Fünf Jahre nach dem aufsehenerregenden Schlecker-Bankrott im Januar 2012 [1] hat es die 11. Große Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart als erwiesen angesehen, dass die Familie des Kaufmanns Anton Schlecker ihrem Drogeriemarkt-Konzern kurz vor der Insolvenzanmeldung ein Millionen-Vermögen entzogen hat, um es dem Zugriff der Gläubiger – u.a. den »Schlecker«-Frauen und Lieferanten – zu entziehen.
Der Vater und die beiden Kinder sind der vorsätzlichen Pleite und der »Insolvenzverschleppung schuldig«, urteilte das Gericht. Dennoch bleibt Anton Schlecker der Gang ins Gefängnis erspart. Der ehemalige »Drogerie-König« wurde zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Außerdem muss er zusätzlich 360 Tagessätze Geldstrafe, insgesamt 54.000 Euro, bezahlen. Dagegen wurde der Sohn, Lars Schlecker, zu zwei Jahren und neun Monaten Haft und die Tochter, Meike Schlecker, zu zwei Jahren und acht Monaten verurteilt.
Freiheitsstrafen von mehr als zwei Jahren können nicht zu Bewährung ausgesetzt werden. »Im Namen des Volkes« hat das Landgericht sein Urteil gefällt. Die im Sitzungssaal anwesenden ehemaligen »Schlecker«-Beschäftigten, die nach der Pleite in die Arbeitslosigkeit gestoßen wurden, mussten jedoch erfahren, dass die Richter die Tat eines skrupellosen und auch im Nachhinein uneinsichtigen Täters »in ihrem Namen« nicht angemessen bestraft, sondern auf der Basis eines juristischen Ablasshandels ein wohlwollendes Urteil gefällt haben. Schlecker konnte sich mit der Zurückzahlung von 14 Millionen Euro an den Insolvenzverwalter, davon zehn Millionen im Rahmen eines Vergleichs und vier Millionen kurz bevor sich die Haftstrafen abzeichneten, als sogenannte »Schadenswiedergutmachung« freikaufen.
Fakt ist: Der einstige Drogerie-Chef und gelernte Metzgermeister Anton Schlecker ist mit seinem Unternehmenskonzept – »Selbstbedienung in Discountläden« und »brachiale Expansion« – krachend gescheitert. [2] Im baden-württembergischen Ehingen, südwestlich von Ulm, wurde 1975 der erste Schlecker-Laden eröffnet. In den nachfolgenden Jahren wurden 15.000 Schlecker-Märkte in 17 Ländern eröffnet, mit denen das Unternehmen zu Europas größtem Drogerie-Konzern aufstieg.
Das Schlecker-Imperium setzte von Anfang an darauf, die Konkurrenten um jeden Preis zu unterbieten, das Angebot und den Service für die Kundschaft zu minimieren und die Personalkosten zu drücken – 55.000 waren in den besten Jahren bei Schlecker beschäftigt. So wurde in kleinen Filialen nur noch eine Arbeitskraft eingesetzt, d.h. die Frauen blieben in Notfällen auf sich allein gestellt. Schon 1998 wurden der Patriarch Schlecker und seine Frau Christa zu zehn Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von einer Million Euro verurteilt, weil sie Hunderte Beschäftigte jahrelang unter Tarif bezahlt hatten.
Doch damit nicht genug: In den Jahren 2009 und 2010 wurden im Konzern erneut trickreich die Lohnkosten radikal gedrückt. Mehr als 1.500 Schlecker-Beschäftigten wurde gekündigt und anschließend über die Schlecker-nahe Leiharbeitsfirma »Menschen in Arbeit« (Meniar) zu weitaus schlechteren Konditionen in so genannten XL-Märkten wiedereingestellt. Statt des Tariflohns von 12,71 pro Stunde erhielten die Meniar-Beschäftigten nur mehr 6,78 Euro. Nach dem Auffliegen dieses »Ausbeutungs-Modells« wurde durch die »Lex Schlecker« diese Niedriglohnstrategie, das Entlassen von Beschäftigten und deren sofortiges Wiedereinstellen durch Leiharbeitsfirmen, im Frühjahr 2011 gesetzlich untersagt.
Nach der Beantragung der Insolvenz im März 2012 verloren 27.000 Schlecker-Beschäftigte, davon über 90% Frauen, ihre Arbeit. Bis heute warten sie auf unbezahlte Löhne. Ihre Ansprüche bewegen sich laut Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz im dreistelligen Millionenbereich, dazu zählt auch das von der Bundesagentur für Agentur für die drei Kündigungsmonate geleistete Insolvenzausfallgeld. Statt die ausstehenden Entgelte den Betroffenen auszuzahlen, schaffte der Schlecker-Clan mit krimineller Energie Millionen beiseite.
Spätestens Anfang Februar 2011 habe die Familie gewusst, dass die Zahlungsunfähigkeit und damit die Insolvenz drohen, konstatierte das Landgericht Stuttgart. Dennoch habe die Familie dem Unternehmen noch kurz zuvor Summen im zweistelligen Millionenbereich entzogen. Zwei Drittel davon hat der Firmenpatriarch der Logistik- und Dienstleistungsgesellschaft (LDG) zugeschoben, die seinen Kindern Lars und Meike gehört. Diese Gesellschaft hatte über Jahre hinweg weit überhöhte Stundensätze mit dem Mutterkonzern abgerechnet und so Gelder abgezweigt, während die Drogerie-Kette tiefrote Zahlen schrieb. Schließlich transferierten sich die beiden Erben vor der Pleite jeweils dreieinhalb Millionen Euro aus der Kasse der LDG per Blitzüberweisung auf ihre Privatkonten.
Die von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di geforderte Transfergesellschaft, die mithelfen sollte, die arbeitslos gewordenen Beschäftigten zu qualifizieren und in neue Arbeit zu vermitteln, scheiterte an »ordnungspolitischen Erwägungen« der FDP. Vom damaligen Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und seinen neoliberalen Parteifreunden wurde u.a. argumentiert, dass deren Einrichtung nichts anderes als eine »de facto Verlängerung des Arbeitslosengeld I-Bezugs« und damit eine »unzulässige Bevorzugung der Schlecker-Beschäftigten« darstelle. Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft schwadronierte: »Ihr habt Chancen am Arbeitsmarkt«.
Bis März 2013 hatte rund die Hälfte der Schlecker-Arbeitslosen wieder eine sozialversicherungs-pflichtige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit aufgenommen. [3] Dann endet jedoch die Statistik, da die Bundesagentur für Arbeit im März 2013, nicht einmal ein Jahr, nachdem die letzte der zuletzt 7.000 Schlecker-Filialen geschlossen wurde, ihr Jobmonitoring eingestellt hat. Im Frühjahr 2014 galten noch rund 6.000 ehemalige Schlecker-Beschäftigte als nicht vermittelt bzw. als arbeitslos. Rund 2.000 der 27.000 Entlassenen hatte sich gar nicht erst arbeitslos gemeldet, weitere 2.000 Beschäftigte wurden durch den unmittelbaren Wettbewerber Rossmann und rund 800 durch die andere große Drogeriekette dm übernommen. Der weitaus größte Teil der Vermittelten kam in fremden Branchen unter – vor allem in Callcentern – mit vorwiegend befristeten Arbeitsverträgen und zumeist deutlich unterhalb der Entgelttarife des Einzelhandels. Den Weg in die Selbständigkeit sind nach Erkenntnissen von ver.di nur rund 130 bis 150 ehemalige Schlecker-Beschäftigte gegangen. [4]
»Es ist nichts mehr da«, hatte die Schlecker-Familie nach der Insolvenzanmeldung verkündet. In seinem letzten Wort vor Gericht lamentierte Anton Schlecker, er habe »sein gesamtes Vermögen verloren« – eine glatte Verhöhnung der ehemaligen Beschäftigten. Optisch kam dies dadurch zum Ausdruck, als die drei Verurteilten nach der Urteilsverkündung in einem normalen Taxi wegfuhren, doch anschließend in der Tiefgarage eines Fünf-Sterne-Hotels den Wagen wechselten und in einem schwarzen Porsche Cayenne GTS davonbrausten, »welcher laut Preisliste neu mehr als 90 000 Euro kostet«, wie die Süddeutsche Zeitung süffisant berichtete (29.11.2017). Ziel: Die Familien-Villa in Ehingen, ein 13.000-Quadratmeter-Anwesen, das laut Handelsblatt acht Millionen Euro wert gewesen sei, als es Anton Schlecker zwei Jahre vor der Insolvenz seiner Frau überschrieb.
Anton Schlecker residiert weiterhin in seinem alten Chefbüro. Er hat es von der Stadt Ehingen gemietet, die die vormalige Schlecker-Zentrale aus der Insolvenzmasse erworben hat. Heute widmet er sich dem Immobilienbesitz der Familie. Die Firma CML (das Kürzel steht für Christa Meike Lars) verwaltet laut Jahresabschluss 2015 »Grundstücke und Bauten« im Wert von 4,5 Millionen Euro.
Auch deshalb war die Feststellung der Wissenschaftler der Bundesagentur für Arbeit (IAB), die »tarifliche Bezahlung« der Schlecker-Beschäftigten sei ein »Vermittlungshemmnis« gewesen, ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht der schon von Schlecker betrogenen Arbeitnehmer_innen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Richard Detje/Otto König: Eine der größten Firmenpleiten – Lehren aus dem Fall Schlecker, in: Sozialismus 7/8-2012.
[2] Vgl. Achim Neumann (Hrsg.). Der Fall Schlecker. Über Knausern, Knüppeln und Kontrollen sowie den Kampf um Respekt & Würde. Die Insider-Story. Hamburg 2014.
[3] Vgl. Philipp Ramos Lobato/Franz Zahradnik/Martin Dietz/Barbara Knapp/Christian Sprenger: Vermittlung ehemaliger Schlecker-Beschäftigter – Nicht nur eine Frage der Motivation, IAB-Bericht 7/2013.
[4] Vgl. Jörg Reitzig: Anlässe und Resultate des Solidaritätsfonds Schlecker-Beschäftigte. Ein Beitrag zur Bilanzierung einer Insolvenz und ihren Folgen. Projektbericht der Hochschule Ludwigshafen am Rhein, Februar 2016.
Quelle: sozialismus.de - der Artikel erschien auf www.sozialismus.de und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Redaktion gespiegelt. Foto: Wikimedia Commons/Nicor (cc-by-sa-2.5)