Der neue Burgfrieden funktioniert

Am 18.Februar 2024 wurde in der 20 Uhr Tagesschausendung der neue Burgfrieden zelebriert. Berichtet wurde von der am Tag in Wolfsburg abgehaltenen Kundgebung unter dem Motto „Für Demokratie und Zusammenhalt“ mit rund 7.000 teilnehmenden Menschen. Aufgerufen hatten Gewerkschaften, Kirchen, Sportvereine und Firmen.

Im Bericht wurde besonders hervorgehoben, dass auch der Volkswagenkonzern sich angeschlossen hat, erstmals „ein Chef eines DAX-Unternehmens bei einer solchen Veranstaltung auf der Bühne steht“ und zwar kein Geringerer als Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender der Porsche AG und der Volkswagen AG. Blume sagte, er wolle Weltoffenheit demonstrieren und ein Zeichen setzen, um Wohlstand und Freiheit miteinander zusammen zu leben, „den haben wir uns über Jahrzehnte erarbeitet. Dafür spielen Werte eine besondere Rolle für die wir bei Volkswagen stehen“.

Anschließend übernahm Daniela Cavallo, Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrats der Volkswagen AG das Mikrofon und betone, dass allein im Stammwerk von VW mehr als 100 Nationen arbeiten und „wenn wir uns abschotten, hat das auch Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und das dürfen wir auf keinen Fall zulassen.“

Ein Beschäftigter sagte dann vor laufender Kamera, dass es großartig ist, dass sein „großer Chef mit dabei ist und uns im Prinzip zeigt, dass wir nicht allein dastehen“. Eine andere Beschäftigte ergänzte, dass „wir als Konzern in der ganzen Welt vertreten sind und deshalb müssen wir als Volkswagen Gesicht zeigen“.

Mit der Feststellung: „Für Vielfalt und Toleranz, das ist die Botschaft heute in Wolfsburg“, endete der Tageschaubericht.

Den 6,75 Millionen Zuschauern wurde vorgeführt, wie gut der neue Burgfrieden schon funktioniert.

Der neue Burgfrieden

Das Vorhaben der Ampelkoalition, die gigantische Aufrüstung sogar im Grundgesetz zu verankern, ist mit dem neuen Burgfrieden ohne Probleme möglich geworden, eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat für eine Änderung des Grundgesetzes galt schon in der Sondersitzung des Bundestages im Februar 2022 als sicher.

Der neue Burgfrieden sieht so aus, dass

  • eine riesige Koalition aus CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP entstanden ist, die meint, länger als eine Legislaturperiode zusammenarbeiten zu können und eine kontinuierliche Aufrüstung in den Verfassungsrang gehoben hat. Dadurch möchte sie gewährleisten, dass zukünftige, anders zusammengesetzte Koalitionen das Megarüstungsprogramm weder stoppen, kürzen oder verändern können, weil es in Verfassungsstein gemeißelt ist.
  • alle Beteiligten den Trick der Regierung, die angekündigte Aufrüstung ausschließlich über neue Schulden zu finanzieren und das Ganze „Sondervermögen“ zu nennen, als besonders clever und als tollen Coup loben. Wenn nämlich das 100-Milliarden-Programm zur Förderung der Rüstungsindustrie durch Steuererhöhungen finanziert werden müsste, käme es voraussichtlich zu größeren Widerständen. Als „Paket Sondervermögen“ geschnürt, werden die Vermögen der Reichen und Superreichen verschont und die Kosten bei den Beschäftigten und Sozialleistungsbeziehern eingespart.
  • bei einer offiziellen Inflationsrate von über 10 Prozent im Sommer 2022 Bundeskanzler Scholz die „Sozialpartner“ zu einer „konzertierten Aktion“ eingeladen hatte, bei der man  die Gewerkschaften eingehegte und davon abhielt, ihre zukünftigen Lohnforderungen in Höhe der Inflationsrate zu stellten

und

es in Wahrheit um autoritäres Durchregieren geht und die Bevölkerung, coronagestählt, möglichst kritiklos „unpopuläre“ Maßnahmen mitmacht und immer mehr bereit ist „neue Realitäten und radikale Kurswechsel“ hinzunehmen.

Die SPD und der 27.02.2022

Bei vielen SPD-Mitgliedern schlug das wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein, als Bundeskanzler Scholz am Sonntag, dem 27.02.2022 im Bundestag eine Zeitenwende verkündete. Damit meinte er eher eine politische 180-Grad-Wende: Deutschland will Waffen an die Ukraine liefern und unterstützt weiterhin harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Vor allem aber kündigte Olaf Scholz an, ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung zu bilden, das im Grundgesetz verankert werden soll und wie schon lange von den USA gefordert, dauerhafte Rüstungsausgaben von über zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr bereitzustellen.

Besonders die älteren SPD-Mitglieder, das sind vielfach Menschen, die noch die Parteischulungen engagiert mitgemacht haben und die Parteigeschichte aus dem Effeff aufsagen können, wollten es nicht wahrhaben, was sie da hörten. Hatten sie doch sofort Kaiser Wilhelm vor Augen, der bei Kriegsbeginn 1914 keine Parteien mehr kannte, sondern nur noch Deutsche und erinnerten sich an den mutigen Karl Liebknecht, der als SPD-Reichstagsabgeordneter gegen die Kriegskredite stimmte und dafür in seinem weiteren kurzen Leben schlimm büßen musste.

Zeitenwende wird verkündet

Als russische Truppen am 24. Februar 2022 die Ukraine angriffen, warfen führende deutsche Sozialdemokraten praktisch über Nacht jahrzehntelang bewährte Grundsätze der Friedenssicherung über Bord. Bundeskanzler Scholz hatte drei Tage später im Bundestag eine Zeitenwende verkündet und erklärt, dass die Welt danach nicht mehr dieselbe wie die Welt davor sei.

Der Zuschauer konnte die Ergriffenheit der meisten Fraktionsmitglieder der SPD, an einem so historisch einzigartigen Moment teilzuhaben, förmlich spüren. Dabei wurde die Fraktion von Scholz, wie so oft, völlig überrumpelt. Bevor der Kanzler seine Regierungserklärung im Bundestag abgab, tagte die SPD-Fraktion. Dort verlor er kein Wort über den Plan und nicht einmal die Spitze seiner eigenen Fraktion war, im Gegensatz zu Finanzminister Lindner von der FDP, eingeweiht und das bei einem solchen Hammerprojekt:

  1. Es sollen 100 Milliarden Euro als Sonderzahlung zusätzlich zu den ohnehin schon vom Verteidigungshaushalt veranschlagten 50,3 Milliarden in die Aufrüstung gesteckt werden. Dieses Geld ist das Vierfache des Gesundheitsetats und das Zwölffache des Etats für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die 100 Milliarden Euro sind auch das 100-Fache dessen, was die Ampelkoalition nach zwei Jahren Pandemie als Pflegebonus auszugeben bereit ist und knapp das Doppelte, was für Kredite für „Klimaschutz und Digitalisierung“ veranschlagt wurde.
  2. Bisher gehörte es für die SPD vorgeblich zur Staatsräson, Waffen nicht in Krisen- und schon gar nicht in Kriegsgebiete zu liefern. Auch dieses Tabu wurde mit der Lieferung von 500 „Stinger“-Raketen, 1.000 Panzerfäusten und 2.700 Luftabwehrraketen aus NVA-Beständen in das Kriegsgebiet Ukraine gebrochen.
  3. Der Verteidigungsetat wird künftig das Zwei-Prozent-Ziel der Nato übererfüllen und es sollen sogar „mehr als zwei Prozent“ des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Verteidigung investiert werden. Bislang galten schon 1,5 Prozent als ambitioniert. Bei einer Wirtschaftsleistung von 3,57 Billionen Euro sind das über 71,4 Milliarden Euro, knapp 25 Milliarden mehr, als im vergangenen Jahr verausgabt wurden.

In der sonntäglichen Sondersitzung des Bundestags erinnerte Bundeskanzler Olaf Scholz an sein auf der einige Tage vorher stattgefundenen Münchner Sicherheitskonferenz abgegebenes Versprechen zur militärischen „Ertüchtigung“ und Aufrüstung der Bundeswehr. Seine Ausführungen wirkten wie eine Aufführung, einstudiert und effekthaschend, mit Pausen und vorgeblichen Emotionen. Dabei bekam er viel Beifall und sogar manche stehende Ovation, besonders von den Abgeordneten der Regierungsparteien.

Dann ging Olaf Scholz auf die fünf Handlungsaufträge ein, die seiner Meinung nach von der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Regierung gemeistert werden müssen:

Deutschland

  • müsse der Ukraine Waffen zur Verteidigung liefern,
  • müsse und werde das Sanktionspaket der EU und anderer Verbündeter gegen Russland aktiv mittragen,
  • werde seine Verteidigungsverpflichtungen gegenüber anderen NATO-Mitgliedsstaaten, insbesondere durch Stützpunkte in Litauen, Rumänien, der Slowakei sowie durch Aktivitäten in der Nord- und Ostsee, dem Mittelmeerraum und im Luftraum speziell in Osteuropa erfüllen,
  • werde zur Ertüchtigung der Bundeswehr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro auflegen und mehr als 2 Prozent seines BIP für Verteidigung festschreiben sowie seine Energieversorgung durch den Ausbau erneuerbarer Energieerzeugung im Hinblick auf C0-2-Neutralität bis 2045 und den Aufbau von Kohle- und Gasreserven sichern und auch seine Importabhängigkeit abbauen

und Deutschland werde sich für die weitere Stärkung von EU, NATO und weltweiter Demokratie einsetzen.

Nach diesem „Februarerlebnis“ im Bundestag reden nun fast alle Sozialdemokraten so, als sei ihnen die riesige Aufrüstung der Bundeswehr mit modernsten Kampfpanzern, Kampfflugzeugen, Kampfschiffen und Kampfdrohnen schon immer eine Herzensangelegenheit gewesen und niemand in der SPD hätte jemals die von der Nato verlangte Steigerung der Verteidigungsausgaben angezweifelt.

So konnte der Bundeskanzler auch der Grundgesetzänderung in Verbindung mit dem geplanten Bundeswehr-Sondervermögen, für die eine Mehrheit von zwei Drittel der Mitglieder des Bundestags erforderlich ist, Anfang Juni 2022 gelassen entgegensehen. Der Burgfrieden stand.

Grundgesetzänderung (Artikel 87a) am 3. Juni 2022

Die Grundgesetzänderung, die die wesentlichen Bestimmungen des Sondervermögens zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit in der Verfassung verankern soll, fand am Freitag, dem 3. Juni 2022 im Deutschen Bundestag statt. Konkret sollte dadurch festgelegt werden, dass die Kreditaufnahme des Sondervermögens mit einem Volumen von 100 Milliarden Euro nicht auf die Schuldenregel des Artikels 115 des Grundgesetzes angerechnet wird. Dafür wurde im Grundgesetz ein neuer Absatz 87a eingefügt.

Das Gesetz wurde mit 568 Stimmen der SPD, der CDU/CSU, der Grünen, der FDP und Teilen der AfD angenommen. 96 Abgeordnete darunter von den Linken und der AfD und 8 von der SPD stimmten gegen die Grundgesetzänderung.

Von den 205 SPD-Abgeordneten haben 191 dafür, 8 dagegen gestimmt, 0 sich enthalten und 6 waren nicht beteiligt.

Die 8 Nein-Stimmen der SPD kamen von

Jan Dieren / Krefeld II – Wesel II

Axel Echeverria / Ennepe-Ruhr-Kreis II

Jessica Rosenthal / Bonn

Tina Rudolph / Eisenach – Wartburgkreis – Unstrut-Hainich-Kreis

Nadja Sthamer / Leipzig II

Ruppert Stüwe / Berlin-Steglitz-Zehlendorf

Erik von Malottki / Mecklenburgische Seenplatte I – Vorpommern-Greifswald II

Carolin Wagner / Regensburg

——————

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Art 87a – lautet nun:

„(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.

(1a) Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.

(3) Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen.

(4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen“.

——————

Seit Jahren steigen die Verteidigungsausgaben schon

Seitens der Politik verliert niemand mehr ein Wort darüber, dass der Verteidigungshaushaltsposten schon seit 8 Jahren überproportional kontinuierlich steigt, von 33 Milliarden Euro 2015 auf 50,3 Milliarden im Jahr 2022 und dass Deutschland fast so viel Geld ins Militär pumpt, wie Russland. Kaum jemand stellt derzeit die Frage, warum ein 100 Milliarden Sondervermögen benötigt wird, wenn doch nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI, die USA 39 Prozent der weltweiten Militärausgaben bestreiten, Russland nur 3,1 Prozent und die Ausgaben der europäischen Nato-Mitglieder die Ausgaben Russlands um das Sechsfache übersteigen. Weil keiner die Antwort hören möchte, die da lauten könnte, dass die 100 Milliarden Euro für eine Änderung der weltpolitischen Strategie Deutschlands benötigt werden.

Große Koalition, um den Wirtschaftsstandort in Deutschland neu auszurichten

Um den Wirtschaftsstandort in Deutschland neu auszurichten und den Arbeitsmarkt „zu sichern“, hat sich nach dem Regierungswechsel eine große Koalition aus den Regierungsparteien, Unternehmen, Gewerkschaften, Betriebsräten, Verbänden und der Bundesagentur für Arbeit (BA) als die „Partner der Transformation im Arbeitsmarkt“ gebildet. Diese Partnerschaft hat sich vorgenommen u.a. mit dem Zuzug von billigen Arbeitskräften und den Möglichkeiten des neuen Bürgergeldes den größten europäischen Niedriglohnsektor in Deutschland weiter auszubauen.

Für die Regierung war es wichtig, die DGB-Gewerkschaften mit ins Boot zu holen.

Neuauflage der „Konzertierten Aktion“ und Beteuerung der Sozialpartnerschaft

Um ein Durchregieren ohne Störungen zu gewährleisten, wurden im Sommer 2022 die „Sozialpartner zu einer konzertierten Aktion“ von Bundeskanzler Scholz eingeladen, bei der man beraten wollte, wie auf die hohe Preisentwicklung reagiert werden sollte. Gleichzeitig wollte man die Gewerkschaften davon abhalten, dass sie ihre Forderung in Höhe der Inflationsrate stellen. Dabei haben sie das Märchen von der „Lohn-Preis-Spirale“ aus der Mottenkiste geholt und sich untereinander erzählt. Als das Märchen zu Ende erzählt war, lag auch die Sonderzahlung für die Beschäftigten als Wunderwaffe in Tarifkonflikten auf dem Tisch.

Mit den nicht tabellenwirksamen Sonderzahlungen wurde gleichzeitig auch eine permanente Lohnabsenkung vereinbart. Dieses Vorgehen ist von langer Hand vorbereitet und geschickt verpackt worden.

Die Sonderzahlungen werden in Zukunft bei keiner Tarifauseinandersetzung mehr fehlen und immer mehr mit Bedingungen, wie z.B. die Zahlung an eine Gewinnentwicklung des Unternehmens auszurichten, verbunden: Beschäftigte in Betrieben mit großem Profit erhalten höhere Einmalzahlungen als diejenigen, die sich in kleineren Betrieben der Branche verdingen müssen. Damit das halbwegs akzeptiert wird, wirft man das gefürchtete Schattengespenst der Lohn-Preis-Spirale an die Wand und verabredet, die Einmalzahlungen als dauerhafte Lohnerhöhungen zu verkaufen, und mit dem Bonbon für die Beschäftigten obendrauf, dem Verzicht auf Steuern und Abgaben.

Die Verabredungen bei der konzertierten Aktion sollten vor allen Dingen gewährleisten, dass sich an der hervorragenden Wirtschaftslage der Unternehmen nichts ändert. Die haben, wie Preiserhöhungen auf breiter Front und ausgeschüttete Dividenden zeigen, die Lage bislang weidlich ausgenutzt. Aber die Sicherheit, dass sie weiterhin erfolgreich wirtschaften, darf nicht durch Lohnerhöhungen gefährdet werden. Bei der neu gefestigten Sozialpartnerschaft gilt nach wie vor das Motto, die Pferde vorne mit ganz viel Hafer füttern, damit hinten auch noch etwas für die Spatzen herauskommt.

——————

Im Sinne eines Burgfriedens ist auch die zentrale Erklärung des DGB zum Antikriegstag 2022 zu sehen

(kursiv = original DGB)

Der Deutsche Gewerkschaftsbund

  • versucht sich als eine fortschrittliche Kraft zu inszenieren, die „vor einer weiteren Militarisierung der Debatte“ warnen will.
  • ruft aber zu konkreten Aktionen am 1. September 2022 gar nicht erst auf.
  • benennt nicht, warum es in diesem Wirtschaftssystem immer wieder zu Kriegen kommt.
  • lobt die Bundesregierung praktisch dafür, weil sie bemüht ist „die Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit unseres Landes im Rahmen der NATO und der EU zu stärken “ und spricht sich zwar „gegen einen neuen weltweiten Rüstungswettlauf “ aus, doch fallen keine kritischen Worte zum milliardenschweren „Sondervermögen für die bessere Ausrüstung der Bundeswehr“.
  • verneint dann auch selbst den Irrglauben, „Friede ließe sich mit Waffen schaffen“, doch fragt nicht, was die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sonst sein sollen, als vorgeblich Frieden mit Waffen zu schaffen.
  • versucht sein pazifistisches Antlitz zu wahren, weil er weiß, dass die kategorische Ablehnung des Krieges vielen Mitgliedern tief im Herzen liegt und er sieht sich gleichzeitig in seinen Leitungsgremien offenbar gezwungen, die deutsche Aufrüstungs- und Eskalationspolitik mitzutragen.
  • meint vorgeblich und oberflächig, weil „die europäische und internationale Friedens- und Sicherheitsordnung in Trümmern liegt, zwingt uns diese tiefe Zäsur, neue Antworten zu finden“. Er lobt: „Die deutsche Bundesregierung hat darauf mit einer Reihe von Maßnahmen reagiert, um die Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit unseres Landes im Rahmen der NATO und der EU zu stärken“. Der DGB spricht sich für diese „notwendige breite und offene Debatte“ aus, die sich „aber immer stärker auf den Einsatz militärischer Mittel der Friedenssicherung verengt hat“.
  • fordert die Bundesregierung auf, „ihren im Koalitionsvertrag formulierten Anspruch einer wertebasierten deutschen Außenpolitik konsequent umzusetzen“ und plappert unreflektiert die Sätze der ‚werteorientierten‘ Außenpolitik nach. Eine solche Politik, die nichts anderes als unsere Werte und Interessen meint, trägt zwangsläufig zwei unlösbare Probleme in sich: Einmal ist sie widersprüchlich und zum anderen unfähig zu einem derzeit äußerst wichtigen Dialog.
  • wandelt im aktuellen Aufruf das „Nie wieder Krieg“ kategorisch zu: „Krieg ist ein Angriff auf die Menschheit und Menschlichkeit“, weil der Aufruf sich ja schließlich gegen Russland und dessen „brutale Politik der militärischen Konfrontation und Eskalation“ richtet.
  • erwähnt nicht namentlich die anderen Kriege, wie bspw. den türkischen völkerrechtswidrigen Angriff auf Kurdengebiete in Syrien oder den brutalen Krieg im Jemen.
  • verschweigt, dass die USA und NATO alle wiederholten Bemühungen Russlands zur friedlichen Beilegung des Konflikts ausgeschlagen haben. Er erwähnt nicht, dass sie es bis zuletzt nicht für nötig gehalten haben, Russland eine ernsthafte Antwort zu geben auf dessen Vertragsentwurf, mit rechtsverbindlichen gegenseitigen Garantien und auf der Grundlage der gleichen und unteilbaren Sicherheit die weitere Eskalation zu beenden.
  • erklärt, dass die nun entstandene „tiefe Zäsur“ „uns“ zwinge, „neue Antworten zu finden“. Er hat auch Verständnis für eine „Reihe von Maßnahmen“ der Bundesregierung, die der Stärkung der „Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit unseres Landes im Rahmen der NATO und der EU“ dienen und möchte nur, dass die militärische Friedenssicherung nicht auf Kosten der „Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaates“ und der „sozial-ökologischen Transformation“ geht.
  • sagt dagegen nichts zu den Zusammenhängen von Krieg, Teuerungen und der wirtschaftlichen Lage. Kaum ein Wort zur Inflation, steigenden Mieten, explodierenden Energiepreisen, wie sich der (Wirtschafts-)Krieg mit Russland auf den Lebensstandard der Beschäftigten in diesem Land auswirkt und was der DGB dagegen zu tun gedenkt.
  • schließt die Augen vor der Lage, die selbst Olaf Scholz als „sozialen Sprengstoff“ bezeichnete und lässt die konkrete Lebenssituation der beschäftigten und erwerbslosen Menschen völlig unerwähnt

und

unterstützt eine Regierungspolitik mit ihren Sanktionsmaßnahmen und ihrem anti-Russland-Wahn, die den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch des eigenen Landes riskiert mit dem Ziel, „Russland zu ruinieren“ (Zitat Außenministerin Baerbock).

Die Gewerkschaftsbasis, Beschäftigte, erwerblose und arme Menschen werden auf Verzicht eingeschworen

Mit ihrer derzeitigen Politik verweigern sich der DGB und die Einzelgewerkschaften mehr und mehr einer offensiven Lohnpolitik gegen die inflationären Entwicklungen. Gleichzeitig wächst der Druck von unten, dort reichen die Löhne schon lange nicht mehr aus und Millionen Menschen werden in die Armut getrieben.

Wie schon 1914, unterstützt die Gewerkschaftselite mit ihren unklaren Stellungnahmen die Aggression der deutschen Weltmachtsfantasien. Ohne große Not stellt sie sich hinter den Wirtschaftskrieg gegen Russland und schwört die Gewerkschaftsbasis, Beschäftigte und Menschen in prekären und verarmten Verhältnissen auf Verzicht ein.

Auch seitens der Politik wird Druck auf die Gewerkschaften ausgeübt, ihre bisherigen Positionen aufzugeben und der Druck hat schon Erfolg. So sprechen die Dienstleistungsgewerkschaft und auch der DGB bereits von der Neubewertung der Situation und haben über Nacht Forderungen wie ein Nein zu Waffenexporten fallengelassen.

Anstelle die Kontakte und Zusammenarbeit der Beschäftigten in den östlichen Ländern zu fördern, internationale Solidarität zu praktizieren und Demonstrationen gegen Weltkriegsgefahr und Verarmung zu organisieren, unterstützt eine Mehrheit in den Führungsgremien der Gewerkschaften Demonstrationen mit Forderungen nach einer „gerechten Verteilung der Lasten“ verbunden mit der Bitte, die „Armen im Lande nicht zu vergessen“. Auch der DGB-Bundesvorstand möchte gerne handzahm „Echt gerecht – solidarisch durch die Krise.“

Die viel beschworene Sozialpartnerschaft zahlt sich in Krisenzeiten eben doch aus, besonders für die Unternehmensführungen und Gewerkschaftsbürokratie. Die hauptamtlichen Gewerkschaftsleute fühlen sich schnell von Politik und organisierter Unternehmerschaft gebauchpinselt, mit ihren autoritären Charakteren meinen sie, dass sie zur hiesigen Elite gehören und können es gar nicht abwarten, am Großen und Ganzen der Politik des neuen Burgfriedens mitzuwirken. Die Gewerkschaftsspitzen wissen also genau was sie tun, kennen ihre Funktion und ihre Grenzen in diesem System. Dieser Kreislauf kann nur durch Druck der Mitgliedschaft durchbrochen werden und ohne konkrete Gegenmacht wird alles auch so bleiben.

Die Zeche zahlen die Krisenverlierer, vor allem jede einzelne Person, die zu den rund 21 Prozent aller abhängig beschäftigten Menschen im Niedriglohnsektor gehört und maßgeblich den Reichtum der Krisengewinner schafft. Zur Kasse werden aber auch die vielen erwerbslosen und armen Menschen gebeten, die schon lange nicht mehr über ein Existenz sicherndes Einkommen verfügen.

Damit das nicht so bleibt, ist vor allem der politische Streikt wieder in den Vordergrund der gewerkschaftlichen Diskussion zu stellen. Der politische Streik muss das Mittel der Wahl für den Aufbau gewerkschaftlicher Gegenmacht sein.

Den politischen Streik wieder in den Vordergrund stellen

Einen politischen Streik hat es auch schon in der Bundesrepublik gegeben. Als der DGB im Sommer 1951 sich konfliktbereit zeigte und der Bundesregierung drohte, seine Mitglieder zu gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen aufzurufen. Hintergrund war die unnachgiebige Haltung der Adenauerregierung gegenüber den Neuordnungsforderungen der Gewerkschaften für die Mitarbeit in den wirtschaftspolitischen Gremien der BRD. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand die Ausdehnung der paritätischen Mitbestimmung auf die gesamte Wirtschaft, was vehement von den damaligen Unternehmerverbänden und den Regierungsparteien, der CDU/CSU und der extrem kapitalorientierten FDP verweigert wurde.

Nach der Demonstration gewerkschaftlicher Kampfbereitschaft und -fähigkeit in den Auseinandersetzungen um die Montanmitbestimmung war es für die Gewerkschaften klar, dass nur durch harte und offene Konflikte zwischen der Arbeiterbewegung und den reaktionären, teils offen faschistischen Kräften, eine Restauration der Machtverhältnisse zu verhindern war.

Als sich dann im Frühjahr 1952 eine schnelle Verabschiedung des Gesetzesvorhabens zum Nachteil der Gewerkschaften abzeichnete, teilte der DGB-Vorsitzende dem Bundeskanzler mit, dass der DGB seine Mitglieder zu gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen aufrufen wird.

Der Aktionsaufruf mobilisierte rund 350.000 Beschäftigte in allen Teilen der BRD, es fanden Protestkundgebungen, Demonstrationen und Warnstreiks statt. Ein wichtiger Höhepunkt war die Arbeitsniederlegung in allen Zeitungsbetrieben Ende Mai 1952, organisiert von der IG Druck und Papier.

Der politische Streik war damals der Startschuss für die einseitige Interpretation des Bundesarbeitsgerichts, das in der damaligen Zeit noch überwiegend besetzt war mit „Rechtsgelehrten“, die sich ihre „Verdienste“ schon im deutschen Faschismus erworben hatten.

Während in anderen europäischen Ländern das Streikrecht ohne Unterschiede besteht, gilt seitdem in Deutschland ein Streik, der nicht durch Tarifforderungen begründet wird, als unzulässig. Nicht aufgrund eines im Gesetzeswerk zusammengefassten Rechts, sondern aufgrund der Ansicht des damaligen Bundesarbeitsgerichtes unter Vorsitz von Carl Nipperdey, dem früheren Nazi-Rechtsideologen.

Völlig unzeitgemäß ist auch, dass die Gewerkschaften bei uns nur rein wirtschaftliche Forderungen stellen, während Streiks in anderen europäischen Staaten schon längst politisch ausgerichtet sind. Dort wird immer öfter, wenn sie z.B, Forderungen nach Inflationsausgleich stellen, dies ausdrücklich damit begründen, dass die Sanktionen gegen Russland und die Waffenlieferungen an die Ukraine die Ursache für diese Inflation sind und alle Staaten in der EU betreffen.

So eine Haltung stünde den DGB-Gewerkschaften bei uns gut an und hätte verhindert, dass sie auf dem Rücken der Beschäftigten, armen und erwerbslosen Menschen dem neuen Burgfrieden beigetreten sind, einem Burgfrieden der schon gut funktioniert.

 

 

 

 

 

 

Quellen: WSI-Tarifarchiv, HBS,,IG BCE, IAB, Tagessspiegel, Junge Welt, BA, Statis.de, dgb, verdi, ngg, Politika, B 92, wildcat, PM Arbeitsministerium, Franziska Wiethold, SGB, F. Deppe/G. Fülberth/J. Harrer/Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, VVN-BdA, taz-berlin, Süddeutsche Zeitung, der Freitag, Sebastian Haffner-Geschichte der SPD, Wilma Ruth Albrecht, Junge Welt, Tagesschau 
Bild: Franz Staffen - Bearbeitung: L.N.