Wie Protest platt gemacht wird

Ende August fand in Köln das Protestcamp „Rheinmetall entwaffnen“ statt, das abschließend mit der Friedensbewegung vor Ort den Antikriegstag begehen wollte. Die Polizei ließ das aber nicht zu.

Wie mittlerweile auch aus der überregionalen Presse bekannt ist, setzte die Polizei bei der Demo am 30.8. massive Gewalt ein und beendete den Protest, weil es, so die verbreitete Sprachregelung, zu „Ausschreitungen“ gekommen war (Kölner Stadtanzeiger, 1.9.).

Die Initiative IVA war mit einigen Leuten vor Ort und hat Augenzeugenberichte zusammengestellt, die hier wiedergegeben werden. IVA wirkt in der gewerkschaftlichen Basisinitiative „Sagt NEIN! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden“ mit, die sich an Protestaktionen wie dem Kölner Camp beteiligt und dabei ihre eigenen Vorstellungen in den Protest der Friedensbewegung einbringt; sich z.B. dezidiert von der Befürwortung maßvoller Aufrüstung absetzt, wie sie der DGB im diesjährigen Aufruf zum Antikriegstag vorgegeben hat.

Protest zum Risiko machen

„Sagt NEIN!“ bot beim Protestcamp „Rheinmetall entwaffnen“ einen eigenen Workshop an. Das Camp, das vom 26. bis 31. August in Köln stattfinden sollte (mit Abschlussveranstaltungen am 30.8.), wurde zunächst von der Polizei verboten, dann aber last minute – nachdem alle in der Stadt von dem potenziell gewalttätigen Charakter der Zusammenkunft erfahren hatten – von der Justiz freigegeben. Als Verdachtsgrund war von der Polizei z.B. allen Ernstes die auf der Vorbereitungskonferenz plakatierte Parole „Krieg dem Kriege“ (ein Tucholsky-Zitat) angeführt worden. Das zuständige Oberverwaltungsgericht ließ solche weit hergeholten Bedenken erst einmal nicht gelten.

„Sagt NEIN!“ konnte somit in Köln am 27. August seinen Workshop „Wer entwaffnet Rheinmetall…?! Von der Analyse zur Meuterei“ durchführen (näheren Informationen dazu finden sich bei IVA unter Termine, das gesamte Programm ist auf der Website des Camps einsehbar). Der Workshop versah die anspruchsvolle Entwaffnungs-Losung des Camps mit einigen Anfragen und machte auf den hiermit gegebenen Diskussions- und Aufklärungs-bedarf aufmerksam. Die Diskussion ist in Teilen auf der Website von „Sagt NEIN!“ verfügbar und ist jetzt auch bei 99zu1 https://www.youtube.com/watch?v=1PP7cHeNu3Y greifbar. Weiteres aus und zu dem Workshop soll demnächst folgen. Über 100, vor allem junge Teilnehmer kamen dort zusammen, wobei in der Diskussion klar wurde, dass es dringend notwendig ist, kritische Positionen zur stattfindenden Aufrüstung in die – von nationaler Parteilichkeit bestimmte – Öffentlichkeit zu tragen, z.B. in die Öffentlichkeit der Domstadt anlässlich des vom DGB traditionellerweise ausgerufenen Antikriegstags.

Das sollte am Samstag, dem 30. August, im Vorgriff auf den Traditionstermin am 1. September, in der Kölner Innenstadt geschehen. Gemeinsam mit der Friedensbewegung vor Ort waren eine Demo bzw. „Parade“, Kundgebungen und ein Abschlussprogramm geplant. Doch daraus wurde nichts. Die Kölner Polizei, die ja das Camp schon hatte verbieten lassen und erst durch den Beschluss des Münsteraner OVG dazu gezwungen wurde, die Durchführung zuzulassen, schlug wieder zu. Der Auftakt mit Reden aus der Friedensbewegung auf dem Kölner Heumarkt durfte gerade noch stattfinden, doch als die Demonstranten losgehen wollten, untersagte die Polizei das, verlangte die Einhaltung diverser Auflagen, verzögerte den Ab- bzw. Weitermarsch um Stunden und beendete dann nach stundenlanger Einkesselung den Demonstrationszug, an dem wohl zeitweise über 3000 Personen teilnahmen.

Der Chlodwigplatz und andere Stellen in der Stadt, wo Abschlusskundgebungen stattfinden sollten, wurde gar nicht mehr erreicht. Wer clever und ortskundig war, machte sich rechtzeitig aus dem Staub, bevor er stundenlang irgendwo in der Sommerhitze ausharren musste. Die Presse, so das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) noch am selben Abend, wusste natürlich gleich Bescheid (wobei sich der WDR bei der Beurteilung um etwas mehr Ausgewogenheit bemühte, Express und Kölner Stadtanzeiger am 1.9. aber dem RND folgten). Es war laut RND zu den üblichen „gewaltsamen Auseinandersetzungen“ gekommen. „Die Versammlung des Bündnisses ‚Rheinmetall entwaffnen‘ sei am Samstagabend“, so wurden die Mitteilungen der Polizei übernommen, „nach Angriffen auf Beamte und wiederholten Verstößen gegen das Versammlungsrecht gestoppt worden“. Mittlerweile kann man in der linken Gegenöffentlichkeit (in der Jungen Welt, im Neuen Deutschland oder in Videoaufzeichnungen bei Youtube) Genaueres über den Ablauf der „Auseinandersetzungen“ erfahren. Das soll hier nicht wiederholt, sondern nur durch einige Augenzeugenberichte von Personen, die den Demonstrationszug miterlebten, ergänzt werden. Die Berichte sind natürlich als subjektive Statements spontan unterm Eindruck des Erlebten abgefasst (die juristische Auseinandersetzung wird auf einer anderen Ebene laufen) und aus verständlichen Gründen anonymisiert.

Sonnabends vorm Antikriegstag

H & M: Wir waren fast pünktlich um 13.30 Uhr auf dem Kölner Heumarkt, wo die Kundgebung des Kölner Friedensbündnisses stattfinden sollte und in der Tat auch beginnen durfte – eingekreist und mit allerlei Gerätschaften beobachtet von einem martialisch, in verschiedenen Kampfmonturen verkleideten, teils auch vermummten Aufgebot der Polizei, mit Helmen, Funkgeräten, Auf- und Abmarschieren, Näherrücken und wieder auf Distanz gehen etc. Tausende Demonstranten, vor allem die jungen Leute aus dem Camp, verharrten diszipliniert, aufgestellt in Blocks oder mit Transparenten, riefen Parolen, hielten ihre Schilder hoch. Wir haben keinen einzigen gesehen, der vermummt war (außer einer etwas Hidschab-mäßig gekleideten jungen Frau) oder der mit aggressiven Posen auf die äußerst bedrohlich wirkende Polizei-Umkreisung reagiert hätte.

Dann begannen die Schikanen der Polizei, die den Abmarsch elend lang verzögerten (damit natürlich schon das ganze vorgesehene Programm in Frage stellten). Immer wieder kamen polizeiliche Durchsagen, erst müssten alle Metallstangen aus den Transparenten entfernt werden; dann ging es um Holzlatten; dann wurde ein Verbot von Vermummung ausgesprochen; dann wurde „Vermummung“ präzisiert – Kopfbedeckung mit Sonnenbrille (an einem heißen Sommertag sowieso eine Selbstverständlichkeit) in Verbindung etwa mit einem Halstuch, das den Mund bedeckt, fiel also schon unters Polizeiverbot. Wo wir standen, konnten wir die Durchsagen der Veranstalter nicht verstehen, nur die bollernden Aufrufe der Polizei. Die jungen Leute warteten erstaunlich geduldig. Die Deeskalationsspezialisten (die das Camp zahlreich organisiert hatte) erklärten auf Nachfrage, die Polizei habe wieder da und dort etwas Unzulässiges entdeckt. Aber gleich ginge es los! Sie bemühten sich also erkennbar um Deeskalation.

Dann durften wir sogar losmarschieren. In den zwei Stunden, in denen wir etwa die Hälfte der geplanten Demonstrationsstrecke bewältigten, kam es aber immer wieder zum Stillstand – eine halbe Stunde warten, wieder ein paar Meter gehen, begleitet auf beiden Seiten von den Trupps in Kampfmontur. Diese kamen mal näher, inspizierten hier und da, gingen wieder auf Distanz, stellten sich mal in Einfahrten, mal an die Bordsteinkante, holten Verstärkung hinzu, gingen auf und ab, beobachteten die Demonstranten, die in keiner Weise aggressiv reagierten. Am Ende erlebten wir dann, wie ein Greiftrupp der Polizei in einen der Blocks hinter uns eindrang, anscheinend um irgendjemand abzuführen. Die Deeskalationsspezialisten rieten uns als alten Leuten, besser weiter nach vorne zu gehen, wo wir von den Hotspots entfernt wären. Dabei gingen wir ein ganzes Stück vor den „radikalen“ Blocks, die die Polizei vor allem auf dem Kieker hatte, und bekamen nur am Rande mit, dass dort schon das eine oder andere ‚los war‘. Als wir im „Sagt NEIN!“-Block noch darüber diskutierten, ob wir uns durch das Absetzen nicht unsolidarisch zeigen würden, ging es weiter – und wir erreichten endlich das Rheinufer.

Dort wieder ein riesiges Aufgebot an Polizeitrupps und -fahrzeugen. Gerade am Rhein angekommen, herrschte dann wieder Stillstand. Die Clownstruppe, die mit lustigem Marschschritt hinter einer Polizeimannschaft hinterherdackelte, wurde von den Polizisten aggressiv angegangen. Wir riefen laut dazwischen, um andere Leute darauf aufmerksam zu machen. Das ging noch einmal gut. Aber hinter uns rückten dann Polizisten immer näher an den Demozug, ein Block wurde ins Visier genommen, dort zündete jemand einen Rauchtopf oder ein bengalisches Feuer und die Polizei schlug zu, so weit wir das erkennen konnten. Wir waren bedient, nach geschlagenen vier Stunden in der Hitze und noch weite entfernt vom Zielort machten wir uns auf und konnten, während uns auf der Rheinuferstraße eine Kolonne von Einsatzkräften mit Blaulicht entgegen kam, der Einkesselung entgehen. Das Glück hatten andere, wie wir später erfuhren, nicht.

Zu unserem persönlichen Hintergrund: Wir beide sind über 70, haben seit den legendären 1960er Jahren, seit den damaligen Ostermärschen und dem nachfolgenden antiautoritären Protest, als uns das Einhalten der polizeilich vorgegebenen Routen zu doof wurde, viel an Demos und Polizeigewalt erlebt. Unvergessen 1968 der Sternmarsch in Bonn gegen die Aufnahme der Notstandsgesetze ins Grundgesetz, als wir die beschauliche Kleinstadt am Rhein besetzten, aber auch wieder brav abmarschierten (was uns damals aufregte, dass nämlich die Demokratie mit Notstandsrecht regiert, wurde übrigens 50 Jahre später von den Querdenkern entdeckt, die dann bescheuerterweise mit dem Grundgesetz in der Hand bei ihren Demos auftraten). Seit dem Jahr 2022 sind wir wieder zu Ostermärschen und Friedensdemos gegangen – meist friedliche Rentnertreffs, wenn man nicht gerade von ukrainischen oder proisraelischen Nationalhelden provoziert wurde. Erfreulich, dass langsam auch jüngere Leute zusammenkommen, um wie jetzt etwa auf dem Kölner Camp darüber zu beratschlagen, was sie vom neuen Kurs der Kriegsvorbereitung zu halten haben. Und erfreulich, dass sie wie der damalige Protestsänger Bob Dylan zu dem Schluss kommen: „It ain’t me, babe, no no no“. Also: ich bin’s nicht, Tussi, der eure Kriege führt, macht euren Scheiß doch alleine o.s.ä. Bei so viel Ohnemicheltum muss natürlich die Polizei einschreiten, bevor sich die irregeleiteten jungen Menschen der Kriegsertüchtigung komplett entziehen.Und wenn sie sich nicht gleich mit Gewalt widersetzen, muss man diese eben provozieren und herbeiprügeln. Köln war dafür ein Lehrstück.

Ein unvergessliches Erlebnis

XY: Ich war zusammen mit den Leuten von „Sagt NEIN!“ auf der Demo. Als nach vier Stunden am Rheinufer die ersten ausstiegen, blieb ich dabei, dachte, es geht sowieso zum Chlodwigplatz, also Richtung Zuhause, und der größte Stress ist überstanden. Doch das war ein Irrtum, jetzt ging es erst richtig los. All die Dinge, die H & M beschrieben haben, eskalierten in einer Weise, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Wir bogen, nachdem der Trubel am Rheinufer sich gelegt hatte, endlich in eine Seitenstraße Richtung Innenstadt. Doch dann kam wieder ein Stopp. Der Demozug wurde hinten und vorne von der Polizei abgeriegelt, und so blieb es die ganze Zeit. Wir waren relativ an der Spitze, bekamen zunächst von der großen Menge, die hinter uns marschierte, nicht viel mit, nah dran waren wir an einem „roten“ Block, den die Polizei wohl von Anfang an im Visier hatte. Dann rückten Polizisten auf beiden Straßenseiten vor, in voller Kampfmontur, teils schon mit Helmen und vermummt, standen uns hautnah gegenüber, stellten sich auf der Bordsteinkante uns gegenüber, reagierten auf keine Ansprache oder Nachfrage, was hier geplant sei und warum es nicht weitergehe. Dann im Block hinter uns Geschrei, bei allen Uniformierten Helme runter, Trupps drangen in den Demozug ein, ein riesiger Tumult, Polizisten sprangen auf einen hinteren Demo-Wagen, der anscheinend als Störfall ausgemacht war (angeblich mit „waffenähnlichen“ Gegenständen bestückt, wie man nachher aus der Presse erfuhr), schlugen zu, griffen sich Leute, es gab Verletzte, Sanitäter tauchten auf, wurden teilweise an Hilfe gehindert, teils wurde blutverschmierte Demonstranten weggetragen. Das war keine Reaktion auf Unruhe oder Tumult im Zug, sondern ein organisierter „Überfall“. Der ganze hintere Teil der Demo war eingekesselt, die enge Straße dafür natürlich ideal. Der Lautsprecherwagen, der vorne die Demo anführte, rief verzweifelt die Polizei dazu auf, zu deeskalieren und einen Ansprechpartner zu benennen: Es gebe nur das Interesse, die Demo zum Kundgebungsort zu bringen. Wir überlegten uns, ob wir die Möglichkeit nutzen sollten, uns nach vorne aus der engen Straße zu verkrümeln, entschieden aus dann aber dafür, zu bleiben und den hinteren Teil der Demo nicht allein zu lassen. So bildeten wir auch einen Kessel um die Polizisten, die dann aber für Nachschub sorgten und auch wieder vorne vor dem Demowagen auftauchten.

Das Ganze stagnierte, die beklemmende Lage dauerte Stunden, bis kurz vor 21 Uhr (die hinten Eingekesselten mussten dann noch bis in die frühen Morgenstunden ausharren, wie wir später erfuhren). Es war unerträglich, Hitze, Durst, Lärm und keine Toiletten standen zur Verfügung. Vom vorderen Demo-Wagen wurden alle juristischen Möglichkeiten durchgespielt, es wurde nach Polizeiverantwortlichen gerufen; da angeblich kein Ansprechpartner mehr zur Verfügung stand, wurde um die Nennung neuer Zuständiger gebeten. Die Versammlung wurde von den Veranstaltern aufgelöst und eine neue angemeldet – alles verzweifelte Versuche, so wie ich das verstanden habe, um aus der unerträglichen Situation herauszukommen. Die Demoleitung bat spätestens bei Einbruch der Dunkelheit nur noch darum, die Leute nachhause und zurück zum Camp gehen zu lassen. Keine Reaktion der Verantwortlichen, in der Ferne dagegen neuen Mannschaftswagen, die mit Blaulicht heranrückten, immer neue Uniformierte tauchten auf. Wie gesagt, gegen 21 Uhr dann der Aufruf der Polizei, die Demonstranten sollten das Gelände verlassen, wer bliebe, würde festgenommen oder bis zur Überprüfung festgesetzt. So entkam ich mit Mühe und Not dem Desaster.

Was knapp drei Stunden lang in der engen Straße lief, krieg ich nicht mehr alles auf die Reihe. Ich war am Ende meiner Kräfte. Doch eine Sache war bemerkenswert, half uns auch, die Zeit zu überstehen: Das war die Unterstützung durch die Anwohner. Die bekamen von ihren Fenstern und Balkons natürlich alles mit und konnten (wer hat heute kein Handy?) die Vorgänge filmen oder fotografieren. Die Polizisten drangen teilweise in die Wohnungen ein, bezogen auf Balkons Beobachtungsposten, als ob sie noch nicht genug von der Demo erfasst hätten. Wir protestierten lautstark, forderten die Anwohner auf, das nicht zuzulassen. Das zeigte teilweise Wirkung. Es gab nicht nur verbale Solidaritätsbekundungen, sondern auch praktische Hilfe von Anwohnerseite. Wasserflaschen wurden aufgefüllt, Chipstüten wurden herabgeworfen. Die Polizei kümmerte sich nicht um unsere Versorgung (wir waren immerhin seit 13.30 unterwegs), aber ein Anwohner besorgte, wohl in Absprache mit der Demoleitung, in einem Einkaufswagen Wasserflaschen für uns, die er an der Demospitze abstellte – woran sich dann unverschämterweise auch Polizisten bedienten.

Mein persönliches Fazit: Ich bin über 60, habe keine große Demoerfahrung, weiß natürlich, was abgeht – welcher Zeitungsleser weiß das nicht? Lützerath war ja die letzte große Aktion in unserer Umgebung, wo man ein Riesenaufgebot der Polizei mit allen Schikanen und Übergriffen erleben konnte. Aber eine Friedensdemo, die es erkennbar nicht auf Besetzungen, Sachbeschädigungen, Blockaden oder auf Schlägereien abgesehen hatte, die sich nur in der Stadt mit ihrem Antikriegsprotest laut und deutlich bemerkbar machen wollte, derart in eine Falle laufen zu lassen – das hätte ich nicht erwartet. Denn so muss man sich die Sache ja erklären: Stundenlang die Demoleute reizen, bis die Ängstlichen und Vorsichtigen abgezogen sind und man einen passende Örtlichkeit gefunden hat, um richtig brutal zuzuschlagen – das war das Programm. Vielleicht hatten wir mit unserem Demozug sogar noch Glück im Unglück: dass nämlich die Anwohner und ebenfalls die älteren (nicht aus dem Camp stammenden) Friedensdemonstranten, die bei der Stange geblieben waren, alles beobachten konnten. So hatten die Einsatzkräfte dann wohl doch gewisse Hemmungen, ihrer Gewaltbereitschaft freien Lauf zu lassen (später wird bekanntlich alles publizistisch aufgearbeitet und da muss ein Einzelner sich schon mal vor Gericht verantworten).

Wie es losging und abrupt endete

M+T: Schon vor Erreichen des Heumarktes, wo die Auftaktkundgebung stattfand, fiel uns auf, dass sich die EinsatzbeamtInnen im Erscheinungsbild deutlich von den z.B. beim Bonner Ostermarsch eingesetzten PolizistInnen unterschieden: Sie trugen Helme mit Nackenschutz, waren unter dem Helm teilweise mit Sturmhauben maskiert, trugen schwere Schienbeinschoner und zusätzlich zu dieser „Schutzbewaffnung“ ein vollständiges Arsenal aktiv einsetzbarer Waffen. Am sichtbarsten der Stoß- und Schlagknüppel. Na gut, wir dachten uns nichts weiter dabei, weil der Aufruf von „Rheinmetall Entwaffnen“ nichts enthielt, was auf Widerstand gegen die Staatsgewalt hindeutete. Im Gegenteil wurde dort der Anwendung von Gewalt mehrfach widersprochen: „Solidarität und Zusammenhalt statt Angst und Gewalt.“ „Wir sind das Gegenkonzept zu Gewalt und Gehorsam.“ Im Aufruf war von „Konfettikanonen, Musik und Gesängen“ die Rede. Auch dass zu einer – wie es sich fürs CSD- und Karnevals-Köln gehört – „Parade gegen den Krieg“ aufgerufen wurde, sollte wohl verdeutlichen, dass die Demo nicht auf Krawall gebürstet ist.

Auf dem Heumarkt angekommen stellten wir fest, dass die Stimmung auf dem Platz der Ankündigung im Aufruf entsprach: Eine Kabarettgruppe spielte Sketche, die Kardinal Woelki, Frau Baerbock oder die Bundeswehr im Allgemeinen aufs Korn nahmen. Eine Sambagruppe trommelte ihre Rhythmen. Eine Clownsgruppe trieb Schabernack. Langsam füllte sich der Platz, weil nun auch die Leute aus dem Friedenscamp dazu stießen. Die Polizei war in Kampfmontur rund um den Platz in beweglichen Gruppen zu ungefähr 10 Beamtinnen aufgestellt bzw. unterwegs. Nach einiger Zeit fragten wir uns aber, warum es nicht endlich losging. Irgendwann drang durch, dass es die Polizei war, die das Loslaufen der Demonstration verhinderte. Das Geschehen auf dem Platz bot hierfür allerdings keinen Anlass. Die Demoleitung bat die Polizei mehrfach, uns doch einfach loslaufen zu lassen. Was war die Begründung für die Blockade durch die Polizei?

Inzwischen hatte sich eine der – disziplinierter organisierten – Gruppen jüngerer TeilnehmerInnen ganz in unserer Nähe eingefunden. Sie trugen schwarze Mützen und rote Schals und waren einheitlich gekleidet. Auch sie trugen Schilder und Transparente und riefen Parolen, wie etwa: „Wir sterben nicht in euren Kriegen.“ Nach einer Weile näherte sich dieser Gruppe von hinten ein Einsatzfahrzeug der Polizei. Aus dem Fahrzeug tönte in größter Lautstärke eine Durchsage mit folgendem Inhalt: Im Demonstrationszug befänden sich Metallstangen, an denen Fahnen und Transparente befestigt seien. Diese Metallstangen seien ein Verstoß gegen die Demonstrations-Auflagen und aus der Demonstration zu entfernen. Vorher könnte der Zug nicht loslaufen. Überdies würden einige Teilnehmende Schlauchschals tragen, die zur Vermummung geeignet (!) wären. Auch dies verstoße gegen das Versammlungsrecht. Die Demonstration dürfe erst loslaufen, wenn nicht mehr gegen das Versammlungsrecht verstoßen werde.

Wir schauten uns daraufhin die Transparent- und Schilderstangen näher an. Neben hölzernen Dachlatten und Kunststoffstangen konnten wir lediglich einige dünne und biegsame Aluminiumstangen erkennen, mit denen Fahnen geschwenkt wurden, jedenfalls keine Eisenstangen. Die roten Schals waren tatsächlich Schlauchschals, die man über Mund und Nase ziehen kann, wenn man dies möchte. Das Gesicht kann man freilich mit jeder Sorte Schal verdecken. Und tatsächlich war in einer anderen Durchsage davon die Rede, dass einige Teilnehmende „zu lange“ Schals trügen. Waren die Pali-Tücher gemeint? In einer nächsten Durchsage wurde das Tragen einer Coronamaske bemängelt. Und tatsächlich haben wir eine Person mit einer solchen Maske gesehen!

Wir fragten uns da schon, was der Zweck dieser Durchsagen sein könnte – wenn nicht planvolle Behinderung der Veranstaltung. Ohne dass uns aufgefallen wäre, dass eine „Metallstange“ oder ein Schlauchschal oder ein anderer Gegenstand durch DemonstrantInnen der Polizei übergeben wurde, konnten wir mit großer Verspätung dann doch loslaufen. Der Zug wurde von EinsatzbeamtInnen begleitet. Die erwähnte Gruppe der jüngeren Teilnehmenden lief etwa 50 Meter hinter uns. Diese Gruppe wurde sehr eng – richtig im Sandwich – von den Uniformierten eskortiert. Aber nach einigen hundert Metern, wurde der Zug erneut angehalten. Und es war wieder nicht klar, was los war. Ein Mitglied der „Deeskalations“-Gruppe teilte uns mit, es habe eine Durchsage der Polizei gegeben, wonach ein Transparent um eine Stange geknotet worden sei. Dies müsse herausgegeben werden, bevor der Zug fortgesetzt werden könnte – verstehe das, wer will! Auch hier ging es dann nach geschätzten 45 Minuten in extrem langsamem Tempo weiter, ohne dass klar wurde, warum das jetzt auf einmal möglich war. Wir befanden uns in dieser Situation unmittelbar vor der Gruppe, für die sich die Polizei besonders interessierte.

Auf der Rheinuferstraße angelangt, kam der Zug nach kurzem Marsch wieder zum Stehen. Wir wussten nicht, warum wir erneut angehalten wurden. Auch hier standen wir wieder ungefähr eine halbe Stunde herum, während die Polizisten uns und insbesondere die jungen Leute hinter uns aufmerksam beäugten. In dieser Situation stiegen aus dieser Gruppe drei Rauchsäulen in den Farben der palästinensischen Flagge auf. Nach unserer Beobachtung wurden keine Pyroraketen gezündet, sondern lediglich Rauchtöpfe. Dies nahm die Polizei zum Anlass, der betreffenden Gruppe vollends auf die Pelle zu rücken. Dass eine Einkesselung bevorstand, war absehbar. Ebenso, dass die Demo damit ihr Ende haben würde. Und so verließen wir gegen 17.30 Uhr das Geschehen, weil uns nach über drei Stunden des Stehens und langsamen Gehens zudem der Rücken weh tat.

Fazit: Längst vor der Rauchtopfaktion war deutlich geworden, dass Bewaffnung und Betragen der Polizei die Demonstration nicht lediglich behindern sollten, sondern von dem Willen getragen waren, sie zu verhindern. Ohne die Störungen durch die Einsatzkräfte hätte eine Antikriegsdemonstration stattgefunden, nichts weiter. Offenbar sollen aber Inhalte, die sich gegen Krieg und Kriegsvorbereitungen aller Art – Aufrüstung, Militarisierung der Gesellschaft, Wehrpflicht – richten, marginalisiert werden.

 

 

 

 

 

Bild: Demo-Koeln-30-8-25.jpg