Seit Jahren kämpfen die Beschäftigten beim größten Internethändler der Welt für eine angemessene Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen.
Amazon blockte bisher alles ab. Doch die KollegInnen lassen sich nicht entmutigen. Langsam bewegt sich der Internetriese.
Rekorde sollten purzeln am „Black Friday“ Ende November. Und das sind sie auch. Während Amazon aber auf Rekordgewinne hoffte, gab es eine Rekord-Streikbeteiligung von 2400 Beschäftigten an allen von ver.di organisierten Standorten des Versandhändlers in Deutschland. Auch in Piacenza, dem einzigen italienischen Standort, riefen die Gewerkschaften zum ersten Mal zum Streik für bessere Arbeitsbedingungen auf; dort streikten auf Anhieb 500 Beschäftigte, gemeinsam mit ihren deutschen KollegInnen.
Die wiederholten Streiks zeigen: Die Situation für die Beschäftigten bleibt schwierig. Die meisten der 12 000 Amazon-Beschäftigten in Deutschland arbeiten gerne für Amazon, identifizieren sich mit dem Unternehmen und geben jeden Tag ihr Bestes. Viele sind – nach Jahren der Arbeitslosigkeit oder im absoluten Niedriglohnbereich – zufrieden mit ihrer jetzigen Tätigkeit und der Bezahlung. Viel größere Probleme sind aktuell Überwachung und Leistungsdruck, Erschöpfung und gesundheitliche Probleme. „Es gibt drängendere Anliegen, als die Löhne anzuheben“, bekräftigt auch Thomas Voß, der bei ver.di den Bereich Versand- und Online-Handel koordiniert.
Beschäftigte im Takt der Maschine
In den Warenlagern werden die Beschäftigten über einen Hand-Scanner „gesteuert“. Das Gerät sagt ihnen, wo sie hingehen müssen, welcher Handgriff als nächstes ansteht. Oft sind die Tätigkeiten sehr monoton, Zeit für kurzes Verschnaufen oder ein Gespräch mit den Kollegen bleibt nicht. Das ist körperlich und mental anstrengend. Die Beschäftigten werden getaktet wie eine Maschine. Abweichungen sind nicht vorgesehen. Und: Per Scanner kann die Unternehmensleitung jederzeit die Tätigkeit jedes einzelnen Beschäftigten überprüfen.
„Das macht etwas mit den Menschen“, betont Voß. Viele Beschäftigte fühlen sich entwertet. Aber nicht nur psychisch ist die Arbeit bei Amazon anstrengend, auch körperlich kommt einiges zusammen. Die Beschäftigten müssen teils große Gewichte heben und täglich bis zu 25 Kilometer auf harten Betonböden laufen. Es gibt keine ergonomischen Arbeitsplätze – die Regalhöhen und Arbeitsflächen sind standardisiert. „Menschen sind aber nicht standardisiert“, betont Voß. Deswegen hat ver.di die letzten Streiks mit der Forderung nach einem Tarifvertrag „Gute und gesunde Arbeit“ verbunden.
Anerkennung als Verhandlungspartner
Mit den Jahren ist nämlich eines deutlich geworden: Amazon reagiert auf die wachsende Zahl gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter und öffnet sich den Themen, die die Beschäftigten und Gewerkschaften auf die Agenda setzen. Jahrelang gab es keine Lohnerhöhungen. Seit den Streiks werden regelmäßig im Herbst die Löhne angehoben. Auch beim Gesundheitsmanagement hat sich etwas getan, seit die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten das Thema auf die Agenda gesetzt haben. Inzwischen rühmt sich Amazon, die Lagerhallen klimatisiert und „Obsttage“ eingeführt zu haben. All das reicht natürlich nicht aus. „Obsttage legen nahe, das Problem liege in der falschen Lebensführung oder Ernährung der Beschäftigten“, kritisiert Voß. Doch statt echten gesundheitsfördernden Maßnahmen, setzt Amazon finanzielle Fehlsteuerungen. Mit einer sogenannten Gesundheitsprämie werden die Beschäftigten animiert, auch krank zur Arbeit zu erscheinen. Mit Gruppenprämien wird Druck auf die Einzelnen gemacht, die anderen Kollegen – auch im Krankheitsfall – nicht im Stich zu lassen. „Das öffnet die Tür weit für Mobbing gegenüber gesundheitlich Anfälligeren“, erklärt Voß.
Fakt ist: Ohne Tarifvertrag bleiben Amazons Maßnahmen unverbindlich. Die Lohnerhöhungen bleiben hinter der Branchenentwicklung zurück und die Beschäftigten sind weiterhin von der Willkür des Unternehmens abhängig. Für die Beschäftigten ist klar: Sie wollen, dass Amazon ihnen auf Augenhöhe begegnet. Sie wollen als gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte als Verhandlungspartner anerkannt werden. Der Weg dahin wird nicht leicht: Im Weihnachtsgeschäft hat Amazon – zusätzlich zum Gesundheitsbonus – eine Anwesenheitsprämie ausgelobt. Wer sich im Advent nicht krankmeldet und gegebenenfalls krank zur Arbeit erscheint, aber auch nicht streikt, kann so mehrere hundert Euro zusätzlich verdienen.
Weitere Infos zum Konflikt gibt es auf dem ver.di-Blog… https://www.amazon-verdi.de/
Quelle: dgb einblick Bild: dgb