Corona-Aufarbeitung: Warum wurde gelogen?

Von Suitbert Cechura

Der Streit um die RKI-Protokolle könnte Aufklärung bringen über die Standpunkte von Politik, Wissenschaft, Medien und ihrer Kritiker.

Die Sitzungsprotokolle des Robert-Koch-Instituts (RKI) für die Zeit der Corona-Pandemie sind durch eine Journalistin ungeschwärzt veröffentlicht worden mit Hilfe von Leaks. Sofort setzte der Streit ein, ob diese Protokolle Grundlage für einen Skandal abgeben oder nicht. Die beteiligten Politiker, Wissenschaftler und auch Teile der Medien winkten gleich ab, während die Kritiker der Corona-Politik sich in ihrem Weltbild bestätigt sehen und den Ruf nach Aufarbeitung erheben. Dabei geht der Streit im Wesentlichen um die Begründung der Corona-Maßnahmen und weniger um diese selbst. Deshalb ist es sinnvoll, diese in Erinnerung zu rufen.

Die Lügen der Corona-Politiker

Dass die Politik in der Öffentlichkeit gelogen hat, ist den Protokollen durchaus zu entnehmen. Der häufig bemühte Verweis auf wissenschaftliche Grundlagen des politischen Handelns entbehrte vielfach einer Grundlage. Und dort, wo Ergebnisse den eigenen Zielen widersprachen, wurden sie unter Verschluss gehalten. Das RKI als unabhängige Instanz gibt es und gab es nicht, es ist eine dem Bundesgesundheitsministerium unterstehende Behörde. Dennoch sollte die Person ihres Präsidenten bei jeder Pressekonferenz für die sachlich begründete Politik der Regierung stehen.

Wenn die Politik die Wahrheit für ihre Zwecke zurechtgebogen hat, dann fragt sich, zu welchem Zwecke sie das gemacht hat. Kritiker wie der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki sind da schnell bei der Hand und vermuten persönliche Karrieregründe seiner Politikerkollegen. Um diese Sicht zu untermauern, muss von anderen Kritikern aus dem ehemaligen gesundheitspolitischen Sprecher der SPD, Karl Lauterbach – der bereits unter Rot-Grün gemeinsam mit der ehemaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Fallpauschalen auf den Weg gebracht hat – ein Hinterbänkler gemacht werden, der die Pandemie braucht, um Minister zu werden (vgl. Overton-Magazin 9.8.24).

Wundersam ist nur, warum die Gesundheitsminister unterschiedlicher Parteizugehörigkeit in gleicher Weise die wissenschaftlichen Ergebnisse für ihre Politik nutzten. Dabei ist ihr Anliegen kein Geheimnis gewesen, war aus dem Strategiepapier des Innenministeriums bereits seit 2020 bekannt und auch aus ihren Maßnahmen abzulesen: „Die deutsche Volkswirtschaft ist eine Hochleistungsmaschine, die Jahr um Jahr ein hohes Maß an materiellem Wohlstand und allen Bürgern zugänglichen öffentlichen Gütern wie einer umfassenden Gesundheitsversorgung und öffentliche Sicherheit bereitstellt. Ihre Leistungsfähigkeit wird von einem hohen Maß an Arbeitsteilung innerhalb und außerhalb des Landes getragen. Die Voraussetzung dafür ist, dass der überwiegende Teil aller bestehenden Unternehmen und Arbeitnehmer einsatzfähig ist und die Integrität des Gesamtsystems nicht in Frage gestellt wird.“ (Strategiepapier des Innenministeriums)

Die Pandemie war eine Bedrohung für den weiteren Erfolg Deutschlands, deshalb sollte der Schaden für die Nation und ihre Wirtschaft so gering wie möglich gehalten werden. Das ist etwas anderes, als den Schaden für jeden Bürger klein zu halten. Denn auch der Wohlstand stellt sich für viele Bürger der Hochleistungsmaschinerie, in der sie ein kleines Rädchen sind, nicht ein. Die Pandemie gefährdete die personelle Grundlage dieses Staates, weswegen es Einschränkungen der Kontakte geben sollte, weil anfangs Impfstoffe nicht zur Verfügung standen.

Die Sicherung der personellen Grundlage des Staates sollte aber möglichst wenig den Gang des Geschäftes in den Bereichen beeinträchtigen, die für Deutschland wichtig sind, dazu wurden verschiedene Szenarien durchgerechnet: „Die hier unterstellten Entwicklungen führen also zu einem etwas schwächeren Rückgang des BIP als 2009, der Dienstleistungssektor wäre hingegen stärker betroffen.“ (Strategiepapier des Innenministeriums)  Damit war ein Zielkonflikt für die Politik gegeben: Die Sicherung der Brauchbarkeit der Bevölkerung machte Einschränkungen der sozialen Kontakte notwendig, das ging aber nicht ohne Einschränkungen des Wirtschaftslebens. Die Schonung der Wirtschaft gefährdete indes die menschliche Basis des Staates und der Wirtschaft.

Die Lösung bestand in der Einschränkung privater Kontakte und der Lahmlegung der gesamten Freizeitindustrie, die zum Dienstleistungsbereich zählt. Schulen tragen nichts zur nationalen Reichtumsproduktion bei, wurden also mit fadenscheinigen Begründungen geschlossen: „Kinder und Jugendliche waren weder Treiber der Pandemie noch besonders gefährdet – und dennoch beschloss die Politik in Deutschland Schulschließungen, Impfprogramme, Masken- und Testpflichten im großen Stil.“ Als Versorgungs- und Verwahranstalten waren und sind sie dennoch wichtig, fielen doch durch die Betreuung der Kinder auch viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus. Weswegen dies nicht ohne Streit erfolgte. Hinzu kam, dass das Gesundheitssystem die anfallenden Patienten bewältigen können sollte. Alte könnten das Gesundheitssystem schnell überfordern, das gebraucht wurde, weil bei weitgehend normalem Geschäftsleben Opfer anfallen würden.

Mit Impfungen sollte möglichst schnell die Normalität wieder hergestellt werden, weswegen bei dessen Zulassung herkömmliche Regelungen wie Studien plötzlich nicht mehr so wichtig waren: „Im British Medical Journal warnte Peter Doshi im Oktober und November 2020 vor der zurechtgeschusterten klinischen Studie von Pfizer, die nicht aussagefähige wissenschaftliche Endpunkte hatte und die Effizienz der Impfstoffe übertrieb.“  Zugleich eröffnete sich mit der Entwicklung von Biontech  ein Geschäft im Weltmaßstab, das es für Deutschland zu nutzen galt und dem keine bürokratischen Hindernisse in den Weg gelegt werden sollten. Fragen nach Langzeitfolgen erübrigten sich daher.

Obgleich Impfungen zwar vor schwerwiegenden Verläufen schützen sollten, waren Geimpfte dennoch weiter infektiös. Dennoch wurde die Mär von der „Pandemie der Ungeimpften“ verbreitet und wurden so die Bürger unter Druck gesetzt, sich impfen zu lassen. Bei dieser Politik kommen die Bürger nur als eine Größe unter vielen vor, mit der kalkuliert wird. Da ist es natürlich nicht so einfach, das als einen Umgang zu verkaufen, der deren Wohl über alles stellt. Informiert wurde daher entsprechend den angestrebten Zielen, um das Volk auf die Maßnahmen zu verpflichten. Dazu wurde eben immer die Wissenschaft bemüht, um dieser Politik einen sachlich-neutralen Anstrich zu geben.

Die Wissenschaft im Dienste des Volkes

Die Wissenschaft, oder man müsste besser sagen: die Wissenschaftler, standen auch schnell bereit, diese Politik zu unterstützen. Schließlich betreiben sie ihr Geschäft in der Regel auch in nationaler Verantwortung. Dabei wurden allerdings wissenschaftliche Ergebnisse vorgetragen, die auf wackeligen Füßen stehen und andere verbogen, was allerdings auch Laien kenntlich war. Virologen können ein Virus untersuchen, feststellen, wie er im Körper wirkt und wie er übertragen wird. Welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden, ist keine medizinisch wissenschaftliche Frage mehr. Epidemiologen können Statistiken erstellen, wie viele Menschen welchen Geschlechts oder Alters wie von einer Krankheit betroffen sind oder Statistiken aus anderen Ländern lesen.

Welche Konsequenzen sich daraus ergeben, steht auf einem ganz anderen Blatt. Vorhandene Ergebnisse lassen sich auch hochrechnen. Dabei geht es dann aber um Wahrscheinlichkeitsaussagen, die den Charakter von Vermutungen haben, die zutreffen können oder auch nicht. Welche politischen Konsequenzen aus diesen Resultaten sich ergeben, lässt sich nicht aus diesen Ergebnissen ablesen, sondern basiert immer auf politischen Kalkülen. Wenn das Virus gefährlich ist, ein Impfstoff nicht vorhanden, dann spricht alles für die Unterbrechung der Übertragungswege, in dem Falle der persönlichen Kontakte inklusive des gesamten Wirtschaftslebens. Also alle bleiben zu Hause und nichts geht mehr.

Dieser Schritt war aber politisch nicht gewollt – wegen der wirtschaftlichen Folgen. Und demokratische Politiker lassen sich durch Wissenschaft nichts vorschreiben. Diese folgte eher den politischen Vorgaben und so wurden zunächst die Gefahren heruntergespielt. Als deutlich wurde, dass es an Mitteln zu Einschränkung der Übertragung in Form von Masken mangelte, betonte der Virologe Christian Drosten, dass diese eine Übertragung nicht vollständig verhindern könnten, schließlich würde Atemstrom auch an den Rändern austreten. Für eine vollständige Unterbrechung des Atemstroms und damit einer hundertprozentigen Unterbrechung der Krankheitsübertragung sind diese auch nicht geschaffen, dennoch gehören sie zur Standardausrüstung in den Operationssälen der Krankenhäuser seit ewigen Zeiten, weil sie die Ansteckungsgefahr mindern. Masken, die das Gesicht vollständig abschließen, Gasmasken, hatte niemand gefordert. Und siehe da: Kaum waren Masken im Lande, war auch der „Stand der Wissenschaft“ ein anderer.

Dass ständig auf wissenschaftliche Ergebnisse verwiesen wurde, wenn es um irgendwelche Einschränkungen im privaten oder geschäftlichen Verkehr ging, war offensichtlicher Unsinn. Denn woher sollten diese denn kommen. Wenn Kinder wirklich häufiger Erreger aufweisen als Erwachsene, dann ergibt sich damit noch keine Notwendigkeit der Schulschließung, denn die Kinder sind ja auch im Elternhaus mit Erwachsenen und anderen Kindern zusammen. Und wie soll die Wirkung von Pandemiemaßnahmen gemessen werden, wenn es eine derartige Pandemie noch nicht gegeben hatte?

Es ging stets darum, mit der Wissenschaft die Politik der Regierung zu stützen. Daraus macht auch Christian Drosten im Nachhinein kein Geheimnis, wenn er die deutschen Maßnahmen mit denen in der Schweiz vergleicht: „Die Schweiz konnte auf dem Boden einer besseren Ausgangssituation handeln. Die Schweiz steht wirtschaftlich besser da, sie ist flächenmäßig klein, das Reisenetzwerk ist kleiner, es gibt ein hohes Bildungsniveau und einen guten sozialen Zusammenhalt. Da ist mehr Eigenverantwortung möglich.“

Was der Wissenschaftler damit kundtut, ist nichts anderes, als dass er seine Weisheiten immer an der Wirkung orientiert. In Deutschland mussten demnach strengere Regeln gelten, zu deren Begründung er beigetragen hat, als in der Schweiz, weil die Maßnahmen sich nicht einfach an den gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung, sondern auch am Erfolg für die Wirtschaft zu bemessen hat.

Und so sind auch jetzt seine Begründungen haarsträubend. Was hat die Größe eines Landes mit der Liberalität oder Strenge von Pandemie-Maßnahmen zu tun? Wenn das Land klein ist und die Menschen dort enger zusammenleben, spräche das doch eher für strengere Maßnahmen. Und was soll da die Bildung für den Umgang des Staates mit seinen Bürgern eine Rolle spielen? Geht er davon aus, dass Bildung auch immer zu größerem Gehorsam führt?

Auch nach der Pandemie kursieren noch Meldungen, die die Corona-Maßnahmen rückblickend rechtfertigen sollen: „Lancet-Studie: Impfungen gegen Covid-19 retteten 1,6 Millionen Leben in Europa.“ (Telepolis 14.8.2024) Mit der Überschrift und dem Verweis auf eine renommierte Wissenschaftszeitung wird ein Ergebnis der Impfungen präsentiert, das auf Schätzungen beruht. Das erwähnt der Artikel auch. Dennoch suggeriert die Überschrift etwas anderes. Denn wie will man die Wirkung von Impfungen bezüglich der vermiedenen Toten messen?

Zählen lassen sich die Sterbezahlen zu verschiedenen Zeiten. Wenn die Zahlen nach Einsatz der Impfungen gleichgeblieben wären, dann wäre dies als Erfolg den Impfungen zuzuschreiben. Die Sterbezahlen sind aber gestiegen. Um wie viel mehr sie gestiegen wären, wenn nicht geimpft worden wäre, lässt sich nur vermuten oder hochrechnen.  Dies basiert aber immer auf Annahmen, die zutreffen können oder auch nicht. Der Umgang mit wissenschaftlichen Ergebnissen hat sich offenbar nicht verändert, verwunderlich nur ist, dass diese Meldung so in einem Magazin auftaucht, das sich um redlichen Journalismus bemüht.

Obwohl vieles, was in Corona-Zeiten als wissenschaftlich begründet dargestellt wurde, erkennbar wenig mit Wissenschaft zu tun hatte, wurden die Darstellung von Wissenschaftlern in den Medien dankbar aufgenommen und verbreitet. Virologen, Epidemiologen und Mediziner waren gerngesehene Gäste und Gesprächspartner in den Medien und Talk-Shows.

Verantwortungsvoller Journalismus

Angesichts der Bedrohung der Nation durch die Pandemie sah sich die versammelte gedruckte wie gesendete Öffentlichkeit verpflichtet, alles zu tun, um Schaden von der Nation abzuwenden. Dieser drohte vor allem durch ungehorsame Bürger, die nicht umstandslos die Vorgaben der Regierung befolgten. Ohne Befehl von oben setzten die Medien das um, was im sogenannten „Panik-Papier“ der Regierung  – Strategiepapier des Innenministeriums – vorgegeben war: „Der Worst Case ist mit allen Folgen für die Bevölkerung in Deutschland unmissverständlich, entschlossen und transparent zu verdeutlichen…Um die erwünschte Schockwirkung  zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden. Viele Schwerkranke werden von ihren Angehörigen ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen, sterben qualvoll, um Luft ringend zu Hause. Das Ersticken oder nicht genug Luft kriegen ist für jeden Menschen eine Urangst. Die Situation, in der man nichts tun kann, um in Lebensgefahr schwebenden Angehörigen zu helfen Ebenfalls. Die Bilder aus Italien sind verstörend.“

Medienschaffenden wie Politikern war offenbar klar, dass die Bevölkerung für die angestrebten Maßnahmen nicht durch Vernunft gewonnen werden konnte. Schließlich ging es ja auch nur sehr bedingt um sie, tauchten sie in deren Kalkulationen doch lediglich als nützliche Wesen auf, die für das Funktionieren des Gemeinwesens gebraucht wurden. Angstmachen war daher angesagt. Und diese Botschaft ans Volk zu bringen, sahen sich Medienschaffende gefordert. Als Helden wurden die gefeiert von Medien und Politik, die als Billiglöhner im Supermarkt und in der Pflege im Krankenhaus trotz Corona ihre Gesundheit aufs Spiel setzen durften.

Enttäuschte Idealisten der Demokratie

Durch die Veröffentlichung der RKI-Protokolle sehen sich die Kritiker der Corona-Maßnahmen bestätigt. Wobei die Kritiken recht unterschiedlicher Art sind und die Frage auftaucht, wogegen sie sich richten: „Wenn die Empörung größerer Mengen von Bürgerinnen und Bürger durch die Veröffentlichung neu aufflammt, dann ist etwas im Land schiefgelaufen, das offenbar nicht wieder repariert wurde… Es ist eine Empörung darüber, dass man sich während der Corona-Krise von offizieller Seite, von der Regierung, staatlichen Institutionen und Medien getäuscht fühlt.“ (Telepolis 26.7.2024)

Wem gilt bei einer solchen Kritik die Sorge? Es geht bei dieser Frage nicht darum, welchen Schaden die Bürger durch die Corona-Politik erlitten haben, sondern darum, ob ihr Vertrauen in den Staat, seinen Institutionen und den Medien durch Täuschung erschüttert wurde. Das ist eine seltsame Sorge, schließlich haben die Corona-Maßnahmen und die Berichterstattung in den Medien gezeigt, dass die Sicherung des Funktionierens dieser Gesellschaft mit seiner Wirtschaft mit Opfern kalkuliert und die Bürger durch Schüren von Ängsten zum Mitmachen bewegt werden sollten.

Dass jetzt deshalb Menschen diesem System kritisch gegenüberstehen, lässt offenbar viele Kritiker keine Ruhe. Ihr Ruf nach Aufarbeitung der Corona-Politik will das Vertrauen der Bürger in diesen Staat wieder herstellen, indem sie behaupten, dass es sich bei der Art und Weise der Behandlung der Bürger in der Pandemie um eine Abweichung von der normalen Politik gehandelt habe und die Akteure sich daher schuldig bekennen sollten. Nicht die übliche Kalkulation mit den Bürgern zum Nutzen von Staat und Wirtschaft soll bei diesen Schäden hervorgerufen haben, sondern der verantwortungslose Umgang mit wissenschaftlichen Ergebnissen und der Wahrheit.

Nur gehört nicht das Verdrehen der Wahrheit zum normalen Geschäft in dieser Demokratie? Weiß nicht sogar die Mehrheit der Bürger, dass die Wahlversprechen der Parteien nicht wörtlich zu nehmen sind? Und setzen sie nicht dennoch ihr Vertrauen bei der Wahl auf eine der angebotenen Alternativen, die dann sie regelmäßig enttäuschen? Beispiele von Lügen oder Falschbehauptungen haben die „Nachdenkseiten“ seit ihrer Teilnahme an der Bundespressekonferenz doch viele geliefert. Und das ist nichts Neues, schließlich hat schon der erste Bundeskanzler der Republik, Konrad Adenauer, betont: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.“  Es macht eben einen Unterschied, ob man die Begründung einer Maßnahme in Zweifel zieht, oder die Maßnahme selber.

Im „Overton“-Interview mit De Lapuente beklagt Marcus Klöckner, dass es sich bei den Corona-Maßnahmen um die schwersten unberechtigten Grundrechtseingriffe seit Bestehen der Republik handele.  Mit diesem Vorwurf ist man völlig weg von den Schädigungen, die Bürger durch Corona-Maßnahmen oder Impfschädigungen erhalten haben. Schließlich waren die Maßnahmen ja alles andere als schlüssig, wenn die Bürger sich morgens auf dem Weg zur Arbeit in überfüllte Nahverkehrsmittel drängen sollten und abends Kontaktsperre drohte.

Beklagt wird stattdessen die Freiheitseinschränkung des freien Bürgers. Dabei könnte auch den Kritikern auffallen, dass Grundrechte Erlaubnisse des Staates sind, die den Bürgern gewährt werden. Die Rücknahme oder Einschränkung dieser Grundrechte ist damit mitgedacht: Wenn sie der Staat für geboten hält. Schon im Grundgesetz steht hinter jedem Grundrechtsparagraphen, dass das Nähere durch Gesetze geregelt wird, der Staat sich vorbehält, wie er den Umgang mit seinen Bürgern gestalten will.

Grundlage der verbreiteten Sorte Kritik ist die Vorstellung des Staates als Dienstleistungsunternehmen für die Bürger. Als ob es für Dienstleistungen für die Bürger einen Gewaltapparat bedürfte. Darin zeigt sich, dass es eben um Herrschaft geht. Die regelt mit Gewalt die Interessengegensätze in einer Gesellschaft, die sie als Konkurrenzveranstaltung genauso will. Die Kollisionen zwischen Arbeit und Kapital, zwischen Wohnungsbesitzern und Wohnungsmietern, zwischen Vertragsparteien, die sich gegenseitig übervorteilen wollen usw. – all dies zwingt der Staat unter den einen Zweck: Produktion von Geldreichtum. Da kommen dann schon mal einige individuelle Interessen unter die Räder.

Das ist auch in der Pandemie geschehen, nur darauf will niemand hinweisen. Stattdessen macht die Kritik nicht den Schaden zum Gegenstand, sondern die Lüge – also die Enttäuschung, dass die Politik nicht so über alle Zweifel erhaben „Dienstleister“ war, wie man es ihr andichtet. Mit der Forderung nach Aufarbeitung der Corona-Pandemie sollen sich die Akteure schuldig bekennen und sich entschuldigen, weil sie sich am schönen Schein der Politik im Lande vergangen haben.

Als echte Idealisten kommen zum Beispiel die Interviewpartner des Overton-Magazins auch wieder auf die Realität zurück, wenn sie konstatieren, dass eine solche Aufarbeitung natürlich von den Akteuren aus der Politik und Wissenschaft nicht zu erwarten ist. Ihren Idealismus wollen sie dennoch nicht aufgeben und fordern daher eine unabhängige Kommission, die das leisten soll. Weil aber zum Idealismus der Realismus gehört, stellen sie schnell fest, dass die Politik die Schaffung einer solchen Kommission nicht zu ihrem Anliegen machen wird. Und so hat die Forderung nach Aufarbeitung schon den Charakter einer Realsatire, weil die Akteure sich ständig zwischen ihrem Idealismus und Realismus hin und her bewegen. Es braucht daher in ihren Augen ein besonderes Auftreten und eine Kommission, um die Politik von der Notwendigkeit der Aufarbeitung zu überzeugen usw.

Das ganze Hin und Her macht nur deutlich, dass bei aller Kritik die Kritiker ihren guten Glauben an die Politik nicht aufgeben und alle Anstrengungen unternehmen wollen, dass auch bei den Bürgern dieser gute Glaube wieder hergestellt wird, wo er verloren gegangen sein soll. Und da sind sie sich mit denen einig, die die Maßnahmen verteidigen: „Die künstliche Skandalisierung nährt hingegen erst die Vertrauensverluste und Ressentiments, die man dann beklagt.“ (FAZ 17.8.24)

Die Diskussion um die RKI-Files macht deutlich, dass zusätzliche Fakten über den Verlauf der Pandemie-Politik nicht automatisch zu einem neuen Verständnis dessen führen, was damals gelaufen ist und warum. Die Schlussfolgerungen erfolgen daher entsprechend der unterschiedlichen Interessen oder moralischen Sichtweise von Politik. Erkenntnisse über die Gründe des staatlichen Umgangs mit einer Pandemie? Fehlanzeige.

 

 

 

 

 

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