Corona-Krisengewinnler – statt Solidarität

Von Marcus Schwarzbach

Bundeskanzlerin Merkel hat in einer TV-Ansprache zu Solidarität in der Corona-Krise aufgerufen, auch in vielen Betrieben beschwört das Management „Solidarität“. Wer skeptisch ist, wenn bestimmte Kreise dieses Wort nutzen, fühlt sich derzeit bestätigt.

Erstes Corona-Opfer waren die Beschäftigten der Charite-Tochterfirma CFM, Profiteur das Unternehmen. Der geplante Streik wurde abgesagt, einen Tarifvertrag gibt es weiterhin nicht. Auch die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) setzt die geplanten Streiks für die Lohnangleichung in der ostdeutschen Ernährungswirtschaft vorerst aus. Der Grund ist die „Sicherstellung der Lebensmittelversorgung“, so die NGG, die kritisiert: „In vielen Betrieben laufe die Produktion auf Hochtouren, oft mit Sonderschichten, und Firmen verbuchen steigende Umsätze, aber den Beschäftigten werden überfällige Lohnsteigerungen verweigert“ (www.jungewelt.de/artikel/374937.krisenpolitik-nicht-auf-dem-rücken-der-beschäftigten.html).

Die Unternehmensseite ist sehr einfallsreich. Ihre Chance erkannte die BG Kliniken , ein Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherungen. Sie wiederriefen eine Ärzte-Tarifeinigung, die sie im Februar mit dem Marburger Bund (MB) vereinbarten. Ihnen gefiel jetzt der „neu geregelte Umgang mit Arbeitsstunden im Anschluss an Bereitschaftsdienste“ nicht mehr, kritisiert die gewerkschaftliche Vertretung: „Jede Ärztin und jeder Arzt in den Kliniken ist derzeit darauf konzentriert, sich auf eine steigende Anzahl von Patienten mit Covid 19-Erkrankungen vorzubereiten. Überstunden und Zusatzdienste sind an der Tagesordnung. Über einzelne Regelungen einer Tarifeinigung können sich die Betroffenen kaum Gedanken machen. Insofern hinterlässt das beispiellose Vorgehen der BG Kliniken mehr als nur einen faden Beigeschmack.” (www.marburger-bund.de/bundesverband/pressemitteilung/bg-kliniken-widerrufen-tarifeinigung

Das sind nicht die einzigen Nachteile für Beschäftigte im Gesundheitssystem – auch die Bundesregierung setzt nach. Die erst kürzlich in Kraft getretenen minimalistischen „Pflegepersonaluntergrenzen“ für die Krankenhäuser hat Gesundheitsminister Jens Spahn schon wieder ausgesetzt (www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/1_DKG/1.7_Presse/1.7.1_Pressemitteilungen/2020/2020-03-04_PM-DKG_PPUG.pdf). Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) begrüßt dies, die Pfleger werden weiter belastet. Auch der Druck auf die Einzelhandelsangestellten wird erhöht. Eine der ersten Regierungsmaßnahme in Corona-Zeiten war die „Erlaubnis zum Sonntagsverkauf“ im Handel – der Schutz für die Belegschaften vor Überarbeitung wurde so weiter reduziert (www.spiegel.de/politik/deutschland/coronakrise-bundesregierung-empfiehlt-schliessung-von-laeden-a-0b61996f-cffa-46f5-aa9f-bf455c29e734-amp?__twitter_impression=true).

Auch wird derzeit in den Betrieben selbst das Bürgerliche Gesetzbuch ignoriert.

Für den Fall, dass ein Unternehmen nicht ausreichend Arbeit für die Belegschaft hat, gibt es eine gesetzliche Regelung. Reicht die Arbeit nicht für die acht Stunden, die ein Beschäftigter entlohnt wird, da wegen des Corona-Virus weniger Produkte gekauft werden, ist dies Problem des Unternehmens – und nicht des Lohnabhängigen. Denn dem steht die arbeitsvertragliche Bezahlung zu, nach § 615 BGB ist er NICHT „zur Nachleistung verpflichtet“. Die Realität ist derzeit eine andere: Betriebe üben Druck aus, damit Beschäftigte nach Hause gehen und Arbeitszeitkonten ins Minus laufen zu lassen, um später ein Nacharbeiten einzufordern zu können. Das immer wieder beschworene „unternehmerische Risiko“ wird so auf die Belegschaften übertragen.

Und zeigt, dass die Mächtigen Krisenzeiten für sich nutzen. Zukunftsforscher Tristan Horx behauptet trotzdem, dass die Erfahrungen der Menschen während der Corona-Pandemie den Wert von Solidarität stärken können (https://web.de/magazine/news/coronavirus/corona-krise-steckt-grosse-chance-dauerhaften-umdenken-34540638). Nach der Corona-Krise ist alles anders, sagen andere. Manches wird so bleiben, wenn wir nicht dagegen ankämpfen

Labournet.de hat eine Unterschriftensammlung gestartet. Unter dem Motto „Tarifverträge für alle unsere Heldinnen und Helden“ werden die Regierungen in Bund und Ländern aufgefordert, die Tarifverträge des Handels für allgemeinverbindlich zu erklären (www.labournet.de/branchen/dienstleistungen/handel/ehstrat/unterschriftensammlung-tarifvertraege-fuer-alle-unsere-heldinnen-und-helden-im-handel-allgemeinverbindlichkeit-der-tarifvertraege-werte-regierungen-in-bund-und-land/).

Das wäre ein Anfang gelebter Solidarität.

 

 

Marcus Schwarzbach ist auch Autor des neuen isw-wirtschaftsinfo 56, Homeoffice: Vom Traum zum Alptraum, www.isw-muenchen.de - siehe: https://www.isw-muenchen.de/produkt/wirtschaftsinfo-56/

Bild: https://www.vernetzung.org/