„Wer arbeitet, muss was zu essen haben, wer nicht arbeitet, braucht nichts essen.“ Ich denke, es gibt nur wenige, die diesen Ausspruch des damaligen Arbeitsministers Franz Müntefering (SPD) von 2006 nicht kennen. In vielen Facetten zitiert, rückt er an die heutige Moderne heran, wenn ich die Erhöhung der Sozialleistung für 2022 in der Grundsicherung und bei Hartz IV um drei Euro bzw. bei Kindern und Jugendlichen um ganze zwei Euro betrachte. Damit erhält eine erwachsene alleinstehende Person nun 449 Euro monatlich. In Anbetracht der steigenden Inflation um rund vier Prozent haben das SPD geführte Finanzministerium und das Bundesarbeitsministerium offensichtlich den Matheunterricht geschwänzt.
Bundesarbeitsministerium: Mies in Mathe
Nun wird das Bundesarbeitsministerium dagegen argumentieren, dass – bedingt durch die Corona-Pandemie – die Mehrwertsteuer im letzten Jahr vorübergehend gesenkt wurde. Das ist korrekt. Dadurch sank der Wert des Warenkorbs, aus dem sich 70 Prozent des Bedarfs der Grundsicherungs-Regelsätze errechnet. Die restlichen 30 Prozent ergeben sich aus der Netto-Lohnentwicklung. Schön und gut, mag nun mancher denken. Allerdings kam im Nachhinein heraus, dass die Preisentwicklung und die Inflation von 3,8 Prozent des Sommers erst zu 2023 im Warenkorb berücksichtigt werden soll. Wie diese Differenz von den Betroffenen ausgeglichen werden soll: Den Ministerien scheint das egal zu sein. Und es soll ja Menschen geben, die es für richtig halten, dass Erwerbslose, Armuts-, und Erwerbsminderungsrentner:innen, die mit Grundsicherung ihre Rente aufstocken müssen, möglichst wenig Geld bekommen, um ihnen zu zeigen, dass sie Sozialschmarotzer sind. Dahinter steckt Menschenverachtung, Misstrauen und Hochmut. Die drei und die zwei Euro sind zunächst zementiert.
Das Ringen um die Würde
Nach der Bundestagswahl befinden sich Grüne und FDP nun in Sondierungsgesprächen. SPD und CDU/CSU werden in den nächsten Tagen einsteigen. Ein Bekenntnis oder gar rote / grüne Haltelinien zu Sozialleistungen habe ich bisher nicht gehört. Die Grünen forderten noch im Wahlkampf im ersten Schritt eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze um 50 Euro. Die ursprünglichen 600 Euro waren im Wahlkampf – zumindest in den Triellen – nicht mehr zu hören. Die SPD fordert ein sogenanntes Bürgergeld, welches von einer „Würde“ spricht. Eine „Würde“, die jedoch relativ ist, da Olaf Scholz (SPD) bis heute keine Summe genannt hat, um wie viel die Grundsicherungen erhöht werden soll. Umso zynischer klingt es, wenn die SPD ständig von Respekt redet, der aber komplett fehlt, wenn es um die Menschen geht, die nicht mehr „hart arbeiten“ können oder denen diese Chance erst gar nicht gegeben wird. Der Widerspruch konnte nicht deutlicher sein. Die FDP kennt erst keine Erhöhung und gibt indirekt selbst zu, dass ein Entkommen aus dem Hartz-IV-System sehr schwer ist, indem sie die Hinzuverdienstgrenzen erhöhen möchten. Es ist kein großes logisches oder analytisches Denken erforderlich, um zu erkennen, dass die von Armut Betroffenen in den Grundsicherungen bei den Sondierungs-Parteien kein oder ein geringes Standing haben. Die Grünen werden um kleinste Verbesserungen oder um den kleinsten möglichen Nenner ringen müssen. Mit Glück werden es die 50 Euro sein, die dann als Geschenk verkauft werden. Jedwede Reaktion von Betroffenen oder Nicht-Betroffenen sind dann ein Affront gegen das „Geschenk“, mit der Bitte den „Mund zu halten“. Quasi im Sinne: „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“
Übrigens ein Argument, das ich häufiger auch von Grundsicherungs-Leistungsberechtigten höre, wenn es um den „armutsfesten“ Satz von 600 Euro geht. Die Fragen sollten aber lauten: Wie wird eine sozio-kulturelle Teilhabe gewährleistet? Wie werden Menschen aus der Armut herausgeholt? Und wieso ist der Einzelne in den Grundsicherungen unserer Regierung, außer in der Armut verbleibend, nichts wert? Mit 50 Euro kommen wir da nicht weit. Es ist schlichtweg respekt- und würdelos.
Inge Hannemann ist eine der bekanntesten Kritiker:innen des Hartz-IV-Systems. In ihrer Kolumne für „Links bewegt“ schreibt sie regelmäßig zu sozialpolitischen Themen.
Quelle: Links bewegt - das Onlinemagazin der Partei DIE LINKE (links-bewegt.de) Bild: wiki commons cco