Autozulieferindustrie: Pleiten, Pech und Personalabbau

Von Stefan Krull

Gegenwind von VW, Daimler und BMW. Konzerne verweigern die Transformation – und die Regierung schaut nur zu. In der Branche: Besser Gemeinsam kämpfen als alleine untergehen!

Die Beschäftigung in der Auto- und Zulieferindustrie ging um 60.000 von 834.000 im Jahr 2018 auf 774.000 im Jahr 2022 zurück. Hinzu kommen noch 20.000 beendete Arbeitsverhältnisse bei Autohändlern und Werkstätten sowie zehntausende Leiharbeiter*innen, die vor die Tür gesetzt wurden und in den Bilanzen nicht als Personalkosten sondern als Sachkosten geführt werden. Die Beschäftigten in der Auto- und Zulieferindustrie brauchen eine Perspektive jenseits des Autos, denn die Produktion von Autos hat keine Perspektive.

Die Autoindustrie selbst, die drei großen Konzerne VW, Daimler und BMW, produzieren zwar weniger Fahrzeuge, machen indes aber Rekordumsätze und Rekordgewinne. Umsatzausfälle bei Zulieferern wie SD Automotive sind einerseits auf sinkende Produktionszahlen der Autokonzerne, andererseits auf deren Insourcing-Strategien zurückzuführen: Statt Teile wie bisher zuzukaufen, werden sie, um Personalabbau und schlechte Nachrichten zu vermeiden, selber in den eigenen Fabriken produziert.

SD-Automotive aus Georgsmarienhütte bei Osnabrück meldet Insolvenz an. Grund dafür: hohe Umsatzverluste, die auf Entscheidungen der Automobilhersteller/OEMs zurückzuführen sind, unter anderem wurden Serienaufträge beendet, Abrufe reduziert und neue Projekte zeitlich verschoben. Diese Umsatzausfälle in Höhe mehrerer Millionen Euro haben unweigerlich zu Liquiditätsschwierigkeiten geführt, die nicht kurzfristig außerhalb eines Insolvenzverfahrens kompensiert werden konnten. Die Löhne sind bis April über das Insolvenzgeld gesichert.

Diese Horrormeldung für gut 170 Arbeiterinnen und Arbeiter von SD Automotive, die seit einer ersten Insolvenz im Jahr 2019 zu 49 Prozent der NBank Capital, einer niedersächsischen landeseigenen Bank, gehört, ist bei weitem kein Einzelfall. Warum das Land nicht in die Unternehmensplanung eingreift sondern nur als Geldgeber, als „stiller Gesellschafter“ wirkt, ist der Kapitalgläubigkeit der Landesregierung geschuldet.

Die sozial-ökologische Transformation kommt nicht voran, die Klimaziele im Verkehrssektor werden seit Jahren weit verfehlt. Die deutschen Autokonzerne halten an Verbrennertechnologie und an teuren SUV- und Luxusstrategie fest, ignorieren die Klimakrise, unterschätzen die Konkurrenz und verweigern Konversionsüberlegungen. Zwar werden noch satte Profite für die Aktionäre realisiert, mit der Beschäftigung geht es aber schon rasant bergab.
Sind Betriebsschließungen und Produktionsverlagerungen die Vorboten von Kapitalflucht und Deindustrialisierung?

Im komplexen System des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, der Bahnindustrie, der Fahrradindustrie und der Infrastruktur fehlt es andererseits an Geld, an Kapazitäten und Arbeitskräften. Klimabewegung und Gewerkschaften weisen argumentativ und in direkten Aktionen auf diesen Anachronismus hin, während die Industrie und die Regierung den Niedergang der Autoindustrie nicht aufhalten, den Ausbau und die Modernisierung der Bahnindustrie, des ÖPNV und der dazugehörenden Infrastruktur jedoch blockieren.

Rette sich wer kann?

So hat zum Beispiel Bosch angekündigt, 1.200 Stellen in der Softwareentwicklung und 2.000 Stellen in der Antriebs- und Steuergerätefertigung zu streichen. Bosch und andere große Zulieferer, selbst Ford, haben darüber hinaus Fabriken geschlossen oder dieses angekündigt und zehntausende Arbeiterinnen und Arbeiter vor die Tür gesetzt. Hier eine sicher noch unvollständige Auflistung:

Unternehmen Orte
Autoliv Elmshorn
Benetler Bottrop
Bosch Bietigheim, Reutlingen, Salzgitter und Arnstadt
Brose Wuppertal, Würzburg und Coburg
Continental Aachen, Salzgitter, Gifhorn, Nürnberg und Mühlhausen
Eberspächer Esslingen
Faurecia Stadthagen
Freudenberg Weinheim
Ford Saarlouis und Aachen
GKN Zwickau
Hella Lippstadt
Kamax Homberg
Lear Kronach und Besigheim
Leoni Brake
Mahle Gaildorf, Freiberg und Mattighofen
Magna Dorfprozelten
Marelli Brotterode
Michelin Homburg, Trier und Karlsruhe
Rehau Schwarzenbach, Feuchtwangen, Viechtach
Schaeffler Herzogenaurach, Bühl und Homburg,
SD Automotive Georgsmarienhütte / Osnabrück
Sitech Hannover
Valeo Friedrichsdorf und Ebern
Webasto Hengersberg
ZF Damme, Gelsenkirchen und in Eitorf

Das sind jeweils über einhundert bis zu zehntausend Arbeitsplätze, die ersatzlos gestrichen oder verlagert werden, ohne Alternativen auszuloten und anzubieten. Das ist keine Transformation, sondern unternehmerisches Unterlassen mit katastrophalen Folgen für die Menschen und die Regionen.

Statt dem Niedergang der Auto(zuliefer)industrie fast tatenlos zuzusehen, wäre jetzt die Zeit gekommen, aus Gründen der Sicherung von Arbeitsplätzen und der sozial-ökologischen Transformation die Arbeitszeit auf die 4-Tage-Woche oder 28-Stunden-Woche zu verkürzen. Falls erforderlich, kann die Arbeitsagentur diesen Prozess unterstützen, statt Kurzarbeitergeld und Arbeitslosengeld zu bezahlen!

In der Branche: Besser Gemeinsam kämpfen als alleine untergehen!

Die Beschäftigten in der Auto- und Zulieferindustrie brauchen eine Perspektive jenseits des Autos, denn die Produktion von Autos hat keine Perspektive.

Arbeitszeitverkürzung wäre ein probates Mittel, dafür müssten aber Gewerkschaften eine gesellschaftliche Debatte anstoßen und forcieren – einzelbetrieblich sind diese Probleme nämlich nicht lösbar in der kapitalistischen Wirtschaft.

Richtig ist, dass nicht nur die Regierung schuld hat! „Die Ampel muss weg“ – reicht nicht und ist nicht einmal zielführend angesichts der gruseligen Alternativen. Die SUV- und Luxusstrategie und somit die hohen Preise sind von der Autoindustrie selbstverschuldet, die Konkurrenz wird nicht ernst genommen. Hochmut kommt vor dem Fall. Der Kardinalfehler ist jedoch die Verweigerung der Konversion, die Blockade der Verkehrswende! Bleibt es vorläufig beim „perfekten Sturm“, der zu Lasten der Arbeiterinnen und Arbeiter geht ebenso wie zu Lasten der Regionen?

Den „perfekten Sturm“ mit allen sozialen, ökologischen und politischen Implikationen abzuwenden, braucht es eine andere Industriepolitik, massive Investitionen in den öffentlichen Verkehr, in die Infrastruktur für Schiene, Bus und Fahrrad – und insoweit hat die Regierung doch schuld, weil sie den Unsinn, die Profitgier der Eigentümer und Manager der Autoindustrie nicht stoppt.

Die Probleme im gesamten öffentlichen Verkehr sind offensichtlich: Hohe Belastung durch Überstunden, ein erhöhter Krankenstand, Beschäftigte, die hinschmeißen, weil die Arbeitsbedingungen zu schlecht sind, zu wenig neues Personal, das rekrutiert werden kann und dann oft auch nicht lange bleibt – es ist ein Teufelskreis. Wenn man 24h/7 Tage die Woche an 365 Tagen im Jahr gearbeitet, egal ob Wochenende oder feiertags, überlegt man sich, ob es bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage nicht doch möglich ist, sich umzuorientieren.

Ja, das Lamento über den allgemeinen Fachkräftemangel ist groß, überall fehlt Personal und das betonen auch die Verkehrsunternehmen immer wieder. Aber es wird zu wenig ausgebildet und: solange sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, wird es keine Verbesserung der Situation geben. Es gibt Gründe, warum die Personaldeckung schon seit langem schwierig ist. Die strapaziösen Arbeitszeiten mit geteilten Diensten, nur alle fünf Wochen ein zusammenhängendes Wochenende frei, der Stress und das ständige Gehetztsein, um mal drei Minuten Zeit zu haben, um auf Toilette zu flitzen. Die psychischen Belastungen und die gesundheitlichen Folgen der Arbeitsbedingungen sind immens. Die Verkehrswende benötigt auch eine echte Arbeitswende im Verkehr.

Schuldenbremse und Sparhaushalt verschlechtern die Situation!

Statt die Arbeitsbedingungen zu verbessern, werden mit dem Sparhaushalt der Bundesregierung die Investitionen in die Bahn und den ÖPNV dramatisch reduziert und Bauprojekte gestoppt. Von den der Bahn zugesagten 45 Milliarden Euro vom Bund sind noch 27 Milliarden übrig, die nun hauptsächlich in den Bestand fließen sollen. Für Ausbauprojekte fehlt das Geld.

Wie kann diese desaströse Entwicklung überwunden werden? Damit werden wir uns bei dem Ratschlag der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Transformation der Mobilitätsindustrie am 31.5./1.6. in Kassel beschäftigen. Wir laden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Aktive aus den Betrieben und aus der Klimabewegung sowie Politikerinnen und Politiker ein. Wir werden die Entwicklung analysieren und konkrete Überlegungen zu grundsätzlichen Weichenstellungen beraten. An diesen paradigmatischen Konflikten entscheidet sich das Gelingen oder Misslingen der sozial-ökologischen Transformation – mit allen sozialen, politischen und ökologischen Implikationen.

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Weitere Infos:

https://www.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/I9SJ3/ratschlag-zur-sozial-oekologischen-transformation-der-mobilitaetsindustrien?cHash=bf52f4c8598a7c6f501c0093f52f7433

 

 

 

 

 

 

Der Beitrag erschien auf https://stephankrull.info/und wird mit freundlicher Genehmigung des Autors hier gespiegelt