Alles unter Kontrolle? Arbeitspolitik und Arbeitsrecht in digitalen Zeiten

Braucht es wirklich noch eine weitere Studie zur Digitalisierung der Arbeit? Ist denn dazu nicht schon nahezu alles geschrieben – und dies auch noch von fast allen? In der Tat lässt sich die Fülle an Publikationen und Interventionen unterschiedlichster Provenienz zu den qua digitaler Technik forcierten Umwälzungen der Erwerbssphäre kaum mehr überblicken.2 Wir selbst haben bereits im Jahr 2012 – zu einem noch vergleichsweise frühen Zeitpunkt also – die „digitale Arbeit in Deutschland“ im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in den Blick genommen und seinerzeit  kritisch konstatiert, dass dieser Komplex „weitgehend von der öffentlichen Agenda verschwunden“ und kein „relevantes arbeits- politisches Handlungsfeld“ (Schwemmle/Wedde 2012: 8) sei.3 Was damals richtig war, stellt sich heute grundlegend anders dar, berechtigter- und erfreulicherweise: Binnen weniger Jahre ist der Umbruch der Arbeitswelt im Zeichen von Algorithmen und Robotern, von Plattformen und Big Data zum Thema intensiver wissenschaftlicher, medialer und auch politischer Diskurse avanciert.

Alarmismus oder Fatalismus helfen sicherlich niemandem weiter; ebenso wenig ist dies jedoch auch von Beschwichtigungs- und Verharmlosungsdiskursen zu erwarten, wie sie verschiedentlich zu beobachten sind. Arbeitspolitik und Arbeitsrecht bedürfen nach unserer Auffassung zum einen einer verbesserten analytischen Fundierung.

Zum anderen halten wir eine darauf gründende Intensivierung politischer Praxis zur Gestaltung des Umbruchs für dringend geboten – und dies nicht allein zu Zwecken der Eindämmung möglicher schädlicher Entwicklungen, sondern als progressives politisches Projekt zur Humanisierung und Demokratisierung der Arbeitswelt unter digitalen Vorzeichen, zur Befreiung in und wohl auch zur partiellen Befreiung von der Arbeit. Dazu wollen wir mit unserer Studie einen vorbereitenden Beitrag leisten.

Die Digitalisierung stellt viele Konstanten der Arbeitswelt infrage. Die Umbrüche, die hiermit für Beschäftigte in Deutschland einhergehen, sind mittlerweile Gegenstand intensiver wissenschaftlicher, medialer und politischer Diskurse. Das Tempo des digitalen Wandels ist allerdings so rasant, dass die einzelne Analyse oft als Momentaufnahme erscheint. Dabei lassen sich die Konturen des Wandels gerade dadurch erkennen, dass man Entwicklungen über eine gewisse Zeit, also im Längsschnitt betrachtet.

Diese Überlegung bildet den Ausgangspunkt für die vorliegende Studie1. Sie ist eine Nachfolgestudie zu unserer 2012 veröffentlichten Expertise „Digitale Arbeit in Deutschland“ (Schwemmle/Wedde 2012). Darin hatten wir den Stand der Digitalisierung der Arbeitswelt in Deutschland beschrieben, die Herausforderungen für „gute digitale Arbeit“ analysiert und entsprechende Reformbedarfe für Arbeitspolitik und Arbeitsrecht identifiziert. Jetzt – sechs Jahre später – greifen wir die damaligen Ergebnisse auf und wagen einen zweiten Blick auf unseren Analysegegenstand.

Im Mittelpunkt stehen dabei die folgenden Fragen:

  • Wie stellt sich der digitale Wandel der Arbeitswelt in Deutsch land in der Zwischenzeit dar? Welche der bereits 2012 identifizierten Problemlagen oder Potenziale sind nach wie vor gegeben? Welche neuen Herausforderungen sind dazugekommen?
  • Wie hat sich vor diesem Hintergrund der politische Diskurs entwickelt? Welche Anpassungs- und Reformbedarfe sind erkannt, welche in Arbeitspolitik und Arbeitsrecht umgesetzt worden?

Vor dem Hintergrund unserer Längsschnittanalyse zeigt sich: Die vor sechs Jahren erkennbaren Problemlagen haben sich im Zeitverlauf eher verfestigt und ausgedehnt. Zugleich werden die emanzipatorischen und humanisierenden Potenziale für besseres digitales Arbeiten nach wie vor bei Weitem nicht ausgeschöpft. Vor allem zwei Mängelkomplexe digitalisierter Mobilarbeit begründen diese kritische Einschätzung: die durch digitale Technik ermöglichte ausufernde arbeitsbezogene Verfügbarkeit eines großen Teils der abhängig Erwerbstätigen zum einen und die überwiegend fremdbestimmten Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen an eine wachsende Anzahl von Beschäftigten zum anderen.

Darüber hinaus zeigt sich, dass die Digitalisierung zunehmend als ein Machtfaktor im Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital wirkt. Sie eröffnet in steigendem Maße Potenziale der Entsicherung, Entkollektivierung und Entmächtigung menschlicher Arbeitskraft. Gehen die technisch-organisatorischen Umwälzungen im vermeintlichen Selbstlauf, faktisch jedoch getrieben und geprägt von unternehmerischen Effizienz- und Kontrollkalkülen vonstatten, verändert die Digitalisierung die Dynamik zugunsten „des Kapitals“ und zulasten „der Arbeit“. Um dies zu verhindern, bedarf es arbeitspolitischer Interventionen und arbeitsrechtlicher Regulierungen.

Jedoch wirkt die Politik bei ihren Versuchen, der digital forcierten Machtverschiebung entgegenzuwirken und die Spielräume für bessere digitale Arbeit auszuschöpfen, in mancherlei Hinsicht überfordert. Zweifelsohne hat sich die deutsche Politik in den vergangenen Jahren sehr intensiv mit der Digitalisierung der Arbeitswelt auseinandergesetzt und ist sich der Herausforderungen des digitalen Umbruchs bewusst. Jedoch hat diese begrüßenswerte Zuwendung bis dato noch keine sichtbaren Resultate gezeitigt. Arbeitspolitisch und arbeitsrechtlich hat sich wenig bis nichts bewegt.

Würden sich die skizzierten Entwicklungen fortsetzen, so würde dies nicht nur die Perspektiven für eine Humanisierung der Digitalisierung verschlechtern, sondern auch allen arbeits- politischen und -rechtlichen Gestaltungsversuchen den Boden entziehen, die auf einem annähernden Kräftegleichgewicht von Kapital und Arbeit fußen und auf den sozialpartnerschaftlichen Ausgleich von Interessen ausgerichtet sind. Soll dies verhindert werden, so wird Arbeitspolitik in höherem Maße als bisher konfliktbereit und konfliktfähig werden müssen. Denn nach wie vor spricht wenig dafür, dass diejenigen, die als Arbeit-  und Auftraggeber_innen bis dato den übergroßen Anteil der „Früchte“ der digitalen Vernetzung in Form von Flexibilisierungs- gewinnen, Kostensenkungen und Machtzuwächsen ernten konnten, ihre Positionsvorteile widerstandslos aufgeben werden.

 

 

 

Weitere Info: http://library.fes.de/pdf-files/wiso/14087.pdf

Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung

Bild: LabourNet Germany -"Grafik zur Debatte um Arbeit 4.0. - fuer das LabourNet Germany erstellt durch T.S."