Aufatmen in Dorstfeld-Süd, aber nicht zu tief

Für Bewohner von Dorstfeld-Süd sehen die Vertreter der Stadt Dortmund keine Hinweise auf eine noch vorhandene Krebsgefahr, bedingt durch die seinerzeit umfangreichen Bodenkontaminationen mit kanzerogenen Gefahrstoffen der Zeche Dorstfeld. Als Beweis führen sie die Gutachten des Landeskrebsregisters (LKR) von 12.2016 und des Instituts für Umwelt-Analyse (IFUA) von 11.2017 an.

Beide Gutachten scheinen die Aussage der Stadt voll zu bestätigen, doch nur, wenn man nicht gründlich liest und die Basis der Aussagen nicht hinterfragt. Dieser Vorgang ist aufwändig und setzt Grundsatzwissen voraus.

So werden im Gutachten des LKR bei der Berechnung des Erwartungswertes an Krebserkrankungen für Bewohner von Dorstfeld-Süd mehrere fragwürdige Schritte vorgenommen. Leider wird nicht unterschieden in welchem Zeitraum bezüglich der Sanierung (vorher/nachher) man dort gelebt und unterschiedliche Belastungshistorien erfahren hat.

Über verzogene oder verstorbene Anwohner wurden trotz der vorhandenen Meldebehörden mit elektronischer Datenverarbeitung keine Informationen direkt oder bei Angehörigen eingeholt. Dies war laut Aussage des Leiters des Gesundheitsamtes nicht beabsichtigt. Auf dieser ungenauen Basis baute nun der Vergleich mit dem vom LKR zu berechnenden Erwartungswert an Krebserkrankungen auf. Auch werfen diese Berechnungen mehr Fragen als Antworten auf. Leider ist der verwendete Datenbestand des LKR für die Ermittlung des Erwartungswertes für den Zeitraum von 1985 bis 2015 sehr unbefriedigend und lückenhaft.

Für die Periode 1985 – 1993 lagen keinerlei Daten vor, bis 2005 waren nur Werte für den Regierungsbezirk Münster vorhanden. Erst ab 2008 liegt ein vollständiger Datenbestand an Neuerkrankungen für ganz NRW vor.

Woher stammen nun die Daten für den Zeitraum 1985 – 1993? Für die Zeit vor 1994 wurden die gemittelten Raten der Jahre 1994 bis 1998 als konstant angenommen, da für frühere Zeiträume keine belastbaren Erkrankungsdaten verfügbar waren. Für diese Periode wurden einfach Mittelwerte der Erkrankungsraten der Jahre 1994 – 1998 eingesetzt, obwohl die Zahlen an Neuerkrankungen für Deutschland in diesem Zeitraum Maximalwerte aufwiesen. Die alterstandardisierten Raten zeigen für Deutschland in diesen Jahren einen absoluten Höhepunkt. Es ist nicht einsichtig, warum für den Regierungsbezirk Münster ein anderer Verlauf der Erkrankungsraten als in Deutschland vorliegen soll. Werden diese Mittelwerte aus fünf Jahren (1994 – 1998) nun für den neunjährigen Zeitraum (1984 – 1993) eingesetzt, so ist eine unrealistisch hohe Erwartungszahl nicht verwunderlich.

In diesem Zusammenhang ist auch die auf das LKR NRW bezogene Aussage aus dem Gutachten zum aktuellen Umsetzungsstand des KFRG (= Krebsfrüherkennungs- und registergesetz ) vom 18.09.2016 der PROGNOS AG sehr bezeichnend und beunruhigend.

Insgesamt ist damit eine vertrauenswürdige Basis zu dem vom LKR NRW berechneten Erwartungswert nicht gegeben. Eine sinnvolle Aussage scheint aus diesen hier beispielhaft aufgezeigten Gründen nicht möglich.

Wesentlich solider sind die Aussagen im Gutachten des IFUA. Abgesehen von zwei in dem 6. Kapitel „Fazit und Empfehlungen“ aufgeführten Punkten scheint der Bestand der Sanierung  aufgrund der von der Stadt den Gutachtern überlassenen Unterlagen sichergestellt.

Der erste Punkt betrifft die Unterlassung der schon von Prof. Dr. F. Selenka, Institut für Hygiene der RUB, im Gutachten vom 23.11.1994 auf S. 4 erhobenen Forderung:

Nach erfolgter Sanierung sind für einen längeren Zeitraum Kontrollmessungen erforderlich, um den Sanierungserfolg zu bestätigen und eventuelle Trendverläufe zu erkennen. Auch dies ist ein Teil des hygienisch-toxikologischen Sicherheitskonzepts. Die zunächst in dichter Folge, später mit größer werdenden Intervallen durchgeführten Kontrollen dienen aber nicht nur dem vorbeugenden Gesundheitsschutz, sondern sind auch als Teil der vertrauensbildenden Maßnahmen für die Nutzer der sanierten Bereiche zu sehen.

Solche Messungen sind mindestens in den letzten zwanzig Jahren nicht durchgeführt worden.

Eine entsprechende Forderung ist nun auch von Dr. Barkowski (IFUA) auf S. 26 des Gutachtens formuliert:

Vor diesem Hintergrund wird empfohlen, die seinerzeit installierte Bodenluftdränage und die Bodenluftstation wieder zugänglich zu machen, die Überwachung der Bodenluftqualität erneut aufzunehmen und die Messergebnisse den betroffenen Bewohnern zur Verfügung zu stellen. Insbesondere in den Häusern der Wetterstraße mit teilweise verbliebenen Belastungen flüchtiger Schadstoffe unterhalb der Kellersohlen werden auch Kellerraumluftmessungen empfohlen, die mit einer Inspizierung der räumlichen und baulichen Gegebenheiten (Fugen, Risse, Leitungsdurchführungen, Schadstellen etc.) kombiniert werden sollten. Als Messgrößen sind insbesondere Benzol und Dicyclopentadien zugrunde zu legen.

Der zweite Punkt beinhaltet die Ergebnisse der Kellerraumluftmessungen. Mit Datum vom 27.10.2017 wurden von der UCL (Umwelt Control GmbH, Lünen) Ergebnisse von insgesamt 32 Kellerraumluftuntersuchungen vorgelegt, die im Auftrag der Stadt Dortmund vorgenommen wurden. Dabei zeigten sich in fünf Kellerräumen Auffälligkeiten an Monoaromaten (inklusive Benzol) und Naphthalin sowie in einem Fall an DCP. Diesen Befunden sollte durch weitere Sachverhaltsermittlungen nachgegangen werden. In der Pressemitteilung (WR vom 06.12.2017) wird für das Detektieren von DCP folgende Erklärung geliefert: Wegen eines fehlenden Verschlusses am Schmutzwasserablauf der Waschmaschine sei das DCP in den Raum gelangt. Hier ist nun zu hinterfragen woher das DCP stammt und warum es durch das Abflussrohr in den Raum eindringt.

DCP ist eine organische Verbindung, die mittels Diels-Alder-Reaktion synthetisch hergestellt wird und nicht natürlich vorkommt. Die Synthese wurde auch in der Kokerei Dorstfeld durchgeführt und führte zu den bekannten Kontaminationen.

Bei der Sanierung wurde gegen das Ausgasen flüchtiger Gefahrstoffe eine mineralische Sperrschicht nebst spezieller Folien eingebaut, welche entsprechend des Sanierungskonzeptes an die Außenwände der Kellergeschosse oberhalb der Fundamentplatte anschließen. Abwasserrohre verlaufen üblicherweise unterhalb der Fundamentplatte. Daher können sie mit nicht entfernbaren Kontaminationen unterhalb des Hauses in Kontakt kommen. Fugen oder Risse in den Rohrleitungen ermöglichen das Eindringen der leicht flüchtigen Gefahrstoffe in diese Abwasserrohre. Auf diese Weise kann DCP oder auch Benzol in das Haus gelangen.

Solche mögliche Gefährdung der Bewohner kann durch entsprechende Syphone und sonstige Verschlüsse verhindert werden. Doch zeigen diese Funde eindeutig die Pflicht der Stadt Dortmund zu kontinuierlichen Raumluftmessungen und baulichen Kontrollen entsprechend des Gutachtens von IFUA auf.

 

 

 

 

 

Quellen: WAZ, wdr, Stadt Dortmund: https://www.dortmund.de/de/leben_in_dortmund/umwelt/umweltamt/boden/dorstfeld_sued/index.html

Bild: de.wikipedia.org / K-P Schneider