Werkverträge und Leiharbeit als Streikhindernis – Linke Gewerkschaftsaktivisten übersehen die Spaltung der Belegschaften

Von Rolf Geffken

Die Belegschaften der großen Unternehmen aber auch vieler mittelständischer Betriebe sind inzwischen tief gespalten: Wo vorher eine einheitliche Belegschaft war – wenn auch mit unterschiedlicher Bezahlung – existiert heute ein Flickenteppich an prekarisierten Arbeitsverhältnissen. Die Stammbelegschaft macht regelmäßig nur noch 40-50% der Gesamtbelegschaft aus. Der große Rest sind Leiharbeiter, Werkvertrags- und Fremdbeschäftigte, befristet Beschäftigte, geringfügig Beschäftigte und Teilzeitbeschäftigte.

Vor allem die Leiharbeiter und die Fremdbeschäftigten unterliegen einem Sonderstatus: Sie haben einen anderen Arbeitgeber und sind damit von dem Tarif der Stammbelegschaft nicht erfaßt. Bei einem Arbeitskampf könnten sie nicht mit streiken. Ja es stellt sich die Frage, ob großflächige Streiks den Gewerkschaften überhaupt noch möglich sind. Die Streiks in der Metallindustrie Baden-Württemberg 1971 und 1973, auf die die Arbeitgeber mit Aussperrungen antworteten, wären in jedem Falle nicht mehr möglich.

Und zwar nicht ohne Zutun der Gewerkschaften selbst. S i e haben im Bereich der Automobilindustrie zB mit eigenen Tarifverträgen für Fremdfirmen dafür gesorgt, daß bei Arbeitskämpfen diese Fremdbeschäftigten von der Stammbelegschaft getrennt marschieren müßten. Ebenso bei den Leiharbeitern, denen die DGB-Gewerkschaften bis heute den Equal Pay in eigens für die Leiharbeit geschlossenen Tarifverträgen verweigern. Am gefährlichsten ist die Spaltung der Belegschaften bei den Werkvertragsbeschäftigten. Während die Leiharbeiter nur für einen bestimmten Zeitraum überlassen werden dürfen und nach diesem Zeitraum entweder ausscheiden oder aber in die Stammbelegschaft übernommen werden, sind die Werkvertragsbeschäftigten völlig „außen vor“. Dabei sind sie vielfach sogar in der unmittelbaren Produktion tätig. So werden Fremdbeschäftigte beispielsweise bei VW im gesamten Bereich der „Logistik“ eingesetzt. Dabei ist Logistik keineswegs ein von den anderen Bereichen abgegrenzter Transportsektor, sondern meint irgendwie auch im Bereich der Produktion abgewickelten „Transporte“, darunter sog. Routenzüge, die Materialteile an das Montageband bringen, Gabelstapler, die die Produktionslinie versorgen oder sogar die Dächer- und Fensterreinigung der Fahrzeuge, nachdem sie das Band verlassen haben.

An sich sieht § 10 AÜG vor, daß Fremdbeschäftigte einen Anspruch auf Festanstellung beim Stammbetrieb haben, wenn sie in die Arbeitsorganisation des Stammbetriebes eingegliedert sind. Die AÜG-Novelle schuf hier Erleichterungen, um den Mißbrauch von Leiharbeit zu verhindern. Doch den Arbeitgebern gelang es, mit Hilfe der Rechtsprechung diese Eingliederung in die Arbeitsorganisation „wegzumanipulieren“. Die Arbeitsorganisation wurde willkürlich von der Arbeitsorganisation der Produktionslinie getrennt und die Vorgesetzen aus dem Stammbetrieb im „Wege der Konzernleihe“ zu Mitarbeitern der Fremdfirma erklärt (obwohl sie davon gar nichts wußten). Die Mehrzahl der klagenden Beschäftigten blieb erfolglos. Vielfach erfuhren sie auch keine Unterstützung durch die IG Metall oder die Betriebsräte. Die AÜG-Novelle lief leer.

Die Auswirkungen dieser Erfolglosigkeit sind verheerend. Die Enttäuschung über die IG Metall und die Betriebsräte ist unter Werkvertragsbeschäftigten groß. Die Betroffenen fühlen sich allein gelassen und diskriminiert. Schon macht das böse Wort von der innerbetrieblichen Apartheid die Runde. Das Absurde ist, daß viele der Fremdbeschäftigten in derselben Arbeitskleidung und an denselben Arbeitsplätzen eingesetzt werden wie Stammbeschäftigte. Um den Anschein der gleichmäßigen Eingliederung zu „widerlegen“ werden sie nicht zur gemeinsamen Weihnachtsfeier der Kollegen eingeladen ihr Namensschild oder ihr Email-Account mit dem Zusatz „Extern“ versehen.

Längst ist nicht mehr nur die „Logistik“ erfaßt, sondern auch die Technik, die Entwicklung, Getriebetechniker und v.a.m. Wer diese Spaltung übersieht und nur die nachlassende Tarifbindung als gewerkschaftliches Problem betrachtet, der übersieht a u c h, daß nicht nur aus rechtlichen Gründen Streiks durch diese Spaltung nicht mehr möglich sind. Die Fremdbeschäftigten sind ein in die Belegschaft implementiertes Heer von Streikbrechern. Sie sind vielfach demotiviert, weit schlechter bezahlt, weniger gesichert in ihrem Status und entweder tariflos oder mit einem ganz anderen Tarif ausgestattet. Ihre Einbeziehung in Arbeitskämpfe begegnet zahlreichen objektiven und subjektiven Widerständen, vor allem aber dem Problem, daß sie nicht dem geltenden Tarifvertrag der Stammbelegschaft unterfallen. Die Arbeitgeber umgekehrt müssen angesichts dieser Tatsache nicht mehr – wie noch 1971 und 1973 auf das „Kampfmittel“ Aussperrung ausweichen (was tatsächlich zu einer Einheit der Belegschaft beitrug). Sie haben i m Betrieb genügend Widerstand gegen Streiks und Arbeitskämpfe „eingebaut“. Selbst Streikbrecher brauchen Sie nicht mehr. Werkvertragsbeschäftigte lassen sich leicht zu Streikbrucharbeiten einsetzen. Es ist erstaunlich, daß auch linken Gewerkschaftsaktivisten diese Zusammenhänge nicht bewusst zu sein scheinen. Sie sollten sich zu erst für eine Abschaffung und Reduktion der Leiharbeit und für ein Verbot von Werkverträgen einsetzen, bevor sie über neue Streikstrategien nachdenken.

 

 

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