen (Neu-)Wagen kaufen; der Individualverkehr an sich steht breiter denn je zur Diskussion.
Die globale Autoindustrie produziert 70-90 Millionen Kfz im Jahr und könnte weit über 100 Millionen herstellen. In die Produktion eines 1,5 Tonnen schweren Pkw fließen 70 Tonnen Material und andere Ressourcen. 15-20 Prozent der CO2-Emissionen entstehen in der Herstellung. Die saubereren Motoren können den Ausstoß nicht kompensieren, wenn die Autos immer schwerer werden und mehr Antriebskraft benötigen.
Eine ökologische Kritik müsste somit vor allem darauf zielen, die jährliche Autoproduktion zu reduzieren, und Grenzwerte für jedes verkaufte Auto festlegen (Gewicht, Verbrauch…). Sie müsste die Arbeitsbedingungen ab der Rohstoffgewinnung offenlegen und alles, was krank macht, sofort abschaffen. Öffentlicher Nahverkehr muss ausgebaut und kostenlos werden.
Alle jetzigen Krisenmaßnahmen zielen auf das Gegenteil, nämlich die Absatzförderung. Und alle Krisenmaßnahmen verschärfen die soziale Ungleichheit und die Klassenunterschiede (die Armen zahlen teureres Gas, teureres Heizöl, teureren Sprit – die Bessergestellten kriegen Steuererleichterungen, gratis Parkplätze, Ladestationen …).
Die Mobilisierungen der ArbeiterInnen (vor allem gegen drohende Werkschließungen) sind bisher mau. Bei Mann+Hummel gab es eine gewerkschaftliche Schweigeminute, Hoffen auf die IG Metall … Auf der Kundgebung gegen die Schließung von Daimler Marienfelde sprach der Betriebsrat von »seelenlosen Managern«, mit denen man »die Zukunft nicht bauen« könne. Bei MAN in Steyr gab es eine gut besuchte gewerkschaftliche Demo durch den Ort. Funktionäre forderten Notverstaatlichung, wollten gegen den Konzern klagen, hoffen jetzt auf Investoren – die Stellen abbauen und Löhne senken. In Brasilien schließt Ford alle Werke, bisher nimmt man nur gewerkschaftliches Rauschen wahr.
Erfrischender war ein Streik bei Toyota in Indien von 3500 Beschäftigten gegen schnellere Taktzeiten und dann gegen Repression. Er ging von November 2020 bis März 2021 und endete mit Zusagen für Wiedereinstellung der Ausgesperrten und Neudiskussion der Taktzeiten unter Einbeziehung von Belegschaftsvertretern. Ende Januar 2021 mobilisierten sich ArbeiterInnen bei Peugeot in Marokko für umfassende Verbesserungen. Kleine Streiks poppen auf: in den USA (Borgers, eine deutsche Firma), in der Türkei (Baldur, ein Daimler-Zulieferer), in Serbien (Magneti Marelli/Fiat Plastic)…
Hierzulande gab es Mobilisierungen im Raum Stuttgart, aber leider nur mit insgesamt 4000 Daimler-Beschäftigten (nur 800 in Untertürkheim – dort arbeiten über 15 000 Leute!). Die ArbeiterInnen lehnen Überstunden in der Produktion der hochprofitablen S-Klasse ab, weil »Millionäre keine Verzögerungen bei der Auslieferung mögen« und das der »Vorstand merkt und es ihm weh tut«. Ende Januar musste Daimler die neuen S-Klassen zurückrufen, weil eine Spurstange falsch verbaut war – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Deutschland- und EU-weit wurden im Januar 2021 etwa ein Viertel weniger Pkw als im Vorjahresmonat produziert und ein Drittel weniger abgesetzt, ähnlich niedrig im Februar. Neben Daimler kündigt auch VW den Abbau mehrerer tausend Stellen an. Sobald es wieder genügend Chips und Nachfrage gibt, will Volkswagen die Produktion hunderttausender Autos nachholen. Vielleicht einer der letzten günstigen Momente für Massenstreiks von AutoarbeiterInnen.
Fußnoten:
[1] Michael Eckstein: Bricht die Versorgung mit Highend-Chips bald zusammen?, 26.2.2021
[2] Ein Professor spricht von der »Batterie-Revolution«: »Tatsächlich hat sich seit der Markteinführung durch Sony im Jahr 1991 die Speicherkapazität, also die Energiemenge, die in einer Lithium-Ionen-Batterie steckt, vervierfacht. Gleichzeitig ist der Preis von Batteriezellen etwa um den Faktor 16 gesunken – und er sinkt weiter, um ungefähr 10 bis 15 Prozent pro Jahr.« Kobalt wird reduziert: »Während die ersten Batterien noch 100 Prozent Kobaltoxid als Speichermedium im Pluspol enthielten, waren es um das Jahr 2000 nur noch etwa 33 Prozent, dann 20 Prozent. Heute werden Batterien mit nur noch 10 Prozent Kobalt im Pluspol angeboten; in den Batterien von Tesla mit ihrem Zellhersteller Panasonic sind es gar nur noch 2,8 Prozent.« Außerdem steige die Reichweite rasant. FAZ, 2.3.2021
[3] Wir erwähnen Hybride in diesem Zusammenhang nicht, weil sie eigentlich nur im Verbrenner-Modus betrieben werden.
[4] BMW steht für die Gegentendenz: »Der Verbrennungsmotor hat eine Zukunft und wird weiterhin eine bedeutende Rolle spielen«, sagt der Werksleiter im österreichischen Steyr. BMW-Chef Zipse will den Kunden die Wahl zwischen Verbrennungs- und Elektromotor lassen. (Johannes Gress: Am Scheideweg, 1.2.2021)
[5] Hier sind vor allem Special Purpose Acquisition Companies (SPACs) zu nennen. Neue Marken werben mit angeblich genialen Ingenieursleistungen und erlangen das Vertrauen von Unternehmen, die schon an der Börse sind. Diese schießen Geld zu. Es wird sozusagen eine »leere Hülle« mit Geld befüllt. Aber diese neuen Marken haben noch gar nie Autos in Massenproduktion gebaut.
[6] Benjamin Stephan, Benjamin Gehrs: Das Märchen vom Klimafortschritt(pdf), März 2021
[7] Im Papyrossa-Verlag ist eine Dissertation zu dem Thema erschienen: Peter Schadt: Die Digitalisierung der deutschen Autoindustrie – Kooperation und Konkurrenz in einer Schlüsselbranche, 2020. Die ersten 150 Seiten Ausführungen zu Marx, Hegel und Heinrich kann man überspringen. Danach arbeitet er auf weiteren 200 Seiten raus: Digitalisierung ist ein Kampfbegriff der Unternehmer. Eigentlich geht es nur um Arbeitsintensivierung. Diese sei notwendig, um in einem nationalen Bündnis profitabler als die Konkurrenz aus den USA und China zu werden. Schöne Hinweise gibt es noch aus Interviews mit Gewerkschaftern und Betriebsräten, die nur bestätigen, wie sehr ihre Organisationen an der Kapitalakkumulation hängen. Interessantes ab S. 146 (Arbeitsintensivierung) und dann wieder ab S. 232 (Gewerkschaft).
[8] Ein Highlight wird Mitte Januar 2021 abermals von Volkswagen vermeldet. Beim neuen Golf 8 fällt der Bildschirm für Navigation und Radio aus. »Jetzt sollen ein neues Steuergerät und ein Softwareupdate helfen.Was im Rahmen der Reparatur dem Vernehmen nach nicht geändert wird oder werden kann, ist der missliche Umstand, dass die berührungsempfindliche Leiste zur Verstellung der Radiolautstärke und der Klimaanlage nachts unbeleuchtet und damit faktisch unbedienbar ist. Der nachträgliche Einbau einer Beleuchtung erscheint offenbar technisch unmöglich oder zu teuer.« (FAZ, 12.1.21)
Der Spiegel (6.2.2021, S. 23) zählte übrigens nach, dass 2019 von 188 gemeldeten deutschen Produkten »mit ernstem Risiko für den Anwender« 183 Fahrzeuge und Fahrzeugteile betreffen.
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