Wie deutsche Firmen ihre Beschäftigten mit Kameras und GPS überwachen

Von Alexander Fanta

Viele Unternehmen kontrollieren ihre Mitarbeiter ständig mit den neuesten technischen Mitteln. Überforderte Datenschützer und rechtliche Grauzonen lassen ihnen freie Bahn.

Vielleicht war er ein krankes Kind in der Kita abholen. Oder er erledigte rasch einen Behördenweg. Der Angestellte einer Kanalreinigungsunternehmens war immer wieder mit dem Firmenauto privat unterwegs. Wo genau er war, wissen wir nicht. Doch eines ist sicher: Wegen der privaten Fahrten gab es Ärger mit den Vorgesetzten.

Die Firma wusste über alles Bescheid: Die Firmenleitung konnte den Dienstwagen bei jeder Haltezeit von mehr als 60 Sekunden orten – eine Straßenkarte voller roter Punkte. Durch GPS-Gerät legte das Unternehmen ein umfassendes Bewegungsprofil des Mitarbeiters an.

Überwachung im Firmenauto ist keine Seltenheit. In zumindest sieben deutschen Bundesländern meldeten Betroffene und Betriebsräte den Datenschutzbehörden Fälle von fragwürdigem GPS-Tracking in Firmenfahrzeugen. Das ergab eine Umfrage von netzpolitik.org bei den 16 Landesdatenschutzbehörden.

Ortung von Fahrzeugen und Videokameras sind zwei der häufigsten Arten der Überwachung am Arbeitsplatz. Immer mehr Firmen setzen auf Technik, um ihre Beschäftigten zu überprüfen und zu kontrollieren. Dabei helfen ihnen neue Hilfsmittel, Gesetzeslücken und überforderte Behörden.

Warnung vor Dauerüberwachung im Auto

Im Fall der Kanalreinigungsfirma ging die Sache für den Betroffenen glimpflich aus. Denn das Speichern der Bewegungsdaten über längere Zeiträume ist rechtlich klar unzulässig: „Positionsbestimmung von Fahrzeugen darf nicht zur lückenlosen Verhaltens-und Leistungskontrolle von Beschäftigten genutzt werden“, urteilte die Landesdatenschutzbehörde in NRW.

Die Firma erhielt ein Bußgeld, der GPS-Tracker wurde aus dem Fahrzeug entfernt. Der Fall landete durch die Behörde in den Medien.

Solche Fälle sorgen bei Datenschützern für Bedenken. Mehrere Landesbehörden fordern klare Grenzen für Monitoring über GPS. Die Datenspeicherung müsse einem konkreten Zweck dienen und dürfe nicht pauschal geschehen. Es sei fast immer ausreichend, wenn der Arbeitgeber Positionen ohne Speicherung bloß in Echtzeit verarbeite, schreibt das saarländische Datenschutzzentrum in seinem aktuellen Jahresbericht. „Lediglich in besonderen Ausnahmefällen, wie beispielsweise bei Geldtransportern oder Rettungsfahrzeugen, kann eine andere Betrachtung geboten sein.“ Dabei ist unerheblich, ob der Beschäftigte seiner Überwachung schriftlich eingewilligt hat. Denn er steht im Abhängigkeitsverhältnis zur Firma. Die Freiwilligkeit der Entscheidung, die für eine rechtlich gültige Einwilligung nötig sei, liege daher meist nicht vor, schreibt die saarländische Behörde.

Beschäftigte im Auge der Videokamera

Videoüberwachung am Arbeitsplatz sorgt laufend für Beschwerden. Sechs Landesdatenschutzbehörden berichteten auf Anfrage von netzpolitik.org über insgesamt mehrere dutzende aktuelle Fälle von fragwürdiger Videoüberwachung von Beschäftigten. „Videotechnik wird immer günstiger, verfügbarer und technisch ausgefeilter“, urteilen die Behörde in Nordrhein-Westfalen. „Unsere Beratungspraxis hat gezeigt, dass der Umfang von Videoüberwachung am Arbeitsplatz in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist.“

Bildübertragung über WLAN und Videokameras mit eingebauten Sim-Karten machen es einfacher denn je, die Beschäftigten ständig im Blick zu halten. Überwachungskameras werden inzwischen zum Dumping-Preis bei Discountern angeboten.

Häufig ist Misstrauen gegenüber den eigenen Angestellten im Spiel. In einem Fall installierte eine Firma in Baden-Württemberg zehn Kameras am Werksgelände, die so gut wie alle Arbeitsplätze erfassten – eine faktische Dauerüberwachung. Das Unternehmen erklärte die Kameras mit möglichen Diebstählen durch die eigenen Mitarbeiter, berichtet die baden-württembergische Datenschutzbehörde. Doch die Firma habe weder auf konkrete Vorfälle noch einen begründeten Verdacht verweisen können. Die Behörde ordnete die Entfernung aller Kameras an.

Stress in der rechtlichen Grauzone

Beschäftigte sind rechtlich nicht grundsätzlich vor der Videofalle geschützt. Im Vorjahr entschied das Bundesarbeitsgericht, dass Arbeitgeber recht frei darin sind, Videoaufnahmen vom Arbeitsplatz zu verwerten. Im Entscheidungsfall ertappten die Betreiber eines Tabak- und Zeitschriftenladens durch eine Sicherheitskamera eine Mitarbeiterin beim Diebstahl aus der Registerkasse – allerdings erst ein halbes Jahr nach der Tat. Die langfristige Speicherung von Videodaten von Beschäftigten ist rechtlich zwar eigentlich unzulässig. Doch das hindere den Arbeitergeber im Fall eines Diebstahls nicht bei der Auswertung der Daten, entschied das Gericht. Das Urteil legitimiere die Speicherung und Auswertung von Videoaufzeichnungen nach Belieben, beklagte der Arbeitsrechtler Peter Wedde. Es käme einer „‚Lizenz zur Vorratsdatenspeicherung‘ gleich.“

Die Gewerkschaften wünschen sich rechtliche Grenzen. In den Firmen fielen immer mehr Daten über Beschäftigte an, sagte Isabel Eder von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie zu netzpolitik.org. „Wenn wir damit leben müssen, dass es immer mehr Daten gibt, dann muss es auch ein Beweisverwertungsverbot für nicht rechtmäßig verarbeitete Daten geben.“

Datenschützer halten die rasante Verbreitung der Videoüberwachung für mehr als ein rechtliches Problem. „Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutet die Installation von Kameras im Betrieb oftmals einen Stressfaktor, weil sie sich nicht sicher sein können, wieweit sie einer Überwachung unterliegen“, urteilt die Behörde in Nordrhein-Westfalen.

Der Stress ist sogar wissenschaftlich nachweisbar: Zu viel Kontrolle macht krank. Der Psychologe Oliver Sträter von der Universität Kassel bezeichnet das als den „Lidl-Effekt“.

„Mein Rat an die Arbeitgeber: Das tiefe Misstrauen gegenüber den eigenen Mitarbeitern, das sich in einer Videoüberwachung auf ‚Vorrat‘ ausdrückt, sollte einer offenen Unternehmenskultur weichen, in der den Mitarbeitern Vertrauen entgegengebracht wird“, sagen die Datenschützer aus Stuttgart. Das bedeute nicht, dass Unternehmen Diebstähle oder andere Straftaten tolerieren müssten. Aber mit Videokameras dürfe nur auf konkrete Vorfälle reagiert werden. Ihr Einsatz müsse immer verhältnismäßig sein.

Kaum Strafen, ausgehungerte Behörden

Datenschutzverstöße gegen Beschäftigte bleiben oft folgenlos. Seit Geltungsbeginn der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Mai 2018 verteilten die Datenschutzbehörden bislang nur eine Handvoll Bußgelder wegen unzulässiger Überwachung von Mitarbeitern.

In vielen Fällen ging es um GPS-Tracking und Videokameras. Die Höhe der Strafen nach der DSGVO beträgt laut der Antworten von 14 Landesbehörden an netzpolitik.org weniger als 20.000 Euro. Einige Verfahren laufen zwar noch, einzelne hohe Strafen sind wegen laufender Einsprüche bisher nicht rechtskräftig. Doch zumeist kommen die Firmen mit einer Verwarnung davon. Die Behörden ordnen dann den Abbau von Geräten an – das hilft den Betroffenen, bewirkt aber kaum eine echte Abschreckung.

Sind die Datenschutzbehörden mit der Überwachung von Beschäftigten überfordert? Durch die DSGVO wuchs die Zahl der Aufgaben und der Fälle für den Datenschutz. Die Behörden seien klar personell unterbesetzt, sagt der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Ulrich Kelber. Die Datenschutzbeauftragte Nordrhein-Westfalens, Helga Block, klagt in ihrem Jahresbericht über eine „nie dagewesene Flut an Eingaben“ seit der DSGVO. Die Zahl der Beschwerden habe sich beinahe verdreifacht, ihre und andere Landesbehörden stießen an ihre Grenzen. Die Datenschutzbehörde in Mecklenburg-Vorpommern bat auf die Anfrage von netzpolitik.org um „Verständnis dafür, dass wir Sie bei Ihrem Vorhaben leider nicht unterstützen können.“ Wegen einer Flut an Beschwerden und knapper Personalausstattung sei es nicht möglich, die Anfrage zur Überwachung am Arbeitsplatz zu beantworten.

Die Gewerkschaften sehen die fehlenden Ressourcen der Datenschutzbehörden als großes Problem an. „Da braucht man auf jeden Fall mehr Personal“, sagte Gewerkschafterin Isabel Eder.

Gesetzeslücke beim Beschäftigtendatenschutz

Die Fälle zeigen eine deutliche Rechtslücke. Bereits vor mehr als drei Jahrzehnten forderten die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder erstmals eindeutige Schutzbestimmungen für Beschäftigte.

Doch das Vorhaben wird seither immer wieder vertagt. Der letzte Anlauf scheiterte 2013 unter der Koalition aus Union und FDP.

Ein neues Gesetz könnte endlich die Grenzen für Überwachung am Arbeitsplatz festlegen. Videoüberwachung sollte auf ein paar klar umrissene Fälle beschränkt, die Totalüberwachung von Beschäftigten bei der Nutzung des Firmenwagens verboten werden. Die Reform könnte Rechtssicherheit schaffen, die letztlich auch Firmen bei dem klar begrenzten und angemessenen Einsatz von Sicherheitstechnik schützt.

Doch das lange angekündigte Beschäftigtendatenschutzgesetz lässt auf sich warten. Union und SPD kündigten 2018 im Koalitionsvertrag an, ein eigenständiges Gesetz prüfen zu wollen. Das Bundesarbeitsministerium will nun nächstes Jahr einen Vorschlag machen. „Gegen Missstände, insbesondere im Hinblick auf den Einsatz neuer Technologien, werden wir vorgehen, damit sie nicht zu einem Dauerzustand werden“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Rande eines Besuchs vergangene Woche in Brüssel zu netzpolitik.org. „Wir setzen uns dafür ein, die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten am Arbeitsplatz auch in Zukunft wirksam zu schützen.“

Noch ist aber ungewiss, ob das Gesetz wirklich kommt und wie stark es ausfällt. Bis dahin herrscht in vielen Betrieben weiterhin Unsicherheit: Schaut der Vorgesetzte mir digital über die Schulter?

Wir suchen Fälle: Überwacht Euch der Arbeitgeber mit elektronischen Mitteln? Oder kennt ihr fiese Tricks von Firmen zur Bespitzelung ihrer Beschäftigten? Schreibt uns Eure Geschichte oder Euren Tipp an kontakt@netzpolitik.org, gern verschlüsselt. (OpenPGP)

 

Über den Autor: Alexander ist EU-Korrespondent für netzpolitik.org in Brüssel. Er berichtet über Datenschutz, Urheberrecht und alles Digitale. 2017 beschäftigte er sich als Stipendiat am Reuters-Institut für Journalismusforschung in Oxford mit automatisiertem Journalismus. Davor arbeitete Alexander für die österreichische Nachrichtenagentur APA. Er ist unter alexander.fanta ett Netzpolitik.org (PGP) und unter @FantaAlexx erreichbar.

 

 

Quelle und weitere Infos: https://netzpolitik.org/

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