Die Mitschuld von SPD und KPD für die Machtübertragung an Hitler am 30. Januar 1933 ist zurecht viel diskutiert worden. Denn die damaligen Arbeiterparteien standen einander seit dem Ersten Weltkrieg und der Novemberrevolution, als sie sich auf unterschiedlichen Seiten der Barrikaden wiedergefunden hatten, unversöhnlich gegenüber. Seitdem beschimpfte und bekämpfte man sich wechselseitig: Viele Sozialdemokraten vertraten eine «Totalitarismustheorie», die eine Gesinnungsverwandtschaft von Kommunisten und Nationalsozialisten behauptete, während die Kommunistische Internationale die Sozialdemokraten zu «Sozialfaschisten» erklärte, die letztendlich noch gefährlicher seien als Mussolini und Hitler. Eine «Einheitsfront» gegen den NS-Faschismus, wie sie von weitsichtigeren Aktivisten gefordert wurde – nicht zuletzt in den Kleinparteien SAP und KPO, die sich deswegen von SPD und KPD abgespalten hatten –, konnte auf diese Weise nicht zustande kommen. Im Ergebnis hatte Hitler leichtes Spiel, sich der politischen Linken zu entledigen.Allerdings haben weder SPD noch KPD die Machtübertragung an und die Machtausübung durch Hitler zu irgendeinem Zeitpunkt aktiv unterstützt. Im Gegenteil: Die Kommunisten, die zu den ersten Opfern der NS-Diktatur zählten, und die Sozialdemokraten, die noch am 24. März 1933 ihre Zustimmung zum «Ermächtigungsgesetz» im Reichstag verweigerten, trafen sich schon bald in den Konzentrationslagern wieder. Viele von jenen, die nicht unmittelbar interniert wurden, gingen in den aktiven Widerstand gegen die Diktatur. Kurz: Die Fehler von SPD und KPD waren gravierend, aber eines kann man ihnen nicht vorwerfen: zur Machtübertragung an Hitler oder zur Konsolidierung der Diktatur aktiv beigetragen zu haben.
Die Rolle der traditionellen Oberklassen
Ganz anders die alten Eliten, die traditionellen Oberklassen des Kaiserreiches in Militär, Justiz, Verwaltung und Bildung, die durch die abgebrochene Novemberrevolution in Amt und Würden geblieben waren und sich nicht mit der Republik anfreunden wollten: Sie waren für die Übertragung der Macht an Hitler und für die Konsolidierung der faschistischen Herrschaft geradezu unverzichtbar. Dies gilt zum einen mit Blick auf deren politische Vertretung, die monarchistische und antisemitische Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die sich für die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler einsetzte und zum unmittelbaren Mehrheitsbeschaffer der Hitler-Regierung avancierte. Und es gilt zum anderen für den kaiserlichen Generalfeldmarschall und Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Denn entgegen der von interessierten Kreisen gepflegten politischen Legende kann von einer «Machtergreifung» Hitlers keine Rede sein. In Wirklichkeit konnten und wollten Hitler und die NSDAP nach dem gescheiterten Putsch von 1923 die Macht – trotz der paramilitärischen SA – gar nicht «ergreifen», sondern auf «legalem» Wege erlangen, sprich: Sie musste ihnen durch den Reichspräsidenten übertragen werden. Hindenburg mag lange gezögert haben, Hitler zu ernennen – letztendlich tat er es doch. Als führender Vertreter der alten Eliten des Kaiserreiches änderte er seine Haltung dann auch im Angesicht der immer brutaler werdenden Diktatur nicht mehr.
Es war indessen nicht allein die Unterstützung durch die alten, überwiegend monarchistisch gesinnten Eliten, die Hitler zur Macht und zur Konsolidierung seiner Herrschaft verhalf. Eine entscheidende Rolle spielte vielmehr auch das Bürgertum.
Unternehmerische Steigbügelhalter
Zuvörderst zu nennen ist hier die Unterstützung, die Hitler aus dem Unternehmerlager zuteilwurde. Wie stark die Förderung von dieser Seite bereits in den Jahren des Aufstiegs der NSDAP zwischen 1928 und 1932 gewesen ist, mag in der wissenschaftlichen Forschung umstritten sein. Fest steht jedoch, dass die ohnehin vorhandene, substanzielle Unterstützung in den Monaten vor der Machtübertragung noch einmal sprunghaft anstieg. Und das war kein Zufall: Nachdem viele Unternehmer lange Zeit bereits mehr Vorbehalte gegenüber dem vermeintlich «sozialistischen» Programm als gegenüber dem Antisemitismus der NSDAP artikuliert hatten, spitzte sich die Lage im November 1932 zu. Denn am 6. November verlor die NSDAP über vier Prozent bei der Reichstagswahl, während die KPD Zugewinne erzielen konnte. Die faschistische Partei schien ihren Zenit überschritten zu haben und stand in den Folgewochen gar kurz vor ihrer Spaltung. In dieser Lage kippte die Stimmung in der Wirtschaft endgültig zugunsten von Hitler. Dass dieser in internen Gesprächsrunden mit Vertretern der Wirtschaft sein Programm sehr freimütig erläuterte und dabei auch erklärte, Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden rasch von allen führenden Positionen in Deutschland entfernen zu wollen, tat dem Zuspruch keinen Abbruch, im Gegenteil.
Ein wichtiges Indiz dieser Unterstützung ist die sogenannte Industrielleneingabe, die Industrievertreter, Bankiers und Großagrarier – darunter der frühere (und spätere) Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, der Konzernchef Fritz Thyssen und der Präsident des Reichslandbundes, Eberhard Graf von Kalkreuth – am 19. November 1932 an Reichspräsident von Hindenburg schickten. In diesem Schreiben fordern sie die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, die sie darstellen als «den verheißungsvollen Beginn einer Zeit, die durch Überwindung des Klassengegensatzes die unerlässliche Grundlage für einen Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft erst schafft.»
Auch wenn Reinhard Neebe in seinem bereits 1981 erschienenen Buch «Großindustrie, Staat und NSDAP 1930–1933» die alles entscheidende Rolle, die manche marxistische Historiker dieser Eingabe zugeschrieben hatten, mit einigem Recht bezweifelt, handelt es sich doch um ein überaus bemerkenswertes Dokument – das zudem lediglich den Auftakt der wachsenden Unterstützung markierte, die Hitler nunmehr im Unternehmerlager erfuhr. In den Folgewochen erklärten immer mehr Unternehmensvertreter, oft mit Verweis auf das bis dahin beste Wahlergebnis der KPD (16,9 Prozent bedeuteten 100 Reichstagsabgeordnete), ihre Unterstützung Hitlers. Auch bei der Vermittlung der Gespräche zwischen Hitler und Franz von Papen im Januar 1933, die die gemeinsame Regierungsbildung von NSDAP und DNVP vorbereiteten, spielten Kapitalvertreter eine entscheidende Rolle.
Unmittelbar nach der Machtübertragung an Hitler gab es dann kein Halten mehr. Obgleich – oder sollte es heißen: Weil? – Hitler in seinen Reden vor Vertretern der Industrie im Februar 1933 keinen Zweifel an seinem diktatorischen und außenpolitisch expansiven Programm ließ, explodierte die politische und finanzielle Unterstützung der NSDAP geradezu. Es dürfte unstrittig sein, dass spätestens ab dem 30. Januar eine eine klare Mehrheit der Großindustriellen hinter Hitler stand.
Das neue Reichkabinetts am 30. Januar 1933 nach seiner ersten Sitzung unter dem Vorsitz des Reichskanzlers Adolf Hitler. In der ersten Reihe (von links nach rechts): Ministerpräsident Hermann Göring, Reichskanzler Adolf Hitler, und Vizekanzler von Papen. In der zweiten Reihe von links nach rechts: Reichsminister von Schwerin-Krossik, Reichsinnenminister Dr. Frick, Reichswehrminister von Blomberg und der ehemalige Reichsernährungsminister Dr. Hugenberg.
Die bürgerlichen Parteien: ein Trauerspiel
Zur Unterstützung durch weite Teile der Bourgeoisie kommt das Trauerspiel, das die politischen Vertreter des Bürgertums aufführten. Die bürgerlichen Parteien –Zentrum, Bayerische Volkspartei, Deutsche Staatspartei und diverse Kleinparteien – hatten schon vor dem 30. Januar 1933 durch ihre gescheiterte Krisenbekämpfung den Aufstieg der NSDAP begünstigt. Der Höhepunkt ihres Versagens fällt allerdings in die Wochen unmittelbar nach dem Antritt der Regierung Hitler. Denn jede Illusion über seine «Einbindung» durch von Papen wurde rasch hinfällig, da Hitler nicht zögerte, sondern sofort mit dem Umbau der Demokratie in eine Diktatur begann. Bereits am 4. Februar wurde durch die «Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes» die Versammlungs- und Pressefreiheit massiv eingeschränkt, die «Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat» setzte am 28. Februar, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, die Grundrechte außer Kraft. Auch die Verfolgung der Kommunisten, einschließlich der Reichstagsabgeordneten, begann unmittelbar nach dem 30. Januar.
Von Seiten der bürgerlichen Parteien erhob sich jedoch kaum Protest. Im Gegenteil: Als Hitler schließlich nach der Neuwahl des Reichstags am 5. März, bei der seine Partei die absolute Mehrheit trotz massiver Manipulationen im Vorfeld deutlich verfehlte, ein «Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich», das sogenannte Ermächtigungsgesetz (das festlegte, dass die Regierung ohne Parlamentszustimmung Gesetze beschließen konnte, selbst wenn diese von der Verfassung abwichen), in den Reichstag einbrachte, kam es entscheidend auf die politischen Vertreter des Bürgertums an. Denn für die Verabschiedung des Gesetzes war eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, die trotz der vorangegangenen Verhaftung (bzw. Flucht) aller KPD-Abgeordneten und einiger SPD-Abgeordneter keineswegs gesichert war. Aber während die verbliebenen SPD-Abgeordneten geschlossen gegen das Ermächtigungsgesetz stimmten, fand sich auf Seiten von Zentrumspartei, Bayerischer Volkspartei und Deutscher Staatspartei (zu deren Abgeordneten auch der spätere Bundespräsident Theodor Heuss zählte) keine einzige Gegenstimme. Sie alle votierten für die Selbstabschaffung der Demokratie und die Errichtung der Nazi-Diktatur.
Nur eine Woche später, am 1. April, organisierte die NSDAP den Boykott jüdischer Geschäfte, zwei Wochen später verabschiedete das Kabinett das «Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums», das die Entfernung von Juden und politisch Andersdenkenden aus dem Beamtenapparat zum Ziel hatte.
Das Bürgertum hatte bei der Verteidigung der Demokratie in vollem Umfang versagt. Anders ausgedrückt: Die Weimarer Republik ist nicht durch «die Extremisten von rechts und links» zerstört worden. Sie wurde vielmehr durch die NS-Faschisten und die alten Eliten und deren – anfangs zur Herrschaftskonsolidierung unerlässliche – Unterstützung durch weite Teile des Bürgertums zu Grabe getragen. Daran wiederum sollten sich auch die heutigen «Parteien der Mitte» erinnern, wenn es darum geht, dem Aufstieg der radikalen Rechten in Deutschland und Europa zu begegnen.
Dr. Albert Scharenberg ist Leiter des Zentrums Demokratischer Sozialismus/Referatsleiter Geschichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung
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