Seit den alten Römern gilt: Das Heiligste von allem ist das Eigentum. Die Machthaber müssen es unter allen Umständen schützen, weit mehr als Talent und Kreativität, weit mehr als soziale Besitzstände wie Löhne, Renten oder Mieten. Die alten Griechen hatten einen gerechteren Eigentumsbegriff. Die neuen Griechen versuchen, daran zu erinnern. Ganz im Sinne von Proudhon fragen sie wieder, ob bestimmtes, in diesem Fall spekulatives Finanz-Eigentum, nicht eigentlich Diebstahl ist, der nicht verdient, anerkannt zu werden.
In Zeiten, in denen sich immer mehr Eigentum auf den Konten weniger Superreicher und Oligarchen sammelt, stellt sich die Frage, ob die vielbeklagte Kluft zwischen Arm und Reich nicht kleiner würde, wenn der Staat über mehr Eigentum verfügen würde. Die Antwort lautet: Nein.
Eigentum von Bund, Ländern und Kommunen gilt als Privateigentum und wird dementsprechend nach § 903 BGB behandelt. Auch dieses BGB ist durch und durch vom römischen Rechtsdenken bestimmt. Man sollte meinen, nichts sei im Laufe der Jahrhunderte so gründlich definiert, untersucht, verfügt und festgelegt worden wie alle Formen des Eigentums. Doch weit gefehlt. Schon wenn es um die Grundbegriffe geht, widersprechen sich Wirtschaftswissenschaftler und Juristen heftig. Begriffe wie Gemeineigentum, Öffentliches Eigentum oder Staatseigentum werden oft synonym benutzt. Das ist verwirrend und nicht leicht aufzuklären. Man suche unter den 4.200 Stichwörtern von Becks Wirtschaftslexikon den durchaus gebräuchlichen Ausdruck Staatseigentum. Gibt es nicht. Genauso wenig wie im Juristischen Lexikon. Wikipedia? Fehlanzeige. Im ganzen Internet gelingt es nicht, eine einzige brauchbare Definition dafür zu finden, was etwa Staatseigentum im bürgerlichen Staat bedeutet. Erst recht gibt es keine Erklärung, wem in dieser Eigentumsform was gehört.
Können die Gewerkschaften Licht ins Dunkel bringen? Anlässlich einer schweren Absatzkrise hat die IG-Metall 1985 die „Vergesellschaftung der Stahlindustrie“ gefordert. Zu diesem Zweck sollten die privaten Aktionäre nach Artikel 15 des Grundgesetzes enteignet und entschädigt werden. Nach einer Übergangsphase würden Bund und Länder Alleinaktionäre sein. In ihrem „Stahlpolitischen Programm“ erläuterte die Gewerkschaft dazu, dass eine reine Änderung der Eigentumsverhältnisse nicht ausreichend sei, wie der Blick auf die Praxis einzelner, in Staatseigentum befindlicher Unternehmen zeige. „Im Gegensatz zur Verstaatlichung umschließt der Begriff Vergesellschaftung neben der Änderung der Eigentumsverhältnisse auch die Änderung der Verfügungsmacht über die Produktionsmittel.“ Diese müsse für gesellschaftliche Ziele genutzt werden, also für die Sicherung des Stahlstandortes und damit der Arbeitsplätze.
Erstaunlich. Staatseigentum plus Verfügungsmacht gleich Vergesellschaftung? Als ob man das Staatseigentum durch politische Aussagen in vergesellschaftetes Eigentum überführen könnte. So scheinen auch linke Politiker zu denken, wie man ihren in diesem zentralen Punkt bedenklich unklaren Programmen entnehmen kann. Das ist überraschend rechtsfern gedacht. Eigentum wechselt durch Verkauf, durch Insolvenz, durch Enteignung … durch alle möglichen Rechtsakte, nur nicht durch politische Aussagen. Die Verfügungsmacht ist gesetzlich geregelt, sie liegt immer beim Eigentümer. Dieser kann die Verfügung nach seinen Vorgaben auf andere übertragen, sie aber auch jederzeit zurückholen. Wenn der Staat der Eigentümer ist, kann es niemals die Gesellschaft sein. Deren Verfügungen kommen und gehen mit der politischen Wetterlage, der Eigentümer aber bleibt.
Sicher, Eigentum ist ein gesellschaftliches Verhältnis. Die Art der Eingriffsrechte ändert aber nichts daran, wem etwas gehört. Wenn das existierende Staatseigentum plus die existierende gewerkschaftliche Verfügungsmacht auch nur ansatzweise etwas mit Vergesellschaftung zu tun hätte, wie könnte dann dieses Staatseigentum gegen den eindeutigen Mehrheitswillen der Gesellschaft permanent privatisiert werden? 85 Prozent der Deutschen sind gegen Privatisierungen, dennoch hat der Staat, ohne die Bürger fragen zu müssen, in den letzten zwanzig Jahren zwei Drittel seiner großen Beteiligungen verscherbelt.
Es gibt nur Privateigentum
Ist dieses ärgerliche Königsrecht des Staates, über das vom Volk erarbeitete Eigentum ungefragt verfügen zu dürfen, ein Konstruktionsfehler der bürgerlichen Demokratie oder interessenbedingte Absicht, um die Macht bei der politischen Klasse zu halten und es nicht zur verfassungsmäßigen Volksherrschaft kommen zu lassen?
In diesen Angelegenheiten ist es erhellend, auf nüchterne Staatsrechtler zu hören: Das Gemeineigentum gehört allen Staatsbürgern. Die Verfügungsgewalt ist gesetzlich zu regeln. Das Privateigentum gehört einer natürlichen oder juristischen Person, die über die Verfügung selbst bestimmt. Das Grundgesetz kennt nur diese beiden Formen. Die bundesdeutsche Praxis kennt nur eine Form: Privateigentum. Eigentum ist immer ein Herrschaftsrecht über eine Sache. Beim Staatseigentum übt die juristische Person Staat dieses Herrschaftsrecht aus.
ARTIKEL 15 DES GRUNDGESETZES
„Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. (…)“
Eigentum juristischer Personen ist Privateigentum, auch wenn es kollektiven Verfügungsrechten unterliegt – in dem Fall wahrgenommen durch Organe von Regierung und Parlament. Staatseigentum ist also das Privateigentum des Staates. Kommunales Eigentum ist das Privateigentum der Kommune. Genossenschaftliches Eigentum ist das gemeinschaftlich genutzte Privateigentum der Genossenschaftler. Belegschaftseigentum ist das gemeinschaftlich genutzte Privateigentum der Belegschaft. Aktionärseigentum ist übrigens auch gemeinschaftlich genutztes Privateigentum von Anlegern in einem Unternehmen.
Besonders intransparent ist der Begriff Öffentliches Eigentum. Der ist nämlich eine Leerformel, ein Etikettenschwindel. Man kann getrost sagen, so unser Staatsrechtler, es gibt ihn aus Mangel an Rechtsmaterie gar nicht. Juristische Personen wie der Staat oder Religionsgemeinschaften können ihr Privateigentum durch Widmung, also Zweckbestimmung und praktische Nutzung, öffentlich zugänglich machen. Sie nennen dies irreführenderweise Öffentliches Eigentum. Dabei handelt es sich um Privateigentum, das der Öffentlichkeit gewidmet ist. Das sogenannte Öffentliche Eigentum gehört also der Öffentlichkeit nicht, es ist ihr quasi nur geliehen. Damit ist es gebunden, aber unter Bedingungen, auf die die Bürger so gut wie keinen Einfluss haben, weil sie von einigen wenigen im Staat verfügt werden. Diese Leihgabe kann, ohne die Öffentlichkeit zu fragen, von Regierungsbeamten zurückgenommen werden. Bei der Privatisierung Öffentlichen Eigentums wird also gebundenes staatliches Privateigentum in ungebundenes Privateigentum umgewandelt.
Noch intransparenter als das gebundene staatliche Eigentum ist also das ungebundene staatliche Eigentum. Darüber weiß der um souveränes Wissen ringende Staatsbürger herzlich wenig. Ist Staatseigentum in jedem Fall an das Allgemeinwohl gebunden? Eigentum verpflichtet, Staatseigentum erst recht? Oder ist es ohne die Widmung für Öffentliche Zwecke eigentlich zweckentfremdet?
Wie ist das zum Beispiel mit den 18,2 Milliarden Euro aus dem Bankenrettungsfond für die Commerzbank, mit denen der Staat zum Großaktionär wurde? Sind diese Aktien zweckgebunden an das Gemeinwohl oder sind sie stinknormales, unternehmerisches Privateigentum einer umfassend rechtsfähigen juristischen Person? Verbunden mit den üblichen Geschäftsgeheimnissen des privaten Rechts? Etwa dem, dass diese Bank in Hersteller von Atomwaffensystemen investiert?
Unterliegen alle staatlichen Beteiligungen und Unternehmen den gleichen Zwängen der Gewinnmaximierung wie jedes privatwirtschaftliche Unternehmen? Hat man als Lohnabhängiger überhaupt einen Vorteil, wenn man in einem staatlichen Betrieb arbeitet?
Was ist das Gegenteil von Privateigentum?
Soweit ich sehe, wird der Staatsrechtler sagen, haben sich Gewerkschafter, Wirtschaftswissenschaftler und Politiker mit diesen offenbar für juristische Spitzfindigkeiten gehaltenen Zusammenhängen nicht weiter aufgehalten. Sie wollen Verbesserungen für die arbeitende Bevölkerung, und zwar nicht auf dem Papier, sondern im Alltag, nicht nach der nächsten Revolution, sondern heute. Das ist nicht nur legitim, sondern bitter nötig. Als Pragmatiker haben sie die Erfahrung gemacht, dass die Chancen zur Mitbestimmung bei dem, was sie unter Öffentlichem Eigentum verstehen, trotz aller Einschränkungen noch besser sind als beim klassischen Privatunternehmer. Das ist zweifellos richtig.
Daraus ziehen sie aber den Schluss, das eine müsse das Gegenteil von dem anderen sein. Und wenn man die staatliche Seite durch politische Forderungen und soziale Bewegungen nur nachhaltig verbessere, dann werde man schon da ankommen, wo man hin will, nämlich bei der Vergesellschaftung. Deshalb ist für sie das Gegenteil von Privateigentum ein diffuser Mischmasch aus Staatseigentum, öffentlichem und gesellschaftlichem Eigentum. Das ist zweifellos falsch.
Das sogenannte öffentliche Eigentum ist keine demokratische Rechtsform, sondern unter Auflagen, auf die die Bürger keinen Einfluss haben, nur zur öffentlichen Nutzung freigegebenes Privateigentum des Staates. Verfügung haben einige wenige im Staat. Überführung in Staatseigentum hat also nichts mit Vergesellschaftung zu tun, sondern ist die freundliche oder feindliche Übernahme einer Form privaten Eigentums durch eine andere. Eigentlich wechselt nur der Verwalter. Was maroden Banken, wie der Hypo Real Estate, mitunter sehr recht ist, denn mit einem staatlichen Verwalter lassen sich Verluste noch besser sozialisieren. Wenn die Bank sich erholt hat, gibt der Staat sie den privaten Anlegern dann gern zurück. Ob auf Kosten der Bürger oder nicht, wer erfährt das schon. Für diesen Vorgang gibt es sogar einen Begriff: Notverstaatlichung.
Das Gegenteil von Privateigentum ist nicht Staatseigentum, sondern Gemeineigentum.
2008 musste der weltgrößte Autohersteller General Motors mit 100 Milliarden Dollar Schulden Insolvenz anmelden. Der Konzern wurde mehrheitlich verstaatlicht, mit der Folge, dass der Steuerzahler die Schulden ausglich, auch für das Tochterunternehmen Opel, und weltweit 47.000 Stellen gestrichen wurden. Nach nur sechzehn Monaten derartiger Rekonstruktion gab der Staat dieses Eigentum nicht etwa der Kommune oder der verbliebenen Belegschaft, sondern Privatanlegern zurück. Der Wiedereinstieg an der Börse war für sie hochprofitabel.
Das Gegenteil von Privateigentum ist nicht Staatseigentum, sondern Gemeineigentum. Ein im Grundgesetz als Option angebotener Begriff. Der Staat und seine Kommunen könnten in Rechtsträgerschaft, was im bürgerlichen Recht bisher nicht vorgesehen ist, große Teile des Gemeineigentums verwalten, wenn der Souverän die Kontrolle und das letzte Wort behält. Otto Bauer hat sich schon vor fast hundert Jahren einen paritätisch zusammengesetzten Verwaltungsrat als oberste wirtschaftliche Instanz vorgestellt. Doch ein Rechtsgefüge zum Gemeineigentum ist im Westen nie entwickelt worden.
Auch das Angebot des Grundgesetzes hat keine Partei aufgegriffen. Im Godesberger und Berliner Programm der SPD taucht der Begriff noch in verunklarender Weise auf. Im aktuellen Programm nicht mehr. Ebenso wenig wie im Grundsatzprogramm der Grünen. Dass auch die LINKE glaubt, in ihrem Programm die heiße Kartoffel Gemeineigentum zugunsten nebliger Umschreibungen fallenlassen zu können, ist ein besonderes Zeugnis von gedanklicher Drückebergerei.
Trennung von Eigentum und Staat
Hat diese Unschärfe praktische Konsequenzen? Wenn eine Bewegung den juristischen Geheimcode, mit dem sie operiert, nicht gedanklich knackt, werden ihre politischen Forderungen nicht zielgenau genug sein. Wo private Interessen sich des Öffentlichen Bereiches bemächtigen, sind der Korruption Tür und Tor geöffnet. Was gebraucht wird, sind Gesetze gegen die alleinige, privatrechtliche Verfügung von Parlament und Regierung über das Staatseigentum, um Missbrauch künftig auszuschließen. Das Parlament ist stolz auf sein Königsrecht, über den Haushalt verfügen zu dürfen, und stolpert nicht über die feudale Zuschreibung. Wie soll ein Volk herrschen, das kein Rechtssubjekt und damit auch kein Eigentümer sein darf?
In Europa soll die Kluft zwischen Arm und Reich derzeit ähnlich groß sein wie vor der Französischen Revolution. Neun von zehn Deutschen wollen eine andere Wirtschaftsordnung – aber wissen sie, was sie wollen?
Alle Funktionen des Kapitalisten werden nach der Verstaatlichung von „besoldeten Angestellten versehen“, erklärte Friedrich Engels, der das wahre Gesicht des Staatseigentums erkannte. Je mehr Produktivkräfte der Staat in sein Eigentum nimmt, „desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus“. Staatseigentum sei nicht die Lösung des Konflikts, aber es berge in sich „die Handhabe der Lösung“. Wenn nämlich die Gesellschaft Besitz ergreife von den Produktivkräften. Besitz ergreifen – nicht Mitbestimmung erbitten. Vergesellschaftung bedeutete für ihn, dass „nicht die Bürokratenklasse entscheidet, sondern die Produzenten“.
Damit befindet sich Engels übrigens in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz, das sich in Artikel 15 Vergesellschaftung auch nur auf der Basis von Gemeineigentum und Gemeinwirtschaft vorstellen kann. Erst wenn das Königsrecht bei den Bürgern angekommen ist, sind wir ökonomisch souverän. Der Wohlfahrtsstaat wird nur kommen, wenn wir unser Wohl nicht fahren lassen. Vergesellschaftung bedeutet die von den Bürgern genutzte Möglichkeit, über ihr Gemeineigentum zu verfügen. Staatseigentum verhindert Vergesellschaftung. Gemeingüter verdienen einen verfassungsmäßigen Schutz vor Privatisierung und damit eben auch vor Verstaatlichung.
So wie sich einst die Trennung von Kirche und Staat als Emanzipation erwies, muss heute die Trennung von Eigentum und Staat vorbereitet werden.
Daniela Dahn ist Journalistin und Schriftstellerin mit Schwerpunkt auf Essayistik. Mehr unter www.danieladahn.de. Dieser Text erschien in Lunapark 21 und wird hier mit freundlicher Genehmigung gespiegelt Bild: D.Dahn