Den Prolls die Fresse polieren – der Hass auf die Arbeiterklasse hat Hochkonjunktur

ATTZEDas Publikum krümmt sich vor Lachen, wenn Atze Schröder sich über Qualle und Schweinebacke aus Dortmund-Scharnhorst lustig macht und seine Sichtweise aus seinem Porsche über die beiden Scharnhorster in ihrem Opel Kadett Kombi darstellt. Die tags unter dem Video: „Opel, Pommes, Atze, schwanger, Dortmund, Kadett, Schröder, Qualle, Schweinebacke, verkorkst, Scharnhorst“ sind ja vielleicht noch recht harmlos. Aber wenn man genau hin hört, merkt man, dass er dabei tief in die Kiste des Sexismus, Rassismus und „Sozialschmarotzertums“ greift, in dem er Verhaltensweisen mit biologischen Merkmalen erklärt. Er ist sich auch bewusst, dass er damit auf einer Welle schwimmt, die aus England herüber geschwappt ist und das „Unterschichten-Bashing“ nun auch bei uns an der Tagesordnung ist.

Da sitzt ein Professor in der Talk-Show und erkennt der Frau, die Hartz-IV-Leistungen bezieht, die Fähigkeit der Zubereitung von Speisen ab. Einfach so, ohne weitere Erklärung.

Da wird darüber gegeifert, wie sich die arbeitslose „Schantall“ im Textil-Billigmarkt ihre High-Heels, Leggins und Glitzertops sowie Pflegeprodukte für ihre mit Extensions verlängerten blonden Haare kauft und dabei genüsslich Dosensekt schlürft. Sonst ernährt sie sich von Monsterpizza und RedBull.

Da stellt der penible Talkmaster im Vorabendprogramm die „bösen Rabeneltern“ vor einem Millionenpublikum an den Pranger. Sie haben ihre beiden Bälge, die „Tenieß“ und den „Tschastin“ nicht im Griff und sie berichten, dass deren frühmorgendlichen Aufstehzeiten ab circa 11.00 Uhr beginnen.

Da müssen vor laufender Kamera junge Menschen ihre verkommene Messi-Behausung ausmisten.

Da werden in den Shows die „dicksten und verfetteten Exemplare“ des Menschen vorgeführt, die über ihre Essgewohnheiten berichten.

Da betreut der Schuldnerberater als Fernsehonkel die ketterauchenden Jogginghosen-Träger, die so gerne um die Mittagszeit ihre ersten „Kleinen Feiglinge“ vernaschen.

Diese Beispiele lassen sich beliebig weiter aufzählen, sie beinhalten immer die gleichen Muster.

Materielle Armut und fehlende formale Bildung werden dabei immer ausschließlich auf individuelles Versagen zurückgeführt.

Die Sensationsmedien wollen vermitteln, dass Erwerbslosigkeit, Armut, Elend und die vielen Peinlichkeiten, das Ergebnis des individuellen Versagens, der Dummheit und des schlechten Charakters der „Prolls“ sind.

Vor allem sollen sie nicht das Ergebnis einer ungerechten Gesellschaft sein, die geprägt ist von riesigen Steuergeschenken für die Reichen, Lohndrückerei, prekären Arbeitsverhältnissen, verweigerten Bildungschancen und seit Jahrzehnten elend hoher Jugendarbeitslosigkeit. Einer Gesellschaft, in der die unteren Lohngruppen und Arbeitslosen kaum noch eine parlamentarische Vertretung haben und deren Hauptbeschäftigung, die Sicherung ihrer Existenz geworden ist.

Ob sich dann diese Hetze gegen angebliche „Sozialschmarotzer“ (CDU) oder eben gegen „Volksschädlinge“ (NPD) äußert, ist da lediglich eine Frage der Parteipolitik.

Aber was ist geschehen, dass dieser Klassenhass zum Teil unserer Kultur geworden ist.

Die Entwicklung ging von Großbritannien aus und hat mittlerweile, hochgepuscht durch die Medienkonzerne, auch eine breite Bevölkerung bei uns erreicht.

Die britische Bürgerrechtlerin Polly Toynbee sagte vor einigen Jahren: „Da die Arbeiterklasse politisch niemandem mehr Angst einjagt, respektiert sie auch niemand mehr und die da oben können ihre Überlegenheit auskosten, ganz wie im 18. Jahrhundert“.

Für den neoliberalen Umbau der westlichen Gesellschaften war und ist die Diskreditierung dieser abhängig beschäftigten Menschen eine historische Notwendigkeit, weil sie als Angehörige der Arbeiterklasse einzig und nur sie die Potentiale haben, Sozialabbau, Privatisierung und Deregulierung zu verhindern.

Im fortgeschritten Neoliberalismus ist die Angst sehr groß, dass in Zeiten der Wirtschaftskrisen, mit ihren sich verschärfenden gesellschaftlichen Widersprüchen die Klassengegensätze wieder aufbrechen, immer mehr abhängig Beschäftigte sich auf ihre Herkunft besinnen und sie die ersten Schritte für den Wiederaufbau ihrer Bewegung gehen. Somit zielt der neue Klassenhass vor allem auf die organisierten Arbeiter und ihre Gewerkschaften. Aktuelles Beispiel dafür bietet die mediale Hetzjagd auf den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Lockführer (GDL), dessen Haus, das er als Mieter bewohnt, abgelichtet und seine Anschrift veröffentlicht wird und dann noch er selbst alswichtiges Mitglied von Satans Legionen“ bezeichnet wird.

Das englische Wort für „Proll“ lautet „Chav“. 1998 – kurz nach der Wahl von Tony Blair zum Premierminister –, tauchte es erstmals im Internet auf. Es ist von dem Romani-Wort „Chavi“ abgeleitet und bedeutet ursprünglich „Kind“. Die „Chavs“ werden in der britischen Gesellschaft wie Kinder, als Unmündige, behandelt und als Abschaum bezeichnet.

Analysen des Meinungsforschungsinstituts Britain Thinks haben ergeben, dass vor allem drei Konsequenzen der wirtschaftlichen Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte diese gesellschaftlichen Prozesse ausmachten.

Erstens: Die Grundfeiler der Arbeiterklasse, beispielsweise die alteingesessenen Industriezweige und Wohnungsgenossenschaften wurden von der Thatcher-Regierung weitgehend zerstört. Als Thatcher 1979 die Regierungsgeschäfte übernahm, gab es noch über sieben Millionen Arbeitsplätze in der Industrie. Heute sind es nur noch 2,83 Millionen. Die meisten Unternehmen sind in Niedriglohn- und Entwicklungsländer abgewandert.

Zweitens: Thatcher ist es gelungen, in der Gesellschaft weitgehend die Auffassung zu verbreiten, dass alle versuchen sollten, Mittelschicht zu sein und niemand mehr stolz darauf sein soll, Arbeiter zu sein.

Drittens: Angehörige der Arbeiterklasse sind aus Politik und Medien – im britischen Parlament gehören ihr nur noch fünf Prozent der Abgeordneten an; über die Hälfte der 100 führenden Journalisten des Landes besuchten eine Privatschule – fast völlig verdrängt, und das hat zur ungehinderten Verbreitung von < Proll-Zerrbildern > geführt“.

Für die damalige Premierministerin Großbritanniens, Margret Thatcher, eine Schülerin Milton Friedmans („der Staat soll sich aus der Wirtschaft heraus halten“), und Vorkämpferin des Neoliberalismus in Europa, gab es gar „keine Gesellschaft. Es gibt einzelne Frauen und Männer und Familien“. Und die haben selber Schuld, wenn ihr Leben nicht so verläuft, wie das des derzeitigen Premiers David Cameron, Sohn eines adligen Millionärs und Eton-Schülers.
In den vergangen Jahren ist durch die Wirtschaftspolitik der Anhänger von Milton Friedman das „Proleten-Bashing“ auch zu uns rüber geschwappt.

Mithilfe unserer Presse wurde eine unglaublich hohe Zunahme von Sozialchauvinismus und Ressentiments gegen „die da unten“ wahrnehmbar.

Es wurden überzeichnete Figuren wie „Karibik-Knut“ und „Florida Rolf“ in den Medien kreiert und seit Jahrzehnten wird der Mythos vom massenhaften „Sozialbetrug“ immer aufs Neue am Leben gehalten. Einige Privatsender veranstalten regelrechte Hetzjagden auf Sozialhilfebedürftige.

Die Friedrich Ebert Stiftung veröffentliche im November 2014 Ergebnisse einer aktuellen Umfrage: „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) ist in der Gesellschaft und deren Teilgruppen weit verbreitet. Einigen Facetten, wie der Abwertung von langzeitarbeitslosen und asylsuchenden Menschen, stimmt fast die Hälfte der Deutschen zu“.

Wenn dann noch von sozialdemokratischer Seite nachgelegt wird, wird es ganz schwierig:

„Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft“, hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder der Bild schon 2001 gegenüber geäußert und allen gedroht, die in den Boulevardzeitungen als „Sozialschmarotzer“ gehandelt werden. Später machte er dann ernst und war verantwortlich für die Hartz-VI-Gesetzgebung. Er begrüßte dann sogar die Hartz IV-Sanktionen: „Das ist richtig so. Ich glaube allerdings, dass die Arbeitsämter die entsprechenden Möglichkeiten noch konsequenter nutzen können.“

Ex-SPD-Parteichef Kurt Beck empfahl einem Arbeitslosen, der ihn auf dem Weihnachtsmarkt wegen der Hartz IV-Gesetze beschimpfte: „Wenn Sie sich waschen und rasieren, finden Sie auch einen Job.“ Also Seife und Schaum gegen Arbeitslosigkeit.

Dazu machen die CDU/CSU Politiker Stimmung gegen Flüchtlinge und faseln von der „Einwanderung in die Sozialsysteme“.

Man muss sich dann nicht wundern, wenn die Nazi-Gruppen auf den Zug aufspringen und „dem Pöbel den Krieg erklären“ und gegen die „Parasiten“ wie Obdachlose, Asylbewerber, Behinderte und Arbeitslose vorgehen, sie mit dem Leben bedrohen.

Sie vollenden nur das konsequent, was die neoliberale Marktwirtschaft an Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Gewalt gegen „Nutzlose“ und „Leistungsgeminderte“ tagtäglich von uns verlangt.

Leute wie Atze Schröder sind keine Pausenclowns mehr, die als „Comedian“ ihr beschränktes Leben fristen, sie haben sich längst zum Brandstifter weiterentwickelt.

Quellen: Hintergrund.de, Owen Jones, YouTube, Friedrich Ebert Stiftung

Bild: promiflash.de