Im linksalternativen Milieu der 1970er Jahre war es angesagt, in einem Projekt tätig zu sein. Im Projekt zu arbeiten war für die Alternativen Sinnbild für die Distanz zu den etablierten Institutionen und die gelebte Kritik am Kapitalismus.
Die Motivation für das Engagement in den alternativen Betrieben war der Wunsch nach Einheit von Privatleben und Arbeit, Selbstentfaltung, Arbeitszufriedenheit, gemeinschaftliche Kommunikation und soziale Kontakte, fehlende Berufsperspektiven insbesondere bei Akademikern, das Scheitern der Betriebsintervention linker Gruppen Anfang der 1970er Jahre, die neu entstehende Diskussion um die Umweltzerstörung und das selbstbewusste Auftreten der Frauenbewegung.
Die alternative Ökonomie umfasste laut neueren Schätzungen im Jahr 1980 mit ihren selbstorganisierten Projekten , autonomen Arbeitskollektiven und Kleinbetreiben rund 11 .500 Betriebe, in denen etwa 80. 000 Personen arbeiteten. 1986 sollten sogar rund 18. 000 Projekte bestehen, in den etwa 200. 000 Menschen tätig waren. Zu den Aktivisten müssen auch noch diejenigen hinzu gezählt werden, die sich mit dem Alternativmilieu solidarisierten, nur mal reinschauten, Veranstaltungen organisierten oder für kurze Zeit aushalfen.
Die Diskussion über Alternative Ökonomie entstand in den 1970er Jahren in der Alternativbewegung. Die ersten Versuche, selbstverwaltete Projekte zu gründen, fanden im Medienbereich statt. Erste Druckereien entstanden, in denen man Schwarzdrucke und eigene Broschüren anfertigte und vertrieb, um sozialistische Inhalte unter die Leute zu bringen.
Bis Mitte der 1970er Jahre war die Gründung von selbstverwalteten Projekten zumeist auf die im Medienbereich arbeitenden Projekte, wie Verlage, Zeitschriften und Druckereien beschränkt.
Die überwiegende und ausgeprägte Handwerksorientierung der linksalternativen Szene ist eine Legende, die aber immer wieder gerne erwähnt wird. Auch deshalb, weil man hier sehr schön das Märchen vom romantischen Wirtschaften in dezentralen Modellbetrieben erzählen kann. In denen sanfte Technik eingesetzt wird, die dauerhafte, reparaturfähige Produkte herstellt, nur qualitativ wächst und der Zauber der ökologisch angepassten Kreislaufwirtschaft herrscht.
Die meisten alternativen Betriebe arbeiteten im Dienstleistungssektor, da dieser Bereich, auch bedingt durch einige Reformen, die ihren Namen noch verdienten, sich in der damaligen Zeit stark ausweitete. Die Bereiche Wohnungsbau, Freizeit, Gesundheitswesen, Öffentlicher Nahverkehr und der Bildungseinrichtungen wurden ausgebaut und boten eine Menge an Beschäftigung, begleitet durch einen höheren Bildungsanspruch auf dem Arbeitsmarkt. Da waren die gut gebildeten Beschäftigten in den Alternativbetrieben dem Trend zur medialen Wissensgesellschaft schon ein Stück voraus und nahmen eine spätere Entwicklung in ihrem Bereich vorweg. In diesen Betrieben arbeiteten durchweg junge und gut gebildete Menschen, von denen die Hälfte einen Hochschulabschluss hatte.
Gegen Ende der siebziger Jahre wurde die ansteigende Arbeitslosigkeit für junge Menschen das dringendste Problem. Das war auch ein Grund dafür, sich auf dem alternativen Arbeitsmarkt umzusehen. Viele erhofften sich Antworten auf die Frage nach dem Sinn der Leistungsgesellschaft und Arbeitswelt. Für andere bot das alternative Umfeld die Möglichkeit, Karriere zu machen, die ihnen durch die Beschäftigungsaussichten am regulären Arbeitsmarkt nicht geboten werden konnte. Dies traf vor allem für die Sozial- und Erziehungsberufe zu, für die der alternative Arbeitsmarkt Ende der 1970er Jahre die einzige Beschäftigungsmöglichkeit bot.
Die Motivation für das Engagement in den alternativen Betrieben war Anfang der 1980er Jahre die gleiche, wie 10 Jahre zuvor: Selbstentfaltung, Arbeitszufriedenheit, gemeinschaftliche Kommunikation und soziale Kontakte waren immer noch ausschlaggebend. Die Gesellschaft zu verändern und die linke Szene zu vernetzen, waren weitere Gründe mitzumachen. Abhängigkeit von großen Institutionen mit deren Anonymität und wachsende Bürokratisierung stellte man der Eigenständigkeit und Mitgestaltung im Betrieb entgegen. Für viele war die Selbstentfaltung und das Arbeiten und Leben in der hierarchiearmen Gemeinschaft besonders wichtig.
Für viele Frauen waren diese alternativen Betriebe und autonomen Einrichtungen der Frauenbewegung eine gute Chance, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zu überwinden und die Schlechterstellung auf dem regulären Arbeitsmarkt zu umgehen. Zeitweise waren bundesweit über 1.000 Frauenprojekte und bis zu 10.000 beschäftigte Frauen im linksalternativen Bereich aktiv. Allein die Frauenbetriebe boten den Frauen in der alternativen Szene eine Voraussetzung für die Überwindung der geschlechtsspezifischen Benachteiligungen und der unterschiedlichen Rollenverteilung, aber vor allem die Möglichkeit, ihre Kinder unterzubringen und zu betreuen.
Jedes Projekt war ein soziales Experiment, bei dem sich die Akteure austesten konnten. Im Vordergrund stand die Selbstorganisation, bei der alles möglichst basisdemokratisch und konsensorientiert entschieden wurde. Die Entlohnung sollte einheitlich sein, es sollte nur das Kollektiveigentum an den Produktionsmitteln geben und die Trennung zwischen Hand- und Kopfarbeit, Privatem und Politischen, Erwerbstätigkeit und Freizeit aufgehoben sein.
Je länger das Engagement in den alternativen Projekten anhielt, desto eher wurde aus dieser Beschäftigung Erwerbsarbeit. Mit wachsendem Markteinfluss mit seinen Ordnungsprinzipien und Prioritäten kamen auch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten ans Licht. Mit dem Finanzmangel, unregelmäßiger Bezahlung, verbunden mit Organisationsschwächen und hoher Fluktuation der Aktiven, stellte sich auf einmal die Frage nach der Rentabilität des Ganzen und vor allem nach der Arbeitsleistung des Einzelnen. Es gab diejenigen, die viel leisten und die, die weniger leisten konnten. Kontrollmöglichkeiten für die Arbeitsleistung zogen in viele Betriebe ein. Auch wurde dann die soziale Absicherung und Altersvorsorge thematisiert und es mussten Regelungen für die Mehrarbeitsstunden und den bezahlten Jahresurlaub gefunden werden.
Eine Dauerbaustelle war der Einheitslohn. Die Auseinandersetzung mit diesem Dauerthema führte oft zu fatalen Entwicklungen und war verantwortlich für die latenten Probleme innerhalb der sozialen Strukturen der Betriebe. Die Probleme des faktischen Unterschieds bezüglich der Qualifikation, Übernahme von Verantwortung und Belastbarkeit blieben unter der Decke oder führten zu explosionsartigen Ausbrüchen innerhalb der Gruppen.
Kam es zu keiner vernünftigen Übereinkunft, blieb nur noch die extreme Selbstausbeutung übrig. Um ihre Ideale aufrecht zu halten, waren viele Aktivisten bereit, in der Woche 50 bis 60 Stunden für ihr Projekt zu arbeiten. Wenn zur Selbstausbeutung dann noch mangelhafte Zahlungsmoral der Kunden, wackelige Finanzierung des Ganzen und schlechte Bezahlung hinzukamen, war dann das Ende des Projekts in Sicht.
Anfang der 1980er Jahre finanzierten zwar 40 Prozent ihr Projekt aus selbst erwirtschaftetem Geld, doch die anderen 60 Prozent waren auf staatliche Mittel oder familiäre Unterstützung angewiesen.
Trotz vieler persönlicher Opfer, hohem Engagement und Ansprüchen, das andauernde Weben von personalen Netzwerken, die drängende Selbstkritik bei der Ausbildung kommunikativer, affektiver und sozialer Kompetenzen, scheiterten viele Projekte schon innerhalb kurzer Zeit. Die Gründe dafür waren die Finanzierungs-, Absatz- und Vermarktungsschwierigkeiten, mangelhafter Arbeitseinstellung, hoher Fluktuation, gruppendynamischen Konflikte und wachsende Frustration bei einzelner Aktivisten.
Man wollte ja Alternativen zu den Arbeits- und Lebensformen der kritisierten Gesellschaft bieten und trug dies in den zahlreichen selbstverwalteten Betriebe sichtbar vor sich her. Dann kam es immer häufiger vor, dass man von der alltäglichen Realität eingeholt wurde und mit schleichender Entwicklung Sätze und Begriffe wie „das muss sich auch rechnen“ und „Profitabilität“ aufkamen. Die ständigen Auseinandersetzungen setzten dem einzelnen zu, die Selbstausbeutung wurde bewusst und bei einigen schien dann die harte Arbeitswelt draußen in der Leistungsgesellschaft auf einmal erstrebenswert.
In der Praxis wurden diese antikapitalistischen Experimente, entgegen allen Ansprüchen, oft zur Schule für erfolgreiche unternehmerische Tätigkeit.
In vielen Betrieben, die schon längere Zeit existierten, hatten sich Hierarchien herausgebildet, was zwar von den Beschäftigten wahrgenommen, aber nicht thematisiert wurde. Die Dominanz einzelner entstand vor allem durch ihre Fachlichkeit, Erfahrung, lange Betriebszugehörigkeit und Engagement. Experimente mit der Arbeitsplatzrotation, Verzicht auf feste Verantwortungsbereiche und Abbau der Spezialisierung waren gut gemeint, scheiterten aber im Alltag und konnten die schleichenden Hierarchisierungsprozesse nicht aufhalten.
Hauptprobleme der alternativen Betriebe waren die permanenten Finanzschwierigkeiten. Das begann schon in der Anfangsphase, in der das Gründungskapital durchweg bescheiden war. Da wurden mindestens die Hälfte aus eigenen Ersparnissen oder Erbschaften der Gründer eingesetzt, ein Drittel kam von Verwandten und Bekannten, nur etwa 15 Prozent riskierten die normalen Banken in der Gründungsphase beizutragen.
Vor allem im Dienstleistungsbereich, in dem ja die meisten alternativen Betriebe angesiedelt waren, war den Anteil der verpönten Staatsknete am größten. So konnte im Gesundheits- und Sozialbereich und auch im Kultur- und Kreativbereich der Anteil der staatlichen Förderung bei über 90 Prozent liegen.
Um die Abhängigkeit von der Staatsknete zu mildern wurden dann eigene Finanzierungsmodelle entwickelt.
Bekannt wurden die Arbeitsgemeinschaft Sozialpolitischer Arbeitskreise (AG SPAK), das Netzwerk Selbsthilfe e.V. und später die Öko-Bank, die ein alternatives Finanzierungs- und Förderungssystem aufbauten, das den selbstorganisierten Initiativen Struktur- und Finanzierungshilfen anbot und zur Verbreitung modellhafter alternativer Lebens- und Arbeitsformen beitrugen. Hieraus entstanden dann auch lokale Netzwerke, die sich zur Risikominderungen gegenseitig unterstützten.
Dass dieses Vorgehen recht erfolgreich war, zeigen Untersuchungen, die bei Betrieben Ende der 1980er Jahre durchgeführt wurden: Die Alternativbetriebe hatten sich im Laufe der achtziger Jahre stabilisieren können, sie waren professioneller geworden, zu dem Preis, dass sie sich anpassen und ihre ursprünglichen Ideale zumindest in Teilen aufgeben mussten. Die Aktivisten selbst gaben an, dass sie für den Erfolg neue soziale Fähigkeit erwerben mussten und ein starker Durchhaltewille, inklusive eine große Frustrationstoleranz erforderlich war.
Langfristig haben sich vor allem die Umweltschutzprojekte durchgesetzt. Hier wird immer der Erfolg des Öko-Instituts Freiburg angeführt, das 1977 aus dem Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und dem erfolgreichen Protest gegen die Errichtung des Atomkraftwerks in Wyhl entstanden und heute das größte unabhängige ökologische Forschungsinstitut ist.
Die alternative Projektarbeit hat rund 200.000 junge und engagierte Menschen in den 1970er Jahren geprägt. Sie haben ein Leben kennengelernt, in dem eigenverantwortlich die Arbeitszeit eingeteilt werden kann, es möglichst flache Hierarchien gibt, selbstorganisierte Arbeitsabläufe begründet werden können und es viel Raum für Spontanität gibt. Ein Leben, in dem das Gemeinschaftsgefühl und die Arbeitsleistung miteinander harmonieren und der einzelne Mensch einen Vergemeinschaftungsort findet, bei dem er verstanden und aufgefangen wird und sich weiter entwickeln kann.
Das könnte man heute Gute Arbeit nennen.
Im Nachhinein, mit der heutigen Sicht auf die neoliberale Praxis auf dem Arbeitsmarkt mit seiner Deregulierung und Flexibilisierung, kommt doch etwas Schmunzeln auf.
Die kollektive Selbstorganisation als wichtige Tugend, mit der hohen Fluktuation der Beschäftigten, mit flexiblen Arbeitsrahmen und den hehren Zielen, wie flache Hierarchien und autonomen Selbstmanagement hat eventuell ungewollt den heutigen prekären Beschäftigungen und aufgesplitterten Arbeitsmarkt Vorschub geleistet?
Quelle: Authentizität und Gemeinschaft
Bild: deutschlandfunk.de