Julian Assange schmort weiterhin im Hochsicherheitsgefängnis in britischer Auslieferungshaft. Die Entscheidung der britischen Innenministerin muss bis 17. Juni fallen. Der neue australische Premierminister könnte intervenieren, aber ebenso sollten endlich auch die Regierungen demokratischer Staaten im Namen der Pressefreiheit ihr Schweigen brechen.
Das jahrelange Tauziehen um die Auslieferung von Julian Assange von Großbritannien in die Vereinigten Staaten geht dem Ende entgegen. Im April 2022 hatte nach zwölf Jahren Hickhack und nach mehreren juristischen Verfahren zuletzt ein britisches Gericht entschieden, dass der WikiLeaks-Gründer ausgeliefert werden könne. Nach diesem Urteil liegt die Entscheidung seither bei der Regierung von Boris Johnson, namentlich bei der britischen Innenministerin Priti Patel.
Patel gilt als Hardlinerin, daher wird erwartet, dass sie zu Ungunsten von Assange entscheidet. Spätestens am 17. Juni soll sich die Ministerin entschließen. Da ihr Votum aber bisher aussteht, haben sich in der Zwischenzeit erneut viele internationale Institutionen und NGOs an sie gewandt. In Deutschland etwa schrieben Bundestagsabgeordnete fraktionsübergreifend einen offenen Brief zur Unterstützung des Inhaftierten. Im Mai erhielt Assange den Günter-Wallraff-Preis, den seine Frau Stella Moris entgegennahm. Sie betonte, wie stark sich die Situation sowohl juristisch als auch gesundheitlich für ihren Mann zuspitze. Auch die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, wandte sich an Patel, sie solle auf eine Auslieferung verzichten.
Weil die US-Gerichte Assange keine hinreichenden Möglichkeiten eröffnen würden, sich gegen die Vorwürfe zu wehren, appellierten zwanzig internationale NGOs an die Innenministerin. Dazu gehörte auch die deutsche Schriftstellervereinigung PEN. Befürchtet wird ein „gefährlicher Präzedenzfall“, der eine Bedrohung für „jeden Journalisten, Verleger oder jede Quelle weltweit“ darstelle. Man schlug der Ministerin ein Gespräch vor.
Doch Patel reagierte auf den Brief in keiner Weise, teilt Reporters Without Borders (RSF) auf Nachfrage von netzpolitik.org mit. Auch eine Petition mit 60.000 Unterschriften ignorierte sie. Als Azzurra Moores, Kampagnenbeauftragte der britischen Sektion von RSF, versuchte, die Namensliste der Petition beim Innenministerium abzugeben, wurde sie mit dem Hinweis weggeschickt, sie könne das per Post senden.
Assange als Gejagter
Julian Assange ist Mitgründer der Plattform WikiLeaks, die Dokumente für alle öffentlich verfügbar macht. Seit 2020 sitzt er im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in britischer Auslieferungshaft. Spätestens seit den geleakten Diplomaten-Depeschen im Jahr 2010, die für die Vereinigten Staaten eine weltweite Blamage bedeuteten, und den Veröffentlichungen über Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak war WikiLeaks und damit auch Assange als Person weit oben auf der Liste der Gejagten.
Mehr als ein Jahrzehnt versucht die US-Regierung mittlerweile, seiner habhaft zu werden. Dem heute Fünfzigjährigen wird im Kern Spionage vorgeworfen, er soll gegen den US-amerikanischen Espionage Act verstoßen haben. Rechtsstaatliche Prinzipien haben die Assange-Jäger dabei zuweilen missachtet, besonders offenkundig, als sie jahrelang seine Kommunikation mit Hilfe einer privaten Sicherheitsfirma abhören und ihn auch in seiner Botschaftszuflucht abfilmen ließen und die Ergebnisse direkt an die US-Behörden gingen. Der ehemalige CIA-Chef Mike Pompeo trachtete ihm gar direkt nach dem Leben. Beides wird aktuell von einem spanischen Gericht untersucht, das auch Pompeo höchstselbst vorgeladen hat.
Ein neuer australischer Premierminister
Die Entscheidung zur Auslieferung steht nun unweigerlich an. Stella Moris formulierte es im Mai in der Sendung BBC HARDtalk so: „Priti Patel hat das Leben meines Mannes in ihrer Hand.“ Die Anwälte von Assange haben bereits klargestellt, dass sie Einspruch gegen eine zustimmende Entscheidung Patels zur Auslieferung einlegen und weiterhin alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen wollen, um ihren Mandanten vor einem Gerichtsverfahren in den Vereinigten Staaten zu bewahren. Dazu könnten sie sich an den High Court of Justice in London wenden oder ihren Fall vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg bringen.
Aber neben dem juristischen Weg kann auch noch ein politischer Entscheider intervenieren: Es ist der neugewählte australische Premierminister Anthony Albanese, der vergangenen Monat sein Amt antrat. Denn Assange ist Australier, entsprechend betrifft sein Fall auch sein Heimatland. Albanese hatte sich vor der Wahl sehr klar für ein Ende der Auslieferungshaft ausgesprochen: „Genug ist genug“, hatte er letztes Jahr gesagt, er könne nicht erkennen, was die Haft Assanges noch bringen solle.
Seine Unterstützung für die Freilassung seines Landsmannes fordern nach der Wahl nun sowohl Parteifreunde als auch politische Gegner ein: Albanese müsse doch nur zum Telefon greifen und Boris Johnson anrufen, dann wäre die Auslieferung erledigt.
Ob Assange am Ende wirklich in die Vereinigten Staaten überstellt wird, ist für sein persönliches Schicksal und für seinen Gesundheitszustand natürlich von großer Bedeutung. Aber über diese persönlichen Folgen hinaus wäre eine Auslieferung ein Fanal für Journalisten und Whistleblower, aber auch für Verleger, politisch Interessierte und letztlich jeden Zeitungsleser. Denn die Botschaft lautet: Wer es Assange nachmacht, unbestritten wahrhaftige Informationen veröffentlicht und Kriegsverbrechen, Folter und Völkerrechtsbrüche aufdeckt, der wird jahrelang verfolgt, verleumdet und regelrecht gejagt mit allen Mitteln, die den Vereinigten Staaten zur Verfügung stehen.
Wer sich dadurch nicht eingeschüchtert fühlt, ist entweder wirklich hartgesotten oder schlicht ignorant. Kritische Berichterstattung darf aber nicht durch Einschüchterung unterdrückt werden. Deswegen müssen zu der Liste derjenigen, die sich für die Freilassung Assanges einsetzen, endlich auch die Regierungen demokratischer Staaten hinzukommen. Deren Schweigen ist ohrenbetäubend – und bedrohlich für die Pressefreiheit in Europa und weltweit. Spätestens am 17. Juni soll Patel entscheiden, die Zeit läuft also ab.
Quelle: https//netzpolitik,org cco Bild: CC-BY-NC-SA 2.0 Antonio Marín Segovia