Verheerend: Das Untersuchungsergebnis der internen Revision der Bundesagentur für Arbeit (BA) wirft kein gutes Licht auf die Arbeit der Jobcenter. In fast allen Bereichen – von der Vermittlung bis hin zu den Widersprüchen – häufen sich die Fehler. Darunter leiden sowohl Hartz IV Bedürftige, die schlecht beraten werden, als auch Steuerzahler. Denn ein Vorwurf lautet, Mittel nicht zielgerichtet einzusetzen – kurzum: Es wird Geld verschwendet.
70 Seiten Schelte für die Sachbearbeiter
70 Seiten umfasst der Bericht der internen Revision mit dem Titel „Vertikale Revisionen im Jahr 2020. Zusammenfassung der gE-Ergebnisse auf Bundesebene“ (gE = Gemeinsame Einrichtung(en) nach § 44b SGB II) Die Ergebnisse sind erschreckend und hätten in der freien Wirtschaft gravierende personelle Folgen. In den Jobcentern muss offenbar niemand Konsequenzen fürchten.
Gesamtnote: ungenügend
Die Liste der Bereiche, in denen sich laut interner Revision „ein dezentraler Handlungsbedarf ergibt“, ist lang. Bereits die Zusammenfassung liest sich wie ein Zeugnis mit der Gesamtnote „ungenügend“. Es gibt kaum einen Aspekt, in dem auch nur ein Hauch von Silberstreif am Horizont zu sehen ist.
Viele Jobcenter sind mit den Hartz IV Regeln überfordert
Beschäftigungsorientiertes Fallmanagement
Im Bereich „beschäftigungsorientiertes Fallmanagement“ heißt es im Report: „Das Handeln […] war in mehr als der Hälfte der Fälle nicht zielführend.“ Untersucht wurden in diesem Teilbereich die Daten von 804 Kundinnen und Kunden der Jobcenter. In 450 der Hartz IV Fälle hagelte es Kritik.
Mangelnde Kontaktdichte
Zum einen wird die Kontaktdichte bemängelt. Entweder wurden keine Gespräche geführt (25 Fälle) oder man hat zwischen den Gesprächen zu viel Zeit verstreichen lassen. Zum anderen wurden die Handlungserfordernisse nicht bearbeitet. Heißt: Man hat zum Beispiel vergessen, die Leistungsfähigkeit zu klären. Und: Die Sachbearbeiter haben in über 20 Prozent der Fälle nicht nachgeprüft, ob Vereinbarungen eingehalten wurden.
Fehlerhafte Dokumentation
Darüber hinaus gibt es in diesem Segment eine Vielzahl weiterer „Auffälligkeiten“. Die Spanne reicht von der fehlenden Dokumentation (90 Prozent der Fälle) über fehlende Hinweise auf unterstützende Angebote (über 20 Prozent) bis hin zu Fehlern bei den Folgegesprächen (ein Drittel).
Bewerberorientierte Integrationsarbeit
„Keine zielführende Integrationsarbeit“ lautet das Urteil in 43 Prozent der Fälle im Bereich „bewerberorientierte Integrationsarbeit. Auch hier sind es die Handlungserfordernisse, die Kontaktdichte und das Nachhalten seitens der Jobcenter, die von der internen Revision moniert werden.
Eingliederungsleistungen
Besonders hoch ist die Fehlerquote im Bereich Eingliederungsleistungen. Der Bericht erklärt hierzu: „Bei der Gewährung von Eingliederungsleistungen wurden sowohl beim zielgerichteten Produkteinsatz als auch bei der Betreuung von Kundinnen und Kunden im Verlauf und nach dem Ende von Maßnahmen die höchsten Fehlerwerte seit Einführung dieses Prüfungsansatzes im Jahr 2017 festgestellt.“
Zahlungen werden nicht begründet
Der Teilaspekt „zielgerichteter Produkteinsatz“ weist in 37 Prozent der Fälle – untersucht wurden 1.820 Vorgänge – Fehler auf. In den meisten Fällen fehlt eine Begründung, warum zum Beispiel Einstiegsgeld oder Leistungen aus dem Vermittlungsbudget gewährt wurden.
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Unzureichende Betreuung
Negativ fällt die Bewertung auch hinsichtlich der effektiven Betreuung aus. In 471 von 1.000 Fällen wurden Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht ausreichend betreut. Es gab am Ende der Förderung keine Gespräche und oft auch keine Vermittlungsaktivitäten.
Widerspruchsverfahren
„Im Bereich des Widerspruchsverfahrens besteht dezentraler Handlungsbedarf bei der Prozesseffizienz und Prozesseffektivität“, so der Bericht. Unter die Lupe genommen wurden 234 Widerspruchsverfahren. Hier nur einige der Mängel:
Zu lange Bearbeitungszeit
In 36 Prozent der Fälle hat man betroffenen Hartz IV Bedürftigen keine Chance gegeben, sich zu unbegründeten Widersprüchen zu äußern. 67-mal dauerte die Entscheidung über den Widerspruch mehr als drei Monate. Bei 71 von 232 Widerspruchsbescheiden fehlte der erforderliche Postausgangsvermerk
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Arbeitslosengeld II
Immerhin: Die Fehlerquote beim Arbeitslosengeld II oder schlicht Hartz IV sank auf 6,0 Prozent. Doch auch hier besteht Handlungsbedarf. Das gilt unter anderem für die formelle Richtigkeit von Aufhebungsbescheiden. Besonders hoch war die Fehlerquote bei Neuanträgen. Sie lag bei 21 Prozent, weil das Abgabedatum nicht mehr nachvollziehbar oder nicht zutreffend war.
Enormer Handlungsbedarf
Lässt man das Zahlenwerk auf sich wirken, erhärtet sich der Eindruck, dass viele Jobcenter entweder nach Gutdünken arbeiten oder keine Ahnung von Hartz IV und den entsprechenden Gesetzen haben. Beides wäre fatal. Vor allem aber: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich mit der Einführung des Bürgergelds etwas ändert, ist eher gering. Vielmehr droht noch mehr Chaos, wenn plötzlich neue Regeln gelten.
Der Beitrag erschien am 25.07.2022 auf https://www.hartziv.org/ Bild: pixafuel cco hartz-4-gd685f585b_640.jpg