Der DGB will seine eigene Stellungnahme zu Sanktionen im SGB II nicht veröffentlicht sehen – Sanktion ist zugleich Strafe und Legitimation

Da muss man vor den Richtern am Sozialgericht Gotha den Hut ziehen: Nachdem der erste Vorlagenbeschluss zur Rechtmäßigkeit von Sanktionen im Sozialgesetzbuch II (SGB II) wegen formeller Fehler abgelehnt wurde, haben sie einen weiteren Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gemacht, um eben die Rechtmäßigkeit von Sanktionen im SGB II prüfen zu lassen.

Denn die Gothaer Richter sind der Meinung, dass einem Hartz-IV-Bezieher nicht das Arbeitslosengeld gekürzt werden darf, weil er ein Arbeitsangebot abgelehnt hat und diese geltende Praxis verfassungswidrig ist, weil sie die Menschenwürde des Betroffenen antastet, sowie Leib und Leben gefährden kann.

Erstmals wird auch gefragt, ob neben der Verletzung der Gewährleistungspflicht des Existenzminimums und damit auch des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, gleichfalls noch die grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit durch die Sanktionen ausgehebelt wird. Der Aspekt der grundgesetzlich garantierten Berufsfreiheit hat in den seit Jahren geführten Diskussionen um die Sanktionsmechanismen praktisch so gut wie nie eine Rolle gespielt. Obwohl die Menschen, die im Hartz-IV-Bezug sind, permanent unter Druck möglicher Sanktionen stehen, weil jeder Vermittlungsvorschlag des Jobcenters ein „nichtablehnbares Angebot” ist. Die Freiheit der Berufswahl gibt es für sie nicht.

Jetzt muss das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nach der Bundestagswahl erneut entscheiden.

Dafür hat das Verfassungsgericht wie immer Stellungnahmen von sachkundigen Organisationen eingeholt. Darunter auch eine des DGB, doch der will seine eigene Stellungnahme zu den Sanktionen im SGB II nicht veröffentlicht sehen. Dazu äußert sich Volker Ritter, ver.di Erwerbslosenausschüsse Hannover-Leine-Weser und Nds./HB.

„Erst nach der Bundestagswahl wird sich das Bundesverfassungsgericht zu Sanktionen im SGB II äußern. Das Sozialgericht Gotha hatte in einer vielbeachteten Richtervorlage und in zwei Anläufen ein Verfahren in Karlsruhe erzwungen. Wie üblich hat das Bundesverfassungsgericht Stellungnahmen von sachkundigen Organisationen eingeholt. Darunter auch eine des DGB. Zu den so befragten gehörte auch der Sozialhilfeverein Tacheles e.V. (tacheles-sozialhilfe.de). Tacheles veröffentlichte die eigene Stellungnahme und die von anderen Befragten. Darunter mit etwas Verspätung Anfang Juni auch jene des DGB. Erfolgreich hat der DGB daraufhin Tacheles e.V. gebeten, diese Veröffentlichung wieder vom Netz zu nehmen.

Hintergrund dürfte eine unterschiedliche Einschätzung von DGB-Fachabteilung und DGB-Bundesvorstand sein. Während die Stellungnahme des DGB für das Bundesverfassungsgericht meint, man würde keine Legitimation für Sanktionen sehen, hatte der DGB-Bundesvorstand noch 2015 Sanktionen in der Linie von Andrea Nahles unterstützt. Zu einem Antrag der Partei Die Linke zur Abschaffung von Sanktionen erklärte der DGB im Sozialausschuss des Bundestages, man sei nicht generell gegen Sanktionen, sondern nur für eine Entschärfung der Situation von Leistungsempfängern unter 25 Jahren. Auf der Linie von Andrea Nahles eben.

Jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, werden wohl wieder Spitzenfunktionäre in DGB und den Einzelgewerkschaften auf einen SPD-Kanzler hoffen. Als sei ein Schröder nicht genug. Da stört eine Delegitimierung von Zwangsarbeit und neuem Reichsarbeitsdienst.

Der ver.di-Bundeserwerbslosenausschuss hatte 2015 vom DGB-Bundesvorstand eine Erklärung zum katastrophalen Auftritt des DGB im Sozialausschuss verlangt und erhielt die Antwort, man handele im “höheren Interesse”. Ein Interesse, das die Erwerbslosen offenbar nicht einschliesst.”

 

Volker Ritter

 

Quelle: http://www.labournet.de/

Bild: dgb.de