100 Jahre Achtstundentag in Deutschland

Die Verkürzung der Arbeitszeit gehört schon  seit den Anfängen der Arbeiterbewegung zu ihren Kernforderungen. Mit wachsender Stärke gelang es ihr,  nach und nach Erfolge bei der  Verkürzung der Arbeitszeit zu erzielen.

Der historische Durchbruch für den Achtstundentag in Deutschland kam im Jahr 1918. Als direkte Folge der Revolution wurde die Arbeitszeit für alle Arbeitnehmer auf acht Stunden pro Tag begrenzt. Das konnte damals auch deswegen durchgesetzt werden, weil das Wirtschaftssystem von einer gut organisierten Arbeiterbewegung grundsätzlich infrage gestellt wurde.

Zum hundertsten Jahrestag des Achtstundentags in Deutschland wird hier eine kleine Rückschau auf diese Form der Arbeitszeitverkürzung gegeben.

Hundert Jahre nach dem Sturm auf die Bastille, der als das Symbol für die französische Revolution gilt, trafen sich am 14. Juli 1889 rund 400 Delegierte sozialistischer Parteien und Gewerkschaften aus zahlreichen Ländern zu einem internationalen Kongress in Paris. Die Versammelten verabschiedeten eine Resolution des Franzosen Raymond Felix Lavigne, in der es hieß:

“Es ist für einen bestimmten Zeitpunkt eine große internationale Manifestation zu organisieren, und zwar dergestalt, dass gleichzeitig in allen Städten an einem bestimmten Tage die Arbeiter an die öffentlichen Gewalten die Forderung richten, den Arbeitstag auf acht Stunden festzusetzen (…). In Anbetracht der Tatsache, dass eine solche Kundgebung bereits von dem amerikanischen Arbeiterbund für den 1. Mai 1890 beschlossen worden ist, wird dieser Zeitpunkt als Tag der internationalen Kundgebung angenommen.“

So wurde die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung zum Ausgangspunkt für den Maifeiertag in Europa.

In den USA hatte der amerikanische Arbeiterbund hatte schon im Jahr 1890 den 1. Mai als Feiertag ausgewählt. Der Hintergrund dafür war, dass die Gewerkschaften zum Ende des Bürgerkriegs 1865 erstmals die Forderung nach der Einführung des Achtstundentags erhoben.

Bis1860 waren zehn Arbeitsstunden pro Tag noch Standard. Das sollte sich aber ändern, nachdem der US-Congress und sechs weitere Staaten 1868 den Achtstundentag für Arbeiter in Staatsdiensten beschlossen.

Es vergingen aber noch fast 20 Jahre, bis die Gewerkschaften in den USA 1884 die allgemeine und verbindliche Durchsetzung einer täglich achtstündigen Arbeitszeit in Angriff nahmen und um ihre Forderung auch kämpfen wollten. Sie beschlossen, ab dem 1. Mai 1886 dafür einen mehrtägigen Generalstreik auszurufen.

Und warum gerade der 1. Mai?

Weil dieser Tag in den USA traditionell als “Moving day”, als Stichtag für den Abschluss oder die Beendigung von Verträgen gilt und an dem man auch oft den Arbeitsplatz und die Wohnung wechselte.

Der Achtstundentag sollte in die neuen Verträge aufgenommen werden. Dafür traten am 1. Mai 1886 rund 400.000 Beschäftigte aus 11.000 Betrieben der USA in den Streik. Aber mit nur mäßigem Erfolg: nur für 20.000 Arbeiter konnte der Achtstundentag wirklich durchgesetzt werden. Im Dezember 1888 erklärten in St. Louis die versammelten Gewerkschaftsdelegierten, dass am 1. Mai 1890 erneut Streiks und Kundgebungen zur Arbeitszeitverkürzung durchgeführt werden sollten.

Zurück nach Deutschland.

Der Beschluss des Pariser Kongresses am 14. Juli 1889, den Kampf um den Achtstundentag als internationale Aktion zu führen, fiel in Deutschland zeitlich in eine große Streikwelle hinein.

Bis Dezember 1889 hatten 18 Gewerkschaften ihre Absicht erklärt, am kommenden 1. Mai zu streiken, zu dem Zeitpunkt war noch das Sozialistengesetz in Kraft. Trotz der Androhung drakonischer Strafen, beteiligten sich am 1. Mai 1890 in Deutschland etwa 100.000 Beschäftigte an den Streiks, Kundgebungen und den als Maispaziergänge getarnten Demonstrationen.

Erst nach Kriegsende, mit der Revolution von 1918, wurde in Deutschland die alte Forderung der Arbeiterbewegung nach einem Normalarbeitstag von 8 Stunden erfüllt. Die Wochenarbeitszeit betrug nun 48 Stunden.

Die Arbeitszeitverkürzung hatte aber nicht lange Bestand.

Die Debatten um den Achtstundentag wurde in den Jahren nach 1918 in der Zentralarbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (ZAG) hauptsächlich unter wirtschaftspolitischem Vorzeichen geführt und nach und nach ausgehebelt.

Von den Arbeitgebern in der Schwerindustrie wurde der Achtstundentag bereits Anfang der 1920er Jahre wieder infrage gestellt. Sie hielten „eine Arbeitszeitverlängerung trotz höherer Arbeitslosigkeit aus Gründen der Kostensenkung und der deutschen Wettbewerbsfähigkeit“ für unumgänglich. Sie stützten ihre Argumentation auf die Notwendigkeit einer Produktivitätserhöhung zum Zwecke der Erfüllung der Reparationsforderungen und einer Stabilisierung der deutschen Wirtschaft. Vor allen die Unternehmen im Steinkohlebergbau und in der Metallindustrie konnten in mehreren Arbeitskämpfen zwischen 1919 und 1922 ihre Positionen großenteils durchsetzen, was schrittweise zu einer faktischen Aushöhlung des Achtstundentags führte.

Im Sommer 1922 kam es zur Aussperrung von 250.000 Arbeitern in der süddeutschen Metallindustrie, mit der eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit erzwungen wurde.

Mit dem Ausscheiden der SPD aus der Reichsregierung und der Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923 wurde der Achtstundentag dann faktisch abgeschafft. Offiziell gab es ihn zwar noch, doch wurden zahlreiche Ausnahmeregelungen geschaffen. So stieg die durchschnittliche Arbeitszeit in der Industrie auf 50,4 Stunden pro Woche im Jahr 1924 an. Nur noch zwei Fünftel der Vollarbeitskräfte arbeiteten die maximal vorgesehenen 48 Stunden pro damals üblicher 6-Tage-Woche.

Als Reaktion auf diese Beschlüsse trat der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und somit der mitgliederstärkste und einflussreichste gewerkschaftliche Dachverband aus der Arbeitsgemeinschaft ZAG aus. Dieser Austritt war deshalb von besonderer Bedeutung, weil in der ZAG von Arbeitgeberseite erstmals die Gewerkschaften als „berufene Vertreter“ der Arbeiterschaft und als Tarifvertragspartner anerkannt wurden.

Der ADGB legte seinen Schwerpunkt dann auf das Konzept der sogenannten Wirtschaftsdemokratie, dass im Vergleich zur freiwilligen Kooperation zwischen Kapital und Arbeit in der Zentralarbeitsgemeinschaft, auf ein staatlich abgesichertes Mitbestimmungsmodell und die überbetriebliche Wirtschaftssteuerung durch Gewerkschaftsorgane setzte.

Die Gewerkschaften setzten in den Diskussionen um den Achtstundentag nun wieder vermehrt auf eine sozial- und gesellschaftspolitische Argumentation. Der Kampf um die Arbeitszeitverkürzung war für sie auch ein „Kampf der Arbeiter um ihr Menschentum“, darum, dass „die Arbeiterschaft Zeit hat, ihr eigenes Leben als Menschen neben der Arbeit, nach ihrer Beendigung zu führen.“

Zum Ende der 1920er Jahre gab es erneut eine Verkürzung der täglichen Arbeitszeit. Zum einen mussten die Unternehmen aufgrund zahlreichen Streiks in der Industrie und im Bergbau Zugeständnisse machen, zum anderen wurden die Argumente für eine Arbeitsstreckung als Mittel der Beschäftigungspolitik erneut hervorbracht, um die wachsende Arbeitslosigkeit in Folge der Rationalisierung abzufedern.

Nach der Machtübernahme durch die Faschisten 1933 wurde als erstes alles darangesetzt, die Gewerkschaften zu zerschlagen. Schon der 1.Mai 1933 wurde schließlich zum „Tag der nationalen Arbeit“ umfunktioniert und offiziell zum Feiertag erklärt. Schon einen Tag später, am 2.Mai 1933 besetzte die SA überall in Deutschland die Gewerkschaftshäuser. Die Gewerkschaften wurden verboten und viele Aktivisten verfolgt, gefoltert und ermordet.

Die Durchsetzung des Achtstundentags und eine Maifeier, die auch ihren Namen verdient, konnten erst nach der NAZI-Diktatur wieder angegangen werden, so wurde der 1.Mai 1948 zum ersten Mal nach dem Kriegsende in Westdeutschland wieder festlich begangen.

Mit der Forderung „40 Stunden sind genug“ gingen die Gewerkschaften 1955 auf die Straße. Doch erst in den 1960er Jahren gelang es, schrittweise den Achtstundentag und die 5-Tage-Woche zu verwirklichen.

In den frühen 1970er Jahren hatten die Gewerkschaften ihre Vorschläge für kürzere Arbeitszeiten wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Auch diesmal begründeten sie die Forderung nach einer kürzeren Arbeitszeit vor allem mit der „Humanisierung der Arbeitswelt“, der Trend zur Verdichtung des Arbeitstages sollte sozial abgefedert werden. Dann traten mit der Verschärfung der Wirtschaftskrise Ende der 1970er Jahre arbeitsmarktpolitische Argumente stärker in den Vordergrund. Die Umverteilung der vorhandenen Arbeit sollte nicht nur neue Arbeitsplätze schaffen, sondern auch die bestehenden sichern.

Seit den späten 1970er Jahren stand der Kampf um die Verkürzung der Wochenarbeitszeit im Vordergrund und wurde zunehmend härter ausgetragen.

Die 1984 geführten Arbeitskämpfe zur Einführung der 35-Stunden-Woche in der Metall- und Druckindustrie gehörten zu den längsten und härtesten in der bundesdeutschen Tarifgeschichte. Am Ende musste der Einstieg in die verkürzte Wochenarbeitszeit gegen eine größere Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung eingetauscht werden.

Die Flexibilisierung der Arbeitszeit war das Einstiegstor für die Flexibilisierung des gesamten Arbeitsmarktes. Nach dem Arbeitszeitgesetz von 1994 dürfen Arbeitnehmer an Werktagen nur acht Stunden arbeiten. Die Höchstarbeitszeit kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Weil auch der Samstag zu den Werktagen zählt, begrenzt das Arbeitszeitgesetz die zulässige Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden.

Im Rahmen der Hartz Gesetzgebung Anfang des Jahrhunderts sollten flexible Arbeitszeiten die Förderung der Leih- und Teilzeitarbeit der Vision eines „atmenden Unternehmens“ von Peter Hartz näherkommen. Die Arbeitszeitflexibilisierung war dann ein Teilaspekt für die zunehmende atypische Beschäftigung, die sich durch niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und keine oder geringe soziale Absicherung auszeichnet. Im Sinne der neoliberalen Vordenker brachte die Flexibilisierung und das Lohndumping in Deutschland einen weltweiten Konkurrenzvorteil, der sich dann auch an den Exportüberschüssen und horrenden Gewinnen deutscher Unternehmen, bei gleichzeitiger Überschuldung anderer Ländern, heute immer noch widerspiegelt.

Trotz dieser „Erfolgsgeschichte“ versucht die organisierte Unternehmerschaft aktuell die Regelung der Höchstarbeitszeit wieder infrage zu stellen. Sie plädieren vor dem Hintergrund der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt für eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten und sie fordern, die täglich zulässige Höchstarbeitszeit von acht Stunden abzuschaffen und stattdessen nur noch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit gesetzlich vorzuschreiben.

Gleichzeitig wird von ihnen das Sozial- und Arbeitsrecht wieder mal als viel zu bürokratisch diskreditiert, so wie sie das schon bei der Durchlöcherung des Mindestlohngesetzes erfolgreich gemacht haben.

Die Bundesregierung und die organisierte Unternehmerschaft, im Verbund mit dem Ko-Management einiger Gewerkschaften, vor allem der exportorientierten IG Metall, arbeiten mit Hochdruck daran, einen Vorsprung im IT-Bereich mit allen Mitteln für den weltweiten Konkurrenzkampf auszubauen. Da passt ihnen ein gesetzlicher Arbeitszeitkorridor nicht mehr in eine Welt, die 24 Stunden am Tag in Echtzeit online unterwegs ist und die Beschäftigten rund um die Uhr im Einsatz sind.

Was die schöne neue Arbeitswelt für den Achtstundentag bedeuten wird und in welche Richtung sich die Diskussionen entwickeln, das wird sich in den nächsten Jahren zeigen.

Aber erst einmal: Glückwunsch zum Hundertsten für den Achtstundentag.

 

 

Quellen: R. F. Lavigne, ADGB,  DGB, IG Metall     

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