Minijobs – Fehlsubventionen, von denen die Falschen profitieren

Von Markus Krüsemann

Mit der rechtlichen Möglichkeit der Pauschalbesteuerung sind die Verdienste der Minijobber steuerfrei gestellt, was einer staatlichen Subventionierung der geringfügigen Beschäftigung gleichkommt. Doch die damit intendierten Effekte werden nicht erreicht. Auch kommen die Subventionen Beschäftigtengruppen zugute, denen sie nicht zugedacht waren. Eine grundlegende Revision der Minijobregelungen ist daher überfällig.

Geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse, umgangssprachlich Minijobs genannt, haben sich lang schon als „alternative“ Beschäftigungsform am Arbeitsmarkt etabliert. Seit vielen Jahren bereits liegt die Gesamtzahl der ausschließlich oder im Nebenjob geringfügig Beschäftigten bei weit über sieben Millionen. Und während die Zahl der ausschließlich im Minijob Beschäftigten nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Januar 2015 unter die Fünf-Millionen-Marke gerutscht ist (mit weiter abnehmender Tendenz), setzt sich die Zunahme der geringfügigen Beschäftigung im Nebenjob ungebrochen fort. Ende September 2016 zählte die Bundesagentur für Arbeit in diesem Segment fast 2,76 Millionen Beschäftigte.

Kurzfristig attraktiv, langfristig eine Sackgasse

Minijobs sind für die Beschäftigten steuerfrei (wenn, wie allgemein üblich, die Lohnsteuer pauschal erhoben wird). Das heißt, der pauschal besteuerte Lohn bleibt bei der Einkommensteuerveranlagung unberücksichtigt. Zudem werden sie (bei der Rentenversicherung allerdings nur noch auf Antrag) von den sonst üblichen Sozialversicherungsabgaben befreit. Für geringfügig Beschäftigte stellt sich die Verdienstsituation daher so dar, dass sie dank der eingesparten Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung brutto wie netto dasselbe herausbekommen. Das erklärt sicher einen Teil der Attraktivität der Minijobs für jene Mehrheit, die einer geringfügigen Beschäftigung nicht nur deshalb nachgeht, weil sie keine andere Arbeit gefunden hat.

Dabei werden die wenigsten allerdings bedenken, dass sie in Minijobs meist schlechter entlohnt werden und dass viele Arbeitgeber die Steuer- und Versicherungsfreiheit gezielt in ihre Lohnkalkulation mit einbeziehen. Auch die Gefahren der Minijobs, auf die immer wieder hingewiesen wird, dürften sich viel zu wenige bewusst machen. Schließlich sind sie weder existenzsichernd, noch lassen sich eigene Ansprüche in den Sozialversicherungen aufbauen, oder aber, im Fall der gewählten Rentenbeitragszahlung, sie sind viel zu gering für eine Absicherung im Alter. Laut Berechnungen des Arbeitsministeriums erwächst aus einem Jahr geringfügiger Beschäftigung mit einem Monatsentgelt von 450 Euro ein rechnerischer Rentenanspruch von gerade mal 4,53 Euro.

Arbeitslose, BerufseinsteigerInnen oder -rückkehrerInnen sollten auch nicht darauf vertrauen, dass sie aus dem leichter erreichbaren Minijob später in eine besser bezahlte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufsteigen können. In den meisten Fällen hat sich das als Trugschluss, hat sich der Weg in den Minijob als Sackgasse erwiesen.

Für die etwa 20 Prozent der geringfügig Beschäftigten, die sich als SchülerInnen und Studierende übergangsweise etwas hinzuverdienen, ist all dies vergleichsweise unproblematisch – wenn am Ende der Einstieg in eine dauerhafte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung steht, was ja leider auch schon längst nicht mehr selbstverständlich ist. Auch für RentnerInnen, die im Ruhestand per Minijob ihre Alterseinkünfte aufbessern, stellt sich mit dem Hinzuverdienst sicher nicht die Frage der langfristigen finanziellen und sozialversicherungsrechtlichen Absicherung.

Alle anderen Beschäftigungsgruppen sollten tunlichst zusehen, dass sie über anderweitige finanzielle Reserven verfügen oder in einer Lebens- und Haushaltsgemeinschaft über ein bis zur Rente (und darüber hinaus!) stabiles und ausreichendes gemeinsames Haushaltseinkommen abgesichert sind, sonst erweist sich der vermeintlich attraktive Minijob am Ende als Armutsfalle.

Fiskalische Kosten der Minijobregelung

Es liegt auf der Hand, dass die Förderung der Minijobs durch die Steuer- und (nahezu bis wahlweise komplette) Sozialabgabenfreiheit fiskalisch nicht zum Nulltarif zu haben ist. Eine geringfügige Beschäftigung führt zu Einnahmeausfällen nicht nur bei den Sozialversicherungsträgern, sondern auch bei den öffentlichen Haushalten. Versuche, die Höhe dieser finanziellen Einbußen zu beziffern, stehen allerdings vor einem Problem: Während die quantitative Erfassung der finanziellen Ausfälle bei den einzelnen Sozialversicherungszweigen noch vergleichsweise unproblematisch ist, steht jede Berechnung der Einnahmeausfälle bei der Einkommensteuer vor der kaum zu meisternden Herausforderung, dass eine Vielzahl individueller Faktoren die jeweilige Steuerlast erheblich und im Einzelfall ganz unterschiedlich beeinflusst. Studien, die die Steuerausfälle zu quantifizieren versuchen, sind daher deutlich seltener als Berechnungen zu den finanziellen Wirkungen von Minijobs bei den Sozialversicherungssystemen.

Ein aktueller Versuch, die fiskalischen Effekte der Minijobs zumindest näherungsweise zu bestimmen, stammt von Tobias Peters, Ökonom am Bremer Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW). Peters geht es darum, „die Einnahmeausfälle abschätzen zu können, die durch die einkommensteuerliche Sonderbehandlung von Minijobs entstehen.“

Wie seine Analyse für das Jahr 2014 ergab, hätten zwar einerseits rund 40 Prozent der MinijobberInnen aufgrund eines zu geringen Jahreseinkommens auch unabhängig von der Frage nach einer Besteuerung der Minijobs keine Einkommensteuer zahlen müssen. Ihnen aber stand eine Gruppe von über 43 Prozent aller MinijobberInnen gegenüber, die ein Einkommensteueraufkommen von mehr als 500 Euro gehabt hätten, wenn die Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung uneingeschränkt steuerpflichtig gewesen wären. Bei mehr als 22 Prozent der geringfügig Beschäftigten hätte die rechnerische Einkommensteuerschuld sogar bei 1.000 Euro oder höher gelegen.

Natürlich musste auch Peters eine Reihe von restringierenden Grundannahmen und Prämissen setzen, um die finanziellen Einbußen für die öffentlichen Haushalte derart griffig beziffern zu können. Doch interessanter als die Frage, wie exakt solche Quantifizierungen ausfallen können, ist die anhand der Schätzung offensichtlich werdende Tatsache, dass das arbeitsmarktpolitische Instrument Minijob den Staat aufgrund der Steuereinnahmeausfälle durchaus teuer zu stehen kommt.

Minijobs sind eine wirkungslose Fehlsubvention

Wenn die öffentliche Hand hier also auf erkleckliche Einnahmen verzichtet, so heißt das nichts anderes, als dass die Beschäftigungsform Minijobs bewusst subventioniert wird. Nun könnte man Subventionen, wie sie die Regelungen zur geringfügigen Beschäftigung beinhalten, dann für sinnvoll halten, wenn dadurch tatsächlich die versprochenen Anreize geschaffen bzw. Optionen eröffnet würden, auch über ein vergleichsweise niedrig entlohnte Tätigkeit den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu suchen und zu finden (Zugangsfunktion), um anschließend in eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu wechseln (Brückenfunktion). Der mit der Verhaltenssteuerung der ArbeitsmarktteilnehmerInnen verbundene Einnahmeverzicht wäre quasi eine Investition, die sich in Zukunft auszahlen würde. Genau das aber passiert nicht, wie zahlreiche Befunde zur Minijobfalle nachweisen können. Minijobs erfüllen eben viel zu selten die ihnen zugedachte Brückenfunktion. Der Klebeeffekt ist deutlich ausgeprägter, weshalb es sich eher um eine beschäftigungspolitische Sackgasse handelt.

Was die Sache noch problematischer macht, die Subventionen kommen Beschäftigtengruppen zugute, denen sie nicht zugedacht waren oder die ihrer nicht einmal bedürften. Peters macht zwei Gruppen aus, die durch die Minijobregelung privilegiert werden. Dies sind zum einen die im Nebenjob geringfügig Beschäftigten. Sie werden gegenüber jenen Beschäftigten bessergestellt, die ihren regulären Verdienst durch (der Steuerpflicht unterworfene) bezahlte Überstunden und Mehrarbeit aufstocken. Zum anderen sind es Ehe- bzw. Lebenspartner, die neben ihre Tätigkeit als Hausfrau und -mann per Minijob das gemeinsame Einkommen aufbessern ohne damit die aus gemeinsamer Veranlagung resultierende Steuerlast zu vergrößern. Von der Subventionierung der Minijobs profitieren insbesondere Personen, die selbst oder deren Ehe- oder Lebenspartner ein hohes Einkommen generieren, und gleichzeitig ein relativ hohes Einkommen aus dem Minijob erzielen. Letztlich sind es also die Haushalte mit höherem Einkommen, für die der Minijob ein gutes Geschäft ist.

Revision der Minijobregelungen überfällig

Die Anhaltspunkte zur Fehlsubventionierung und die in anderen Analysen bereits aufgedeckten Nachteile einer bloß geringfügigen Beschäftigung sind längst schon umfangreich und schwerwiegend genug, um eine Abschaffung oder zumindest grundlegende Revision der Minijobregelungen anzugehen. Zahlreicher als die Forderungen nach einer ersatzlosen Streichung sind allerdings Reformvorschläge, um Minijobs auf eine neue rechtliche Grundlage stellen.

Zu den langjährigen Protagonisten einer grundlegenden Revision zählen die Gewerkschaften. So hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) erst vor wenigen Monaten Reformvorschläge zur Neuordnung der geringfügigen Beschäftigung vorgelegt. Im Kern läuft das DGB-Konzept darauf hinaus, dass Minijobs künftig schon ab dem ersten Euro in die Sozialversicherung einbezogen werden. Dabei sollen in einer Art nach unten erweiterten Gleitzone (sie existiert bereits für die so genannten Midijobs von 450,01 bis 850 Euro) die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge so verteilt werden, dass der Anteil der ArbeitnehmerInnen zunächst sehr gering ist, um mit zunehmendem Einkommen anzusteigen. Parallel würde die zunächst höhere Belastung der Arbeitgeber sinken. Ab 850 Euro wäre dann die paritätische Finanzierung erreicht.

Sollte das Konzept auch mit dem zweiten Kernpunkt, der Abschaffung der pauschalen Besteuerung zugunsten einer zielgruppengerechteren steuerlichen Förderung tatsächlich den Weg in die Politik finden, so stünden die Chancen gut, dass der Minijobsumpf doch noch trockengelegt wird.

Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

Der Beitrag erschien auf: miese Jobs. Wir spiegeln ihn mit freundlicher Genehmigung.
Bild: dgb.de