Von wegen Mindestlohn von 12,00 Euro – der Mindestlohn steigt zum 01.01.2021 um 15 Cent auf 9,50 Euro brutto!

Am 30. Juni 2020 hat die Mindestlohnkommission ihren Dritten Beschluss zur Anpassung der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns gefasst und die Bundesregierung setzte nun den angepassten Mindestlohn durch eine Rechtsverordnung in Kraft. Am 01.01.2021 steigt der gesetzliche Mindestlohn auf 9,50 Euro, zum 01.07.2021 auf 9,60 Euro, zum 01.01.2022 auf 9,82 Euro und zum 01.07.2022 auf 10,45 Euro, jeweils brutto je Zeitstunde.

Dieses Ergebnis ist nicht nur der Arbeit der Kommission „vor dem Hintergrund der vorliegenden Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie der Erkenntnisse zur Beschäftigungs- und Wettbewerbssituation“ geschuldet, sondern liegt einem Deal der Regierungsparteien zugrunde. Vor allem aber verdeutlicht es noch einmal, dass die Festlegung des Mindestlohns durch die staatlichen Institutionen die Gewerkschaften insgesamt vorführt und zeigt das Scheitern gewerkschaftlicher Lohnpolitik der letzten Jahrzehnte auf.

Am 30. Juni 2020 hat die Mindestlohnkommission ihren Dritten Beschluss zur Anpassung der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns gefasst:

Beschluss der Mindestlohnkommission nach § 9 MiLoG

„Beschluss

Die Mindestlohnkommission hat in ihrer Sitzung vom 30. Juni 2020 einstimmig beschlossen, den gesetzlichen Mindestlohn in folgenden Stufen zu erhöhen:

Zum 01.01.2021                                9,50 Euro

Zum 01.07.2021                                9,60 Euro

Zum 01.01.2022                                9,82 Euro

Zum 01.07.2022                               10,45 Euro

jeweils brutto je Zeitstunde.

Begründung

Die Mindestlohnkommission prüft im Rahmen einer Gesamtabwägung, welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen sowie Beschäftigung nicht zu gefährden. Bei der Festsetzung der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns orientiert sie sich nachlaufend an der Tarifentwicklung. Die vorliegenden Erkenntnisse zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf die im Mindestlohngesetz genannten Kriterien hat die Kommission im Rahmen ihres Dritten Berichts an die Bundesregierung, der gemeinsam mit diesem Beschluss veröffentlicht wird, umfassend dokumentiert.

Die Beschlussfassung fällt in diesem Jahr in eine Zeit großer Unsicherheit angesichts der Corona-Pandemie und deren wirtschaftlichen Folgen. Für das Gesamtjahr 2020 wird gesamtwirtschaftlich eine deutliche Rezession erwartet, wobei es erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Branchen gibt. Für das Jahr 2021 gehen die aktuellen Prognosen von einer wirtschaftlichen Erholung aus. Ab 2022 ist eine Rückkehr auf das Niveau des Bruttoinlandsprodukts von vor der Pandemie zu erwarten.

Die Anpassung lässt laufende Tarifverträge im Wesentlichen unberührt. Durch die frühzeitige Ankündigung der einzelnen Anpassungsstufen bis ins Jahr 2022 haben die Tarifvertragsparteien zudem die Möglichkeit, die Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns bei der Fortentwicklung ihrer Tarifverträge zu berücksichtigen.

Die vorliegenden wissenschaftlichen Evaluationsstudien kommen für die Mindestlohneinführung zu dem Ergebnis, dass es bislang nur geringe negative Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf die Beschäftigung gab. Diese betrafen unmittelbar nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 vorrangig die ausschließlich geringfügige Beschäftigung („Minijobs“). Die nachfolgenden Erhöhungen des Mindestlohns hatten keine statistisch messbaren Auswirkungen auf die Beschäftigung. Die nun beschlossene vierstufige Erhöhung des Mindestlohns dient dazu, die Lohnkostensteigerungen für die betroffenen Betriebe vor dem Hintergrund der gegenwärtigen wirtschaftlichen Krise tragfähig zu verteilen.

Der heutige Beschluss zur Erhöhung des Mindestlohns soll zu fairen und funktionierenden Wettbewerbsbedingungen beitragen, indem er einem Verdrängungswettbewerb durch niedrigste Arbeitsentgelte entgegenwirkt. Für Betriebe, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Löhnen auf Mindestlohnniveau beschäftigen, bedeutet ein höherer gesetzlicher Mindestlohn steigende Lohn-und damit Produktionskosten. Die vorliegenden Evaluationsergebnisse zeigen, dass es den Betrieben ganz überwiegend gelungen ist, sich an das höhere Lohnkostenniveau anzupassen und keine grundsätzlich nachteiligen Wirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Wettbewerbssituation zu beobachten sind.

Für die Orientierung an der nachlaufenden Tarifentwicklung stützt sich die Mindestlohnkommission auf den Tarifindex des Statistischen Bundesamts. Konkret werden entsprechend der Definition des gesetzlichen Mindestlohns als Stundenlohn die tariflichen Stundenverdienste ohne Sonderzahlungen als Basis herangezogen.

Vor dem Hintergrund der vorliegenden Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie der Erkenntnisse zur Beschäftigungs- und Wettbewerbssituation hält es die Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung für vertretbar, den Mindestlohn in diesen Stufen und in diesem Umfang zu erhöhen, um den Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirksam zu verbessern.

Einzelne Gesichtspunkte wurden in der Kommission unterschiedlich diskutiert und bewertet. Im Ergebnis hält die Kommission die beschlossene stufenweise Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns im Rahmen der im Gesetz vorgeschriebenen Gesamtabwägung für angemessen. Bei künftigen Entscheidungen wird die Kommission erneut prüfen, welche Höhe des gesetzlichen Mindestlohns im Rahmen der Gesamtabwägung mit Blick auf die im Mindestlohngesetz genannten Kriterien tragfähig ist. Die Mindestlohnkommission hat die Möglichkeit zur Durchführung einer Anhörung nach § 10 Abs. 3 MiLoG genutzt. Die Stellungnahmen sind in einem Ergänzungsband zum Dritten Bericht der Mindestlohnkommission enthalten.

Berlin, 30. Juni 2020“

 

Mitglieder der Mindestlohnkommission

(aus: mindestlohnkommission.de)

„Alle fünf Jahre schlagen die Spitzenverbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihre Vertreter vor, die die Bundesregierung dann als Mitglieder in die Mindestlohnkommission beruft.

Vorsitzende(r)

Die oder der Vorsitzende wird auf Basis eines gemeinsamen Vorschlags der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer benannt. Die Berufung erfolgt durch die Bundesregierung. Wird kein gemeinsamer Vorschlag unterbreitet, beruft die Bundesregierung je eine Person auf Vorschlag der beiden Parteien. In diesem Fall wechselt der Vorsitz nach jedem Beschluss (nach je zwei Jahren). Über den erstmaligen Vorsitzenden entscheidet das Los.

6 stimmberechtigte Mitglieder

Je drei der stimmberechtigten Mitglieder werden auf Vorschlag der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer von der Bundesregierung berufen.

2 beratende Mitglieder

Zusätzlich wird auf Vorschlag der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer je ein beratendes Mitglied von der Bundesregierung berufen. Sie kommen aus den Kreisen der Wissenschaft, müssen unabhängig sein und bringen ihren wissenschaftlichen Sachverstand bei den Beratungen mit ein.

Mitglieder:

Jan Zilius

Vorsitzender

  • Jahrgang 1946
  • Studium der Rechtswissenschaften an der Universität des Saarlandes und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
  • Seit 1976 Rechtsanwalt
  • 1980 – 1990 Justitiar der IG Bergbau + Energie (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie) in Bochum
  • 1990 – 2007 Mitglied in verschiedenen Vorständen und Aufsichtsräten des RWE-Konzerns
  • Seit 2007 verschiedene ehrenamtliche Funktionen im sozialen, sportlichen und kulturellen Bereich

 

Robert Feiger

Arbeitnehmerseite

  • Jahrgang 1962
  • Ausgebildeter Industriekaufmann und Gewerkschaftssekretär
  • Seit 1982 Mitglied der IG BAU (Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt), seit 2013 ihr Vorsitzender
  • Mitglied im Aufsichtsrat des süddeutschen Bauunternehmens Bauer AG
    und der Zusatzversorgungskassen für das Baugewerbe

 

Stefan Körzell

Arbeitnehmerseite

  • Jahrgang 1963
  • Gelernter Maschinenschlosser
  • Seit 1980 Mitglied der IG Metall (Industriegewerkschaft Metall)
  • Seit 2014 Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes (Deutscher Gewerkschaftsbund)
  • Mitglied u.a. im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und des Kuratoriums der Hans-Böckler-Stiftung
  • Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA)
Andrea Kocsis

Arbeitnehmerseite

  • Jahrgang 1965
  • Studium Sozialarbeit, Studium Anglistik, Germanistik, Romanistik
  • Beschäftigte und freigestellte Betriebsrätin Deutsche Post AG
  • Seit 1991 Mitglied ver.di
  • Seit 2001 Gewerkschaftssekretärin in ver.di
  • Seit 2007 stellvertretende Vorsitzende der ver.di
  • Stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Deutsche Post AG
  • Mitglied u. a. im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und
    im Vorstand der Hans-Böckler-Stiftung

Anmerkung L.N.: Obwohl sich der ver.di­-Bun­deskongress Ende September ver­gangenen Jahres auf einen Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde festgelegt hatte, kommentierte die stellvertretende ver.di­-Vorsitzende Andrea Kocsis Ende Juni 2020 die Einigung so: „Allen Beteiligten ist klar, dass es sich dabei um einen Kompromiss handelt, dessen Ende aber im­merhin eine deutliche Erhöhung steht, die den betroffenen Be­schäftigten Verlässlichkeit gibt“.

 

Brigitte Faust

Arbeitgeberseite

  • Jahrgang 1955
  • Diplom-Betriebswirtin
  • Seit 1997 im Konzern Coca-Cola, 1997 bis 2008 Personalleiterin beim Konzessionär Bremer Erfrischungsgetränke, ab 2008 Director HR Employee & Industrial Relations
  • 2016 bis 2018 Geschäftsführerin/Arbeitsdirektorin von Coca-Cola European Partners Deutschland (CCEP DE)
  • Mitglied des Präsidiums der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
  • Vorsitzende des Ausschusses für Arbeitsmarktfragen der BDA
  • Präsidentin der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss (ANG)
  • Mitglied im Aufsichtsrat des Pensions-Sicherungs-Vereins aG (PSVaG)
  • Mitglied des Aufsichtsrates der Pfizer Deutschland GmbH

 

Steffen Kampeter

Arbeitgeberseite

  • Jahrgang 1963
  • Diplom-Volkswirt
  • Mitglied des Deutschen Bundestages von 1990 bis 2016, ab 1999 Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Haushaltsausschuss. Von 2005 bis 2009 Haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion
  • Von 2009 bis 2015 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen
  • Seit Juli 2016 Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
  • Mitglied im Kuratorium der Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte in Rom, Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG und der Deutschen Bahn Mobility Logistics AG, Mitglied im Verwaltungsrat der Deutschen Welle.

 

Karl-Sebastian Schulte

Arbeitgeberseite

  • Jahrgang 1972
  • Politik- und Wirtschaftswissenschaftler, Bankfachmann
  • 2004-2009 Geschäftsführer des Parlamentskreises Mittelstand (PKM) der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
  • Seit 2010 Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) und des Unternehmerverbandes Deutsches Handwerk (UDH)
  • Mitglied des Verwaltungsrates der Bundesagentur für Arbeit
  • Mitglied des Tarifausschusses beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales
  • Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA): Mitglied des Steuerkreises
  • Verband Deutscher Bürgschaftsbanken: Mitglied des Vorstandes, Stellvertretender Vorsitzender
  • Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld

Wissenschaftliches Mitglied

  • Jahrgang 1966
  • Volkswirt, 2002 bis 2010 als Professor an den Universitäten Marburg und Heidelberg
  • Seit 2010 Direktor des Walter Eucken Instituts und Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
  • Seit 2003 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen
  • Seit 2011 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
  • Seit 2013 Mitglied im Unabhängigen Beirat des Stabilitätsrats
  • Seit 2008 Ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften)
  • Seit 2008 Mitglied und seit 2011 Sprecher des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Marktwirtschaft („Kronberger Kreis“)

 

Dr. Claudia Weinkopf

Wissenschaftliches Mitglied

  • Jahrgang 1963
  • Diplom-Volkswirtin
  • 1990 bis 2006 Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Projektleiterin und zuletzt Forschungsdirektorin im Institut Arbeit und Technik (IAT)/Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen
  • seit 2007 Leiterin der Forschungsabteilung „Flexibilität und Sicherheit“ im Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ), Universität Duisburg-Essen, seit März 2007 Stellvertretende Geschäftsführende Direktorin des IAQ
  • Sept. 2009 bis Aug. 2014 Stellvertretendes Mitglied des Hauptausschusses für Mindestarbeitsentgelte
  • seit Juli 2013 Mitglied des Hochschulrates der Universität Duisburg-Essen“

 

Auszahlung des Mindestlohns wird in vielen Branchen unterlaufen

In Deutschland wurde im Jahr 2015 der Mindestlohn eingeführt. Heute, 5 Jahre später, werden immer noch viele Beschäftigte um ihren Lohn geprellt und dem Staat entgehen Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben.

Neue Zahlen, die die Spezialeinheit Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) nun veröffentlichte zeigen, dass in Speditionen, Landwirtschaft, Pflegeheimen, Gastronomie- und Reinigungsgewerbe die Auszahlung des Mindestlohns viel zu selten kontrolliert wird. Die Unternehmen werden kaum vom Zoll behelligt, können ruhig schlafen und weiter von den Extra-Profiten träumen. Dreist wird die Auszahlung des Mindestlohns, die korrekte Aufzeichnung von Arbeitsstunden und das gesetzlich vorgeschriebene Bereithalten von Unterlagen flächendeckend unterlaufen.

Die Umgehung der Zahlung des Mindestlohns ist in bestimmten Branchen besonders häufig anzutreffen, vor allem im Hotel- und Gaststättengewerbe, Einzelhandel und bei den privaten Haushalten. Dort sind besonders hohe Zahlen von Verfehlungen beobachtet worden und die Umgehung wird im Regelfall über die Gestaltung der Arbeitszeiten, konkret über unbezahlte Mehrarbeit erreicht. Die vielen unterbezahlten Menschen wissen genau, dass sie in der vorgegebenen bezahlten Zeit ihre Leistung nicht erbringen können. Sie müssen sich ihrem Schicksal ergeben, weil man das nur nachweisen und bekämpfen kann, wenn die Arbeitszeiten auch konkret kontrolliert würden.

Hier liegt auch der Grund dafür, warum einige Branchen wie die Gastronomie, immer schwere Geschütze gegen den Mindestlohn auffahren – nicht wegen der Höhe des Lohns, sondern weil durch die Kontrollen erstmals die Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz ans Tageslicht kommen.

Besonders kreativ sind die Unternehmen, wenn es um die Erfindung von Möglichkeiten geht, um den Mindestlohn zu unterlaufen. In der alltäglichen Praxis gab es bisher solche Tricksereien:

  • In der Gastronomie wurden Trinkgelder verrechnet.
  • Zuschläge wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld wurden gestrichen, um damit formell den Stundenlohn anzuheben.
  • Bei anderen fiel der bisher gezahlte Sonn- und Feiertagszuschlag plötzlich weg.
  • Beschäftigte durchliefen ein mehrmonatiges Praktikum und bekamen dafür kein Geld. Laut Mindestlohngesetz ist ein freiwilliges Praktikum nach Studium oder Berufsausbildung ab dem ersten Tag der Beschäftigung mit dem Mindestlohn zu vergüten. Ausnahmen gibt es nur für bestimmte Pflicht- oder Orientierungspraktika. Reguläre Arbeit wurde so als Praktikum deklariert, obwohl es sich nicht um Lernverhältnisse handelte.
  • Die Unternehmen reduzierten formell die Arbeitszeit, um so bei gleichbleibendem Monatsentgelt auf den Mindestlohn zu kommen. So etwas bedarf einer Vertragsänderung, der beide Seiten zustimmen müssen.
  • Wurde die Arbeitszeit wegen des Mindestlohns einseitig reduziert, erwarteten die Betriebe trotzdem die bisherige Arbeitsleistung, allerdings nun unbezahlt.
  • Beschäftigte erhielten zwar den Mindestlohn, mussten aber eine „Umsatzabgabe“ zahlen.
  • In einigen Betrieben wurden bis zu 200 Überstunden nicht bezahlt. Wenn nach den Belegen gefragt wurde, gab es die gar nicht.
  • Einige Unternehmen machten sich dagegen nicht einmal die Mühe, die Nichteinhaltung des Mindestlohns zu vertuschen. Sie weigerten sich ganz offen, den Mindestlohn zu zahlen.
  • Als Teil des zustehenden Lohns wurden Mitarbeiterinnen im Sonnenstudio Solarium-Gutscheine, im Kino Gutscheine für Popcorn oder in der Sauna Wellness- Gutscheine überreicht.
  • In Nagelstudios wurde nur für die Zeit bezahlt, in der die Angestellte auch Kunden betreute.
  • Manche Gastronomen oder Friseure ließen ihre Mitarbeiter als Selbstständige für sich arbeiten.
  • Frührentner, die als Busfahrer Schüler fuhren, sollten nur dann bezahlt werden, wenn die Busse auch besetzt waren.
  • In Bäckereien wurde die Vorbereitungszeit vor der Geschäftsöffnung unter den Tisch fallen gelassen.
  • Eigentlich reguläre Arbeit, wie vor allem im Bereich Soziale Dienste, wurde als Ehrenamt deklariert und dort wurden Minijobs mit dem Ehrenamt gekoppelt.
  • Die Zeitvorgaben wurden so kurz bemessen, dass sie nichts mehr mit dem realistischen Zeitaufwand zu tun hatten und bezahlt wurde nur die vorgegebene Zeit und nicht die tatsächliche.
  • Im Taxigewerbe wird das Mindestlohngesetz in besonderem Maße verletzt. Neun von zehn Taxifahrern in Deutschland arbeiten für niedrigere Löhne als gesetzlich vorgeschrieben.
  • Im Reinigungsgewerbe sind Arbeitsverträge mit 20 Wochenstunden verbreitet, doch in dieser Zeit kann die geforderte Zahl an Zimmern und Quadratmetern gar nicht gereinigt werden. Die Beschäftigten müssen fünf oder auch 10 Stunden mehr arbeiten, um ihr Soll zu schaffen, aber es werden nur 20 Stunden bezahlt.

Diese Beispiele zeigen auf, dass im großen Umfang versucht wird, den Mindestlohn zu unterlaufen und der einzelne Beschäftigte sich individuell dagegen wehren muss.

Deshalb ist es notwendiger als je zu vor, einen kollektiven Rechtsschutz ins Arbeitsrecht einzuführen. Das ist nichts neues, die meisten europäischen Rechtsordnungen haben neben einem gesetzlichen Mindestlohn auch längst ein Verbandsklagerecht der Gewerkschaften. Nur das hilft, gesetzlich verbriefte Schutzrechte durchzusetzen, ohne dass der Einzelne dafür Nachteile in Kauf nehmen muss.

 

Gewerkschaftliche Lohnpolitik sollte mehr als die Ankurbelung der Binnennachfrage sein

Den Gewerkschaftseliten dürfe klar sein, dass gewerkschaftliche Lohnpolitik mehr als die Ankurbelung der Binnennachfrage sein sollte. Dennoch wird seitens der Gewerkschaften folgendes überhaupt nicht kommuniziert:

  • Löhne bzw. Entgelte sind der größte Kostenfaktor für die Unternehmen, deshalb hat die Auseinandersetzung um sie immer einen besonderen Stellenwert für die Gewerkschaftsbewegung. Lohn- und Entgelterhöhungen steigern die Konsumnachfrage, stabilisieren damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und tragen so zur Sicherung der Arbeitsplätze bei, ohne dass von der Lohnseite inflationstreibende Effekte ausgehen.
  • Wenn die Einkommen durch höhere Tarifabschlüsse steigen, schlägt sich das auch bei den Renten nieder. Entscheidend für die Rentenberechnung ist die Entwicklung der Bruttolöhne. Der Rentenwert ergibt sich aus den Bruttolöhnen des Vorjahres. Steigen diese an, wird auch dieser Wert angehoben.
  • Das Lohndumping der letzten Jahre bei uns mit seinen geringen Lohnstückkosten ist eine der wichtigsten Ursachen für die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse, für das Auseinanderlaufen der Wettbewerbsfähigkeit der Mitglieder der Europäischen Währungsunion (EWU), für die Handelsungleichgewichte und somit eine Hauptursache für die Eurokrise war.
  • Die gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung ist verantwortlich für das Außenhandelsgleichgewicht, d.h. für das Verhältnis von Im- und Exporten. Wenn der Handel auch noch mit Ländern im gleichen Währungsraum stattfindet, sind die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten im Vergleich zu denen der Währungspartnerländer der wichtigste verbleibende Faktor dafür, ob es Handelsüberschüsse oder -defizite gibt. Auch der europäische und weltweite Markt funktioniert so: Wächst eine Volkswirtschaft so muss eine andere naturgemäß schwächer werden. Die Vermögen der einen bilden die Schulden der anderen.
  • Das Märchen von der Lohnentwicklung, die im Vakuum der Tarifparteien stattfindet, wird immer wieder erzählt, ist aber nicht zutreffend. Lohnpolitik ist abhängig von der Wirtschaftspolitik der Regierung, was seit der HARTZ-IV-Gesetzgebung ganz einfach zu belegen ist.
  • Die gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung hat auch einen besonderen Einfluss auf die Entwicklung der Preise, weil die Vorleistungen, die die Industrie neben dem Faktor Arbeit zusätzlich zur Produktion benötigt, aus anderen inländischen Unternehmen stammen, sofern sie nicht importiert werden. Deren Produktpreise werden von den dort anfallenden Kosten bestimmt. Diese Vorleistungen bestehen gesamtwirtschaftlich betrachtet vor allem aus Lohnkosten.
  • Die Lohnentwicklung hat maßgeblich zur Verarmung beigetragen, mit Auswirkungen bis in die sogenannten Mittelschichten hinein.
  • Die Umverteilung von unten nach oben ist als Ursache für die anhaltende wirtschafts- und finanzpolitische Krise zu sehen. Die wachsende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen hat nachweislich zur Destabilisierung des gesamten Finanzsystems beigetragen.
  • Den Gewerkschaften sollte das Lob der organisierten Unternehmerschaft in den Ohren  klingeln, das nach den Tarifabschlüssen der letzten Jahre erklang. Übersetzt lautet der Singsang, dass die Belastungen der Unternehmen deutlich unter denen der Vorjahre liegen, dass die Laufzeit deutlich länger ist und dass den Unternehmen die Möglichkeit gegeben wird, Teile des Abschlusses differenziert anzuwenden.

Vor diesem Hintergrund und dem großen Rückhalt in der Bevölkerung für eine sofortige  Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro ist es völlig unverständlich, wie der DGB und seine Einzelgewerkschaften das Ergebnis der Erhöhung um 15 Cent pro Stunde brutto feiern können. Die Hauptamtlichen  klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, weil sie meinen, den „von vielen geäußerten Wunsch nach einer Aussetzung der Erhöhung“ verhindert zu haben. Dieses Verhalten kann man nur noch als widerlich bezeichnen.

Verschwiegen wird auch, dass die Gewerkschaften beim Prozess der Mindestlohnerhöhung hinter die Fichte geführt wurden. Laut Handelsblatt gab es einen Deal innerhalb der Großen Koalition: Die Union bekommt für die Zustimmung zur Grundrente von der SPD eine Stärkung der privaten Altersvorsorge. Konkret soll die Einkommensgrenze für die steuerliche Förderung einer Betriebsrente von monatlich 2200 Euro auf knapp 2600 Euro steigen. Dadurch werden wahrscheinlich zwei Millionen weitere Beschäftigte eine staatliche Unterstützung bekommen, wenn sie in der betrieblichen Säule für das Alter sparen. Zudem soll die private Zusatzvorsorge attraktiver gestaltet werden, weil die Riesterrente völlig gefloppt ist. Dies war eine Voraussetzung dafür, dass die Grundrente vom Bundestag nun verabschiedet wurde. Die finanziellen Mittel für die Grundrente, sollen nicht mit einer neuen Finanztransaktionssteuer, sondern nun ohne Gegenfinanzierung aus dem Staatshaushalt kommen.

Und damit ist eine moderate Lohnpolitik gefordert, mehr noch, sie wird für die nächsten Jahre in Stein gemeißelt.

Der Beschluss der Mindestlohnkommission zeigt noch einmal, dass die Festlegung des Mindestlohns durch staatliche Institutionen die Gewerkschaften insgesamt am Nasenring durch die politische Manege führt und dokumentiert das Scheitern gewerkschaftlicher Lohnpolitik der letzten Jahrzehnte .

Es ist aber ein hausgemachtes Problem, auch weil die Gewerkschaften die Zersplitterung des Arbeitsmarktes mit Leiharbeit, Werkverträgen und Solo-Selbständigkeit zugelassen haben  und dass im Jahr 2018 nur noch für rund 46 Prozent der Beschäftigten in Deutschland das Beschäftigungsverhältnis durch einen Tarifvertrag geregelt war.

 

 

 

Quellen: mindestlohn-kommission.de, dgb.de, ver.di news.de, handelsblatt.com, Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Spezialeinheit Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS)