Der Aktienkurs des schwedischen Modekonzerns H&M ist bereits seit Freitag, 13. Oktober im Sinkflug. Das Foto eines kleinen, dunkelhäutigen Jungen, der in einem grünen Kaputzenpulli mit der Aufschrift „Coolest Monkey in the Jungle“ (Der coolste Affe im Dschungel) gesteckt wurde und damit für die Textilien des Konzerns werben sollte, war nur die Spitze des Eisbergs.
Anders als die internationale Wirtschaftspresse berichtet, reicht ein rassistisches Werbefoto für ein solches Erdbeben, wie es H&M gerade erlebt, nicht aus. Bei dem Foto handelt sich bei näherer Betrachtung auch nicht um einen „Ausrutscher“. Das Problem ist das gesamte H&M-Geschäftsmodell sowie ein patriarchal geführtes Managment, dass vor Arroganz, Selbstverliebtheit und Hybris strotzt.
Einem anderen Unternehmen hätten Bürgerrechtler, Gewerkschafter, Kämpfer für eine gerechte Wirtschaftsordnung, Tierrechtler und Ökologen diesen einen Fehltritt vermutlich leichter durchgehen lassen. H&M aber wirkt inzwischen vom Kopf bis zu seinen einzelnen Gliedern auf verschiedenste Zielgruppen rund um den Globus so verfault, dass Zweifel und Verdacht am gärigen Markenimage kleben bleiben wie Fruchtfliegen auf der Suche nach Nahrung.
Können Aktionen in Deutschland den weltweiten Aktienkurs beeinflussen?
Der Absturz der H&M Aktie begann am Aktionstag Schwarzer Freitag, der 13. Oktober 2017, als die aktion ./. arbeitsunrecht mit Unterstützung von ver.di und Betriebsräten bei H&M Proteste in 20 deutschen Städten organisieren konnte. Es ging um die systematische Bekämpfung von aktiven Betriebsräten mittels Schikanen, Abmahungungen und fingierten Kündigungen mit Hilfe der Kanzlei DLA Piper. Es ging auch gegen unfreiwillige Teilzeitarbeit, und so genannte „Flex-Verträge“ (Gründe für die Nominierung | Auswertung des Aktionstages & Presse-Spiegel).
Die Umsätze für das vierte Quartal brachen um weltweit 4% ein, obwohl der Konzern ein Wachstum von 7% als Ziel ausgegeben hatte. Nach Bekanntgabe der Quartalszahlen am 15. Dezember 2017 rauschte der Kurs erst recht in den Keller.
Auf den ersten Blick erscheint es unwahrscheinlich, dass allein Imageprobleme im deutschen Markt für den weltweiten Kurssturz verantwortlich sein sollen. Doch der „beste Niedriglohnsektor Europas“ ist nicht nur ein Paradies für schlecht bezahlte Arbeit bei hoher Arbeitsverdichtung.
H&M machte in Deutschland 2016 in 440 Filialen einen Umsatz von 3,7 Mrd. Euro. Erst weit dahinter folgen die USA mit 2,7 Mrd. und Großbritannien mit 1,9 Mrd. Man kann sagen: Die Mutterländer von Working poor (Armut trotz Arbeit) und Workfare (Arbeit statt Sozialhilfe) und deren gelehrigster Schüler Deutschland bilden sowohl die Absatzmärkte für H&M als auch das Reservoir an günstig auszubeutender Arbeitskraft.
PR-Desaster: Das Verbrennen fabrikneuer Kleidung als regenerative Energiequelle!
Am 15. Oktober 2017 enthüllte ein der dänische Sender TV2, dass H&M nicht verkaufte Kollektionen bereits seit 2013 in einem Heizkraftwerk in Roskilde verbrennt (TV2, 15.10.2017). Bis zu 12 Tonnen im Jahr gehen durch den Kamin.
Der US-Nachrichtendienst Bloomberg recherchierte weiter, dass auch in der Stadt Västerås nördlich von Stockholm rund 15 Tonnen H&M-Textilien pro Jahr verbrannt werden. Und die H&M-PR verkaufte das auch noch als Glanzleistung. Das Kraftwerk könne durch die Umstellung auf „nachwachsende Rohstoffe“ auf Kohleverbrennung verzichten (bloomberg.com, 24.11.2017).
Nachwachsende Rohstoffe! In den H&M-Textilien stecken Blut, Schweiß, Tränen und Kinderarbeit. H&M lässt den grausamsten Teil seiner Wertschöpfung in Asien von einem Dickicht aus Subunternehmern betreiben, die dort in Bangladesh, Indien, Pakistan rund 1.900 Fabriken unter teils abenteuerlichen Bedingungen betreiben.
Auf der anderen Seite türmt sich obszöner Reichtum: Stefan Persson, H&M Hauptaktionär und reichster Schwede, kaufte sich 2009 als eine Art bizarres Hobby ein ganzes englische Dorf, obwohl er bereist ein 34 Hektar großes Anwesen in Wiltshire bewohnte. Linkenholt in der Grafschaft Hampshire wird seitdem als eine Art begehbare Modellbau-Idylle für Reiche betrieben (The Guardian, 25.5.2009).
Living Wage: Für einen Lohn, der zum Leben reicht!
Die gewerkschaftsnahe Clean Clothes Campaign (Kampagne für saubere Kleidung) fordert von H&M seit langem, Textil-Arbeiterinnen einen Lohn zu zahlen, der zum Leben reicht (cleanclothes.org, 25.11.2017). Doch der Konzern reagierte mit Lippenbekenntnissen. Deshalb wird die H&M-Aktie voraussichtlich weiter abschmieren – dies als Tipp am Rande an alle Kapitalmarktspekulanten – denn für das Jahr 2018 will die Clean Clothes Campaign den Druck auf H&M weltweit erhöhen.
Ein solcher Aufruf wird nach dem Kapuzenpulli-Desaster erst recht breite Resonanz finden: Von asiatischen Textil-Gewerkschaften, den südafrikanischen Economic Freedom Fighters, deren Anhänger unlängst H&M-Filialen verwüsteten, der Tierrechtsorganisation peta, die seit 2014 gegen die Lederproduktion für H&M-Acessoires kämpft, von Initiativen für Verteilungsgerechtigkeit (H&M nutzt die Niederlande als Finanzoase) über Bürgerrechtler der aktion ./. arbeitsunrecht und aktive Betriebsräte.
Ist H&M noch zu retten?
H&M bliebe einerseits die Chance , einen glaubwürdigen Neustart zu versuchen. Das ginge nur über Mitbestimmung und sozialverträgliche Arbeitsbedingungen. Oder man lässt die Marke fallen.
Wie es aussieht, will die Oligarchenfamilie Persson den zweiten Weg beschreiten. Man hofft auf China, schließt Läden in Deutschland, kauft und erfindet neue Marken: cos, &other stories, Arket. Ob das klappt? Unsere Prognose: riskant bis unwahrscheinlich. Vielleicht wird H&M nach weiteren Kursverlusten sogar noch zum Übernahmekandidaten. Denn der Textilmarkt ist hart umkämpft und wird angesichts massiver Überproduktion immer enger.
aktion ./. arbeitsunrecht Der Beitrag erschien in einer kürzern Version in der Tageszeitung Neues Deutschland vom 17.1.2017 Bild: Arbeitsunrecht