Wir weben hinein den dreifachen Fluch

Von Roberto De Lapuente

Dass Gewerkschaften ein Streikrecht haben, feiert man gemeinhin als demokratische Errungenschaft – wenn sie es dann aber in Anspruch nehmen, fährt man rabiate Methoden auf.

Das Urteil des Frankfurter Arbeitsgerichtes, wonach die GDL sehr wohl streiken dürfe und der Eilantrag der Deutschen Bahn nichtig sei, könnte der letzte Sieg für jene sein, die ihre Arbeit niederlegen müssen, um den Wert ihrer Arbeit zu betonen. Nach diesem Streik, so signalisiert die Berliner Blase, würde sich in diesem Punkt etwas ändern: Arbeitskämpfe sollen erschwert werden.

Verkehrsminister Wissing erklärt, dass sich die Politik dessen annehmen würde. Und zwar nach diesem Konflikt. Denn einmischen könne sich die Politik, die Bundesregierung genauer gesagt, nicht. Diese Einschätzung ist infam. Die Deutsche Bahn befindet sich zum 100 Prozent in Händen des Bundes. Die Beteiligungsführung ist dem Verkehrsministerium Wissings unterordnet. Natürlich kann er als Verkehrsminister den DB-Vorständen mindestens nahelegen, den Lokführern die Arbeitsbedingungen zu ermöglichen, die in anderen Branchen längst Realität sind. Das unterlässt Wissing – er geht gleich ans große Ganze: An das Streikrecht.

Streik möglich – aber dieses Recht bitte nicht nutzen

Diesen in Aussicht gestellten Generalangriff auf Arbeitnehmerrechte verbindet der Minister natürlich mit der moralischen Aufladung der Debatte um GDL und Deutsche Bahn. Er stellt sich, wie der Wirtschaftsministrant auch, selbstverständlich auf die Seite der Bahn – nicht direkt, nicht mit aller Offenheit, nein, indem man die Lokführer und ihre gewerkschaftlichen Funktionäre stigmatisiert, getreu dem blomeschen Motto: »Möge die Republik mit dem Finger auf sie zeigen.«

Natürlich betonen jene, die diesem Vorschlag eines geschliffenen Streikrechts für sogenannte »kritische Infrastruktur« – der Fahrgastverband Pro Bahn brachte diese Idee ins Spiel – befürworten, dass sie damit nicht das Recht auf Arbeitsniederlegung per se aushebeln möchten. Sie wollen es nur modifizieren. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, sprach einem Arbeitskampfrecht das Wort, »das gerade auch für die Infrastruktur angemessene Ankündigungsfristen, Schlichtungsregelungen und Abkühlungsphasen vorsieht«. Übersetzt: Der Streik brauch einen ganz engen Korridor, in dem das Streiken selbst fast unmöglich wird.

Das wäre in letzter Konsequenz das, was wir seit vielen Jahren in dieser besten aller Republiken schon als rhetorischen Kniff der Liberalen kennen. Sie betonen stets treu, dass es Freiheiten gäbe in dieser Gesellschaft – aber die eine oder andere Freiheit, auch wenn sie verbrieft ist, sollte man vielleicht nicht überstrapazieren oder gar nutzen. Auch dann nicht, wenn die Nutzung dieser Freiheit grundgesetzlich garantiert ist. Denn nicht alles, was man kann, muss man auch machen. Das ist erstaunlich, denn die Freiheiten für Megakonzerne, die Steuerzahlungen regelrecht outsourcen, die finden dieselben Leute zwar auch doof – aber was will man machen, wenn die Gesetze nun mal so sind wie sie sind?

Und so liest man jetzt allenthalben, dass die GDL auf ihre Weise streike, weil sie damit Vorteile erzielen wolle. So würde sie zum Beispiel wellenstreiken, damit Notfallfahrpläne nicht richtig griffen. Für die Fahrgäste ist das natürlich nachteilig – aber dass eine Gewerkschaft strategisch streikt, kann man ihr doch nicht vorwerfen. Streik heißt auch, entschuldigen Sie die Anleihen an unsere schöne große neue Zeit: Whatever it takes.

Auf dem Boden eines Grundgesetzes, das längst nicht mehr heilig ist

Claus Weselsky, Vorsitzender der Lokführergewerkschaft, erläutert immer wieder, dass die Streiks der Lokführer auf dem Boden des Grundgesetzes stehen würden. Er will damit sagen: Wir machen nichts, was nicht erlaubt wäre. Das wissen Wissing und Kollegen natürlich. Daher ja ihr geplanter Anschlag auf das Streikrecht. Denn wenn einem die Grundlage Freiheiten gestattet, muss man eben die Grundlage entziehen: Freiheitsrechte sind in diesem Deutschland Gnadenrechte. Der Junkerstaat liegt den Dienstgebern hierzulande einfach in den Genen.

Ob der GDL-Chef selbst weiß, dass das Grundgesetz in diesen Zeiten auf sehr dünnem Eis steht? Wenig bis gar nicht kümmert es die Ampelgranden jedenfalls. Sie basteln sich Sondervermögen und Fonds und sind beleidigt, wenn Karlsruhe mahnt, dass hier etwas grundgesetzwidrig verläuft. Die Verfassungsrichter machen sich damit verdächtig. Delegitimieren sie den Staat? Wie könnte man sie austauschen, diese Störenfriede in samtroten Roben?

Darüber nachzudenken erscheint in diesen Tagen nicht unbedingt Staatsfeindschaft auszumachen. Alles steht auf dem Prüfstand. Eben auch das Streikrecht. Mittels »Notdienstverpflichtung« könne man es für die Schiene oder das Flugwesen aufweichen. So wie in Krankenhäusern, wie das im Umfeld der Streikkritiker nun häufig erklärt wird. Wenn kein Unterschied mehr zwischen medizinischer Versorgung und Mobilität, zwischen Lebensrettung und dem Pendeln zum Arbeitsplatz gemacht wird, sagt das viel über die wirkliche Diversitätskompetenz in dieser täglich die Diversität predigenden Republik aus.

Hubert Aiwanger musste sich vor einigen Monaten bei Lanz rechtfertigen, weil er bei einem Auftritt in einem Bierzelt rief, dass sich die Bürger dieses Land zurückholen müssten – adressiert war das an die Berliner Blase. So sprechen Leute wie Trump oder Orbán, so redet die AfD: Das warf ihm der ZDF-Journalistenmime vor. Aber was daran ist falsch? Gehört das Land nicht den Bürgern? Haben sie kein Recht darauf, dass die Politik ihre Belange ernstnimmt und ihnen bei der Verbesserung der Lebensumstände hilft?

Neues Deutschland

Es wird in der Tat Zeit, dass sich die Bürger dieses Land zurückholen. Es würde nichts machen, wenn dieser Plan schnell umgesetzt würde: Denn die Zeit drängt. Wir erleben zur Stunde, wie die politische Kaste mithilfe der Hofberichterstattung gegen das Volk regiert. Sie weisen in eine Eskalation eines noch regional begrenzten Krieges – und im Inneren basteln sie an neuen Gesetzen, hegen bestehendes Recht ein: Ihnen steht an allen Fronten, innen wie außen, ein ganz neues Land vor Augen. Ein starkes Deutschland in der Welt, welches innen den Burgfrieden ausruft. Streikende Arbeitnehmer passen in so ein Bild nicht.

Es wird eng in Deutschland. Kleinkariert. Bedrückend. Wilhelminisch zwo. Das Demokratieförderungsgesetz soll die Regierung beispielsweise verpflichten, bestimmten Nichtregierungsorganisationen Geld zuzuschustern – Steuergeld, um genau zu sein. Und es soll nach Maßgabe derer unter die Nichtregierungsorganisierten gebracht werden, die es verteilen. Die Einseitigkeit ist dabei kalkuliert. Wenn eine Organisation »nicht Regierung« sein will: Warum braucht sie dann staatliche Gelder? Früher wurde das Kürzel NGO mit Unabhängigkeit konnotiert. Auch das hat man eingehegt. Gleichwohl friedet man den Meinungspluralismus ein. Recht schnell wird man als Staatsfeind eingestuft, der den Staat beseitigen will – und das nur, weil man Nancy Faeser scheiße findet.

Dabei war es mal ausgewähltes Bürgerrecht, sein politisches Personal scheiße finden zu dürfen. Es musste nicht mal begründet werden, ein Kopf in Birnenform reichte schon, um seine Aversion kundtun zu dürfen. Wer aber heute Nancy, Robert und andere ablehnt, macht sich verdächtig. Steht er mit den Umsturzrentnern im Bunde? Mit Putin und damit mit der Hölle selbst? Hält er es etwa mit diesem römischen Friedensfranziskus? Will er sich am Ende gar das Land zurückholen und es denen, die es sich zur Beute machten, wieder abluchsen?

Zeitenwende: Man kann dieses Wort wirklich nicht mehr hören. Aber sie existiert nun mal. Und sie umfasst mehr als exportierte Gerätschaften, die das Zeug haben, menschliche Gedärme nach außen zu kehren. Ein hässliches Bild? Stimmt! Aber Realität – denn anders als es die waffenlieferungsbefürwortenden Totschläger durchschimmern lassen, splittern nun mal Knochen, spritzt halt Blut, zerreißt es eben Haut und Darmwände. Man muss das deutlich, ja bildlich sagen, damit alle Welt begreift, welche Hölle sie herausbeschwört. Der Verkehrsminister hat indes einen Satz gesagt, den wir uns merken sollten – nämlich: Es ende mit einem Kompromiss oder gar nicht. Er meinte natürlich den Streik – für den Ukrainekrieg gilt das jedoch auch. Auseinandersetzung gleichen einander nicht. Aber wie sie behoben werden können: Da sind sie sich durchaus ähnlich.

 

 

 

 

 

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