Seit Anfang April 2020 werden im Rahmen der Amtshilfe während der Corona-Pandemie die Aktivitäten der Bundeswehr durch ein eigenes „Einsatzkontingent Hilfeleistungen Corona“ koordiniert, das zunächst 15.000 Personen umfasste. Beteiligt sind alle drei Teilstreitkräfte, Heer, Marine und Luftwaffe. Die Bundesrepublik wird zu diesem Zweck in vier Regionen aufgeteilt, die jeweils einem Regionalen Führungsstab unterstehen. Zusätzlich wurden in diesem Zusammenhang als „Zivil-Militärische Zusammenarbeit“ in den Ländern und Kommunen Reservisten aktiviert und sogenannte Regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte aufgestellt.
Zuletzt hatte die Verteidigungsministerin das Hilfsangebot auf 20.000 Personen aufgestockt. Momentan hält die Bundeswehr für die Unterstützung von zivilen Einrichtungen gut 3.000 Personen vor, im konkreten Einsatz sind knapp 630 von ihnen.
Nun erhält der Krisenstab eine steigende Zahl der Amtshilfeanträge, mit denen die Kommunen die Nothilfe der Bundeswehr anfordern und will möglichst schnell bis zu 12.000 Bundeswehrangehörige für die fehlenden Stellen in den Kliniken und Gesundheitsämtern mobilisieren. Die uniformierten Helfer sollen auch bei den Boosterimpfungen und der Ausweitung von Schnelltests vor Pflegeheimen und Hospitälern bereitstehen.
Rechtlich-politische Rahmenbedingungen für den Einsatz
Die Tatsache, dass der Einsatz der Bundeswehr im Inneren von der Bevölkerung unhinterfragt so hingenommen wird, hat auch damit zu tun, das seit Jahrzehnten am Image der „Helfenden Hände“ des Militärs gearbeitet wurde.
Schon während der Hochwasserkatastrophe im Jahr 2013 wurden die Streitkräfte eingesetzt oder zwei Jahre später halfen sie bei der Registrierung und Unterbringung von geflüchteten Menschen.
Genauso emsig wie an der Verbesserung des Images gefeilt wurde, wurde auch an der Ausweitung des rechtlichen Rahmens für den Einsatz im Inneren gearbeitet. So darf neben lediglich unterstützenden Maßnahmen im Rahmen der Amtshilfe (Art. 35 Abs. 1 Grundgesetz GG) die Bundeswehr bei einem inneren Notstand tätig werden – zum Schutz von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung nicht staatlicher, militärisch bewaffneter Gegner (Art. 87a Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 GG). Dabei dürfen die Soldaten auch Kriegsgerät einsetzen. Allerdings gilt das nur, wenn die freiheitlich demokratische Grundordnung gefährdet ist.
Bei Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, beispielsweise Flugzeugabstürzen oder Unfällen in Atomkraftwerken, darf die Bundeswehr die Polizei ebenfalls unterstützen und Katastrophenhilfe leisten (Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG). Dabei kann die Bundeswehr auch Waffen einsetzen. Die Hürden dafür sind derzeit noch hoch. Eine potenzielle Gefahr für Menschen und Sachen durch Demonstrationen stellt dem Bundesverfassungsgericht zufolge ausdrücklich keinen „besonders schweren Unglücksfall“ dar. Aktuell interpretieren viele Juristinnen und Juristen die Corona-Pandemie als Naturkatastrophe. Theoretisch wäre demnach auch Katastrophenhilfe in den Bundesländern möglich und dann dürfte die Bundeswehr auch die „hoheitlichen Aufgaben“ der Polizei übernehmen.
Konkreter Einsatz
(zitiert nach bundeswehr.de 2020)
- „Zur intensiv-medizinischen Verlegung von Patienten per Flugzeug ist die Luftwaffe weiterhin in 24-stündiger Alarmbereitschaft. Auf Bitten Frankreichs und Italien wurden zuletzt mehrere mit dem Corona-Virus Infizierte zur Behandlung nach Deutschland geflogen.
- Sämtliche Vorsorgemaßnahmen werden im Lagezentrum das Kommandos Sanitätsdienstzentral koordiniert. Aus den Daten wird ein komplexes Lagebild erstellt, das mehrmals täglich aktualisiert wird.
- Seit Ende März unterstützt die Marine die Bevölkerung vor allem regional. Bei der Aktion „Helfende Hände“ beispielsweise kaufen die Soldatinnen und Soldaten Lebensmittel für hilfsbedürftige Menschen ein.
- Das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr stellt für die Truppe weiter den Grundbetrieb und die erforderlichen Serviceleistungen sicher. Bereits Anfang März wurde das Lagezentrum COVID-19Coronavirus Disease 2019 geschaffen. Unterstützt wird dieses durch den zusätzlich eingerichteten Krisenstab.
- Niemand weiß, wie sich das Coronavirus weiter ausbreiten und wie lange die Pandemie noch anhalten wird. Reserven zu haben, ist in dieser Situation auch für die Bundeswehr wichtig. Mehr als 1.000 Reservisten – also ehemalige Soldaten und Soldatinnen – haben sich bislang freiwillig gemeldet und werden zeitnah für den Sanitätsdienst zur Verfügung stehen.
- Für den Organisationsbereich Personal ist seit Februar ein Lagezentrum aktiv. Das Lagezentrum führt das Lagebild zu Covid-19 für das BAPersBwBundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr und den gesamten Organisationsbereich“.
Das „Einsatzkontingent Hilfeleistungen Corona“ umfasste zunächst 15.000 Personen. Beteiligt sind alle drei Teilstreitkräfte, Heer, Marine und Luftwaffe. Die Bundesrepublik wird zu diesem Einsatzzweck in vier Regionen aufgeteilt, die jeweils einem Regionalen Führungsstab unterstehen. Zusätzlich wurden in diesem Zusammenhang als „Zivil-Militärische Zusammenarbeit“ in den Ländern und Kommunen Reservisten aktiviert und sogenannte Regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte aufgestellt. Den höchsten Stand erreichte das Hilfsangebot während den kritischen Phasen der Pandemie mit insgesamt 20.000 Einsatzkräften.
Gesundheitsämter entscheiden selbst über die Anforderung und den Einsatz
Die Entscheidung, ob Soldaten z.B. zur Kontaktverfolgung eingesetzt werden, trifft nicht die Bundeswehr, sondern die Gesundheitsämter selbst. Die Bundesländer können ebenfalls für ihre Regionen einen Antrag auf Amtshilfe stellen und einen Personalbedarf formulieren. Die Bundeswehr prüft lediglich, ob der Antrag verfassungskonform ist und ausreichend Personal und Technik zur Verfügung steht.
Die öffentlichen Ämter, Behörden und Institutionen, die derzeit die Bundeswehr bei ihren eklatanten Personalmangel „um Hilfe“ bitten, sind die, bei denen in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich und massiv Arbeitsplätze vernichtet oder der Privatisierung ausgeliefert wurden.
Der Öffentliche Dienstleistungssektor
Der öffentliche Sektor umfasst mehr als 6,8 Millionen Menschen, davon arbeiten 4,617 Millionen im klassischen öffentlichen Dienst bei Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherung bzw. Bundesagentur für Arbeit.
Mehr als 2,7 Millionen Beschäftigte sind Tarifkräfte und rund 1,702 Millionen stehen in einem Beamtenverhältnis. Die tatsächliche Zahl der Beamten liegt deutlich höher, aber die mehr als 150.000 Beamtinnen und Beamten der Postnachfolgeunternehmen werden vom Statistischen Bundesamt seit einigen Jahren nicht mehr in der Personalstatistik erfasst.
Kontinuierlicher Stellenabbau
Aufgrund der Sparpolitik sind seit dem Jahrhundertwechsel die Beschäftigtenzahlen im öffentlichen Dienst um mehr als 250.000 zurückgegangen und das hatte verheerende Auswirkungen auf die dort tätigen Menschen.
Die Situation der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst stellt sich folgendermaßen dar:
- Die Sanierung der öffentlichen Haushalte erfolgte vor allem durch den massiven Personalabbau und die Einschränkung der Leistungen für den einzelnen Bürger. Die Lücken sind so groß geworden, dass sie in absehbarer Zeit kaum zu schließen sind.
- Verglichen mit anderen Sektoren wurden überdurchschnittlich viele Befristungen der Arbeitsverhältnisse im Öffentlichen Dienst eingeführt, der Anteil der befristet Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist mit elf Prozent weiterhin der höchste.
- Seit Jahren fehlen Neueinstellungen, daher steigt der Altersdurchschnitt beim vorhandenen Personal immer weiter an. Derzeit besteht eine enorme Schieflage in der Altersstruktur der öffentlich Bediensteten, von den 4,65 Millionen Beschäftigten bei Bund, Ländern und Kommunen werden in den nächsten 15 Jahren circa 1,5 Millionen Beschäftigte altersbedingt ausscheiden.
- Für den eigenen Nachwuchs wird und wurde nur unzureichend ausgebildet. Selbst jene Stellen, die altersbedingt frei werden, können kaum noch besetzt werden. Es wird immer schwieriger für zusätzliche Stellen qualifiziertes Personal und Büroräume zu finden. Vor allem Schulen und Kitas, Polizei, Feuerwehr und Haftanstalten, Bau- und Sozialämter, Gesundheits- und Jugendeinrichtungen suchen dringend Personal.
- Nach der Ausbildung gehen viele Bewerber lieber zu Bundesbehörden, in die großen Städte oder zu privaten Unternehmen, weil sie dort in der Regel besser bezahlt werden.
- Die Dauer der Besetzungsverfahren ist meistens viel zu lang, dazu fehlt es schlichtweg an Interessenten und wenn jemand gefunden wird, der vorher in einer anderen Behörde gearbeitet hat, gehen die Kämpfe um diese Person los. Bis der neue Mitarbeiter die alte Stelle verlassen kann, vergehen oft Monate
und
der hohe Krankenstand lähmt die öffentlichen Einrichtungen und Behörden immer mehr.
Die Fehlzeiten durch psychische Erkrankungen sind erheblich angestiegen, wobei der Zusammenhang zwischen der Höhe des Krankenstands und der Sorge um den eigenen Arbeitsplatz sowie der Überlastung immer deutlicher zutage tritt. Dazu hat der Personalabbau in den vergangenen Jahren zu einer Arbeitsverdichtung geführt, die die Beschäftigten anfälliger für Krankheiten macht.
Damit es halbwegs rund läuft, werden Überstunden geleistet
Im Jahr 2020 machten die Beschäftigten in Deutschland rund 775 Millionen bezahlte und ca. 892 Millionen unbezahlte Überstunden. Die meisten unbezahlten Überstunden fielen vor allem im Öffentlichen Dienst an, dort vor allem in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Kitas und Schulen. Einige Einrichtungen sind ohne Überstunden nicht mehr in der Lage, ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen und die Überstunden sind eine reale Arbeitszeitverlängerung.
Im Pflegedienst fehlen mindestens 100.000 Vollzeitstellen
Besonders drastisch war der Arbeitsplatzabbau im Pflegedienst: Allein zwischen 2002 und 2006, in der Zeit der Einführung der Fallpauschalen, fielen an deutschen Akutkrankenhäusern 33.000 Vollzeitstellen in der Pflege weg, ein personeller Aderlass, der heute noch nachwirkt. Da die Personalausstattung auch zuvor unzureichend war und Patientenzahlen und -alter schon durch den demografischen Wandel weiter gestiegen sind, muss man davon ausgehen, dass in deutschen Allgemeinkrankenhäusern aktuell gut 100.000 Vollzeitstellen für Pflegerinnen und Pfleger fehlen.
Bundeswehr, die Reservearmee an Arbeitskräften
Der schnelle und unkomplizierte Einsatz der Streitkräfte während der Coronapandemie kann leicht dazu verführen, auch weiterhin Personalpolitik im öffentlichen Sektor auf Kante zu nähen, weil man weiß, im „Ernstfall“, wenn Einrichtungen kollabieren, weil das Personal fehlt, kann man auf Bundeswehrpersonal zurückgreifen. Auf Arbeitskräfte, mit beamtenähnlichem Status, weisungsgebunden, staatlich besoldet, die nicht streiken und für die weder das Arbeitsrecht noch der Arbeitsschutz gilt.
Quellen: der spiegel, destatis, ver.di, dgb, wdr, bundeswehr, waz Bild: Flughafen Köln-Bonn