Drohnen, die uns Pakete liefern, menschenleere, automatisierte Fabriken und intelligente Software, die verlässliche medizinische Diagnosen erstellt: Das sind Zukunftsszenarien einer digitalisierten Arbeitswelt, die aktuell Expert*innen rund um den Globus beschäftigen. Arbeit 4.0 lautet das Schlagwort, unter dem die Diskussion um den technologischen Wandel im deutschsprachigen Raum geführt wird. Eine vierte industrielle Revolution sei angebrochen, impliziert das Konzept. Lernende Maschinen, Roboter und eine fortschreitende Vernetzung sämtlicher Lebensbereiche seien nicht nur imstande, Produktionsprozesse und Arbeitsformen von Grund auf zu verändern, sie könnten auch viele Menschen den Arbeitsplatz kosten.
„Die Jobfresser kommen“, titelte „Spiegel Online“ vergangenen Sommer und bot sogleich das passende Quiz an: „Werde ich bald wegdigitalisiert? Mit fünf Fragen können Sie erkennen, ob Ihr Job in Gefahr ist.“ Derart drastische Schlagzeilen werden von Studien wie jener von Carl Benedikt Frey und Michael Osborne befeuert: Fast jeder zweite Arbeitsplatz könnte in den USA durch die Automatisierung gefährdet sein, so die These der Autoren. Auch hierzulande existiert eine ähnlich alarmistische Studie, die auf einer Befragung heimischer Industrieunternehmen basiert: Das Beratungsunternehmen A.T. Kearney sieht in den nächsten 25 Jahren 44 Prozent aller österreichischen Arbeitsplätze durch die Digitalisierung bedroht. Abseits der Schreckensszenarien einer gigantischen Arbeitsplatzvernichtung prognostiziert etwa eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Umbrüche, jedoch insgesamt geringe quantitative Auswirkungen auf die Beschäftigungszahlen.
Lobbying 4.0.
Prognosen dieser Art bleiben freilich spekulativ. Immer wieder führten technologische und gesellschaftliche Entwicklungen zu Umwälzungen am Arbeitsmarkt: Ganze Berufszweige verschwanden, zugleich entstanden völlig neue Arbeitsformen. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass vor allem der Dienstleistungssektor – in dem überwiegend Frauen beschäftigt sind – seit den 1950er-Jahren rasant an Bedeutung gewonnen hat. Dennoch ist es noch immer der männliche Vollzeitarbeiter im Produktionssektor, um den sich Politik und Wissenschaft zuallererst sorgen – auch wenn Frauen in Sachen Erwerbsquote beinahe zu den Männern aufgeschlossen haben. Dass von Industriebetrieben und dem Fabrikarbeiter die Rede ist, wenn Expert*innen die Zukunft der Arbeit diskutieren, sei aber auch darauf zurückzuführen, dass die Diskussion von Interessensvertretungen der Industrie bzw. von großen Akteur*innen im Technologiebereich dominiert wird, schildert die feministische Ökonomin Katarina Hollan im an.schläge-Interview. „In diesen Produktionssektoren erhofft man sich durch Automatisierung Effizienzsteigerungen – und zum Teil werden diese auch erreicht“, so Hollan. Die parallel dazu laufende Debatte um neue Qualifikationsanforderungen an die Arbeitnehmer*innen sei ein machtvolles Mittel, um Angstmache zu betreiben und den Kampf um den Arbeitsplatz zwischen Arbeitnehmer*innen zu erhöhen.
Digitale Mehrarbeit
Wie sich Digitalisierung und Automatisierung schon jetzt auf die Arbeitswelt auswirken, erleben wir auch in unserem alltäglichen Leben als Konsument*innen. An der Selbstbedienungskassa im Supermarkt ums Eck übernehmen wir den Job der Kassiererin, durchforsten im Netz Hotelplattformen nach dem besten Angebot, statt im Reisebüro zu buchen, am Flughafen geben wir schließlich selbst unser Gepäck auf und unermüdlich tippen wir unsere persönlichen Daten in unzählige Online-Formulare. Während Banken kontinuierlich Personal (überwiegend sind es Frauen) und Filialen abbauen, erledigen wir unsere Bankgeschäfte online oder am Automat. Eine neue Form der digitalen Mehrarbeit ist entstanden, die die Vorstellung selbsttätiger Maschinen, die unsere Arbeit erledigen, konterkariert. Um zu erfassen, wer diese neue, unbezahlte Arbeit eigentlich erledigt, versucht die Soziologin Ursula Huws seit Jahren Forschungsgelder aufzustellen, wie sie dem „Falter“ in einem Interview erzählt. Weil die Zeit von Frauen als weniger wertvoll angesehen werde als jene der Männer, seien das überwiegend die Frauen, so die These von Huws.
Klick-Proletariat
Die Umwälzung von Arbeit auf Konsument*innen ist nur eine von vielen Formen von Verlagerung, wie Flecker et al. (1) beschreiben. International tätige Konzerne verschieben Organisationseinheiten abgestimmt auf die nationale Gesetzgebung zwischen verschiedenen Staaten, so siedeln etwa österreichische Banken Abteilungen in Rumänien an. Andere Tätigkeiten werden wiederum „outgesourct“: Dienstleistungsunternehmen übernehmen etwa die Buchhaltung oder den Kund*innenservice großer Konzerne und siedeln sich dort an, wo die Lohnkosten besonders niedrig sind. Ein vergleichsweise neues Phänomen ist hingegen das Crowdworking: Plattformen, die eine noch eher unbedeutende, aber wachsende Zahl an „Clickworkern“ vereinen, die der SWR als „digitales Proletariat“ bezeichnete. Amazon war 2005 Vorreiter, als das Versandunternehmen begann, CDs zu verkaufen, und die Arbeitsvermittlungsplattform „Mechanical Turk“ gründete, um einfache Aufgaben wie das Überprüfen von Liedtiteln an die „Crowd“ auszulagern. Mittlerweile existiert eine Vielzahl solcher Plattformen, im deutschsprachigen Raum dominiert „Clickworker.de“. Kleine Jobs wie das Beschlagworten für Online-Shops können für einige Cents Lohn nebenbei erledigt werden, nur sehr erfahrene Crowdworker bringen es laut Berichten auf einen Stundenlohn von rund acht Euro. Anstelle eines Arbeitsvertrags gelten Geschäftsbedingungen, Auftraggeber*innen können den Lohn verweigern oder Wettbewerbe ausschreiben und nur deren Gewinner*innen bezahlen. Während die Digitalisierung so beispielsweise für Alleinerzieherinnen eine einfache und flexible Form des Zuverdiensts geschaffen hat, bietet sie zugleich die – freilich politisch legitimierte – Grundlage für eine Aushöhlung der Arbeitnehmer*innenrechte.
Auf Outsourcing setzt auch Facebook: Das soziale Netzwerk lässt problematische Inhalte von Dienstleister*innen auf den Philippinen überprüfen, zehn Stunden täglich sitzt die digitale Putzkolonne vor dem Bildschirm und muss unter Verschwiegenheitspflicht Videos von Enthauptungen oder dokumentierte Gewalt an Kindern im Akkord aussortieren. Die Folgen: Schlafstörungen und Depressionen, Alkoholismus und paranoides Misstrauen gegenüber anderen Menschen, berichteten der deutsche Theatermacher Moritz Riesewieck und die US-amerikanische Medienwissenschaftlerin Sarah T. Roberts von ihren Recherchen in Manila.
Technologie ist nicht neutral
„Technologischer Wandel wird immer als Fortschritt dargestellt, den man akzeptieren muss, bzw. als Entwicklung, der wir als Gesellschaft ausgeliefert sind. Kritik daran wird als Fortschrittsfeindlichkeit verstanden. Dabei geht es vielen Kritiker*innen dieser Technologiehörigkeit darum, aufzuzeigen, dass technologischer Wandel gesellschaftlich gestaltbar ist und Aushandlungsprozessen Raum gegeben werden sollte“, sagt Ökonomin Katharina Hollan. Zugleich ist die Debatte um eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich erneut aufgeflammt. Spekulationen darüber, ob „uns die Arbeit ausgeht“, beantworten Interessensvertreter*innen mit der Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung – Produktivitätsgewinne müssten auch gesellschaftlich verteilt werden. An die Arbeitszeitverkürzung, die ein Mehr an Freizeit für alle Angestellten bringen würde, knüpft die zentrale Frage der ungleich verteilten unbezahlten Arbeit zwischen den Geschlechtern an. Rund die Hälfte der berufstätigen Frauen in Österreich hat bereits (unbezahlt) ihre Erwerbsarbeit zugunsten von Care-Arbeit verkürzt. Arbeit, die durch neue Technologien zwar besser koordiniert, aber nicht rationalisiert werden kann – auch wenn der Druck vor dem Hintergrund eines neoliberalen Sparparadigmas gerade im Dienstleistungssektor immer weiter steigt. „Man kann nicht immer schneller pflegen“, brachte es die Schweizer Ökonomin Mascha Madörin im Interview mit dem Online-„Standard“ auf den Punkt. „Auch in Zeiten des digitalen Wandels ist die grundlegende Verteilungsfrage von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern keineswegs obsolet. Gerade in Umbruchsphasen sollte sie verstärkt gestellt und Chancen für neue Geschlechterarrangements genutzt werden“, schreibt auch Gerlinde Hauer, Arbeitsmarktexpertin der Abteilung Frauen-Familie der Arbeiterkammer Wien.
Für Feminist*innen bietet sich nicht zuletzt die Chance, über Jahrzehnte hinweg erarbeitete Konzepte für eine Neugestaltung von Erwerbsarbeit in die Diskussion um die Zukunft der Arbeit einzubringen. Nicht nur die Frage einer Arbeitszeitverkürzung, auch das bedingungslose Grundeinkommen und Entwürfe einer „Care Revolution“ erscheinen dringlicher denn je. Entscheidend ist schlussendlich nicht, wie Technologien den Arbeitsmarkt verändern, sondern wie wir Technologien für ein gutes Leben für alle einsetzen.
Quelle: an.schläge.at
Bild: ver.di
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